BAD RELIGION

True North

Ich hoffe ganz, ganz stark, dass Greg Graffin beim Roskilde Festival 2011 gelogen hat. Im letzten Drittel des BAD RELIGION-Auftritts, den man komplett bei YouTube streamen kann, kündigte er nämlich an, dass das nächste BAD RELIGION-Album das letzte sein könnte.

Merke: runde 18 Monate später, also heute, liegt dieses Album vor, heißt „True North“ und damit kehren sie – so die Aussage der Band – noch stärker zu ihren Punk-Wurzeln zurück, als sie es bei den letzten vier Epitaph-Platten taten.

Das begnadete Songwriterduo Graffin und Gurewitz hat es sich für dieses Album zur Aufgabe gemacht kurze und konzise Punk-Songs ohne viel Chichi zu schreiben. Sie sollten die Basis für eine Platte sein, die vor „stripped down punk songs“ nur so strotzt und trotzdem nicht die „conceptual density“ verliert, wie Gurewitz im Promosheet zitiert wird, das der Platte beiliegt.

Epitaphs Marketingrhetorik ist allerdings überhöht, denn „True North“ mag zwar ganz gut sein, ein tolles oder gar begeisterndes Album aber ist es nicht. Und deswegen ist es auch kein würdiges Abschiedsalbum für eine Band wie BAD RELIGION, deren Abschiedsalbum ein Knall sein müsste, der mindestens mit „Process Of Belief“ mithält.

Mit diesem Album kehrten BAD RELIGION vor zwölf Jahren zu Epitaph zurück, mit dem Album nahmen sie Brett Gurewitz wieder offiziell als Bandmitglied auf und mit ihm bewiesen sie ein für allemal, dass sie zu den fünf wichtigsten, weil fünf intelligentesten Punkbands dieses Planeten gehören.

Intellekt und atemberaubendes Songwriting waren damals die Trademarks, nur leider reichte keines der Nachfolgealben an „Process Of Belief“ heran. Klar, der direkte Nachfolger „The Empire Strikes First“ (2004) war auch sehr gut, aber eben nicht exzellent, „New Maps Of Hell“ (2007) war nur noch gut und „The Dissent Of Man“ (2011) war dann eben ganz okay.

„True North“ setzt das „Okaysein“ fort, denn trotz guter Songs, die es auch hier gibt, findet man viele schwache beziehungsweise einfach schlechte Stücke auf dem Album. Der Titeltrack „True north“ ist beispielsweise sehr gut als Opener platziert, weil er einer der stärksten Songs des Albums ist.

Er ist straight und melodisch, kurzum, er ist einer dieser typischen BAD RELIGION-Songs, die man über die Jahre einfach lieben gelernt hat. „Dharma and the bomb“ sowie „Hello cruel world“ sind langatmig-langsame Rocksongs und die erste Single „Fuck you“ konterkariert den Intellekt, den Graffin als Texteschreiber über die Jahre angestaut hat.

In Summe bleibt damit ein Album, das man problemlos nebenher hören kann und das – wie gesagt – nicht schlecht ist, sondern einfach ganz gut beziehungsweise okay. Von BAD RELIGION erwarte ich aber mehr als okaye oder ganz gute Alben.

BAD RELIGION stehen, zumindest für mich, immer noch für Intellekt, exzellentes Songwriting und bissige Platten wie eben „Process Of Belief“. Und ich bin nicht bereit, die Band mit diesem vergleichbar schwachen Album gehen zu lassen.

Deswegen, lieber Herr Professor Graffin, beweisen Sie uns noch einmal, dass BAD RELIGION ein weiteres „Process Of Belief“ schreiben können – sonst werden Sie nicht emeritiert!