NRFB

Trüffelbürste

Es ist ein wenig seltsam: Sobald eine neue Platte von KOMANNDO SONNE-NMILCH rauskommt, ist schnell von sogenannten „Rachut-Bands“ die Rede, eben weil Jens R. nicht nur die einzige Konstante bei all diesen Bands ist, und dabei textlich und gesanglich seit Jahrzehnten seine Marke setzt.

Das greift allerdings ein wenig kurz, denn erstens leben diese Bands auch von dem, was Andreas Ness auf der Gitarre zaubert, und zweitens zeigt sich mit NRFB, dass Rachut den Begriff Punk eh gern weiter fasst als Otto Normalstreetpunk.

So ganz kann er aber doch nicht von den bratenden, zornigen Gitarren lassen, sonst hätte sich das Kommando mittlerweile wohl nicht in die Richtung entwickelt, für die man seine früheren Bands so geliebt hat.

Ganz ohne Flachs: Songs wie „Schwestermilch“ oder „Liebesbombenkrater“ hätten in ihrer Intensität so auch auch ohne weiteres auf einer OMA HANS-Scheibe ihren Platz finden können, textlich sind die schön-verzweifelten Geschichten, die erzählt werden, sowieso allen Durchschnittspunks meilenweit voraus, und dann ist da natürlich diese Melancholie, die vielleicht die WIPERS immer gut konnten, aber hierzulande fast keiner in ähnlicher Weise drauf hat.

Da darf man eigentlich nur staunen, wie diese Band es schafft, trotz des für Punk-Kreise biblischen Alters ihres Sängers immer noch so kraftvolle Platten hinzukriegen. Aber vielleicht ist diese Ruhelosigkeit gar keine Frage des Alters, sondern eher der Einstellung, die allein mit Zeilen wie „Haben keine Zeit für Picknick, wer Pausen macht wird steif“ bestens ausgedrückt wird.

Dass Jens Rachut aber den Begriff Punk gern viel weiter auslegt, zeigt sich bei seinem zweiten derzeitigen Projekt NRFB. Das ist ein ganz anderer Schnack, was nicht weiter verwundert, schließlich mischen da ja auch ein ganze Bande von GOLDENEN ZITRONEN mit.

Vom schrillen Punk-meets-Kirmestechno-Sound der ersten Platte hat man sich verabschiedet, es herrscht eher eine dadaistische Atmosphäre, die natürlich von den Texten aber auch von den Sounds getragen wird.

Da wird es noch experimenteller als beim Erstling, alles klingt spontaner, der Stilmix wird noch offener, hier dürfen Elektrobeats genauso vorkommen wie monotone Post-Punk-Themen. Songs wie „Die Ziegentreiber“ schunkeln sich sambamäßig den Berg hoch, bei „Fotoapparat“ rumpelt sich das gesamte Ensemble über einen Dilettanten-Punkbeat, der mit unglaublich sinnlosen Lyrics (ist das japanisch?) unterlegt wird.

Und das ist das Spannende an diesem Projekt, zu dem sich die Hamburger Indie/Punk-Prominenz zusammengefunden hat. Eben jene theatralische Atmosphäre, die, wenn Leute wie Mense Reents oder STERNE-Bassist Thomas Wenzel ihre Ideen mit Rachut’schem Textwahn zusammenwerfen, bis es so richtig hübsch bizarr wird, die meiste Neugier weckt und immer neue Fragen aufwirft.

Genau das macht meiner Meinung nach immer noch eine große Faszination von Punk aus: dass man immer wieder auf Überraschendes stößt, auf Dinge, die man nach 35 Jahren Punk-Geschichte so nicht erwartet hat.

Wenn dafür kein Platz mehr ist, können wir gleich alle zu FAZ-Abonnenten mutieren. (Diese Band war auf der Ox-CD #108 zu hören.)