V.A.

Aus grauer Städte Mauern – Die Neue Deutsche Welle 1977-85, Teil 1

Die Neue Deutsche Welle, kurz: NDW, die von Ende der Siebziger bis Anfang der Achtziger grassierte, war eine schlimme Sache. Die guten Bands kann man ohne Probleme unter Punk, Post-Punk, Experimental-Pop und Co.

einsortieren, die schlechten, und davon gab es viele, waren unfassbarer Schrott. Hört man sie heute, steigt einem immer noch die Schamesröte ins Gesicht, einfach nur, weil man sie als jemand, der in der Zeit aufwuchs, kennt.

England hatte in den Siebzigern den Punk erfunden (...), aus dem Post-Punk und New Wave wurde, und Deutschland hatte Krautrock und Schlager. In einer irren Vermischung von all dem, von Genres, Szenen und Ideen, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun hatten, schuf die Musikindustrie ein Monster, das heute noch zuckt, siehe das neue NENA-Album.

Dabei waren die Ansätze löblich: Punk, DIY, neue Ideen, neue Klänge, neue Technik, alte verschnarchte Strukturen mit dem Muff der Fünfziger und Sechziger aufbrechen, das stand bei Bands/Künstlern wie DAF, ABWÄRTS, DER PLAN, FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE, PALAIS SCHAUMBURG, FEHLFARBEN, Andreas Dorau, NICHTS, DIE KRUPPS, MALARIA!, FOYER DES ARTS, MYTHEN IN TÜTEN, PVC, ZK oder KFC sicher im Vordergrund – eine „Neue Welle“ rollte an.

Und weil die Zeit reif war für neue Ideen und Klänge, hatte man mit sowas Ende der Siebziger schnell (relativ viel) Erfolg. Als frisch, neu, aufregend wurde die Musik wahrgenommen, von der jugendlichen Zielgruppe wie den Medien und der Musikwirtschaft gleichermaßen aufgegriffen – und natürlich von anderen Musikern.

Die Musikindustrie begann einerseits Underground-Künstler zu umgarnen, zu locken, zum anderen sprangen junge und auch etablierte (genrefremde) Musiker und Bands auf den abfahrenden Zug auf (oder wurden reingeschoben), und eine mächtige Hype-Maschine setzte sich in Bewegung, die alles, was sich irgendwie in den NDW-Kontext packen ließ, wie eine Waschmaschine durcheinanderwirbelte.

Bald traten die „ernsthaften“ Bands und Künstler in den Hintergrund, konservativer Mucker-Schrott wie NENA, SPLIFF, DÖF, FEE, EXTRABREIT, SPIDER MURPHY GANG, RELAX, Markus, FELIX DE LUXE oder Hubert Kah übernahm die Macht und wurde zum Synonym von NDW.

Bis heute sind es deren Songs, die damals schon spießigen „Normalos“ bei Achtziger-Parties ein seeliges Lächeln ins Gesicht zaubern – und bei mir Brechreiz auslösen. Für wen also ist diese Compilation gedacht? Wer den Mainstream – den Brechreiz-Teil dieser Doppel-CD – kennenlernen will, findet auf jedem Flohmarkt für kleines Geld alte NDW-LP-Compilations bzw.

auch welche auf CD aus den letzten 20 Jahren. Wer sich für den coolen, guten Underground-Part interessiert, stößt auf viele Wiederveröffentlichungen und auch die „Verschwende deine Jugend“-Compilation.

Eine Mischung aus beidem wie dies hier ist aus musikhistorischen Gründen interessant, aber in der Mischung fast unerträglich. Markus und Hubert Kah reichen in winzigen Dosen per YouTube, mehr muss man dazu nicht wissen.

Natürlich, die Aufbereitung mit dickem Booklet und kundigen Linernotes ist wie Bear Family-typisch vorbildlich, aber bisweilen auch sehr knapp ausgefallen. Stellt sich die Frage, mit was die Musikhistoriker von Bear Family die angekündigten drei weiteren Folgen füllen wollen ...

Ich hoffe, es geht in den Underground, der Mainstream ist schrecklich.