EXENE CERVENKA

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L.A. Punk Chanteuse

Exene (Christine) Cervenka, geboren am 1. Februar 1956, ist die Diva des LA Punkrocks und sicherte sich als Sängerin und Songwriterin von X ihren Eintrag in der Musikgeschichte. Großartige Platten wie „Los Angeles“, „Wild Gift“, „Under the Big Black Sun“, „More Fun In the New World“ oder auch „Ain’t Love Grand“, die gerade allesamt auf CD wiederveröffentlicht wurden, sind ein deutlicher Beleg dafür. Als die Band allerdings Ende der 80er einige Jahre pausierte, wandte sich Cervenka ihrer Solo-Karriere zu. Sie veröffentlichte u.a. zwei Roots-Rock-Alben – „Old Wives Tales“ (1989) und „Running Scared“ (1990) – ebenso wie Bücher und Spoken Word-Aufnahmen und arbeitete dabei zum Beispiel mit Lydia Lunch zusammen. Ende der 80er endete auch ihre Ehe mit X-Frontmann John Doe, der durch Schauspieler Viggo „Aragorn“ Mortensen ersetzt wurde, mit dem sie seit 1988 einen gemeinsamen Sohn hat. Diese Ehe wurde 1997 geschieden. Neben X, die ab 1993 wieder aus dem Winterschlaf erwachten, entwickelten sich auch noch andere Bandprojekte mit begrenzter Halbwertszeit wie THE KNITTERS oder AUNTIE CHRIST. Die jüngste Inkarnation von Cervenkas Talenten, zusammen mit den ex-DISTILLERS-Mitgliedern Kim Chi und Mat Young, heißt ORIGINAL SINNERS und klingt verdammt nach X in ihrer Anfangszeit, und zwar im positiven Sinne, was Cervenka auch gar nicht abstreitet. Allerdings hat Kim Chi die Band bereits wieder verlassen und so muss man abwarten, was aus den SINNERS wird.


In einem Interview, das ich vor kurzem gelesen habe, gehst du erneut hart mit Penelope Spheeris’ Doku „The Decline and Fall of Western Civilization“ über die Punkszene Anfang der 80er ins Gericht. Ist es vor allem die Art, wie X da präsentiert werden, die dich stört?


Penelope Spheeris hat einiges von dem Material in unserem Haus um sechs Uhr morgens gedreht, nachdem wir ein Konzert hatten und die ganze Nacht durchgetrunken hatten. Alles war hell beleuchtet, die Leute von der Crew waren überall im Haus, es gab keinen Platz, wohin man sich hätte zurückziehen können. So eine Art Reality TV, ohne dass wir mitbekamen, was eigentlich vorging. Dafür hatten sie uns jede Menge Alkohol gekauft. Aber die frühe LA-Punk-Szene war viel mehr, sie war literarisch, intelligent, witzig, erschreckend, einschüchternd, verrückt, politisch, selbstzerstörerisch und gemeinschaftlich. Einiges davon sieht man im Film, vieles leider nicht.

X haben sich zu dieser Zeit deutlich von der typischen Punkszene abgesondert. Inwiefern war die Band überhaupt noch Teil einer bestimmten Szene?

Die Szene, der X zugehörten, war musikalisch generell sehr unterschiedlich. Keine Band hat da wie die andere geklungen. Es ist heute schwer für Leute die Qualität diese Szene zu verstehen, jeder denkt, alles hätte gleich ausgesehen, gleich geklungen, und sich gleich angefühlt. Aber das wäre meiner Meinung nach nur ein Ausdruck von Konformität gewesen.

Hat es euch denn gestört, dass man X als Punkband bezeichnet hat? Das war vielleicht doch eine zu simple Umschreibung.

Nein, es war damals großartig, denn Punk bedeutete, dass man etwas völlig anderes als der Mainstream war und damit irgendwie bedrohlich. Du konntest dich demnach entscheiden, entweder für uns oder VAN HALEN.

Findest du es denn irritierend bzw. kannst du es verstehen, wenn sich Leute wie die damalige AVENGERS-Sängerin Penelope Houston heute von ihrer Punkvergangenheit distanzieren?

Ich kann nicht wirklich für Penelope sprechen. Aber irgendwie gab es alles schon mal, Punks, Hippies, Beatniks, und später zogen irgendwelche Leute deren Klamotten an und imitierten einfach die Musik. Das passiert, wenn den Kids nichts neues mehr einfällt. Vielleicht hat sie das gestört. Meine schönsten Erinnerungen sind aber nach wie vor mit der Punkzeit verknüpft, wenn auch recht traurige, aber da ich vielleicht eines Tages darüber ein Buch schreiben werde, möchte ich jetzt nicht allzu viel vorwegnehmen.

Und wo siehst du die Einflussmöglichkeiten heutiger Punkbands?

Sie beeinflussen die Kids vor allem dazu, möglichst einheitlich auszusehen, denselben Musikstil zu haben, dieselben Tattoos und Piercings zu tragen – du siehst dieselben Mädchen im Hintergrund und dieselben Typen auf der Bühne.

War es eigentlich ein Problem für euch, was die Akzeptanz der Punkszene betraf, dass ihr schon damals richtig gute Musiker gewesen seid?

Einige Bands waren tatsächlich auf unsere Fähigkeiten und den Erfolg eifersüchtig. Mir war das damals aber nicht bewusst, ich war viel zu sehr damit beschäftigt, zu touren, neue Songs zu schreiben und Platten aufzunehmen.

Bereits nach zwei Platten seid ihr vom Indie Slash zum Major Elektra gewechselt. War das Interesse eines Majors an einer Band wie X damals ein anderes als heutzutage?

Mit heute kann man das sowieso nicht vergleichen, dazu hat sich das Musikgeschäft zu radikal verändert. Majorlabel nehmen heutzutage doch nur noch Bauchtänzerinnen und Models unter Vertrag. Und Elektra nahmen uns damals unter Vertrag, weil von ‚Los Angeles’ 100.000 Platten verkauft worden waren. Ihnen war es dabei egal, um was für einen musikalischen Stil es sich handelte.

Habt ihr es irgendwann bereut, das Indie-Dasein aufgegeben zu haben?

Auf keinen Fall. Indie-Labels hatten damals nur einen einzigen Vertrieb. Und wenn man deine Platten nicht in jedem Laden und jeder Stadt bekam, warst du erledigt. Slash haben uns sowieso völlig übers Ohr gehauen. Frag mal andere Bands, die auf Slash waren, wie sie behandelt wurden. Bei Elektra wussten wir wenigstens, woran wir waren. Aber die Indie-Labels heute sind viel besser, als in den frühen 80ern. Ich mag Lookout, wo AUNTIE CHRIST rauskamen, und Nitro. Ich habe auch gute Erfahrungen mit Kill Rock Stars gemacht. Die würden ihre Künstler nie übers Ohr hauen.

Man liest immer, der DOORS-Keyboarder Ray Manzarek, der einige eurer Platten produzierte, hätte euch entdeckt. Du hattest dich damals ja auch als Morrison-Fan geoutet. Welchen Stellenwert haben die DOORS noch für dich?

Erst einmal haben wir uns selbst entdeckt. Aber natürlich waren die DOORS musikalisch eine großartige Band, wobei ich sie inzwischen mehr als komplette Band mag, im Gegensatz dazu, nur Morrison-Fan zu sein. Aber meine Lieblingsmusik war schon immer alter Country und Gospel aus den 60ern. Es gibt da unheimlich viele Gemeinsamkeiten mit Punk: Geschichten über Alkohol, Hass und Liebe, das Leben auf der Straße ... Einige Leute hassten uns natürlich dafür, dass Manzarek die Platten produzierte, andere fanden es toll. Es war eigentlich ähnlich, wie bei all unseren Entscheidungen die Band betreffend.

Wie steht es denn momentan um X? Ich habe gehört, ihr würdet wieder touren. Ich meine, du hast ja auch einen 15-jährigen Sohn, um den du dich kümmern musst ...

Wir spielen eigentlich schon seit fünf Jahren wieder im Original-Line-Up. Wenn ich es nicht lieben würde, würde ich das nicht machen. Denn soviel Geld macht man damit nicht, und ich mag es nach wie vor auf Tour zu sein. Wenn das Publikum auf uns reagiert, ist das toll. Früher war das Publikum immer die Show, zumindest für mich. Es macht mich glücklich, dass es noch so viele Leute gibt, die aus X etwas emotional befriedigendes für sich ziehen können. Aber es ist hart, Mutter zu sein und andere Arbeiten zu erledigen und dann noch diverse Bands unter einen Hut zu bringen.

Außer deiner Arbeit als Musikerin hast du ja auch 1991 mit dem Photografen Kenneth Jarecke ein Buch namens „Just Another War“ herausgebracht, mit von dir kommentierten Photos des ersten Golfkriegs. Welche Bedeutung hat das Buch für dich, auch angesichts der aktuellen Ereignisse?

Musik und Literatur hatten für mich immer dieselbe Zielsetzung. Ich bin sehr stolz auf ‚Just another war’, auch wenn ich vielleicht nicht mehr so extrem links wie früher denke. Dadurch, dass ich mit so vielen linken Themen und Leuten zu tun hatte, wurde mir klar, wie rechts viele von denen eigentlich waren. Political Correctness hat eine vollkommen lächerliche Dimension erreicht. Eine weiße Frau zu sein, die in einer weißen Nachbarschaft wohnt und nicht arm ist, ist für viele solcher Leute eine schwere Sünde. Dieser verdrehte Rassismus ist schon ziemlich schockierend, ebenso wie die damit verbundene Scheinheiligkeit. Viele aktive Leute machen wichtige Sachen, aber einige davon tun das nur, weil es ihnen den Anschein von Persönlichkeit verleiht. Ich habe viel über den Irak gelernt, als ich an dem Buch arbeitete, zum Beispiel, dass deutsche Firmen Saddam chemische Waffen verkauft haben. Mir wurde klar, dass Deutschland und Frankreich einiges zu verbergen haben – sie waren nicht nur gegen den Krieg, weil sie sich um die Zivilisten sorgten. Saddam und seine zwei Söhne haben im Irak für so viel Elend gesorgt, und ich bin es gerade leid, dass alles schlechte, was dort passiert, den Amerikanern in die Schuhe geschoben wird. Und ich wünschte, dass dieser Teil der Erde weniger von radikalen religiösen Überzeugungen entzweit würde.