DÄLEK

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Noise is for heroes

Joachim Hiller und HipHop - das geht überhaupt nicht. Okay, ich habe damals bei Erscheinen die erste 12" der ROCKSTEADY CREW gekauft, aber das war dann eher eine Teenie-Sünde. Ansonsten? Die DISPOSABLE HEROES OF HIPHOPRISY, die Band, die Michael Franti nach den BEATNIGS machte, gefielen mir ausgesprochen gut, und an die erinnerten mich auch DÄLEK, als ich vor Jahren via Gern Blandsten, ansonsten ja ein reines Hardcore- und Indie-Label, deren erstes Album „Negro Necro Nekros“ in die Finger bekam. Vor einem Jahr erschien dann auf Mike Pattons Label Ipecac Records „From Filthy Tongue Of Gods And Griots“, erst das zweite Album des Trios aus New York. Auch hier begeisterte die Mischung aus HipHop-Beats, Samples, beschwörendem Sprechgesang, Scratching und vor allem Noise. Und so interviewte ich Dälek, den massiven Frontmann des Trios, der mit Oktopus an den Turntables und Still am Sampler einmal mehr in Deutschland unterwegs war.

Ich habe euch das erste Mal 1999 in Monheim gesehen, als ihr mit euren Gern Blandsten-Label-mates THE LAPSE unterwegs wart. Und ich weiß noch, dass es höllisch laut war ...


Ich kann mich kaum an diese Show erinnern. Ich weiß nur, was vorher war und ein kleines bisschen was von hinterher, aber ich war an dem Abend einfach zu betrunken. Ich weiß aber noch, dass es eine gute Show war.

Seid ihr immer so laut?

Wir versuchen es zumindest, und oft versucht man uns davon abzuhalten, was uns aber nur noch wütender macht. Von daher ist es immer klüger, uns einfach laut sein zu lassen, dann sind wir auch zufrieden. Um so laut wie möglich sein zu können, haben wir uns zu Hause auch ein eigenes Sound-System gekauft. Das Problem ist, dass in den USA viele Clubs kein vernünftiges Sound-System haben, da gibt’s dann gerade mal eine Gesangsanlage und das reicht uns nicht. Wir brauchen für unsere Musik aber die ganze Bandbreite, von den Höhen bis zu den Tiefen muss das einfach stimmen, und mit der eigenen Anlage wissen wir einfach, wie laut wir sein können, ohne uns stressen zu müssen.

Und man muss sich nicht mit Haustechnikern stressen, die Angst um ihre Anlage haben.

Ehrlich gesagt haben wir mit denen jetzt mehr zu tun, denn scheinbar kann diese Menschen nichts mehr aus dem Konzept bringen als eine Band, die ihre eigene Anlage mitbringt. Plötzlich fühlen die sich überflüssig, die haben ein Ego-Problem und du musst dich mit denen darüber auseinandersetzen.

Was nun den Lärm anbelangt, so ist eure Band eine sehr interessante Kombination aus HipHop einerseits und klassischem Noise(-rock) der SONIC YOUTH-Tradition andererseits.

Danke, das fasse ich als großes Kompliment auf. Meiner Ansicht nach gibt es nur zwei Arten von Menschen auf der Welt: Solche, die Lärm mögen, und die, die Lärm hassen. Und Mann, ich liebe Noise, es gibt nichts Schöneres als diesen ‚Wall of Sound‘. Und das dann mit den Drums und dem Bass des HipHop gemischt, das ist für mich ultimativ, ich kann mir nichts vorstellen, was ich lieber hören würde. Und das ist dann wohl auch der Grund, weshalb wir das machen, was wir machen.

Mit dem, was ihr macht, steht ihr ziemlich allein auf weiter Flur – oder siehst du das anders?


Hm, vielleicht liege ich daneben, aber ich finde, wir klingen nicht so viel anders als die frühen PUBLIC ENEMY-Scheiben. Viele Leute kommen mit dem Wort ‚experimentell‘ an, wenn sie unsere Musik beschreiben, aber ich finde, das stimmt nicht, da gibt es ganz andere. Im Rahmen der gesamten Musikszene gesehen sind wir nicht wirklich experimentell, sondern einfach nur eine Hip-Hop-Band. Nimm’ BOMB SQUAD, die hatten auch kreischende Höhen, heavy Beats, großen Bass und vielschichtige Samples. Das Konzept war vor uns da, ich denke nicht, dass wir unglaublich innovativ und kompliziert sind. Es ist auch einfach eine Frage des Timings, und dieser Tage wird HipHop eben damit gleichgesetzt, was auf MTV und Co. zu sehen ist, während das aber letztlich nur Pop-Musik ist. Versuch das Zeug mal mit PUBLIC ENEMY zu vergleichen, das geht nicht, das hat mehr mit Britney Spears und Christina Aguilera zu tun. Und wenn du PUBLIC ENEMY mit frühen Punk-Platten vergleichst, wirst du eine Menge Parallelen feststellen. Es ist also wichtig, wann und in welchem Kontext eine Platte erscheint.

Was nun eure Parallelen zum Noiserock von SONIC YOUTH und Co. anbelangt, so hatte ich abgesehen von euch bisher nicht den Eindruck, als hätten HipHopper viel mit SONIC YOUTH am Hut.

Also ich kann nicht für die Hip-Hop-Community sprechen und denke auch nicht, dass wir als deren Repräsentanten gelten können. Man kann aber sagen, dass man früher als Hip-Hopper auch wirklich Fan der unterschiedlichsten Musikrichtungen sein musste. Nimm etwa Africa Bambaataa: als der die frühen Hip-Hop-Aufnahmen geschaffen hat, sampelte er unter anderem KRAFTWERK, denn es gab ja noch gar keinen Hip-Hop, den er wiederum hätte samplen können. Und es ist eher eine Entwicklung der letzten Jahre, dass du umso mehr HipHop bist, je weniger andere Musik du hörst. Aber das ist Blödsinn, bei HipHop ging es immer darum, alles aus deiner Umwelt zu verarbeiten und was eigenes daraus zu machen. Und das wiederum ist exakt unsere Herangehensweise.

Wie werdet ihr denn von der Hip-Hop-Szene aufgenommen? Ihr seid ja nicht mal auf einem HipHop-Label, sondern mit dem neuen Album bei Ipecac gelandet.

Ich denke, es wäre nicht gut für uns, bei einem reinen HipHop-Label unter Vertrag zu sein. So sind wir sowohl bei Gern Blandsten als auch bei Ipecac bei Labels zu Hause, die gute Musik und gute Bands vor stilistische Merkmale setzen. Für einen Künstler ist das großartig, denn so hast du die Möglichkeit, genau das zu machen, was du willst. Ich denke, selbst bei einem Underground-Hip-Hop-Label wäre das nicht möglich, da hat jedes einen bestimmten Sound, der dann das Markenzeichen ist, und darauf hätte ich auch keine Lust. Ich möchte mir keine Gedanken darüber machen müssen, ob unser Label die Aufnahmen veröffentlichen will oder nicht, weil es zu ihrem Image passt oder nicht. Was nun unsere Akzeptanz in der Hip-Hop-Szene anbelangt, so hängt das immer davon ab, wo wir spielen. Manche mögen uns, andere hassen uns, und das ist okay, das ist das Schöne an Musik: alles ist subjektiv. Das eine Magazin liebt unsere Platte, das nächste hält sie für Müll – na und, wer hat Recht, wer liegt falsch? Who cares? Jeder soll hören, was ihm gefällt, was ihn berührt.

Wie kamt ihr zu Ipecac?

Durch ewiges Touren – und gemeinsame Freunde. Mike Patton ist ein guter Freund der Leute von TECHNO ANIMAL, die wiederum unsere Freunde sind und mit denen wir eine Split-Platte gemacht haben. Sie haben ihm von uns erzählt, wir spielten dann fünf Konzerte mit FANTÔMAS und ein paar mit LOVAGE, so lernte uns Mike kennen, hörte uns auch live, es gefiel ihm, und so kamen wir an den Support-Deal für TOMAHAWK in Europa, man lernte sich besser kennen und so kam eben alles zusammen. Wir haben irgendwie immer nach einem Label wie Ipecac gesucht, und Mikes erste Frage, nachdem er unser neues Album das erste Mal gehört hat, war: ‚Was muss ich tun, damit ich diese Platte rausbringen darf?‘ Und genau das will ich von einem Label hören, nicht so einen Quatsch von wegen ‚Hm, jaaaaa, aber Track 3 ist echt zu noisy, und der andere Song müsste noch bearbeitet werden.‘ Gar nichts dergleichen kam von Ipecac, das ist wunderbar. Und es ist auch schön, dass Ipecac eine große Anhängerschaft hat, die alles kaufen, was sie veröffentlichen. Noch wichtiger ist allerdings, dass die Ipecac-Fans wirklich offen sind für neue Klänge. Wir waren eben noch auf Tour mit den MELVINS und TOMAHAWK, und die Kids gingen von Anfang an voll mit, auch wenn sie uns nicht kannten und wegen der MELVINS oder TOMAHAWK gekommen waren. Wir hatten nie mit den üblichen Problemen einer Support-Band zu kämpfen, und das ist ein sehr gutes Gefühl gewesen, denn gerade in den USA kann das echt hart sein.

Von den Bands auf Ipecac seid ihr sicher die politischste.

Hm, du hast das schon ganz gut ausgedrückt: Wir sind von den Bands auf Ipecac im Vergleich die politischste, aber gleichzeitig auch nicht die Art von Gruppe, die ihre Ideen und Ideologie den Leuten aufdrängt. Klar, wir haben eine Message, wir vertreten bestimmte Ideen und unsere Texte haben eine bestimmte Bedeutung, aber das ist in erster Linie meine persönliche Meinung und ich möchte, dass Texte und Musik als Dichtung verstanden werden und jeder seine eigene Interpretation vornimmt. Ich finde es an Musik erstaunlich, dass ich in Newark, New Jersey sitzen kann, meine Songs schreibe und sie dann in Deutschland oder Polen spiele und die Leute irgendwie darauf anspringen. Mag sein, dass sie etwas anderes interpretieren, als das, was ich damit ausdrücken will, aber das ist viel wichtiger. Deshalb habe ich die Texte auch nicht im Booklet, sondern auf der Website, wo sie jeder nachlesen kann, der sich dafür interessiert.

Was hat es mit der Platte auf sich, die ihr gemeinsam mit der deutschen Krautrock-Legende FAUST aufgenommen habt?

Ich weiß auch nicht genau, wie sich das ergeben hat, aber irgendwie haben die wohl gesagt, dass sie uns gerne mal treffen würden. Und so geschah es, dass wir eine Woche in ihrem Haus verbrachten und mit ihnen aufnahmen. Vor einer Woche hatten wir einen Tag Zeit, um sie noch mal zu besuchen, und Jochen spielte mir ein paar Roughmixe vor, und die waren wirklich unglaublich, ganz erstaunlich. Ich bin wirklich stolz darauf. Wenn man es genau nimmt, ist es eine FAUST-Platte, bei der ich das Glück hatte, im Studio anwesend zu sein. Wahrscheinlich wird die Platte im November veröffentlicht, in Deutschland auf Klangbad, und in den USA eventuell auf Ipecac.

Wie hast du FAUST kennen gelernt?

Das ist das Faszinierende, und das habe ich denen auch erzählt: Ich war schon seit meiner Jugend als DJ tätig und hatte die unterschiedlichsten Platten, unter anderem auch FAUST. Ich bin seitdem ein richtiger Fan, und da ist es jetzt schon unglaublich, quasi zu deren Familie zu gehören. Doch, es ist schon bizarr, wenn man mit FAUST und den MELVINS gleichzeitig befreundet ist, hahaha. Und ich finde es auch sehr inspirierend, dass die auch heute noch großartige Musik machen, nach all den Jahren – es zeigt mir, dass man auch über einen Zeitraum von ein paar Jahren hinaus gute Musik machen kann. Die MELVINS sind dafür ein weiteres Beispiel – sie beweisen, dass man über einen Zeitraum von 15, 20 Jahren Musik machen kann, ohne Kompromisse einzugehen.

Wie gut oder schlecht läuft denn die Band für euch?


Sagen wir so: Die Miete können wir davon nicht bezahlen. Ich habe noch einen anderen Job, wenn ich zu Hause bin: Ich bin Kurierfahrer in Manhattan, fahre mit dem Auto Pakete durch die Gegend. Gleichzeitig nimmt die Band meine gesamte Zeit in Anspruch, wir sind jetzt seit April auf Tour, und im Jahr davor waren wir neun Monate unterwegs. Von daher ist die Band schon ein Vollzeitprojekt, in das wir unsere gesamte Energie stecken. Nach dieser Tour jetzt werden wir aber erstmal ein Jahr Pause machen in Sachen Tour, aber versuchen, in dieser Zeit zwei Platten einzuspielen.

Fotos: Achim Friederich, Axel Redlich