JR EWING

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Ride Paranoia

Nach unzähligen Touren hier zu Lande und einer immer stärker werdenden Präsenz in den Plattenkisten wurde es höchste Zeit, dass JR EWING, eine der innovativsten Hardcorebands, hier endlich zu Worte kommt. Auch wenn der Noisefaktor und die geschrieenen Vocals auf der neuen Platte vernachlässigt wurden und mit der groovigen, emotionalen Mischung ein eher breiteres Publikum angesprochen wird, verlieren JR EWING nichts von ihrer Coolness. Ich unterhielt mich mit Gitarrist Erland.

Erzähl doch mal etwas zu „Ride Paranoia“, was ist anders diesmal?


‚Ride Paranoia‘ ist bislang unser bestes Album, auf dem sich allgemein viele Veränderungen, sowohl textlich, als auch musikalisch widerspiegeln. Die Texte sind um einiges persönlicher geworden und es war eine Herausforderung für uns, diese Unterschiede mit unserem Sound zu vereinbaren, immer mit dem Hintergedanken, das Ganze intensiv und ehrlich rüberkommen zu lassen.

Welches waren die größten Einflüsse für die neue Platte?

Im Vergleich zu unseren älteren Sachen haben wir uns definitiv an vielen verschiedenen Einflüssen orientiert. Wir hören im Moment genauso viel 60er/70er-Rock und elektronische Musik wie Punkrock, obwohl es schwierig ist, diese Einflüsse auf der Platte herauszuhören. Insbesondere textlich gibt es starke Parallelen zu 60er-Rocktexten und so weiter. Wir haben mehr mit Melodie gearbeitet, was daran liegt, dass uns diese Richtung momentan eher gefällt, anstatt den noisigen Sachen, die wir vorher gemacht haben.

Was denkt ihr über diesen No Wave-Trend? Ist das eher Stagnation oder etwas Neues?

Musikstile kommen und gehen, manche Musik kommt von Herzen und hat außerdem Talent, manche ist bedeutungslos und langweilig. Ich habe die neue ‚Rockrevolution‘ gehasst, die uns NME letztes Jahr gebracht haben. Mit ‚The This‘ and ‚The That‘, aber ich kann meine Energie für so einen Scheiß nicht aufwenden. HOT HOT HEAT und THE FAINT sind in meinen Augen gute Bands, und ich glaube, dass sie ihre Musik ehrlich meinen. Aber wenn ich mir Bands wie THE LIBERTINES anschaue, würde ich sie am liebsten in den Garten mitnehmen und ihnen einen Kopfschuss verpassen.

Warum seid ihr für die USA zu GOLD STANDARD LABORATORIES gewechselt? Gibt es da bestimmte Gründe?

Wir mögen Coalition ziemlich gerne, aber wir fanden, dass die Zeit für neue Dinge und Weiterentwicklung gekommen ist. Coalition ist ein großes Label, das von großartigen Menschen betrieben wird, aber sie haben ihre Auflagen und haben unsere Ambitionen verstanden, ein größeres und differenzierteres Publikum anzusprechen. GSL waren sehr gut zu uns und wir sind glücklich, dass ‚Ride Paranoia‘ auf diesem Label rausgekommen ist.

Es gab Gerüchte, dass die neue Platte in Europa auf Defiance erscheinen sollte. Ist da was wahres dran?

GSL haben ein paar andere Labels gefragt, unter anderem Defiance. Letztendlich hat die LP dann Swell Creek herausgebracht, die auch ziemlich cool zu uns waren.

Erzähl mal etwas über die gerade beendete Tour. Mit welchen Bands habt ihr gespielt?

Wenn du die kleine Europa-Tour Ostern meinst, war das mit einer ziemlich guten schwedischen Band, die SEVEN FOOT FOUR heißen. Die haben eine Platte auf Coalition draußen, die alle Fans von FUGAZI, SHOTMAKER und AT THE DRIVE-IN mal anhören sollten. Bei den letzten Touren waren wir mit PRETTY GIRLS MAKE GRAVES, TURBONEGRO und THE LOCUST unterwegs.

Was bedeutet es für euch in Deutschland zu touren? Ich weiß, dass ihr hier viele Freunde habt. Was ist mit dem Bier?


Ihr habt das beste Bier in der Welt. Bei jedem Konzert gibt es eine neue Biersorte. Das ist für uns echt komisch, aus dem langweiligen Norwegen kommend, mit fünf verschiedenen Biersorten. Außerdem lieben wir es in Deutschland zu spielen, weil alles so organisiert ist, das Publikum cool ist und die Shows fast immer gut sind. Wir haben so oft in Deutschland gespielt, wir müssen es einfach lieben.

Eure Shows sind ja immer ziemlich intensiv. Gibt es auch Momente auf einer Tour, wo ihr nicht mehr motiviert seid?

Natürlich gibt es Konzerte, bei denen wir weniger motiviert sind, aber wir haben den Vorsatz, nie ein Konzert halbherzig zu spielen. Ich hatte eine meiner besten Konzerterfahrungen, als ich jünger war und Bands mit 50 anderen Zuschauern angeschaut habe. Ich glaube, dass die Leute, die den Eintritt bezahlt haben und auf unsere Konzerte kommen auch einen besonderen, erinnerungswürdigen Abend haben werden.

Verratet doch mal etwas über eure weiteren Tourpläne. Und wie war es in den USA?

Im September spielen wir voraussichtlich in Norwegen und danach, im Oktober oder November, werden wir nach Amerika durchstarten. Das letzte Mal dort hatten wir eine ziemlich coole Zeit mit PRETTY GIRLS MAKE GRAVES. Die meisten der Konzerte waren ausverkauft und die Zuschauer mochten uns. Es war wohl der beste Trip, den wir je als Band gemacht haben, in Amerika mit guten Freunden touren und am Abend vor jeder Menge Leute zu spielen.

Auf den letzten Touren hattet ihr oft limitiertes Vinyl von der aktuellen Platte dabei. Seid ihr Plattensammler und wenn, was sind eure Lieblingsplatten?

Keiner von uns ist ein richtiger Plattensammler, aber wir hängen immer noch mit unserem Herzen an der Musik. Wenn man dann eine Platte kauft und diese Platte eine andere Aufmachung hat als die anderen tausend, ist es schon eine angenehme Überraschung und etwas Besonderes. Deshalb versuchen wir manchmal unsere eigenen Platten irgendwie anders zu machen.

Erzähl doch mal was über eure Heimat Norwegen, die Fjorde, die Szene und die Bands dort.

Also, falls du es noch nicht wusstet, zum Leben ist Norwegen das beste Land der Welt. Im Moment ist Sommer, die Sonne scheint, die Mädchen kommen aus den Häusern und ich genieße das Leben. Die Fjorde sind sehr schön und es berührt mich jedes Mal, wenn wir die Küste nach Norden fahren, um Konzerte zu spielen. Diese Landschaft findest du in Europa nicht noch einmal. Es ist natürlich immer ziemlich krass, wenn man dreimal so lange Strecken fahren muss, als sonst in Europa, wegen der Berge, dem Meer und so weiter. Die einheimische Szene – ich möchte nicht über die Punk- oder Hardcorescene reden –, ich möchte nur einige Bands nennen, und keine Rücksicht auf den Stil und das Genre nehmen. Einige davon sind: SURFEOSA, KAOSPILOT, LUKESTAR, SINGLE UNIT, JAGA JAZZIST, NOXAGT, SKARNSPAGE, KILL, NO PLACE TO HIDE und POINT OF SHIRLEY. Es gibt natürlich noch viele mehr, aber das sollte erst mal reichen. Testet sie mal.

Was hat das mit dem norwegischen „Best Rock Band Contest“ auf sich?

Es ist so in etwa wie eine zweite Auflage des Grammy, nur ein bisschen mehr independent. Es gibt alle Genres, von Black Metal bis Jazz. Wir haben die Kategorie ‚Bestes Rockalbum‘ mit ‚Ride Paranoia‘ gewonnen. Die anderen Bands, die nominiert gewesen sind, waren GÅTE, MADRUGADA, wir und GLUECIFER.

Hast du irgendwelche Gedanken zu Hardcore im Jahre 2003?

Schwer zu sagen. Wenn wir nach Europa kommen, sehen wir, dass alles gut funktioniert. Die Leute sind nach vielen Jahren immer noch in der Szene – Leute, die etwas auf die Reihe kriegen und nett zu den Bands sind. Hier in Norwegen besteht die Hardcorescene aus einer kleinen Gruppe von Teenagern, die noch bei ihren Eltern wohnen. Die haben zwar keine Ahnung davon, was es bedeutet, in einer Band zu spielen, aber meinen, uns dafür verurteilen zu müssen, dass wir zusammen mit TURBONEGRO spielen. Wir scheißen auf diese Kids – wenn die in vielleicht vier Jahren mal erwachsen sind, haben sie eh nichts mehr mit Punk oder Hardcore am Hut. Aber ich sehe auch Leute, die 30 sind und immer noch mit Herz und Seele dabei sind, es geschafft haben, nicht verbittert zu werden, das gibt mir meinen Glauben zurück. Leider gibt es davon nicht so viele. Wenn ich das nicht alles für Hardcore oder Punk gemacht hätte, wäre ich heute wahrscheinlich auch so ein langweiliger Spinner, also bedanke ich mich dafür, dass ich nicht in einem Leben voller Langeweile versinke und in den letzten vier Jahren auf dem Boden geblieben bin.

Welche Motive bewegen euch weiterzumachen?

Vor einer Menge Leuten und mit guten Bands spielen, die Welt sehen, mit den vier besten Freunden unterwegs sein, etwas zu tun, worauf ich mächtig stolz bin, mich mit Hilfe von immer währender progressiver Musik zu verändern, die in den – Entschuldigung – Arsch tritt.

Foto: Jan Hanke