REFLECTIONS RECORDS

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Dutch Courage

Eigentlich seltsam: Die Niederlande sind einerseits in Sachen Gitarrenmusik ein sehr gut erschlossenes Land – so gut wie jede tourende Band kommt durch Städte wie Amsterdam, Groningen, Arnhem, Nijmegen, Utrecht oder Rotterdam –, doch was Plattenlabels anbelangt, ist hier im Vergleich zu Deutschland, England oder USA selbst im Verhältnis zur geringen Größe des Landes nicht viel los. Und in Sachen Hardcore fallen mir auf Anhieb gerade mal vier Labels ein: Kangaroo, Coalition, Gangstyle – und eben Reflections. Angesichts von deren durchweg exzellentem Output (z.B. GOOD CLEAN FUN, GIVE UP THE GHOST, AMERICAN NIGHTMARE) und sympathischer Emailerei mit Suzanne und Johan stand schon bald der Entschluss fest, da mal ein Interview zu machen, um Hintergründe zu erfragen. Doch wie es so ist, man eiert bald ein Jahr lang rum und kriegt keinen Termin auf die Reihe. Aber das wäre doch gelacht! Also an einem Samstag im Juli ab ins Auto, und nach einer Stunde waren wir, Uschi und ich, auch schon im nagelneuen, quasi noch nach Farbe riechenden neuen Reflections-HQ in Arnheim angelangt.

Johan, wann hast du den Punkt überschritten, nur passiver Fan zu sein und selbst aktiv zu werden?

Johan:
Als ich auf Hardcore stieß, war die Szene sehr undergroundig und politisch. Ich habe einen Metal-Hintergrund, und mein Zugang war über Bands wie D.R.I. und durch das Tauschen von Tapes habe ich diese Grenze dann überschritten. Ich hatte eine Tauschliste gemacht, irgendwann ergänzte ich die um Interviews und Fotos und plötzlich hatte ich ein Fanzine. Das war so 1992/93 und ab da wurde das Fanzine kontinuierlich größer. Und vor sieben Jahren traf ich dann Suzanne – gestern vor sieben Jahren! Suzanne schrieb mir einen Brief, nachdem sie das Fanzine gelesen hatte, und sie meinte, das Layout sei nicht sonderlich gut. Ab da waren wir im Briefkontakt und telefonierten regelmäßig. Dann besuchte sie mich in dem kleinen Dorf, in dem ich damals wohnte, und wir beschlossen, das Fanzine gemeinsam zu machen. Etwas später legten wir dem Heft dann eine 7“ bei, und noch eine, und damit war das Label geboren.

Wann war das?

Suzanne:
1998, das ist das ‚offizielle‘ Gründungsdatum von Reflections Records, deshalb auch das fünfjährige Jubiläum dieses Jahr. Das Fanzine gab es seit 1994.
Johan: So richtig viel auf Konzerte gegangen bin ich dann erst, nachdem wir uns kennen gelernt hatten. Ich wohnte eben auch in einem kleinen Dorf in der Gegend von Hengelo, da war es nicht einfach, auf Konzerte zu gehen.
Suzanne: Ich komme aus Süd-Holland und meine erste ‚aktive‘ Erfahrung in der Musikszene war, dass ich für eine Band als Roadie und Merchandiserin mitgefahren bin, BROTHERHOOD FOUNDATION waren das. Die spielten so einen Crossover-Hardcore, so wie die RYKER’S damals. Ich war damals 21, und davor war ich ein Hippie-Mädchen mit langen roten Haaren und hörte Metal, und ich machte mir nicht so viele Gedanken. Ein reiner Fan war ich dabei nie, sondern ich fing direkt an, was zu machen. Als ich dann dieses Fanzine in die Finger bekam, las ich es mit großer Begeisterung und hatte das Gefühl, dass da jemand ist, der ein Seelenverwandter ist. Also schrieb ich Johan, dass ich das Fanzine als solches mag, aber das Layout schrecklich finde. Wir schrieben uns dann zwei Monate lang, waren irgendwie schon verliebt, ohne uns je gesehen zu haben – das war grandios. Ja, so fing das alles an.

Wie ist eure musikalische Sozialisation gelaufen?

Johan: Ich habe seit meinem zehnten Lebensjahr Metal gehört, vor allem KISS. Als ich die das erste Mal gesehen habe, war ich Fan – und bin es bis heute. Nach KISS kam AC/DC und dann der ganze britische Heavy Metal, IRON MAIDEN, SAXON und so weiter. Später dann, da war ich schon ein richtiger Metalhead, kam dann Thrash Metal und später Crossover, mit D.R.I., AGNOSTIC FRONT, CORROSION OF CONFORMITY, SUICIDAL TENDENCIES und so weiter. Der nächste Schritt kam, als ich auf die niederländische Band LÄRM stieß. Ich war beeindruckt von ihren Texten und der Musik, auch wie einfach das eigentlich war. Na ja, und von da war es nicht weit zu MINOR THREAT, YOUTH OF TODAY und Straight Edge. Und die ganzen englischen Bands à la HERESY mochte ich auch immer sehr gern.
Suzanne: Bei mir war das ganz ähnlich, eben das, was Anfang der 90er so passierte. Ich war ein Hippie, hörte Musik aus den 60ern und 70ern, die DOORS und so. Als ich mit 17 zu Hause auszog, wohnte ich mit einem Metaller zusammen, und der hörte nur METALLICA, SUICIDAL TENDENCIES und so weiter. So richtig kennen gelernt habe ich die ganzen Hardcorebands erst durch Johan.

War es denn dann ein bewusster Entschluss, das Label zu gründen, oder ist das einfach so passiert?

Suzanne:
Es ist einfach so passiert. Es gab damals so viele junge Bands in Holland, diese Youth Crew-Szene. Und da machten wir dann diesen Sampler ‚Tribute To 7 SECONDS‘, unter anderem mit MAINSTRIKE, der dann auch sehr viel positive Reaktionen auslöste. Zu der Zeit wurde ich auch sehr krank, wegen meines damaligen Jobs, und als ich da zu Hause saß, hatte ich viel Zeit und fing an, mehr und mehr für das Label zu machen, wie etwa eMails zu beantworten und so weiter.
Johan: Ich wurde richtig eifersüchtig, weil sie so viel Zeit hatte, sich um das Label zu kümmern, hahaha. Mit der 7 SECONDS-Tribute-CD ging es so richtig los, ab da wuchs das Label ständig. Dann kam die 7“ von GOOD CLEAN FUN, die kamen auf Tour, wir wurden gute Freunde, und so kam eins zum anderen.

Reflections hat ja in der Szene einen sehr guten Namen, aber gleichzeitig seid ihr bislang auch fast nur in der Hardcore-Szene bekannt.

Johan:
Ja, da gebe ich dir Recht, das ist vor allem die Old School-Szene, und wir sind damit nicht ganz glücklich. Es ist cool, dass uns in dieser Szene viele Leute kennen und auch unsere Platten kaufen, eben weil wir sie veröffentlichen. Andererseits gibt es auch Leute, die die Sachen nicht kaufen, weil sie auf Reflections sind und sie damit einen bestimmten Stil verbinden. Dabei stimmt das eigentlich auch nicht mehr, THE RED CHORD etwa machen Grindcore. Dabei bestimmt allein unser Geschmack das Labelprogramm, wir machen, was wir für gute Musik halten. Und auch früher schon, mit AVERSION etwa, haben wir eine Platte veröffentlicht, die mehr Metal als Old School war.
Suzanne: Witzigerweise haben viele Leute erst durch den kürzlich erschienenen Labelsampler festgestellt, was wir schon alles rausgebracht haben, da war mancher überrascht. Ich denke, das Bild, das die Leute von Reflections haben, ändert sich derzeit.

Wie und wo verkauft ihr eure Platten? Mailorder, Läden, Deutschland, Niederlande, USA?

Johan:
Wir machen ja selbst auch einen Mailorder, vor allem gehen wir ständig auf Konzerte und haben da einen Stand. Ich liebe das, gerade weil ich meist von fünf Bands, die spielen, nur eine sehen will, und da habe ich dann mit dem Stand wenigstens was zu tun, haha. Man unterhält sich nett, trifft neue Leute, ich mag das sehr.
Suzanne: Und ich hasse es!
Johan: Was die Länder anbelangt, so ist England in den letzten Monaten richtig gut geworden, direkt nach den Niederlanden, und Deutschland kommt direkt danach. Belgien ist auch wichtig, und natürlich die USA.
Suzanne: Zuerst wurden wir da über Ebullition vertrieben und wechselten dann zu Lumberjack. Wir hatten zwar anfangs Bedenken wegen des Exklusiv-Deals, aber die sind richtig groß und machen eine guten Job. Manche Platten verkaufen sie sehr gut, andere nicht so.
Johan: Das hängt auch von den Bands ab: FACE TOMORROW verkaufen sich fast nur über Plattenläden, COUNT ME OUT geht fast nur über Plattenläden und kleine Vertriebe. Und die Bands selbst verkaufen auch eine Menge, FACE TOMORROW etwa über tausend in einem Jahr, wobei die auch über 300 Shows im Jahr spielen.

Wie viele verkauft ihr denn so von einer Platte?

Johan:
Das schwankt so zwischen 1.500 und 5.000, je nach Band. Wir sind wirklich zufrieden, wobei das im Vergleich zu US-Labels, die auch mal eben 10.000 und mehr von einer Platte verkaufen, immer noch wenig ist. Ich kann es kaum glauben, wenn ich höre, dass CONVERGE vom letzten Album 80.000 Stück verkauft haben. Oder DISCIPLINE 10.000.

Reflections gilt ja auch als Straight Edge-Label. Was hat es damit auf sich?

Johan:
Also ich bin schon seit 15 Jahren straight-edge. Mir ist es ehrlich gesagt völlig egal, ob jemand straight-edge ist oder nicht, und ich kann mit dem Fanatismus, den 15-Jährige in der Hinsicht an den Tag legen, überhaupt nichts anfangen. Wenn man älter wird, wird man da einfach etwas ruhiger – mit 18 ist man einfach fanatischer.
Suzanne: Ich rauche schon seit Jahren nicht mehr, hatte vorher aber mit der ganzen Merchandise-Sache eine härtere Phase in Sachen Alkohol. Ich war jemand, der entweder gar nichts oder die ganze Flasche getrunken hat, und meist war es die ganze Flasche. Vor ein paar Jahren merkte ich dann aber, dass ich doch vernünftig mit Alkohol umgehen kann, und jetzt trinke ich gelegentlich auch gerne etwas Wein. Aber vom Denken her hat das für mich nichts geändert, ich kann exzessives Trinken immer noch nicht leiden und hasse es, wenn sich Leute im Suff zum Deppen machen. Und was andere Drogen anbelangt, so habe ich da auch meine Erfahrungen gemacht, aber auch keine guten.

Gibt es so was wie eine Reflections-Labelpolitik? Sachen die ihr hasst, die ihr nie machen würdet, Dinge, auf die ihr Wert legt?

Suzanne:
Wir hatten noch nie irgendwelche festen Regeln, nein. Aber bestimmte Verhaltensweisen ändert man eben.
Johan: Zum Beispiel haben wir noch nie mit einer Band einen Vertrag gemacht. Aber wir fragen Bands, bevor wir eine Platte machen, wie oft sie live spielen – je öfter, desto besser. Ansonsten bringen wir alles raus, was wir mögen.
Suzanne: Na ja, nicht alles ... Vieles, das ich mag, würde stilistisch nicht passen, etwa so Singer/Songwriter-Sachen.
Johan: Klar, ich mag zwar MANOWAR, aber deshalb bringe ich keine Platte raus, die so klingt. Und ich mag auch keine Bands, die nur reines Entertainment machen. Etwa GIVE UP THE GHOST, die sind zwar nicht direkt politisch, aber sie haben ihre Standpunkte, gerade Wes, der Sänger.
Suzanne: Wir nehmen unsere Arbeit auch sehr ernst, und das erwarten wir auch von unseren Bands, also einfach, dass sie das, was sie tun, gut machen wollen.
Johan: Das hat auch was damit zu tun, dass man nicht in eine Band Geld investieren will – Anzeigen und Promotion kosten ja nicht wenig –, die nicht mal auf Tour gehen kann, denen das egal ist. Und wichtig ist uns auch, dass man zusammen arbeitet, nicht gegeneinander.
Suzanne: Und Ehrlichkeit ist natürlich sehr wichtig, denn nur so konnte es sich ergeben, dass etwa GOOD CLEAN FUN in den USA anderen Bands von uns erzählt haben, die dann gefragt haben, ob wir nicht ihre Platte rausbringen wollen.

Gerade auch bei den neueren Releases fällt auf, dass ihr sehr viel Wert auf die Aufmachung der LPs und CDs legt.

Suzanne:
Das ist uns sehr wichtig, ja. Anfangs war das mein Job, allerdings bin ich Autodidaktin. Und so weiß ich, dass ich so ein Artwork zwar okay hinbekomme, aber dass man es noch besser machen kann. Und so denke ich, ist es okay, wenn wir mittlerweile bei unseren Releases Kosten für einen Grafiker einkalkulieren, der sich professionell um das Artwork kümmert. Ich kümmere mich um die gesamte Produktionsabwicklung, und wenn mir etwas nicht 100%ig gefällt, dann wird es geändert, natürlich zusammen mit der Band. Und sehr schön sind auch die Möglichkeiten, die man bei der Verpackung hat, etwa zusätzliche Kartonhüllen um die CD. Wenn du so was einmal machst, wollen das alle Bands, hahaha.

Was werdet ihr in fünf Jahren machen?

Johan:
Ich hoffe das Gleiche wie heute.
Suzanne: Ich denke da nicht viel drüber nach, aber ich hoffe, wir machen das, was wir heute machen, nur etwas größer.

Johan, Suzanne, vielen Dank für das Interview.