31KNOTS

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Joe Haege (voc, git, piano, samples) – mit dem ich dieses Interview geführt habe –, Jay Winebrenner (b) und Jay Pellicci (dr) sind drei hochbegabte Musiker aus Portland, die dem Dilettantismus im Indie-Rock den Mittelfinger zeigen. Nach der „Rehearsal Dinner EP“ und zwei Alben namens „Climaxanticlimax“ und „A Word Is Also A Picture Of A Word“ erschien auf 54° 40‘ or Fight! Records unlängst das neue Werk „It Was High Time To Escape“, das auf dem besten Weg ist, sich in meine Alltime-Bestenliste zu katapultieren. Ein Meilenstein der anspruchsvollen Unterhaltung, der allerdings unter erschwerten Bedingungen zustande gekommen ist, da mitten in den Aufnahmen Schlagzeuger Joe Kelly die Band verlassen hat und durch Produzent Jay Pellicci ersetzt wurde. Ende gut, alles gut, und warum in Zukunft alles noch besser wird, erfahrt ihr jetzt.

Joe, wie ist das Leben und Musikmachen in Portland? Man kennt ja eine Menge Bands von dort, offenbar gibt es eine lebendige Szene.

Es ist sehr nett. Das Leben ist relativ billig, wenn man Arbeit findet, und es gibt noch eine Menge Häuser, in denen man Musik machen kann. Oh, und es gibt ein für seine Größe relativ breites Kulturangebot. Die Szene ist schon okay, weil sie sehr vielfältig ist. Manche Leute glauben, sie sei esoterisch und elitär, aber das ist sie wirklich nicht. Sie ist so groß und unterschiedlich, musikalisch gesehen und von den Leuten her, dass es fast unmöglich ist, ein Urteil darüber abzugeben. Dennoch, es gibt eine Menge großartiger Bands von hier, zum Beispiel THE PLANET, THE THERMALS, THE SWORD PROJECT, THE JOGGERS, PARTY TIME etc. In dieser Stadt geht aber eine Menge Talent einfach unter, weil es hier keine nennenswerten Indie-Labels gibt, Temporary Residence mal ausgenommen, aber die sind noch ziemlich neu.

Ich bespreche immer eure Platten im Ox, und ich muss sagen, dass ich große Probleme habe, Referenzen zu finden, die zu euch passen. Hilf mir mal.

Für gewöhnlich werden wir mit dem Prog-Rock der 70er in Verbindung gebracht, aber mit einem Schuss Punk. Mehr als einmal sind Bands wie MINUTEMEN, YES, GENESIS und FUGAZI im Zusammenhang mit uns genannt worden, und ich finde, irgendwie sind das alles ganz gute Eckpfeiler. Solange niemand meinen Texten die gleiche Absurdität nachsagt, wie das bei einigen Prog-Bands der Fall war, habe ich kein Problem damit, dort eingeordnet zu werden. Für uns ist es merkwürdig, schließlich haben wir nie versucht, nach irgendwas zu klingen, ich habe mich erst mit Prog-Rock beschäftigt, als man uns gesagt hat, dass wir danach klingen.

Ich bin sehr beeindruckt von euren musikalischen und technischen Fertigkeiten. Wie seid ihr so gut geworden?


„Nun, ich möchte nicht wie ein scheinheilig bescheidenes Arschloch rüberkommen, aber ich muss feststellen, dass ich, verglichen mit meinen Vorbildern, echt scheiße bin. Ich habe immer versucht, der Komplexität von klassischen und Jazz-Gitarristen nachzueifern, mit etwas schnittigerem Sound. Jay W. und ich haben unser Zusammenspiel perfektioniert, und er hat mir eine Menge klassischer Musik gezeigt, die ich mittlerweile wirklich liebe. Dann hat er ABBA für sich entdeckt. Aber ich habe keine Ahnung, wie wir da hingekommen sind, wo wir nun sind. Ich denke, wir haben einfach dieses Verlangen danach und Spaß daran, komplexe Musik von Bands abzuleiten, die uns dahin gebracht haben, dass wir auch so etwas spielen wollten. Unser Drummer Pellicci ist auch so einer. Er wollte immer ein guter Musiker sein, und das nimmt er sehr ernst, weil er seinen Job liebt.“

Was für eine Idee steckt dahinter, wenn man Musik macht, die den Zuhörer dazu zwingt, darüber nachzudenken, was er da eben gehört hat?

Ich habe eine Menge Ideen. Manchmal viel zu viele. Ich will den Hörer und auch mich selbst verwirren. Ich will was Episches machen. Ich will was Gruseliges und Atonales machen. Ich möchte etwas Melodisches und Denkwürdiges machen. Aber hauptsächlich möchte ich, dass jeder fühlt, er hätte es mit etwas zu tun, dass von Leidenschaft angetrieben ist, und nicht von einem Publicity-Hype. Ich möchte, dass er Aufrichtigkeit in schöner und hässlicher Weise auf sich zukommen fühlt. Ich möchte die Leute daran erinnern, dass wir in einer wunderschön abgefuckten Welt herumlaufen.

Du hast mal gesagt, die 31KNOTS strebten nach Originalität. Misst du dich dabei auch an euren vorhergehenden Alben oder eher an all den andern Bands da draußen?

Großartige Frage! Ich würde sagen, ich messe mich in vielerlei Hinsicht. Erstens frage ich mich immer, ob es intelligent ist, was ich spiele. Ob es eine mögliche Wendung in der Melodie gibt, die den Song für mein Empfinden noch besser macht. Zweitens vergleiche ich es unbewusst mit dem, was ich bereits geschrieben habe, und frage mich, ob ich mich selbst kopiere. Drittens prüfe ich, ob es etwas Neues ist, das sich auszuprobieren lohnt. Das alles ist natürlich nicht in Stein gemeißelt. Manchmal entdecke ich eine Melodie in dem, was ich gerade spiele, und dann jage ich sie, bis ich sie habe. Oder manchmal mag ich einfach die Art, wie manche Akkorde mit bestimmten Worten harmonieren. Aber definitiv tue ich beides, ich vergleiche mich mit anderen und mit meiner eigenen Vergangenheit.

Und inwiefern würdest du dann sagen, dass euch auf „It Was High Time...“ eine Weiterentwicklung gelungen ist?

Hauptsächlich in Bezug auf die Aufnahmequalität. Pellicci hat sich für dieses Album den Arsch aufgerissen, um den Sound zu bekommen, den wir haben wollten. Dabei war er bei den ersten Sessions noch nicht einmal in der Band. Es war diesmal unser Ziel, keinen Live-Sound bei den Aufnahmen zu haben, und das haben wir erreicht. Außerdem finde ich, dass unser Gespür für Songplatzierung und Arrangements dieses Album zu einem besseren macht, als es das Letzte war.

Scheinbar habt ihr einen Sinn für‘s Künstlerische. Mir ist aufgefallen, dass die Cover eurer letzten beiden Alben eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen ...

Die hat Rachel Carns gemacht. Sie hat mal in THE NEED gespielt und ist nun bei KING COBRA. Sie ist eine umwerfende Künstlerin, ich liebe ihre Arbeit sehr. Ich habe noch nichts von ihr gesehen, dass mich nicht visuell beeindruckt hätte. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie sich bereit erklärt hat, unser Artwork zu machen. Wir haben in der Tat versucht, die Cover ähnlich zu gestalten, und Rachel hat das perfekt hinbekommen. Wir fanden, es gibt eine merkwürdige Verbindung beim Empfinden der Musik, und die wollten wir graphisch festhalten.

Auf eurer Homepage hast du vor kurzem vage geschrieben, dass ihr in letzter Zeit viel durchgemacht hättet. Hat das unter anderem was mit dem Schlagzeugerwechsel zu tun?

Das waren hauptsächlich sehr subtile, für mich aber sehr deutliche Dinge. Nach ‚A Word...‘ haben wir eine Zeitlang mehr Wert auf Groove gelegt. Viele Songs hatten eher Katharsis-Funktion als alles andere, aber mir hat es geholfen, ein besserer Songwriter zu werden und die Band in eine neue Richtung zu lenken. Natürlich hat es auch damit zu tun, dass Pellicci in die Band gekommen ist. Er hat die Band komplett gemacht, jetzt haben wir das richtige Line Up. Ich denke, Jay W. und ich haben all die Jahre nach dem Richtigen gesucht. Unser alter Drummer hat mich sehr eingeengt, was die Möglichkeit angeht, fertige Songs in die Band zu bringen. Mit Joe Kelly mussten wir immer jeden einzelnen Teil zusammen erarbeiten. Das hat eine lange Zeit sehr gut funktioniert, aber dann hat es mich wirklich gestört. Ich hatte das Gefühl, wir würden unsere musikalischen Fähigkeiten zur Schau stellen, ohne roten Faden in den Songs. Mit Pellicci kann ich nun so arbeiten, wie ich möchte. Er und Jay W. arbeiten dann konstruktiv an den Songs und ergänzen ihren eigenen Sound. Mitten in den Aufnahmen zum neuen Album hat Joe Kelly beschlossen, die Band zu verlassen. Es hat uns nicht sonderlich überrascht, und wahrscheinlich war es eine Erleichterung für uns alle. Wir wollten das Album aber herausbringen und die Band nicht beenden, also haben wir Jay Pellicci gefragt, ob er bei uns spielen wollte. Er spielt eigentlich bei DILUTE und wohnt zehn Stunden entfernt in San Francisco, aber wir sind durch unseren Sound bei der Wahl der Schlagzeuger nun mal sehr eingeengt. Zum Glück hat er ja gesagt, und auch die Entfernung ist kein Problem, da wir auf diese Weise nicht dreimal in der Woche proben müssen, und das hält die Songs irgendwie frischer. Joe Kelly hat also die eine Hälfte der Songs eingespielt, Pellicci die andere.

Ihr habt dadurch Joe durch Jay ersetzt, ward also früher zwei Joes und ein Jay, seid aber jetzt zwei Jays und ein Joe. Welche finsteren Mächte sind denn hier am Werk?

Ja ja, wir sind eine gut geölte Maschine. Ich möchte dazu nur sagen, dass unsere Kriterien für Drummer sehr, sehr obskur sind. Das mit dem Namen ist nur eine Sache, kaum einer erwähnt je, dass wir von ihnen verlangen, dass sie im Schlaf schweben. Wir sind schon sehr streng mit ihnen.

Nun seid ihr die erste Band auf 54° 40‘ Or Fight!, die es nach Europa geschafft hat. Erzähl mal was über die Gefühle, die euch beim Gedanken daran beschleichen.

Wir sind so verdammt aufgeregt, das kannst du dir nicht vorstellen. Die USA sind sehr schwierig für uns. Meine Theorie ist, weil wir die Konsum-Nation Nr. 1 sind, haben wir die meisten Menschen ohne Rest-Aufmerksamkeitsspanne. Das macht es sehr schwer, Musik wie die unsere zu würdigen. Und eine Menge Leute sehen nicht, wie man aus uns Profit schlagen könnte, deshalb erregen wir kein Interesse bei der Musikindustrie. Ich mag die Art, wie in den USA gearbeitet wird, überhaupt nicht. Viele Bands von hier fühlen sich in Europa wohler als hier. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Amerika ist eine gestörte Nation. ‚A Word...‘ ist in Europa sehr gut besprochen worden, die Art, wie einzelne Magazine darüber gesprochen haben, zeigt, dass man hier Musik sehr gründlich hört. Ich glaube, ich habe Angst davor, dass man uns in Europa nicht mögen könnte. Ich bin aber so besessen von der Musik aus bestimmten Teilen Europas, dass es eigentlich nur großartig werden kann. Aber frag mich noch mal, wenn ich am Boden zerstört und einsam auf einer schäbigen Fähre Richtung England fahre.

Steve Brydges von 54° 40‘ hat mal erzählt, er hätte von euch viel gelernt, was ihm bei seiner Labelarbeit hilft. Wie ist denn euer Verhältnis zueinander?

Das ist wie mit Studenten und ihrer Uni. Wir wollen immer mehr und merken dabei nicht, wie gut wir es eigentlich haben. Steve ist ein Arbeitstier, er macht so viel an einem Tag, es ist unglaublich. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er unsere Alben veröffentlicht. Manchmal ist es sehr hart, weil das Label noch sehr jung ist und man am Anfang viele schmerzhafte Fehler macht, aber es wird täglich besser.

Vielen Dank für das Interview, Joe.