CANDIES

Sugar Spice & Everything Noise

In meinem Leben ist es mir einmal gelungen, jemanden beim Tischfußballspielen so zu beeindrucken, dass er Weihnachten mit mir verbringen wollte. Darauf bin ich stolz. Dieser jemand war ein kleiner, hyperaktiver, charismatischer Italiener, Giulio Calvino, ein Phänomen an sich und Sänger der mailändischen CANDIES, den ich um ein Interview gebeten habe, um endlich zu ändern, dass eine ganz eigenwillige, italienische Band nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Weit entfernt vom Retro-Rock-Hype macht ihr euer sehr eigenes Ding, trotzdem spürt man viele Einflüsse aus vergangenen Zeiten.

Selbst höre ich viel Black Music vom frühen Swing über Soul bis Hip-Hop, Bossanova und Jazz, aber genauso Hardcore und Bands wie THE FAINT, DEATH OF ANNA KARINA oder THE RAPTURE und noch verdammt viele andere. Vielleicht kann man in diesem Bereich von Einflüssen sprechen.


Ich frage das, weil es mir fast unmöglich scheint, in der momentanen Indie-Bandlandschaft einen passenden Vergleich zu euch zu finden.

Natürlich lassen wir uns gern mit jeder Band vergleichen, die wir mögen – das wären ganz schön viele –, aber wahrscheinlich kann man unsere Musik klar dem Washington DC-Sound zuordnen. Und wie auch bei den meisten anderen Indierock-Bands geht es um alles, was wir Menschen erzählen wollen, wahrscheinlich nichts, was die Welt retten wird. Generell ist unsere Musik gedacht, um Menschen zu unterhalten, und natürlich geht‘s auch um Politik, da kommt man heutzutage nicht drum herum.

Es scheint, dass Italien nach England das Land ist, das sich im Punkt Musik am meisten an den USA orientiert.

Ja, das stimmt, Italien war kulturell immer völlig abhängig von den USA. Einfach, weil Italien immer als strategisch wichtiger Punkt für die Außenpolitik der USA gesehen wurde, natürlich auch im Kalten Krieg. Wir wurden zwar wirtschaftlich gestützt durch den Marshallplan, aber dafür wurden unsere Wahlergebnisse manipuliert und unsere komplette Medienlandschaft kontrolliert. Als das Fernsehen eingeführt wurde, gab es überhaupt keinen nationalen Inhalt. Bis heute existiert das Idealbild vom ‚American Way Of Life‘. Seit wir geboren wurden, wird unsere Kultur mit Inhalten und Werten der nordamerikanischen Gesellschaft bombardiert. Eigentlich denken wir, wie es die Nordamerikaner tun, das äußert sich natürlich auch in unserem täglichen Leben und in ganz grundsätzlichen Dingen wie in der Musik. Traurig, aber wahr.

Äußert sich das besonders stark im Punkt Indierock? In Italien scheint es da ein ganz eigenes Publikum für zu geben, während der Rest von Europa im Emo-Trend ersäuft.

Indierock ist tatsächlich sehr populär in Italien. Klar hat auch das mit unserem Verhältnis zu den USA zu tun. Und ja, Emo ist der totale Trend. Wie bei jedem Trend gibt es natürlich einige sehr wichtige und interessante Bands, aber viele dieser Nachkömmlinge sind nur der Abklatsch von den alten Werten. Aber hey, wir sind nicht hier, um zu kopieren, wir wollen Geschichte schreiben! Die Szene sind wir selbst, wir, die bei Indie-Labels unterschreiben und soweit es geht versuchen, uns treu zu bleiben und genau das zu machen, was das Beste ist für uns. Das ist das Glück mit Europa, anders als in Amerika, es ist so einfach, auf Tour zu gehen und dabei nicht all sein Geld zu verlieren. Nur leider können wir das nicht zu oft machen – leben kann man ja doch nicht davon.

Also sind Major-Labels gegen eure Religion?

Unser italienisches Label Suiteside und unser deutsches Label Tumbleweed wissen genau, wie man mit Bands wie uns arbeitet. Sie unterstützen uns bei all unseren Ideen, damit haben wir unsere perfekte Dimension für den Moment gefunden. Und wenn wir schon über Religion reden, meine Religion ist es, keine zu haben. Ich glaube an die Kraft des Denkens und Handelns jedes einzelnen, tja, und Majors ... Ich wurde nie gefragt, bei einem einen Vertrag zu unterschreiben, darüber habe ich mir also nie Gedanken gemacht.

Du warst mit BLACK HEART PROCESSION-Mann Pall Jenkins im Proberaum, verbringst Zeit im Wohnzimmer des CALEXICO-Sängers, und als ich Tim Kinsella von JOAN OF ARC, dem Kerl, den jeder auf der Welt zu kennen scheint, von dem italienischen Phänomen erzählt habe, fragte er mich: „Der heißt nicht zufällig Giulio?“ ...

Ich bin viel auf Konzerten und suche Kontakt zu den Menschen in den Bands, die mir wichtig sind; es sind Menschen, die sich völlig ihrer Arbeit verschreiben, genau so, wie ich das tue, da passiert es leicht, dass man sich anfreundet und in Kontakt bleibt. Das geschah auch mit vielen anderen Bands und Menschen, die ich sehr respektiere.