Havoc Records

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Einfach nur Hardcore

Felix Havoc: Der Mann ist vielen in der Hardcore-Szene ein Begriff, als Sänger von DESTROY, Schreiber für das Punkzine Maximumrocknroll, sowie als Betreiber von Havoc Records. Jeder, der sich mit Hardcore auseinandersetzt, sollte früher oder später auf Bands wie DS 13, AUS-ROTTEN, NINE SHOCKS TERROR, SKIT SYSTEM, FROM ASHES RISE oder VICTIMS und somit auf Havoc Records stoßen. Vor allem als Vinylfetischist, da man hier nicht nur satt was auf die Gehörmuschel bekommt, sondern aufgrund des liebevollen Cover-Artworks zudem etwas fürs Auge. NINE SHOCKS TERROR waren im Spätsommer diesen Jahres in Deutschland auf Tour, Felix mit ihnen unterwegs. Den Stopp in Ibbenbüren nahm ich zum Anlass, Felix zum Interview zu bitten, das nach der Tour via E-Mail zu Ende gebracht wurde.

Havoc Records, ein Rückblick bitte!


In den 80ern sammelte ich Platten und tauschte Tapes, sodass ich Lust bekam, selber Platten zu machen. Die erste Veröffentlichung war das DESTROY-Demo. Weitere Aktivitäten waren der Vertrieb der ersten beiden Singles von MISERY, 1988/89. Als Profane Existance gegründet wurde, half ich in den Bereichen Label, Vertrieb und schrieb auch für das Fanzine. Nachdem ich 1991 das College absolviert hatte, startete ich mit den gewonnenen Erfahrungen mein eigenes Label. In Amerika gibt es ein altes Sprichwort: ‚You want something done right, you have to do it yourself‘!

Wie steht‘s um Profane Existance, und was ist eigentlich aus Joel Hippiecore geworden?

Sowohl Zine als auch Label gibt es wieder. Joel Hippycore ist wieder in Arizona, er ist Doktor oder Professor für Politikwissenschaft, schreibt für ein politisches Blatt und lehrt an der Uni, aber genaueres weiß ich nicht.

Wie hat sich deine persönliche Situation verändert, und wie hat sich diese auf die Labelarbeit ausgewirkt?


Der größte Unterschied ist die finanzielle Situation und der heutige Erfahrungsschatz. Ich komme aus ärmlicheren Verhältnissen und habe mir mein Collegestudium durch Jobs selbst finanziert. Nach meinem Abschluss reiste ich nach Europa, und als ich wiederkam, hatte ich noch einen Dollar in der Tasche. Völlig pleite fing ich also an. Nachdem ich einige Drecksjobs gemacht hatte, gründete ich ein Bauunternehmen, das jedoch pleite ging. Der zweite Versuch lief besser. Mittlerweile verdiene ich so gut, dass ich mir das Label finanzieren kann. Im Laufe der Jahre sind das Label und die Bands, mit denen ich arbeite, etwas bekannter geworden, persönliche, vertraute Kontakte sind gewachsen, und ich habe mir mehr Kenntnisse über die Vertriebsarbeit angeeignet. Aufgrund dieser Erfahrungen ist es nicht mehr so einfach, uns zu bescheißen. Uns bedeutet, dass ich noch eine Vollzeitkraft namens Michele beschäftige, die sich um den Mailorder, Versand und sonstige Arbeiten kümmert.

Gehen bei dir die Verkäufe zurück, oder steigen sie?


Gute Frage! Meine bisher bestverkaufte Platte liegt bei phänomenalen 22.000 Stück. Im Schnitt verkaufe ich 3.000 bis 5.000 Alben einer Veröffentlichung. Die einzige DIY-Band, die sich derzeit in dieser Größenordnung bewegt ist TRAGEDY. TEAR IT UP, WOLFBRIGADE, CAUSTIC CHRIST, VITAMIN X oder SKIT SYSTEM könnten und sollten sich meiner Meinung nach auch auf dieser Ebene bewegen. Frustrierend und unverständlich ist, dass zwar viele Leute, die auf Hardcore stehen, die Bands großartig finden, aber trotzdem die Platten nicht kaufen.

Vor zwei Jahren hatte ich die Möglichkeit, Ken von Sound Pollution zu befragen. Er sprach davon, dass es aufgrund der wenigen Anhänger derartiger Ausnahmebands nicht möglich ist, längere Tourneen zu finanzieren. Mit NINE SHOCKS TERROR hast du in diesem Spätsommer das Gegenteil bewiesen...

Sicher sind NINE SHOCKS TERROR in Europa keine besonders große Nummer, aber viele Shows waren richtig gut. Sie sind weltweit der Inbegriff für schnellen Hardcore. Mit CODE 13 waren wir in 22 Ländern. Es ist durchaus möglich, neben Europa auch in Südostasien und Australien zu touren. Abhängig ist das von den persönlichen Kontakten und von der persönlichen Risikobereitschaft. Durch die heutige Einteilung von Hardcore oder Punk in Subkategorien ist es im Vergleich zu den 80ern natürlich nicht mehr so einfach, viele Leute zu erreichen. Andererseits haben wir durch das Internet die Möglichkeit, Punkrock nach Malaysia, Südkorea oder Israel zu transportieren. Hardcore war vor zehn, fünfzehn Jahren dort kaum denkbar. Zudem bin ich der Meinung, dass die Szene heute viel besser organisiert ist, alleine schon aufgrund der gewonnenen Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten. Haben früher gerade mal 150 Bands Hardcore gespielt und Platten veröffentlicht, sind es heute einige tausend Bands, was wiederum zur Folge hat, dass sich Subgenres bilden, und jeder sein kleines Ding macht, worauf BLACK FLAG und DEAD KENNEDYS damals schon hingewiesen haben

Differenzierst du bei Havoc Records zwischen Punkrock und Hardcore?

Kaum. Natürlich gibt es musikalische Unterschiede, wenn man SEX PISTOLS mit NAPALM DEATH vergleicht, aber wahrscheinlich würdest du beides als Punk bezeichnen. Es geht um die Einstellung. Heute gibt es tausende Bands in hunderten Subgenres von Grind über Crust bis hin zu Emo, Garage, und alles bezeichnet sich als Punk. Deshalb finde ich es wichtig, dass sich eine Nische für Hardcore bildet, denn lediglich in der Underground-DIY-Szene existiert weder Kontrolle noch Ausverkauf.

Speziell die bereits erwähnten DIY-Bands veröffentlichen Platten, deren Aufnahmen dem Schleudergang meiner Waschmaschine ähneln. Darauf kann ich verzichten ...


Diese schlechten Aufnahmen verurteile ich selbst, besonders in Amerika. DIY sollte immer besser als die halbherzigen Versuche der Musikindustrie sein, stattdessen wählt man die billigste Lösung in Form eines schlechten Studios. Deshalb ist japanischer Hardcore so populär in den Staaten, da deren Aufnahmen im Vergleich zu dem rohen und dünnen Sound der US-Bands professionell klingen. So ist das mit den meisten Singles, die gerade mal als Demos taugen.

Deine Bandauswahl reicht von Straight Edge über politisch bis hin zu nihilistisch. Gibt es so etwas wie eine Firmenphilosophie bei dir?

Sicher gibt es in den musikalischen und den politischen Ansätzen Unterschiede. Wichtig ist, dass die Bands, mit denen ich arbeite, in Ordnung sind, und ihre Musik Herz, Einsatz und Wut widerspiegelt. Hingabe und Energie sind die wichtigsten Bestandteile, um kreativ zu arbeiten. Nur Talent reicht nicht aus. Die Musik muss mitreißen und eine ehrliche Botschaft beinhalten. Ich selbst bin ein Straight Edge Kid, aufgewachsen mit den Wurzeln der DC-Punkszene, mit Bands wie MINOR THREAT, GOVERNMENT ISSUE oder FAITH. Mit der heutigen Bewegung kann ich wenig anfangen: dieser seltsame Metal-Background von Bands wie EARTH CRISIS oder SNAPCASE, oder diese mit Haargel gestylten Modetypen aus dem ‚98 Youth Crew‘-Revival. Straight Edge bedeutet für mich, geh deinen Weg, denke und entscheide selbst und vor allem gib der Gesellschaft keine Kontrollmöglichkeit über dich durch die von ihr geschaffenen Suchtmittel. Konsum und Kommerz beeinflussen dein Bewusstsein genauso wie Alkohol oder Drogen. Fernsehen macht sämtliche Kreativität zunichte, zerstörerisch wie Alkohol oder das Potrauchen. Ich habe gesoffen und Drogen genommen, und ich zweifle daran, dass ich noch leben würde, wenn ich so weitergemacht hätte. Viele meiner Freunde sind am Drogenmissbrauch gestorben oder kommen nicht mehr davon runter. Mein Vater war deshalb im Gefängnis. Ich habe mich entschlossen, nicht mehr Bestandteil dieser Kultur sein zu wollen. Das ist nicht jedermanns Sache, aber für mich ist es eine positive Einstellung, für die es sich lohnt zu leben. Es ist notwendig, dass sich Menschen einmischen, sich einbringen und in ihrer Umgebung Veränderungen durchsetzen. Parteien, revolutionären oder politischen Gruppierungen vertraue ich nicht!