JOHNNY CASH

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The Man In Black Is Gone ...

Eine ganz frühe Erinnerung. Ich, im Alter von ungefähr drei oder vier Jahren, höre meinem Vater zu, der Akkordeon spielt. Mein immer wieder gewünschtes Lieblingsstück ist „Ghostriders in the Sky“. Damals gab es noch keine Bedenken, seine Kinder mit Pistolen spielen zu lassen und schon im frühesten Kindheitsalter den Revolverhelden zu mimen. Welches Lied hätte da besser passen können?

Bis ich schließlich das Schulalter erreicht hatte, lief am frühen Morgen bei uns immer Radio RTL. Der Morgen fing jedes Mal großartig an, denn direkt nach der Serie „Familie Puhvogel“ startete das folgende Programm mit dem Ghostrider-Thema. Mit Mikrophon habe ich mir den Song aufgenommen und anschließend in mein erstes eigenes Hörspiel eingebaut, in dem ich vom Postkutschenfahrer bis zum Banditen alle Stimmen allein sprach, bis auf eine kleine Gastrolle für meine Mutter, welche die Lady sprach, die in der Postkutsche sitzt und vom Ganoven verschont wird.
Natürlich wusste ich von meinem Vater, dass der Song von Johnny Cash stammte, auch wenn das so nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber zumindest hat er ihn über alle Grenzen hinaus bekannt gemacht. Zu „Ghostriders in the Sky“ gesellte sich irgendwann auch „Ring of Fire“ hinzu und damit war endgültig der Grundstein gelegt, den Man In Black auf ewig zu schätzen und zu verehren. Auch wenn meine musikalischen Vorlieben während der Schulzeit zunächst in eine ganz andere Richtung gingen, hatte Cash immer einen besonderen Platz. Cash war cool und stand absolut über den Dingen. Schließlich trug der Mann ausschließlich schwarz, hatte daraus sogar eine eigene Philosophie gemacht. Schwarz, so sagte er, „ist nach wie vor mein Zeichen der Rebellion – gegen den Stillstand, gegen unsere scheinheiligen Gotteshäuser, gegen Menschen, die sich anderen Ideen gegenüber verschließen.“
Er sah einfach aus wie die personifizierten Revolverhelden meiner Kindheit und die waren zwar immer auf der anderen Seite des Gesetzes, aber gerecht. Vor allem hatte er aber diese Stimme. Kann ein Song, der mit dieser Stimme vorgetragen wird, wirklich schlecht sein? Ich hätte nie und zu keiner Zeit meines Lebens Zweifel daran aufkommen lassen, dass Johnny Cash zu den ganz Großen gehört, auch wenn ich ihn nach meiner Kindheit nur sehr sporadisch wahrgenommen habe.
1983 war Cash musikalischer Gast bei „Wetten, dass...“, ein legendärer Auftritt, der auch heute noch oft zitiert wird, wenn der Name Johnny Cash fällt. Es gibt die unterschiedlichsten Versionen von diesem Auftritt, den wir damals im Familienkreis vor dem TV mitverfolgt haben und der meine Eltern wahrscheinlich genauso schockierte und entsetzte wie meine wechselnden Frisuren. Augenscheinlich wirkte Cash vollkommen betrunken, er stammelte Worte, teils auf Deutsch, teils Englisch, er versang sich fortlaufend, hatte den Text nicht richtig parat und sank anschließend sogar noch schluchzend auf die Knie.
Es gibt neben Alkohol auch die für mich wahrscheinlichere Version von Schmerztabletten, die ihn vollkommen benommen machten. Schließlich war Cash in der frühen 60er Jahren extrem tablettenabhängig und hat diese Sucht laut seiner zweiten Biographie auch nie vollständig besiegt, aber immer in Schach gehalten. Eine weitere Erklärung liefert Walter Fuchs in seiner Cash Biographie. Er zitiert Cashs persönliche Aussage, die er nach dem Auftritt gegenüber Journalisten äußerte: „Die Tatsache, dass meine Frau June kurz zuvor in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste, hat mich stark belastet. Dazu kommt, dass ich ziemlich kurzfristig aus den USA kam und 24 Stunden nicht geschlafen hatte. Dann saß ich hinter der Bühne, wartete auf meinen Auftritt und hörte, wie der Moderator mich zusammen mit meiner Frau ankündigte, doch June war ja gar nicht da. Das hat mich total verwirrt. Das erste, was ich deshalb auf der Bühne tat, war, meine Frau zu entschuldigen, ich wollte es mit ein bisschen Deutsch versuchen, doch ich brachte nichts Rechtes zustande, ich war total fertig. Dass auch die Songs nicht recht liefen, war eine Folge dieser unglücklichen Umstände.“
Was immer damals der Grund war, wird sich wohl nicht wirklich klären lassen, aber in Vergessenheit geraten wird dieser 20 Jahre alte Auftritt auch nicht. Für mich war das wieder mal die Bestätigung, Johnny Cash ist anders als die Anderen. Von daher verwunderte es mich immer, dass er überall als personifizierter Star des Country bezeichnet wird, sei das nun im positiven, als auch im negativen Sinne. Johnny Cash hat Country gemacht, aber er hat auch Rockabilly, Gospel, Folk, Bluegrass, Blues, ja sogar deutschen Schlager gemacht. Die Stücke seiner letzten Alben zeigen ihn als hervorragenden Singer & Songwriter, der einfach in keine musikalische Schublade mehr zu stecken war. Er hat Songs über skrupellose Mörder gesungen, und er hat im nächsten Song Jesus gepriesen. Lieder über Drogen, Alkohol, Verbrecher, Helden, Gefangene, Cowboys, Züge, Gott und die Hölle. Antikriegslieder und patriotische Songs über sein Land. Kann man Cash daher auf Country festlegen?
Wenn ja, dann ist Cash der Teil des Country, der im Punk von Leuten wie Joe Strummer vertreten wird, jemand der über Grenzen hinausblicken konnte und sich nicht festlegen ließ. Dann wären die Millionenseller wie Garth Brooks im Gegensatz dazu in etwa soviel Country, wie LIMP BIZKIT oder THE RASMUS Punk. Nicht nur musikalisch war Cash eine eigene Persönlichkeit. Er stand immer auf der Seite derer, die von der Gesellschaft geächtet werden. In den 60er Jahren trat er unter anderem in den Gefängnissen Folsom Prison und San Quentin auf, die wahrscheinlich nicht nur für mich zu den besten Alben gehören, die Cash je gemacht hat.
Für den Auftritt in San Quentin schrieb er den gleichnamigen Song, der mit den Worten anfängt: „San Quentin you‘re living hell to me“ Die Gefangenen brauchen ca. zwei Sekunden, um sich dieser gerade gesungenen Aussage bewusst zu werden und fangen dann erst an, lautstark zu jubeln. Im Verlauf singt er „San Quentin I hate every inch of you“, und schließlich „San Quentin may you rot and burn in hell“. Der Jubel, den Johnny Cash dafür erlangt, dürfte wohl einer der lautstärksten in seiner Karriere gewesen sein. Die Strafgefangenen sind so aus dem Häuschen, dass sie den Song direkt noch mal hören wollen. Cash stimmt dem zu, bittet aber zunächst lapidar, falls einer der Wächter noch mit ihm reden würde, um ein Glas Wasser. Anschließend erfüllt er den Wunsch des Publikums.
Cash war zeitlebens eine unglaublich ambivalente Persönlichkeit, sowohl in seinen Songs, als auch in seinen Aussagen. So jemanden kann man nicht einfach festlegen, zumal er es selbst nie getan hat. Auf widersprüchliche Aussagen seinerseits angesprochen, sagte er lediglich, „Ich werde immer wieder die verrücktesten Dinge gefragt. Wenn ich dann antworte, entgegnet man mir, ich habe letztes Jahr noch was ganz anderes gesagt. Ja, das mag sein, doch was soll‘s? Ich habe eben meine Meinung geändert. Sag also nie, Johnny Cash habe dieses oder jenes gesagt, es sei denn ich habe es erst vor wenigen Minuten erklärt.“
Nicht jeder im Musikbusiness konnte oder kann sich eine derartige Haltung leisten. Johnny Cash schon. Ende der 60er Jahre bekam Cash von der Rundfunkanstalt ABC das Angebot zu einer eigenen TV-Show. Direkt in seiner ersten Sendung am 07.06.69 lud er Bob Dylan in die Sendung ein. Dylan vertrat einen ganz anderen Stil als den, der bei Cashs Publikum und der Nashville Community angesagt war. Er stand für eine Protestbewegung, die Cash damit bewusst unterstützte. Cash setzte sich nicht nur mit dieser Einladung, sondern auch schon vorher für Dylan ein und war damit maßgeblich am Start seiner Karriere beteiligt.
Ende der 70er Jahre merkte Cash, dass er mit seiner Show immer mehr instrumentalisiert wurde. Die TV-Bosse bestimmten, wer als Gast in der Show auftrat und natürlich, wie sollte es anders sein, wurde Mainstream-Ware bevorzugt. Gleichzeitig wurde die Serie „Ride This Train“, welche innerhalb der Show eingebaut war, gecancelt. Daraufhin äußerte er sich folgendermaßen. „Wenn ich nicht mehr das bringen kann, was gehaltvoll ist und der Wirklichkeit entspricht [...], wenn ich mir außerdem meine Gäste nicht mehr selbst aussuchen kann [...], dann sagen sie bitte dem Hauptquartier, dass June und ich es nicht bedauern, wenn der Vertrag nach dieser Saison nicht erneuert wird.“
Eine ähnliche Absage erteilte Cash Richard Nixon, der ihn ins Weiße Haus geladen hatte, um dort vor Gästen ein Konzert zu geben. Der Präsident wünschte sich besonders drei Songs, die Cash bitte spielen möge. Cash ließ ausrichten, dass er sich über das Interesse und die Einladung sehr freue, aber von den gewünschten Songs könne er leider nur „A boy named Sue“ spielen, weil er die anderen nicht gut genug kenne, bzw. sei einer von seinem Freund Merle Haggard, der diesen viel besser spielen könne.
1975 drängte ihm seine Plattenfirma Columbia/CBS mehr oder weniger das Album „John R. Cash“ auf, um verkauftechnisch und zeitgemäß mithalten zu können. Cash ließ sich überreden, war aber im Nachhinein überhaupt nicht glücklich darüber. In seiner ‘98er Biographie äußerte er sich mit den Worten: „Ich war weder mit der Vorgehensweise, noch mit dem Ergebnis zufrieden und beschloss, dass ich so was nie wieder machen würde – ich würde keine Musik mehr aufnehmen, die ich nicht wirklich machen wollte. Ich würde nie wieder einfach nachgeben ...“ Das Fazit, das Cash aus dieser Geschichte zog, war einmal mehr eine Absage an die Musikindustrie: „Mitte der 70er Jahre machte ich mein eigenes Ding, hielt mich von den Machenschaften [...] fern, machte meine Alben auf meine Weise und überreichte sie CBS, wenn sie fertig waren.“
Als gegen Mitte der 80er Jahre die Verkaufzahlen seiner Platten immer geringer wurden, kam es schließlich zum Bruch mit der Plattenfirma. Cash verabschiedete sich auf seine Weise, nämlich mit der Single „The Chicken In Black“. Sowohl der Text des Songs, als auch das Video sind absolut großartig. Cash entmystifiziert sich selbst, hält aber auch nicht hinter dem Berg, was er von den Machenschaften des Business hält. Aufgrund von unerträglichem Tinitus lässt er sich ein neues Gehirn einpflanzen, welches unglücklicherweise das eines Bankräubers war. In einem vollkommen lächerlichem gelb-blauem Supermannkostüm überfällt Cash schließlich eine Bank. Bei einem Auftritt in der Gran Ole Opry, dem Tempel der Countrymusic, kann er nicht singen und raubt stattdessen sein Publikum aus. Aufgrund dieser Misere ruft er den Arzt an, der ihm das neue Hirn eingesetzt hat und bittet, er möge sein altes zurückbekommen. Der geschäftstüchtige Mann hat es jedoch bereits einem Huhn eingepflanzt und ihm einen Plattenvertrag besorgt. Die Johnny Chicken-Show ist bereits ein voller Erfolg. Das Video endet damit, dass Cash nach einem weiteren Banküberfall ein gebratenes Hühnerbein aus einem „Johnny Fried Chicken“-Karton nimmt und herzhaft reinbeißt. Den Knochen schmeißt er schließlich aus dem Fenster und fährt mit seiner Beute davon. Ein Video voller Metaphern, mit einem slapstickmässig agierendem Cash.
Nach der Trennung von Columbia/CBS folgt ein Intermezzo bei Mercury Records, die Cash jedoch in keinerlei Hinsicht die Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, die er verdient hätte. Tatsächlich sollen von seiner letzten Platte „The Mystery of Life“ 1991 angeblich nur 500 Platten gepresst worden sein, obwohl die Platte in meinen Augen längst nicht zu seinen schlechtesten gehört.
Was danach geschah, ist Geschichte: Rick Rubin, Produzent von Bands wie BEASTY BOYS oder SLAYER holt Johnny Cash zu American Recordings, indem er ihm vorschlägt, eine Platte zu machen, wo nur er und seine Gitarre den Ton angeben. Der Legende nach soll es genau die Platte gewesen sein, die Cash immer machen wollte. Fast die gesamte Musikpresse überschlägt sich, was durchaus gerechtfertigt ist. Auch ich muss zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt meine erste Johnny Cash-Platte gekauft habe. Man kann einen Künstler jahrelang schätzen und doch parallel zu seinen Platten leben. Diese Comeback-Platte – wenn man überhaupt davon reden sollte, denn schließlich hat er nie aufgehört Platten zu machen, von seinen überfüllten Konzerten ganz zu schweigen – machte Johnny Cash nun auch in den Kreisen populär, die mit Country im allgemeinen gar nichts am Hut hatten. Country ist hierzulande geschmähte Musik, ein Aspekt, auf den Franz Dobler in seinem Cash-Buch mit den netten Worten eingeht, Bands wie TRUCKSTOP „schraubten ihren Karneval-Country derart in die Köpfe, dass diese Spielart bis heute das Bild [...] beherrscht.“ Seine letzten beiden Platten „Solitary Man“ und „The Man Comes Around“ könnten viele Leute eines besseren belehren und als willkommene Einstiegsdroge genutzt werden.
Johnny Cash starb am 12. September 2003 an den Folgen seiner Diabetes. Ich werde meinen Vater mal fragen, ob er noch immer „Ghostriders in the sky“ auf dem Akkordeon spielen kann ...

Foto: Martyn Atkins