PANSY DIVISION

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Gay Punkers On Acid

PANSY DIVISION begannen im Jahre 1991 Platten auf dem damals noch kurz vorm großen Durchbruch stehenden Lookout!-Label zu veröffentlichen. Die Band spielte – wie sollte es anders sein – einen etwas unspektakulären, aber mitreißenden Pop-Punk. Unorthodox waren dagegen Texte und Cover der Band, handelte es sich hier doch um die erste komplett schwule Punkrockband, die damit auch noch sehr offen und provokativ umging. Es folgten obskure Coverversionen von JUDAS PRIEST und AC/DC, Kirk Hammett von METALLICA spielte die Sologitarre auf einer Single, und die Band sorgte im Vorprogramm von GREEN DAY für Aufsehen. Nach dem Kurswechsel mit dem eher ernsten Album „Absurd Pop Romance“ im Jahre 1998 wurde es still um die Band, Teile der Gruppe verdingten sich in der Background-Band des politischen Elvis-Imitators EL VEZ. 2003 kehrten PANSY DIVISION mit dem großartigen neuen Album „Total Entertainment“ zurück, überraschenderweise auf Alternative Tentacles, dem Label von Jello Biafra. Am Vorabend einer ausgiebigen US-Tour beantwortete mir Sänger/Gitarrist Jon Ginoli freundlicherweise noch meine Fragen per E-Mail.

PANSY DIVISION begannen 1991, und ihr seid die erste komplett schwule Band gewesen, die damit auch offen umging. Glaubst du, dass ihr für andere Bands Türen geöffnet habt, damit diese ihre Homosexualität auch auf der Bühne offen ausleben können?


„Ich denke, unser offener Umgang damit hat anderen Bands auf alle Fälle geholfen, offen damit umzugehen, weil auf ihnen nicht der Druck lastete, die Ersten zu sein. Ich denke auch, dass wir mehr Mainstream-Bands geholfen haben, sich zu ihrem Schwulsein zu bekennen, denn wir waren die Spinner am Rande der Musikkultur, die Staub aufgewirbelt haben, und plötzlich waren sie nicht mehr allein. Ich denke, die Zeiten haben sich grundsätzlich geändert, aber wir haben diesen Prozess definitiv mit beschleunigt.“

Ich habe mich oft gefragt, wie die „Gay community“ anfangs auf PANSY DIVISION reagiert hat. Ich weiß, es ist ein Klischee, aber Rockmusik scheint in schwulen Bars, Discos etc. nicht besonders populär zu sein...

„Stimmt, man hört uns selten in den schwulen Mainstream-Treffpunkten. Ich war darüber oft sehr frustriert, aber in letzter Zeit bin ich dafür auch irgendwie dankbar. Denn es gab für uns zuerst einfach keinen Platz, also haben wir ihn uns selbst geschaffen – jetzt ist es nicht mehr wirklich ungewöhnlich, homosexuelle Rocker und Punks zu sehen. Vor zehn Jahren war das noch unvorstellbar! Wir sind eine Randgruppenerscheinung in der Punk- und der Schwulenszene, aber das ist okay. Das war unser vorrangiges Ziel, einen Platz für uns und andere zu schaffen. Klar, uns würde es gefallen, eine ‚große‘ Band zu sein, aber wer schafft das schon. Wir haben eine treue Anhängerschaft und dafür sind wir sehr dankbar.“

Glaubst du, dass die Leute der sexuellen Ausrichtung eurer Band manchmal zu viel Aufmerksamkeit schenken, und eure Musik oft nicht genug beachten?

„Beide Aspekte sind untrennbar miteinander verbunden, und das war von Anfang an eine bewusste Entscheidung von uns. Nachdem das klargestellt ist: Ich wünschte, dass die Leute der Musik und den Liedern manchmal mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Denn ohne gute Songs würde es uns auch nicht weit bringen, eine schwule Band zu sein.“

Du hast mal in einem Interview erwähnt, dass euer ‘98er Album „Absurd Pop Romances“ die Platte war, die sich am schlechtesten verkauft hat. War das für dich enttäuschend? Es scheint doch so, als ob dieses Album wesentlicher persönlicher war als seine Vorgänger. Ihr habt da meiner Meinung nach diesen „ironischen Schutzwall“ total fallen gelassen.

„Das Seltsame daran ist, dass wir dachten, das Album wäre etwas kommerzieller, es hat sich jedoch schlechter verkauft als seine Vorgänger. Wir haben diesen Schritt aber nicht gemacht, um mehr Platten zu verkaufen, sondern weil das eine Richtung war, die wir noch nicht eingeschlagen hatten, und die für uns interessant erschien. Manche wollten nicht, dass wir den humoristischen Aspekt unter den Tisch fallen lassen, andere waren darüber glücklich, dass wir uns weiterentwickelten. Wir waren also etwas enttäuscht, hauptsächlich weil uns die Leute einfach keine Chance gaben, sie wollten die Unterschiede einfach nicht sehen. Aber dennoch mögen eine Menge Leute das Album.“

Ich habe euch zuletzt 1998 bei einem Konzert in München gesehen, dann seit ihr plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Was ist passiert?

„Wir waren vom vielen Touren wirklich ausgelaugt und müde. Nach dem ‘98er Album waren wir uns wirklich nicht sicher, was wir als nächstes tun bzw. ob wir überhaupt weiter machen sollten. Das haben wir uns zu dem Zeitpunkt oft gefragt. Wir haben auch neue Lieder geschrieben, aber nicht wirklich an ihnen gearbeitet. Wir wollten einfach einen Mittelweg zwischen den alten, humorvolleren und den neuen, etwas ernsteren Liedern finden. Wir haben drei Jahre lang nicht getourt, uns Vollzeitjobs gesucht, und sind zu unserem regulären Leben zurückgekehrt. Ich hätte nicht gedacht, dass es uns schließlich fünf Jahre kosten würde, ein neues Album zu veröffentlichen, aber unser Bassist Chris zog nach LA, der Rest von uns blieb in San Francisco. Das hat den ganzen Prozess natürlich noch mal verlangsamt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Lookout sich nach unseren Anfragen nicht mehr bei uns meldete und uns nach ewig langem Warten mitteilte, dass sie an einer Zusammenarbeit nicht mehr interessiert seien.“

Ihr habt ja bei „Absurd Pop Romance“ mit Steve Albini gearbeitet. Warum habt ihr die Zusammenarbeit bei eurem neuen Album ‚Total Entertainment‘ nicht fortgesetzt?

„Obwohl sein Gehalt eigentlich sehr moderat ist – eigentlich billig, wenn man die Qualitätsarbeit betrachtet, die er abliefert –, konnten wir ihn uns diesmal einfach nicht leisten. Ich denke, wir haben damals über 9.000 Dollar ausgegeben, um ‚Absurd...‘ aufzunehmen, diesmal waren es weniger als die Hälfte. Es war die erste Platte, bei der wir auch das Programm Pro Tools benutzt haben. Unser einziger Grund zur Beschwerde ist – wenn man auf Band aufnimmt, wie Steve Albini das macht –, dass man anschließend einfach nicht noch mal den Mix nachbearbeiten kann, wie es bei einer digitalen Aufnahmen möglich ist. Wir hätten den Mix von ‚Absurd...‘ damals einfach gerne noch etwas verfeinert. Die Aufnahmen klingen zwar sehr gut, aber sie hätten mit etwas mehr Zeit vielleicht noch etwas besser werden können. Aber Steve Albini ist großartig, und ich denke, die von ihm aufgenommene Platte klingt trotz allem wundervoll.“

War der Wechsel von Lookout zu Alternative Tentacles rein geschäftsmäßig ein Schritt zurück?

„Alternative Tentacles ist ein viel kleineres Label, also ist es ein kleiner Schritt zurück, was Promo und Werbung für die Platte angeht. Aber ich denke nicht, dass wir mehr vom Album verkaufen würden, wenn wir noch auf Lookout wären.“

Wie definierst du Erfolg für dich als Person und für deine Band?

„Ich denke, unsere Band ist ein Erfolg, egal, ob wir Platten verkaufen oder nicht. Denn unsere Band hat es geschafft, für andere Leute extrem wichtig zu sein. Ich habe Tonnen von Briefen und Emails, in denen uns Leute sagen, dass wir ihr Leben gerettet, sie durch eine harte Phase in ihrem Leben gebracht oder ihnen geholfen haben, ihr Coming Out zu haben. Erfolg für mich als Person ist, ein glückliches Leben zu führen und Sachen zu tun, die ich genieße. Mehr Geld wäre nett, aber ich denke, das sagt jeder, egal, auf welcher Gehaltstufe er steht. Für mich zählt die Lebensqualität und nicht der Kontostand.“

Wie wichtig war und ist es für euch, noch in der „Punk-Szene“ aktiv zu sein? Oder seid ihr nur zufällig auf Punk-Labels, aber eher populär außerhalb dieser Subkultur?

„Ich denke, dass hast du schon korrekt formuliert. Wir veröffentlichen unsere Platten bei Punk-Labels, aber sind innerhalb dieser Szene nicht sooo aktiv. Es gibt bestimmt Überschneidungen, aber ich fühle mich mit den heutzutage aktiven Punkbands nicht gerade sehr verbunden. Ich mag keinen Hardcore und bei allem, was sich ‚Emo‘ nennt, würde ich mir am liebsten die Haare raufen. Und obwohl ich die ‚Klasse von 1977‘ wirklich liebe, langweilen mich Bands, die einfach versuchen, die RAMONES zu kopieren. Ich denke, wir sind musikalisch wesentlich interessanter, weil wir neben Punk eben auch noch von jeder Menge anderer Musik inspiriert werden.“

Sollte eine Band mit eurem Gespür für Melodien und eingängige Songs nicht bekannter sein und für ein größeres Publikum spielen und sie mit euren Aussagen konfrontieren? Mir fällt da CHUMBAWAMBA und ihr Erfolg mit dem „Tubthumping“-Album ein.

„Ich denke, das wäre großartig. Wir haben einen Schritt in diese Richtung unternommen, als wir ‘94/95 im Vorprogramm von GREEN DAY aufgetreten sind. Aber ich denke, unsere Band klingt jetzt viel besser – wir haben damals viele Fans dazu gewonnen, aber wenn wir damals so gut gewesen wären wie heute, dann könnte vieles für uns jetzt anders aussehen.“

Was ist denn der am stärksten überbewertete, was der am stärksten unterbewertete Teil an eurer Band?

„Überbewertet: Die provokanten Texte. Unterbewertet: Das Songwriting. Trotzdem: Niemand hat vor uns Texte dieser Art gemacht, also möchte ich das auch nicht herunterspielen. Aber ich denke, wir haben musikalisch viel mehr zu bieten, als das unser Ruf als ‚lustige Band‘ manchmal vermuten lässt!“

Kathleen Hanna von BIKINI KILL/LE TIGRE hat ja immer wieder betont, dass man die Gay Rights-Bewegung nicht von einer Kapitalismus-Kritik loskoppeln kann, da viele unserer gesellschaftlichen Probleme wie Homophobie, Sexismus, Rassismus dadurch bestärkt, wenn nicht mit ausgelöst werden. Denkst du, die schwulen Bewegung muss eine stärkere Bindung an die politische Linke haben? Oder würde das Homosexuelle abstoßen, die sich nicht für Politik interessieren?

„Amerikanische Interviewer stellen uns nie solche Fragen! Ich persönlich bin ein Sozialdemokrat. Ich denke, das kapitalistische System kann funktionieren, aber es braucht staatliche Kontrolle, um Exzesse zu vermeiden. Ich bin ein Reformer, kein Revolutionär. In den USA ist diese staatliche Kontrolle jedoch überhaupt nicht vorhanden. Die Dinge müssten stärkeren Regulierungen unterzogen sein. Leider hat der immer größer werdende Graben zwischen Arm und Reich unser System noch korrupter gemacht. Unpolitische oder nach rechts tendierende Homosexuelle machen mich sauer. Das ist total ignorant gegenüber der Geschichte der Schwulen und Lesbenbewegung, denn wir haben es geschafft, jetzt viel freier und akzeptierter zu sein. Ja, es muss meiner Meinung nach eine Zusammenarbeit und Verbindung zwischen Schwulen und der Linken geben. Und obwohl ich ein sehr politisch interessierter Mensch bin, haben wir in unseren Songs nicht zu viele politische Themen aufgegriffen. Sie tendieren dazu, ziemlich schnell veraltet zu wirken, und ich möchte, dass unsere Stücke langlebiger sind.“

Die USA haben ja einen großen Schritt nach rechts gemacht, seit Bush und seine Neo-Konservativen das Land regieren. Hat sich das auch für die Schwulenbewegung im Land bemerkbar gemacht?

„Nein, nicht wirklich. Die Republikaner haben die ‚Kultur-Kriege‘ verloren. Die Rechte ist politisch sehr stark, aber die Schwulenbewegung ist mittlerweile so weit verbreitet und im Mainstream akzeptiert, dass der Prozess nicht mehr aufzuhalten ist. Trotzdem, ich erwarte, dass Bush die Angst der Leute vor gleichgeschlechtlichen Hochzeiten und Partnerschaften benutzen wird, um uns zu Sündenböcken bei der nächsten Präsidentschaftswahl zu machen. Es sieht also nicht nur rosig aus.