BOXHAMSTERS

Cool genug für die Trendmagazine?

Erstens dauert‘s länger, und zweitens als man denkt – ein saublöder Spruch, den ich das erste Mal aus dem Munde meiner verhassten Lateinlehrerin mit den haarigen Beinen hörte. Aber er passt auf die Art, wie die BOXHAMSTERS ihre Platten machen: Da wird angekündigt, dann kommt dies dazwischen und jenes, und ruckzuck ist wieder ein Jahr vergangen. Plötzlich geht alles sehr schnell, und man sitzt wieder bei Coburgers im Wohnzimmer, diskutiert und unterhält sich. Dass seit „Saugschmerle“ aber wirklich schon wieder vier Jahre ins Land gegangen sind, sieht man daran, wie groß Rieke geworden ist, die Tochter von Co und Julia, die sichtlich genießt, welch große Bühne ihr die vier Männer und zwei Frauen bieten. Beim letzten Interview war sie noch ein Baby, jetzt kommt sie bald in die Schule. „Demut und Elite“ also, die neue, siebente BOXHAMSTERS-Platte, ist, wenn ihr das lest, auf L‘Age D‘Or raus, in Coop mit Cos Bad Moon-Label, und ja, es herrscht Aufbruchstimmung, als Uschi und ich uns an diesem sonnigen Ostersamstag mit Co, Ulf und Philipp unterhalten.

Gestern kommentierte jemand die Erwähnung der BOXHAMSTERS mit den Worten „Gibt‘s die denn noch?“.

Ulf:
„Das kommt immer, wenn wir eine neue Platte rausbringen.“

Co: „Ich kenne diese Sprüche seit zehn Jahren.“
Muss es einfach vier Jahre dauern, bis ihr eine neue Platte macht?

Philipp: „Ja, irgendwann wird es langweilig, nur live zu spielen, da kommt dann so das Gefühl auf, man könnte sich mal wieder um ein Album kümmern.“

Co: „Und ist die Platte dann fertig, ist das ein Gefühl, als ob man einen Sack, denn man lange mit sich rumgeschleppt hat, endlich absetzen konnte. Jetzt sollen sich ein Jahr lang erstmal alle freuen oder abkotzen, und dann vergeht noch ein Jahr, und dann haben wir wieder Lust ins Studio zu gehen, machen eine Single, und dann kommt irgendwann die nächste Platte. Sowieso macht die Arbeit im Studio mittlerweile viel mehr Spaß als früher.“

Warum? Weil man mehr kann und weiß?

Ulf:
„Nein, weil das wie Urlaub ist, Urlaub mit den Jungs. Es ist einfach immer sehr entspannt und locker.“

Philipp: „Der eine nimmt eben eine Gesangsspur auf, der andere geht Bier kaufen, der nächste kümmert sich drum, dass für abends eine DVD am Start ist.“

Ulf: „Früher war Studio Stress, da zitterte man, ob man das in der gebuchten Zeit schafft.“

Co: „Und jeder wollte in der ersten Reihe sitzen, um aufzupassen, dass der andere keine Scheiße baut. Heute kann ich beruhigt ‘ne Kiste Bier kaufen gehen, während Philipp den Bass einspielt, der macht das halt.“

Philipp: „Früher war das alles verbissener, heute ist ein Verspieler dank Computertechnik kein Problem mehr. Wir sind dadurch cooler geworden.“

Ist es vielleicht auch so, dass man an eine Platte keine so großen Erwartungen mehr knüpft, sondern macht einfach und was passiert, das passiert?

Co:
„Genau so ist es. Dass wir jetzt bei L‘Age D‘Or sind, das ist am vorletzten Tag im Studio passiert, da war eigentlich alles fertig, und wir gingen davon aus, dass ich die Platte wieder auf Bad Moon rausbringe. Es gab keinerlei Druck.“

Erzähl doch mal.

Co:
„Das hat was mit der gemeinsamen Geschichte zu tun: Das Label gibt es genauso lange wie die BOXHAMSTERS. 1989 erschien die erste KOLOSSALE JUGEND-Single, zeitgleich mit ‚Wir Kinder aus Bullerbü‘. Weihnachten 1989 spielten wir dann auf dem L‘Age D‘Or-Festival in Hamburg in der Markthalle gemeinsam mit KOLOSSALE JUGEND, EROSION, OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS und EL BOSSO & DIE PING PONGS. Und es gab ‚Gans‘n‘Roses‘ zu essen, Gans mit Rosenkohl, vor dem Konzert. Und dann wir vor 1.500 Leuten bei unserem vielleicht zehnten Konzert.“

Philipp: „Bei diesem Konzert fragte uns dann Carol von L‘Age D‘Or, ob er nicht unsere nächste Platte rausbringen könnte, das wäre der ‚Imperator‘ gewesen, aber die war schon fertig und kam auf Bad Moon.“

Ulf: „Dabei haben wir einen ähnlichen Background – wir etwas mehr Hardcore, die ihr Ding –, und wir sind ja auch aus der gleichen Generation. Wir hatten dann zwar sehr lange nichts miteinander zu tun, aber haben uns nie aus den Augen verloren, auch was die diversen Bands betrifft.“

Co: „Um auf deine Frage zurück zu kommen: Carol feierte in der Woche unserer letzten Studiosession seinen 40. Geburtstag, auf den Olaf Opal, unser Produzent, eingeladen war. Dort unterhielt er sich mit Carol auch über uns und bekam dann kurze Zeit später von ihm eine etwas säuerliche E-Mail, warum er denn nicht die neue BOXHAMSTERS-Platte angeboten bekäme. Wir waren zu dem Zeitpunkt etwas ratlos, denn eigentlich hatten wir kein Geld mehr, die Platte rauszubringen, und so traf ich mich mit Carol in einer Eisdiele in Köln, wir tranken schon nachmittags alkoholische Getränke und hatten spätabends rotzbesoffen Arm in Arm im Underground rumhängend alles klar gemacht. Carol kennt uns irgendwie sehr gut, der weiß, dass er von uns nicht mehr als die paar Konzerte erwarten kann, die wir eben spielen. Sein Lied auf der Platte ist das erste, ‚Beende deine Jugend‘, das hat er am Vorabend seines vierzigsten Geburtstages zu hören bekommen, und das gab wohl den Ausschlag – großes Glück im hohen Alter, hahaha.“

Philipp: „L‘Age D‘Or haben in letzter Zeit mit AERONAUTEN oder ROBOCOP KRAUS ja auch wieder Sachen gemacht, die mehr in unsere Richtung gehen.“

Und jetzt kommt der zweite Frühling.

Philipp:
„Ja, wir haben schon darüber diskutiert, dass wir mit der neuen Platte vielleicht doch ein paar mehr Leute erreichen als sonst. Das zeichnet sich schon jetzt in der Form ab, dass Leute mit uns Konzerte machen wollen, die bisher nichts von uns wissen wollten.“

Co: „Ich habe jetzt plötzlich Kontakt zu Leuten, die uns bisher nur so am Rande wahrgenommen haben, doch sobald das Wort L‘Age D‘Or fällt, bist du plötzlich interessant für die, das ist schon seltsam. Da kam bei einem Gespräch dann auch raus, dass die Angst um ihren Club haben, weil wir ja so ein Punkpublikum ziehen, und bei einem anderen Club wurde was von einem ‚Kulturanspruch‘ gefaselt. Der Typ hatte Angst vor Irokesenhorden bei unserem Konzert, hahaha. Ich erwähnte im nächsten Satz dann die neue Platte und L‘Age D‘Or, und plötzlich war der Typ wie ausgewechselt: ‚Ach, auf L‘Age D‘Or seid ihr jetzt!‘ Und plötzlich geht da was, das war das Zauberwort.“

Ich sehe schon Storys in Intro und Spex vor mir, für die ihr vorher nicht cool genug wart ...

Philipp:
„Klar, wenn die interessiert sind, hat das sicher mit L‘Age D‘Or zu tun.“

Man macht das Gleiche wie vorher, aber das Gleiche ist eben nicht das Gleiche.

Co:
„Genau so ist es, das trifft es absolut. Wir machen heute das, was wir immer gemacht haben. Auf der neuen Platte ist kein einziges Lied drauf, das ich als Stilbruch bei uns bezeichnen würde. Alles, was du da hörst, ist schon mal irgendwo dagewesen, oder um es mit den Worten von Martin Kircher von EA 80 auszudrücken, ‚Es ist eine sehr boxhamsteriöse Platte, die aber so vor zehn Jahren nicht hätte sein können‘. Aber ihr müsst uns jetzt sagen, wie ihr die findet, wir haben die so oft gehört.“

Wir haben sie im Ox-Büro erstmal ein paar Stunden in Dauerwiederholung laufen lassen, und dann war‘s gut. Der Gesang von Co ist diesmal anders, und auch die Gitarren.

Ulf:
„Die sind leiser als früher, und außerdem sind diesmal weniger Hardcore-Knüppler drauf, auch weil das zehnte Lied nicht mehr fertig wurde.“

Co: „Wir hatten neun Songs fertig, darunter das eine mit über acht Minuten, und ich hätte wegen dem zehnten extra noch mal ins Studio fahren müssen – und da hatte ich keine Lust mehr, ich bin eben kein arbeitseifriger Mensch. 37 Minuten reichen ja auch für ein Album, auch wegen des Vinyls.“

Und natürlich die Keyboard-Parts. Habt ihr denn jetzt immer einen Keyboarder dabei?

Co:
„Höchstens eine der Damen hier als Keyboarderin, haha.“

Philipp: „Mehr Keyboard ist diesmal doch gar nicht dabei.“

Co: „Nein, aber es ist lauter. Das ist eben Olaf ‚Liquido‘ Opal und seine Art zu produzieren – wir haben auch ständig im Studio LIQUIDO-Witze gemacht. Olaf ist ein Freund von solchen Effekten, wobei der uns aber nie irgendwas aufgequatscht hat. Er hat einfach sehr viel Erfahrung und an den entsprechenden Stellen die richtigen Ideen, etwa dieses völlig windschiefe Melotron, das immer wieder auftaucht. Da weigerte ich mich anfangs, damit zu spielen: Das sah scheiße aus, war riesig groß, und jetzt gefällt uns das richtig gut. Wir konnten endlich mal einen Vorteil daraus ziehen, dass wir der älteren Generation angehören und bastelten mit Olaf ein paar rückwärts gespielte MY BLOODY VALENTINE-Riffs. Der Vorteil ist, dass Olaf einfach weiß, wie das geht. Olaf brütet auch ständig neue Ideen aus.“

Philipp: „Wichtig war, dass wir für diese Platte sehr viel ausprobiert haben, jede Idee wurde aufgegriffen und eben wieder verworfen, wenn sie nicht gut war.“

Ulf: „Oder ein Lied wie ‚Trollinger‘, das haben Nils und Philipp das erste Mal im Studio zu hören bekommen. Das nahmen wir dann ganz zum Schluss auf, da waren die Mikros schon abgebaut und Olaf hatte keine Lust, die noch mal einzumessen. Also legten wir Handtücher über die Trommeln, was Olafs Idee war, die ich erst total blöd fand. Aber im Nachhinein klingt das total seltsam, doch Olaf war voll begeistert, weil das wie ein Drumcomputer klingt.“

Co: „Und dazu dann mein Bernd Begemann-Gesang, ‚Doch wie duuhuu ...‘.“

Genau, der unglaubliche Schlager-Refrain!

Co:
„Haha, das hatte ich mir schon lange mal aufs Diktiergerät gesungen und kam dann mit dieser Idee an, schickte aber schon voraus, dass wir das ja nicht bringen können. Die drei waren aber alle begeistert. Und vor allem war das, bevor wir an L‘Age D‘Or auch nur einen Gedanken verschwendet hatten.“

Co, mein Hit auf der Platte ist ja „Dien Bien Phu“, dessen Text auch was mit deiner Begeisterung für die Thematik der Fremdenlegion zu tun hat.

Co:
„Ha, das habe ich Philipp schon vor einem Jahr gesagt, dass das ein heimlicher Hit ist.“

Philipp: „Und dabei ist das Lied, das mir am wenigsten gefällt. Der Text stört mich halt.“

Co: „Na ja, das Thema taucht ja bei uns nicht zum ersten Mal auf ...“

Ulf: „Moment! Es gibt in der Band genau einen, den das Thema interessiert, und drei andere, die befremdet dabei stehen. Aber nun ja, wenn er meint.“

Philipp: „Der Text speziell bezieht sich auf eine historische Begebenheit, auf das so genannte ‚Stalingrad der Franzosen‘.“

Co: „Es geht um den Indochina-Krieg der Franzosen vor genau 50 Jahren, denn der Vietnam-Krieg der Amerikaner war ja nur die Fortsetzung des französischen Kolonialkrieges. Da erlitten die Franzosen in Dien Bien Phu eine große militärische Niederlage, wobei die Hälfte der Soldaten Fremdenlegionäre waren, und die wiederum waren – es war ja Nachkriegszeit – zum größten Teil Deutsche. Dazu kommt jetzt auf Arte auch eine große Reportage. Mit Florian Opitz, der früher auch fürs ‚Plot‘ geschrieben hat und der mittlerweile in Köln beim WDR Dokumentarfilmer ist, kam ich irgendwann mal auf das Thema, wobei eben das Interessante ist, dass sich heute kaum noch jemand erinnert, wie viele Deutsche damals in diesen Krieg involviert waren. Und dann war das Lied plötzlich da, eine traurige Punkrocknummer.“