BELLRAYS

Maximum Punk‘n‘Soul!

Die BELLRAYS aus LA sind eine der grandiosesten Livebands, die man sich vorstellen kann, haben mit Lisa Kekaula eine der besten Sängerinnen überhaupt, kombinieren auf mitreißende Weise Punk, Rock und Soul – live wie auf Platte. Und würde man sie lassen, würden sie wirklich jede Band, die gemeinhin als sichere Bank in Sachen laute, mitreißende Show gilt, selbst mit halber Kraft noch an die Wand spielen. Und das schließt die NEW BOMB TURKS, DANKO JONES und die DIRTBOMBS ein. Nach dem Konzert im Wiesbadener Schlachthof sprach ich mit Lisa Kekaula, Tony Fate und Bob Vennum (ihr namenloser Schlagzeuger zog es vor zu schweigen). Und ihr könnt mir glauben, so grandios die BELLRAYS auf der Bühne sind, so schwierig sind sie im Interview. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, da setzt es statt Antworten auch mal scharfe Rückfragen und vollste Konzentration ist angesagt – Gast einer Live-Talkshow zu sein, kann kaum mehr anstrengen. Und ja, die BELLRAYS haben ein gesundes, aber nicht aufgesetzt wirkendes Selbstbewusstsein und auch allen Grund dazu. Und man merkt, wie ernst sie das nehmen, was sie machen – nicht verkrampft, sondern mit großem Nachdruck.

Eben bekam ich ein Gespräch mit, wo sich eine Frau bei ihrem Begleiter beklagte „Ich dachte, die seien mehr Soul“. Wollt ihr das kommentieren?

Tony:
„We are more soul! Sie liegt völlig falsch.“

Wir haben uns zuletzt vor fünf Jahren getroffen. Was ist seitdem passiert?

Bob:
„Drei neue Platten, vier, fünf Singles, ein paar Touren in den USA und Europa.“

Leider habt ihr Deutschland in Sachen Konzerten bisher immer etwas vernachlässigt.

Lisa:
„Glaub‘ nicht, dass wir es nicht versucht hätten.“
Bob: „Wenn du in einem Land keine Platte neu raus hast, ist kaum ein Veranstalter interessiert, und das ist unser Problem.“

Nicht mal dieser seltsame Detroit-Hype hat euch geholfen? Klar, ihr seid aus L.A., aber vom Sound her ...

Tony:
„Eben, wir sind nicht aus Detroit.“
Lisa: „Also, wir haben diesen Hype schon zu spüren bekommen, und es mag ja nett gemeint sein, uns damit in Verbindung zu bringen, aber das geht dann echt so weit, dass behauptet wird, wir seien aus Detroit. Dabei hat die geographische Herkunft einer Band ja nichts mit ihrer Musik zu tun, ein Sound wie der unsere kann überall entstehen.“
Bob: „Der andere Effekt ist, dass so Bands Aufmerksamkeit bekommen haben, nur weil sie aus Detroit kommen. Es ist eben wie mit jedem anderen Szene-Ding auch, da werden dann beliebig Bands in Beziehung gesetzt, die nichts miteinander zu tun haben.“
Tony: „Das ist wie damals mit Seattle.“
Lisa: „Eben, und deshalb sollten wir auch über was anderes reden. Über unsere Musik, und über einen Satz wie den, den du oben erwähnt hast: Wieso stellt diese Frau diese Frage und merkt gar nicht, dass sie überhaupt nichts kapiert hat? Oder über unseren unglaublichen Schlagzeuger.“

Der ist in der Tat beeindruckend und haut rein wie ein Irrer. Und überhaupt kam bei der Show eben nicht nur in Sachen Lautstärke eine unglaubliche Energie rüber. Wie macht ihr das?

Bob:
„Das passiert einfach so, das kommt so aus uns raus. Wir gehen auf die Bühne und wollen, dass wir und die Leute da draußen Spaß haben. Wir sind so, wie ich mir immer gewünscht habe, dass eine Band live sein sollte.“
Tony: „Die Leute reden immer gerne über die ganzen alten Bands, wie toll die doch waren, die ROLLING STONES 1972, oder die BAD BRAINS 1979. Und ich finde, diese Vorbilder sollte man versuchen zu übertreffen, oder zumindest genauso gut zu sein. Ich würde es hassen, in einer Band zu sein, die nicht so gut ist wie meine Helden.“
Lisa: „Wir waren damals nicht dabei, wir wissen nicht, was die Bands damals so gut machte. Aber wir leben jetzt, wir wissen, was heutzutage geht, was gut ist an dem, was wir machen. Ganz wichtig sind für uns dabei unsere Songs, wie sie geschrieben sind, die Power, die in ihnen steckt. Das sind nicht einfach nur Punk- oder Rock‘n‘Roll- oder Soul-Songs, sondern sie bewegen sich zwischen diesen Genres, und deshalb haben wir mit dem heutigen Musikbusiness auch so unsere Schwierigkeiten, denn wir passen nicht in die Schubladen. Wir machen unsere Musik jetzt und heute, und was vor 20 oder 30 Jahren war, ist nicht so relevant. Und was wir heute machen, ist progressiver als die meiste Musik, die ich da draußen so höre. Nimm Songs wie ‚Lost disciples‘ oder ‚Stone rain‘, so was trauen sich nicht viele Bands. Wir schon, wir gehen unseren eigenen Weg.“

Ihr seid auf jeden Fall kompromisslos, zieht euer Ding konsequent durch.

Bob:
„Viele Bands denken, dass sie schon alleine für das Betreten der Bühne Applaus verdient haben, dass sie schon für ihre bloße Existenz Fleißkärtchen verdient hätten. Wir denken nicht so. Jedes Mal, wenn wir die Bühne betreten, ist das ‚ground zero‘, wir müssen ganz von vorne anfangen, versuchen, das Publikum unter unsere Kontrolle zu bekommen. Und dann muss das Publikum Feedback geben, muss verstehen, dass es Teil dieser Energie ist, die sich da im Raum aufbaut. Als Zuschauer hat man auch kein Recht nur dazustehen und zu denken ‚Los, macht mir die Höllenshow, ich hab‘ einen Zehner gezahlt‘.“
Tony: „Unsere Energie kommt zu einem großen Teil aus unseren Songs, denn sie fordern dich als Musiker heraus, sind nicht so einfach zu spielen. Wir versuchen ständig, die Grenzen neu zu setzen. Wenn du das tust, gehst du natürlich auch ein Risiko ein, das des Scheiterns. Die einfachen Akkorde, die simplen Hits kannst du da nicht spielen, und so entsteht eine größere musikalische Spannung, und die muss man natürlich auch wieder rauslassen, und dieser Wechsel zeichnet unsere Konzerte aus. Sehr viele Bands erzeugen aber keine Spannung, die spielen dir die einfachen Mitsing-Songs vor und das ist es. Klar, das könnten wir auch, aber wir lassen es eben lieber drauf ankommen. Und ich wünschte, mehr Bands würden es ähnlich sehen.“

Wie läuft bei euch das Songwriting?

Bob:
„Tony schreibt die meisten Songs, er hat sie immer schon fertig, wenn wir proben. Ich schreibe auch ein paar, und die ganze Band erweckt sie dann zum Leben.“
Tony: „Ich schreibe die Songs zuhause, spiele akustische Gitarre und singe dazu. Das nehme ich auf Tape auf, gebe es Lisa, sie hört es sich an und sagt mir, welche Songs sie mag – und das waren bislang fast alle. Dann proben wir zusammen, spielen etwas damit herum und das ist es. Ich kann nur ungefähr zwei Noten singen, aber Lisa reicht es aus, um sich vorstellen zu können, was ich im Kopf hatte. Und so singt sie dann die Noten, die da eigentlich sein sollten. Ich weiß auch, wie Bob spielt, kann mir das also auch schon im voraus vorstellen. Wir verstehen uns einfach.“
Bob: „Wir sprechen in Sachen Musik die gleiche Sprache. Wir nennen das bandintern den ‚Tornado‘, wenn es so richtig groovet, und da kommt es dann auch besonders auf den Schlagzeuger an.“
Lisa: „Wir sind da wirklich absolut vom Drummer abhängig, er muss den ‚Tornado-Beat‘ richtig spielen – sonst können wir auch nicht richtig gut sein. Dieser ‚Tornado‘ ist so was wie unser Band-Grundprinzip, davon hängt alles ab, das ist der Hintergrundlärm bei allem, was wir machen, ist Teil dieses Wechsels zwischen Anspannung und Entspannung. All das macht uns viel ‚tiefer‘ als eine normale Soul-, Punk- oder Rockband oder als was immer man uns bezeichnet. Und unsere Musik muss man hören, nicht diskutieren. Und deshalb proben wir auch ständig, damit wir nicht über Noten nachdenken, wenn wir auf der Bühne stehen, sondern einfach nur spielen. Die Songs leben ja letztlich nur auf der Bühne.“
Tony: „Ich muss dir das mit dem ‚Tornado‘ noch mal erklären, sonst versteht man das als Außenstehender nicht. Das Geheimnis des ‚Tornados‘ ist, wenn man Punkrock mit einem Jazz-Drummer spielt, also so was wie Punkrock-BeBop-Jazz-Drumming. Wenn man also um den Beat herum spielt.“
Bob: „Das Ergebnis ist dann eher ein Pulsschlag als ein Beat.“
Das ist es also, was eure Songs so, ja, „organisch“ macht.
Tony: „Ja, genau das meine ich! Und dazu kommt, dass wir jeder auf den anderen eingehen können, dem anderen einen Weg bahnen, den er dann eine Sekunde später gehen kann. Es sind kleine Tempo- und Rhythmuswechsel, mitten in den Songs, und das klappt auch bei richtig schnellen Punksongs. Wir spielen schnelle Musik, da muss man auch schnell denken, muss man sich immer dessen bewusst sein, was gerade passiert. Besoffen oder stoned kann man unsere Musik nicht spielen.“

Wenn der Drummer bei euch so wichtig ist, wie kommt es dann, dass ihr auch auf dieser Tour wieder einen neuen dabei habt?

Lisa:
„Wir haben derzeit eher einen Drummer-Pool, hahaha. Das hält uns aber auch frisch. Wir hatten in den letzten Jahren eine ganze Menge Drummer, und da hat wohl auch was damit zu tun, dass unsere Musik anderen Musikern irgendwie Angst macht. Ich habe mich daran gewöhnt, aber wer neu in der Band ist, und das nicht kennt, der findet das vielleicht nicht so angenehm. Da muss man schon richtig Lust drauf haben, viel Zeit investieren, und es ist nicht leicht.“

Wie wichtig ist das Publikum für euch?

Lisa:
„Sehr wichtig. Die müssen uns ja nicht gleich mögen, aber wenn die Leute da nur rumstehen und höflich klatschen, turnt das nicht gerade an, und sie bekommen auch nur eine höfliche Show zu sehen. Wenn das Publikum aber mitgeht, steckt das an und wir legen richtig los. Dabei habe ich manchmal das Gefühl, dass wir das Publikum überfordern, da stehen die Leute dann mit offenem Mund vor der Bühne und wissen nicht, was sie machen sollen.“
Bob: „Das Publikum kann wie ein Nitro-Booster beim Auto wirken, dann geht das richtig ab.“
Tony: „Ich vergleiche das immer damit, ob man sich eine Sendung über Kunst im TV ansieht, oder ob man selbst ins Museum geht. Für Letzteres musst du selbst die Hälfte des Weges gehen, und so ist das auch bei unseren Konzerten – das Publikum muss seinen Teil dazu beitragen, dass es für beide Seiten richtig gut wird. Leider ist es aber bei vielen Bands so, dass das mehr einer TV-Show gleicht, ohne Beteiligung des Publikums.“
Lisa: „Und vor allem: Mach das alles immer nur aus Begeisterung für die Sache, bring dich 100% ein – wer das nur um der Kunst Willen macht, wird scheitern. Du musst mit deinem Herz dabei sein.“

Wie reagierst du, wenn das Publikum nicht so reagiert, wie du willst?

Lisa:
„Früher hat mich das aggressiv gemacht, heute mache ich vielleicht mal eine zynische Bemerkung.“
Tony: „Ich mache mir dann immer damit Mut, dass die Leute spätestens zuhause, wenn sie an das Konzert zurückdenken, feststellen, dass das die beste Show war, die sie je gesehen haben. Und dann kommen sie zu unserem nächsten Konzert und bringen noch jemand mit. Und sowieso bin ich immer froh, wenn überhaupt jemand kommt.“

Ihr habt ein neues Album raus, „Red, White & Black“.

Tony:
„Ja, das ist auf Poptones/Telstar erschienen, in England, Spanien und Frankreich – in den anderen Ländern ist es leider nur über Import zu bekommen. Zum Ende des Jahres haben wir dann hoffentlich ein neues Album fertig, mal sehen, wo das erscheint. In den USA haben wir die aktuelle Platte auf unserem eigenen Label Vital Gesture veröffentlicht.“
Bob: „Die Plattenfirmen in den USA haben sich auch nie um uns gekümmert, und wir waren nie heiß auf einen Deal. Wir wollen auch höchstens einen Lizenzdeal, das heißt, ein Label bekommt von uns die fertige Platte – unsere Musik gehört aber weiterhin uns.“

Danke für das Interview.

Fotos: Kalle Stille