Fat Mike & Punkvoter.com

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A Man with a Mission

In ein paar Wochen wird in den USA ein neuer Präsident gewählt, und man kann für den Weltfrieden nur hoffen, dass der nicht wieder George W. Bush heißt. Bush, wir erinnern uns, kam seinerzeit mit ein paar hundert Stimmen Vorsprung ins Amt, und die Kritiker, die den Republikanern Wahlmanipulationen vorwerfen, sind nie ganz verstummt. Schlimmeres zu verhindern, eine zweite Amtszeit von „Dubya“ nämlich, ist da zum kleinsten gemeinsamen Nenner der Bush-Gegner geworden. Und weil es diesmal nicht wieder vorkommen darf, dass dem kleineren Übel, also dem demokratischen Herausforderer Kerry, die entscheidenden paar Stimmen zum Sieg fehlen, gründeten NOFX-Frontmann Fat Mike und ein paar Gleichgesinnte die Organisation Punkvoter. Die setzt sich über alle Bauchschmerzen hinweg, die man sonst als zum „Systemficken“ aufrufender Punkrocker hat, angesichts des sich Einsetzens für das „System“, ruft dazu auf zur Wahl zu gehen und Bush aus dem Amt zu wählen, auf dass es unter Kerry nicht ganz so schlimm weitergehe. Als Fat Mike im Frühsommer für ein paar NOFX-Shows in Deutschland weilte, ergriffen wir – Joachim Hiller, Lauri Wessel und Zoli Pinter – also die Gelegenheit und sprachen mit dem sonst in Sachen NOFX Interviews verweigernden Sänger und Boss von Fat Wreck Chords über seinen Einsatz, die Widersprüche und Anfeindungen. Und über Patriotismus, ein Begriff, der in den USA anders und ungezwungener verwendet wird als hierzulande.

Mike ...


„Keine Fragen über Musik und Politik und nichts Persönliches, ist das klar?“

Klar, Mike. Wie steht‘s um deine Spielsucht?

„Na ja, letzte Nacht habe ich $400 verloren. Cash! Bei so einem komischen Online-Casino, das irgendwo in der Karibik sitzt. Aber ich habe da auch schon $4.000 gewonnen, von daher tut das nicht weh. Geht mal auf partypoker.com, wenn euch das interessiert.“

Äh, danke. Lass uns besser über Punkvoter sprechen. Kannst du uns einen kurzen Überblick geben, wie diese Idee entstand, was bisher lief und was aktuell läuft?

„Das Ganze war nur so eine Idee von mir, weil ich mit dem Ergebnis der Wahlen von 2000 nicht zufrieden war. Ich dachte mir, ich sollte meine Einflussmöglichkeiten als Musiker nutzen, um die Kids dazu zu bewegen, sich für Politik zu interessieren. Also machten wir die Website, ließen das ‚Not my President‘-T-Shirt drucken, das ich dann so oft wie möglich in der Öffentlichkeit trug – und davon haben wir bis heute 35.000 Stück verkauft. Und seit letztem Jahr ging es dann richtig ab mit Punkvoter, ich habe ständig irgendwo Interviews gegeben, sogar auf CNN, war in der Show von Howard Stern und bei Dennis Miller.“

Eine ganz neue Form der Kombination von Punk und Politik. Normalerweise hat man da eher Bilder wie die Riots in Seattle im Kopf, oder lokales Engagement für konkrete Anliegen vor Ort.

„Dagegen habe ich auch nichts einzuwenden, das ist ja gut. Aber ich denke, dass wir alle, die wir uns als liberal denkende Menschen ansehen, angesichts dieser Herausforderung mit einer Stimme sprechen sollten. George Bush ruiniert die ganze Welt, da ist keine Zeit, die im Detail unterschiedlichen Ansichten auf unserer Seite auszufighten. Es ist, denke ich, die wichtigste Wahl in meinem Leben.“

Warum?

„An allererster Stelle muss ich hier mal das Thema ‚reproductive rights‘ ansprechen, also das Thema Abtreibung, und was damit zusammenhängt. Der wichtigste Punkt auf Bushs Agenda ist nämlich, Abtreibung wieder illegal zu machen. Davon steht kaum etwas in der Presse, aber vier von der neun Obersten Bundesrichter, die 1973 am Grundsatzurteil ‚Roe vs. Wade‘ beteiligt waren, womit Abtreibung in begrenztem Umfang erlaubt wurde, stehen demnächst vor ihrer Ablösung. Der nächste Präsident kann also neue Bundesrichter ernennen, die lebenslang im Amt bleiben, bzw. so lange sie wollen, und damit stellt er die Weichen für die nächsten Jahrzehnte, was die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes anbelangt. Denn George Bush, das darf man nie vergessen, ist ein religiöser Fundamentalist, ein ‚born again christian‘ – er glaubt an die Apokalypse. He‘s a fucking fruitcake! Er will Frauen das Recht nehmen, über ihr eigenes Leben zu bestimmen, und das ist es, worüber ich mit den Leuten rede, denn wie gesagt, darüber bringen die Medien normalerweise nichts.
Und dann der Krieg im Irak, der ja nur beweist, was für ein Idiot der Typ ist. In den USA sagt man ‚You go to war when you have to go to war‘ – und nicht, weil man das gerade für eine gute Idee hält. Sein Vater war gegen den Krieg, Verteidigungsminister Powell, die CIA – aber seit seinem ersten Tag im Amt hatte er nichts anderes im Kopf als diesen Krieg. Abtreibung und Krieg, das sind meine beiden größten Vorbehalte gegen Bush, mal ganz abgesehen davon, was er im Bereich der Umweltgesetzgebung und Wirtschaftspolitik angestellt hat. Ganz ehrlich, ich halte ihn für einen Soziopathen. Ich meine, als Gouverneur von Texas hat er über 150 Leute hinrichten lassen, mehr als in allen anderen US-Bundesstaaten zusammen, und dabei hat er sich nie länger als 15 Minuten mit einem Fall beschäftigt. Bei vielen dieser Fälle gab es keinen anderen Beweis als einen einzigen Augenzeugen. Für mich ist klar, der Typ ist ein Soziopath, andere Menschen sind ihm egal, es macht ihm nichts aus zu töten.
Deshalb bin ich der Meinung, dass es nichts nützt, großartig darüber zu diskutieren, ob Kerry denn so eine tolle Alternative zu Bush ist. Und ja, der unabhängige Kandidat Ralph Nader should get the fuck out, diesmal ist es wirklich ernst. Das ist jetzt wie Deutschland 1938, und das meine ich ernst.“

Willst du damit Bush generell mit Hitler vergleichen, oder nur die Wichtigkeit dieser Wahl betonen?

„Ich habe kürzlich einen Essay zu diesem Thema gelesen. In ihren politischen Zielen gibt es eine Menge Ähnlichkeiten, auch in der Wortwahl. Die ganze Thematik in Bezug auf ‚homeland security‘, ‚homeland über alles‘, die Geheimpolizei, die er aufgebaut hat, der Einmarsch in andere Länder – es ist ein sehr interessanter Essay. Und ja, ich sehe auch eine gewisse Parallele darin, wie Hitler den Reichtagsbrand genutzt hat, und was Bush mit 9/11 gemacht hat. Und es ist ja mittlerweile erwiesen, dass die Regierung grundsätzlich informiert war über die Pläne Bin-Ladens, mittels eines Flugzeuges ein Attentat zu verüben.“

Lass uns noch mal über Ralph Nader sprechen, der bei den letzten Wahlen für die Grünen antrat, und so den Demokraten die entscheidenden Stimmen wegnahm. Der wird auch diesmal wieder antreten, wenn auch nicht für die Grünen.

„Wenn Bush wieder gewinnt, ist das auch seine Schuld. Dem sollte mal jemand in den Arsch treten. Der soll sich gefälligst aus dieser Wahl raushalten, der macht das doch nur für sein Ego. Er war ein amerikanischer Held, doch diesmal sind alle gegen ihn, die ihn noch beim letzten Mal unterstützt haben.“

Mike, wenn man sich im Internet mal ein bisschen umschaut, stellt man fest, dass du für dein Engagement auch eine Menge Kritik einstecken musst.

„Es war mir klar, dass ich auch Kritik ernten würde, dass es Fans gibt, die sagen, sie werden nie wieder eine Fat Wreck-Platte kaufen. Da draußen sind eben auch eine Menge Bush-Unterstützer. Und manche sagen, ich sei doch nur ein Besoffener, der in einer Punkband spielt, und auf so jemanden müsse man nicht hören, der wisse ja gar nichts. Klar, ich habe keinen Uni-Abschluss in Politikwissenschaft, ich beschäftige mich nicht berufsmäßig mit Politik, aber ich denke, es reicht aus, sich gut umzuschauen und aufzupassen, was um einen herum vorgeht. Und ich bin ein freier Bürger der USA, der sagen kann, was immer er will. Außerdem reise ich viel, bedingt durch die Band, so dass ich einen besseren Überblick habe über das, was in der Welt vorgeht, als die meisten anderen Amerikaner. Ich habe im Gegensatz zu denen Zugang zu anderen Nachrichtenquellen, und auch wenn ich glaube, dass die meisten Amerikaner Idioten sind, so denke ich doch, dass man das zumindest teilweise damit entschuldigen kann, dass sie über das Fernsehen ja auch nur mit Scheiße gefüttert werden. Die Propagandamaschinerie, die in den USA existiert, ist unglaublich! Fox News ist der beliebteste Nachrichtenkanal im Kabelfernsehnetz, dabei gibt es da gar keine Nachrichten, sondern nur Meinungen. Das ist komplett verrückt! Wenn also jemand von der Arbeit nach Hause kommt, diesen Sender einschaltet und den ganzen Mist da hört, kann ich ihm nur begrenzt einen Vorwurf machen, wenn er auch als halbwegs schlauer Mensch viele dieser Lügen irgendwann glaubt.“

Besonders heftig angegriffen wirst du ja von dieser unglaublich dummen Website conservativepunk.com – was hast du dazu zu sagen?

„Ich denke, dass diese Typen innerhalb der Punkszene eine absolute Minderheit darstellen. Lass es in den USA 500.000 Punkfans geben, und ich bin sicher, nicht mal tausend vertreten die dort verbreiteten Meinungen. Die konnten ja nicht mal eine Band finden, die sich vor ihren Karren spannen ließ. Ja, einzelne Bandmitglieder konnten sie finden, Dave Smalley von DOWN BY LAW und Johnny Ramone sowie Michale Graves – who the fuck cares who he is? Aber sie konnten nicht die MISFITS oder DOWN BY LAW als Band gewinnen. Und ich wette, es gibt keine einzige Punkband in der Welt, die vier wirklich konservative Mitglieder hat, die sich dafür hergeben. Außerdem sind die Leute von conservativepunk.com religiös. Na gut, bitteschön, wenn du an Gott glaubst, das ist dann ja auch so ungefähr der einzige Grund sich als ‚konservativ‘ zu bezeichnen. Ich habe von ‚Gott‘ die Schnauze voll, mir geht das total auf den Geist. Und jedes verdammte Problem in dieser Welt hat letztlich mit Religion zu tun! Das ist doch unglaublich!“

Äh, wenn ich da aber mal kurz nachhaken darf: Auf Fat Wreck erschien vor ein paar Jahren auch mal eine EP der christlichen „Punk“-Band MxPx ...

„Jaaaa ... Die bezeichnen sich heute nicht mehr als ‚christliche Punkband‘, sondern als ‚Christen in einer Punkband‘.“

Geschenkt. Auf ihren Shows treiben sich trotzdem diese Volltrottel von „Jesusfreaks“ herum.

„Ähm ...“ (Mike reibt Daumen und Zeigefinger)

Du hast es des Geldes wegen gemacht?

„Kannst du meine Handbewegung übersetzen? Ja? Gut.“

Okay, danke. Ist es in gewisser Hinsicht nicht auch eine Bestätigung, dass du irgendwas richtig machst, wenn du von Leuten wie punkvoterlies so angegriffen wirst?

„Klar. Wir haben monatlich 15.000.000 Hits auf unserer Website, von 500.000 Besuchern. Damit haben wir unser Ziel ja erreicht: Wenn diese 500.000 Besucher, die sonst vielleicht nicht wählen gehen würden, im November zur Wahl gehen. Und ja, es geht mir nicht um die Teilnahme an der Wahl an sich, sondern darum, dass die Leute nicht für Bush wählen. Frag mich nächstes Jahr. Deshalb habe ich auch Support-Anfragen von Organisationen wie PETA abgewiesen. Die können mich gerne nächstes Jahr noch mal fragen, aber dieses Jahr sollten auch die sich ausschließlich darum kümmern, Bush loszuwerden. Der schadet deren Anliegen ja schließlich am meisten durch seine Umweltpolitik.“

Was versprichst du dir davon, wenn du für dein Anliegen mittels Touren und dem Release des „Rock Against Bush“-Samplers auch außerhalb der USA wirbst? Wir können ja nicht gegen Bush stimmen, sondern nur auf seine Abwahl hoffen.

„Ich denke, auch hier in Europa haben Punks vielleicht amerikanische Freunde und Verwandte, und können diese auf politische Themen ansprechen, versuchen sie zu überzeugen, nicht für Bush zu stimmen. Es gibt da keine einfache Antwort. Auf jeden Fall unterstützen die Konzertbesucher und Plattenkäufer unsere Sache mit ihrem Geld. So können wir beispielsweise ganzseitige Punkvoter-Anzeigen im US-Rolling Stone schalten, und in vielen anderen Magazinen, wir machen Radiowerbung, wir haben allein 250.000 Dollar für die Werbung für den ‚Rock Against Bush‘-Sampler ausgegeben. Und deshalb haben wir auch im ersten Monat schon 300.000 Stück davon verkauft. Da geht es ja auch nicht um die Musik – der NOFX-Song ist deshalb auch kein politischer –, sondern um die DVD. Schau dir die an, und du wirst geschockt sein: Viele Leute wissen einfach nicht, dass die Wahl in Florida, die damals den Wahlsieg von Bush entschied, komplett manipuliert war. Oder wie sehr die Regierung in Sachen Irak das amerikanische Volk belogen hat. Mit solchen Informationen kann man die Menschen beeinflussen, nicht mit Musik.“

Du gibst eine Menge Interviews zu diesem Thema.

„Oh ja! Und vor manchen hatte ich echt Schiss: Vor dieser Dennis Miller-Show konnte ich eine Woche nicht schlafen. Der Typ ist ein Konservativer, das Ganze findet live vor Publikum statt, da wird man schon etwas unruhig.“

Du bist da ja schon beinahe in der Position eines Politikers. Wie fühlt man sich da?

„Ich hasse es! Ich war da nicht wirklich drauf vorbereitet, aber habe mich mittlerweile dran gewöhnt. Wenn ich zu Hause bin, gebe ich fast jeden Tag ein Interview, vor allem für Privatradios. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass ich acht Jahre lang so gut wie keine Interviews gegeben habe, und jetzt sind die natürlich alle scharf drauf, eins zu bekommen. Haha, und dann bin ich plötzlich live auf Sendung und fange an, von Abtreibung und Krieg zu reden, und die sind etwas überrascht. Aber so erreiche ich auf einen Schlag bis zu 300.000 Menschen.“

Wie bereitest du dich auf diese Interviews vor?

„Ich trinke seit einer Weile nicht mehr so viel, von dieser Tour mal abgesehen. Haha, Interviews in Deutschland oder Italien sind eben nicht so wichtig.“

Danke, das war‘s!

„Okay, sorry, so war‘s nicht gemeint. Ich meine, für den US-Wahlkampf kann ich hier nicht viel reißen, so meine ich das. Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich lese Zeitung, ich halte mich auf dem Laufenden, das ist das Wichtigste. Dabei bevorzuge ich Blätter wie die New York Times, irgendwelche linken Blätter lese ich eigentlich gar nicht.“

Warum magst du die nicht?

„Ich kann dann einfach nicht mehr schlafen, wenn ich lese, wie viel Verrücktes wirklich abgeht. Leider ist ja an vielen der Verschwörungstheorien doch irgendwas dran, das zieht mich total runter. Ich weiß gerne, was in der Welt vor sich geht, aber im Detail muss ich dann auch nicht alles wissen. Damit komme ich einfach nicht klar. Das ist doch eigentlich traurig, oder? Oder die ganzen Geschichten über dieses Foltergefängnis der US-Armee in Bagdad: In gewisser Weise hat es mich gefreut, dieses Berichte zu hören. Es ist zwar schrecklich, so was über sein Land hören zu müssen, aber es zwingt die Menschen immerhin, sich dieser Wahrheit zu stellen. Ich wäre viel lieber patriotisch und würde mein Land verteidigen, aber das ist unter diesen Bedingungen einfach nicht möglich. I want my country to get screwed!“

Wie waren denn die Reaktionen, die du mitbekommen hast?

„Die Menschen waren schockiert, mal abgesehen von durchgeknallten Rechten wie Rush Limbaugh oder Dennis Miller. Letzterer tat so, als seien die Bilder der mit gefolterten Gefangenen posierenden Soldaten unsere legitime Antwort auf die Bilder der verkohlten, an einer Brücke aufgehängten Amerikaner von ein paar Wochen vorher. Moment mal! So geht das nicht, man kann sich doch nicht hinstellen und einfach sagen: ‚Ja, aber die sind schlimmer als wir.‘ Die Folterungen waren offensichtlich erklärte Politik der Armee, kein ‚Unfall‘, das kann man nicht rechtfertigen.“

Du hast eben gesagt, du wärst gerne patriotisch.

„Ich denke, in dem, was ich mache, bin ich sehr patriotisch. Im Gegensatz zu vielen Amerikanern, die sich als solche bezeichnen, bin ich ein echter Patriot, denn ich versuche unser Land besser zu machen, indem ich unsere Regierung und die Politiker hinterfrage. Das ist für mich Patriotismus. Ich weiß natürlich, dass das Wort einen schalen Beigeschmack hat, dass viele damit verknüpfen, dass ein Patriot sein Land vorbehaltlos für das beste hält. Diese Art von Patriotismus meine ich nicht, sondern dass ich mir mehr Gedanken um mein Land mache als die meisten anderen Leute. Mit Stolz hat das nichts zu tun, vielmehr damit, dass einem etwas nicht egal ist. Nicht zu verteidigen, was dein Land tut, sondern dein Land besser zu machen. Viele Amerikaner dagegen verstehen unter Patriotismus, vorbehaltlos den Präsident zu unterstützen, egal was der macht. Das ist aber nicht patriotisch, sondern idiotisch.“

Was für Reaktionen erfahrt ihr als Band wegen deiner politischen Statements? Setzt es da auch mal ein paar volle oder leere Bierbüchsen in Richtung Bühne?

„Klar, so was kommt vor, ist aber nicht der Rede wert. Zu unseren Shows kommen auch immer recht viele Armeeangehörige, die stimmen uns absolut zu, die sind genauso angepisst wie wir. Die haben keine Lust, in den Irak zu gehen. Ich denke, die meisten Armeeangehörigen werden auch gegen George Bush stimmen, gerade die Reservisten. Denen hat Bush vor kurzem noch Zuschüsse zur Krankenbehandlung gekürzt – 500.000 Menschen, darunter die, die an Nachwirkungen des ersten Irak-Krieges leiden.“

Was sind die Pläne für Punkvoter nach den Wahlen?

„Ich selbst werde dann keine so große Rolle mehr spielen, denn mein Kreuzzug gilt der Abwahl von George Bush. Ich denke, wir werden die Strukturen erhalten, inklusive unseres Lobbyisten in Washington, der ja schließlich damit punkten kann, dass er 300.000 wahlberechtigte Kids repräsentiert. Vielleicht können wir ja das eine oder andere kleine, aber wichtige politische Ziel erreichen, etwa die Abschaffung der ‚three-strikes-laws‘, also von Gesetzen, die bedeuten, dass du auch wegen einer Kleinigkeit bei der dritten Verurteilung eine richtig lange Haftstrafe bekommst. Ich denke, wir haben einige Möglichkeiten, gerade auch bei Wahlen auf lokaler Ebene.“

Aber wie siehst du dich dann selbst? Nur weil du sagst, du seiest kein Politiker, heißt das ja nicht, dass du nicht in gewisser Weise faktisch längst zu einem geworden bist.

„Hm, ja, aber damit habe ich kein Problem. Und ja, irgendwie bin ich wohl ein Politiker. Aber ich bin kein Politiker, der sich um irgendein Amt bewirbt.“

Das kommt nicht in Frage?

„Nein, daran habe ich überhaupt kein Interesse. Das mit Punkvoter musste ich einfach machen – wer sonst hätte sich denn darum kümmern sollen, die Punkrocker in den USA dazu zu bewegen, sich zu engagieren? Ich bin keinem Majorlabel verpflichtet, bin kein fucking Sell-out, habe meine eigene Firma, keiner kann mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Und es ist auch nicht so, dass ich meine Position irgendwie genieße, ich habe einfach nur das Gefühl, das tun zu müssen.“

Aber was erwartest du eigentlich von einem möglichen Präsidenten Kerry?

„Egal was er tut, er wird um ein vielfaches besser sein als Bush – soviel steht für mich fest. Er ist eher der Typ, der über Dinge nachdenkt und auf seine Berater hört. Klar, auch er wird Fehler machen, und was den Irak anbelangt: Dieses Problem wird er von Bush erben, eine einfach Lösung gibt es da nicht. Was immer er tun wird, wird das Falsche sein: mehr Truppen genauso wie ein Rückzug. Ihn dafür jetzt schon zu kritisieren, halte ich für falsch. Ich persönlich würde allerdings einen kompletten Rückzug für das Beste halten. Die religiösen Fundamentalisten werden sowieso über kurz oder lang das Land übernehmen, denn es sind die Einzigen, die vorbehaltlos und bis in den Tod für ihre Sache einstehen.“

Man konnte lesen, dass ihr in den USA mit der „Rock Against Bush“-Tour auch Probleme hattet.

„Ja, an der Arizona State University wollten sie uns nicht spielen lassen. Wir hatten da eine Show für 10.000 Leute geplant, umsonst, und eine Woche vorher wurde die abgesagt. Das war richtig Scheiße. Ein paar andere Shows haben schon im Vorfeld nicht geklappt, weil Universitäten in den USA politisch neutral sein müssen, und das ist unsere Tour ja nicht gerade. Auch sonst mussten wir die Tour da unter dem Titel Punkvoter laufen lassen. Und wir durften nicht dazu aufrufen, nicht Bush zu wählen. Also riefen wir dazu auf, überhaupt wählen zu gehen und gaben den Leuten dann Argumente, warum Bush ein dummer Arsch ist.“

Mit Ashcrofts Gesetzen zur inneren Sicherheit, die nach dem 11. September erlassen wurden, sind ja auch viele Regierungskritiker und Friedensaktivisten in den USA ins Fadenkreuz der Ermittler geraten. Hast du irgendwas in der Art erlebt?

„Nein, aber ich bin mir sicher, dass das FBI eine ziemlich dicke Akte über mich hat. Aber das macht mir keine Angst. Wir hatten bei einer Show mal Scott Ritter auf der Bühne, den ehemaligen US-Waffeninspektor, der davor zwölf Jahre bei den Marines war. Der erzählte, dass sie ihn auch überwachen und hier und da mal etwas schikanieren, aber das dürfe man eben nicht zu ernst nehmen. Die vom FBI seien an sich keine üblen Typen und würden die Bush-Administration auch nicht mögen.“

Dein Worst Case-Szenario für den Fall einer Wiederwahl von Bush?

„Abtreibung wird wieder illegal. Die USA greifen den Iran oder Syrien an. Wolfowitz treibt seine Pläne voran, den Mittleren Ost gleich ganz zu übernehmen. Bush & Co. machen zwar alles falsch, aber man kann den Gesamtplan dahinter erkennen, nämlich die Ausbreitung von Atomwaffen im Mittleren Osten zu verhindern. In dieser Region leben eben die extremsten und verrücktesten religiösen Fundamentalisten, und das schließt für mich die Israelis ein. Wenn man da im Falle der USA eine völlig isolationistische Linie fahren würde, hätten in 10, 20 Jahren alle Länder in dieser Region Atomwaffen. Doch so sehr ich den Gedankengang an sich nachvollziehen kann, so verrückt ist doch das, was Bush & Co. daraus machen.“

Gibt es eigentlich andere Organisationen, mit denen Punkvoter zusammenarbeitet?

„Ja, da gibt es Music For America. Anfangs hatten wir zwar Vorbehalte, aber mittlerweile arbeiten wir sehr gut zusammen. Die haben 30.000 Freiwillige im ganzen Land, und wenn irgendwo eine Punkvoter-Show ist, kommen die dahin und registrieren Leute als Wähler. Der Mann hinter der Organisation ist ein Multimillionär, der auch Punkvoter schon reichlich unterstützt hat. Was unsere weiteren Pläne anbelangt, so wird es eine weitere Punkvoter-Tour geben, und natürlich Teil 2 von ‚Rock Against Bush‘.“

Mit oder ohne PROPAGANDHI ...?

„Ohne. Willst du die Geschichte hören? Okay, in Kürze: Die wollten dabei sein, haben dann aber in den Linernotes Scheiße über George Soros geredet. Soros ist ein Multimilliardär, der sein Geld mit übler Währungsspekulation gemacht hat, aber eben auch schon über eine Milliarde Dollar für gemeinnützige Zwecke gespendet hat, etwa für die Cannabis-Legalisierungskampagne, und vor allem für so ziemlich alle Gruppen, die sich gegen George Bush stellen. Und gegen den muss man nicht so herziehen, wie PROPAGANDHI das taten, finde ich. Ich bat PROPAGANDHI also, diesen einen Satz zu streichen, aber sie lehnten das ab. Ich meinte, dann könnten sie nicht dabei sein, und sie sagten, sie hätten darauf sowieso nie wirklich Lust gehabt. Abgesehen davon haben wir keinen Streit oder so, und wir bringen auch auf Fat Wreck ihr nächstes Album raus. Ich hätte sie erst gar nicht fragen sollen ...“

Von conservativepunk.com wurden PROPAGANDHI daraufhin ja als „Kronzeugen“ gegen Punkvoter vorgeführt.

„Ja, aber das ist albern. Das hat ja nichts mit Zensur zu tun. Oder nennst du das Zensur, wenn du deinen verrückten Drogenfreund nicht zur Geburtstagsparty deiner Mutter einlädst, damit er da seine Show abzieht?“

Kannst du ihre Argumente nachvollziehen?

„Sicher, von ihrem Standpunkt als radikale Anarchisten aus ist das schlüssig. Ich hatte sie aber gefragt, weil ich die Hoffnung hatte, dadurch auch die ganzen Anarchopunks für unsere Sache gewinnen zu können, wenn auch nur dieses eine Mal und nur dafür, Bush loszuwerden.“

Jello Biafra, der Punkvoter anfangs ablehnte, konntest du ja dann auch noch ins Boot holen.

„Ja, wobei auch der nicht für Kerry stimmen wird. Er meinte, ich solle ihm nicht vorschreiben, was er sagen darf und was nicht. Ich sagte ihm darauf, dass es unserer Sache nicht nützen würde, wenn er zur Wahl von Ralph Nader aufruft. Das hat er verstanden. Wichtig ist nur, dass wir gemeinsam gegen Bush vorgehen.“

Mike, danke für das Interview.

Fotos: Sandra Steh