IKARA COLT

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Vier Mal 100 Meter Hürden

Eigentlich sollte an diesem regnerischen Frühlingstag neben der stets lachenden und ein wenig zurückhaltenden Claire Ingram (Gitarre, Gesang) auch Paul Resende (Gesang) sitzen, um bei einem gemütlichen Plausch über das neue IKARA COLT-Werk „Modern Apprentice“ seiner Kollegin tatkräftig zur Seite zu stehen. Doch aufgrund seiner Flugangst, so Claire, musste Paul an jenem Morgen das bereits erklommene Flugzeug in London verlassen und Mrs. Ingram alleine auf das Festland fliegen lassen. Weniger darüber, als vielmehr über „Modern Apprentice“, den Besatzungswechsel am Bass von IKARA COLT, wie es ist, eine Art-Band zu sein und natürlich viermal 100 Meter Hürden, erzählte die sympathische Claire Ingram ausführlich. IKARA COLT,
Englands Retter des Punk-Rock melden
sich eindrucksvoll zurück.
Wie seid ihr auf den Titel für euer Album „Modern Apprentice“ gekommen?

„Paul hatte die Idee für den Namen, und ich weiß leider nicht, was er damit verbindet. Ich mag an dem Titel das Wort ‚Modern‘, denn ich denke, dass wir uns etwas Neuem geöffnet haben. Es klingt außerdem erfrischend“
Würdest du eure Musik als modern bezeichnen?
„Ja, würde ich. Auch wenn wir eine Art Punk-Rock spielen, höre ich in unserer Musik keine herkömmlichen Ansätze von Punk wie 1977. Für die damalige Zeit war es etwas Neues und Passendes, aber wir wollen mit unserer Musik das Gefühl der heutigen Zeit widerspiegeln.“
Die Produktion eurer Platte – AT THE DRIVE-IN-, THE ICARUS LINE- und THE LOCUST-Produzent Alex Newport ist dafür verantwortlich – entspricht meiner Ansicht nach nicht unbedingt den heutigen Standards. Ist das Fortschrittliche von IKARA COLT vielleicht in dem progressiven Aufbau der Songs zu sehen?
„Wenn du einen auf einer Gitarre basierenden Song schreibst, dann weißt du, dass bereits etliche Songs so entstanden sind. Wir versuchen einfach, feste Strukturen beim Schreiben zu umgehen. Ich finde es unglaubliche langweilig, wenn du ein Stück hörst und erahnen kannst, dass an jener Stelle der Chorus kommt und alles ohnehin vorherzusehen ist. Es ist langweilig und viel besser, wenn man die Leute überraschen kann. Ich denke, wir waren bestrebt, das zu versuchen, um die Stücke auf unserer Platte so aufregend und abwechslungsreich wie möglich werden zu lassen. Einige Lieder auf ‚Modern Apprentice‘ unterscheiden sich gänzlich von denen auf ‚Chat And Business‘.“
Was sind deiner Ansicht nach überhaupt die größten Unterschiede zwischen „Modern Apprentice“ und eurem Debüt „Chat And Business“?
„Ich liebe ‚Chat And Business‘ auch heute noch, aber ein wesentlicher Unterschied zu ‚Modern Apprentice‘ ist, dass wir nicht versucht haben, ein komplettes Rock-Album zu schreiben. Für mich persönlich ist allerdings auch die Tatsache, über die Jahre eine Entwicklung als Mensch vollzogen zu haben, eine gravierende Änderung. Wir wollten auf dieser Platte alles versuchen, was uns in den Sinn kommt. ‚Modern Apprentice‘ soll zum Tanzen einladen, und so experimentierten wir im Studio selbst mit Drum‘n‘Bass-Strukturen herum. Natürlich ist das Album nach wie vor gitarrenorientiert, aber es ist offener und ich denke auch vielfältiger als unser Debüt. Wenn ich zu Hause Musik höre, dann denke ich beim Hören einer Platte oftmals an eine andere und lege sie dann auf, bis ich erneut an ein anderes Album denke. Ich hoffe, dass uns mit ‚Modern Apprentice‘ gelungen ist, den Hörer über die gesamten zwölf Stücke zu fesseln, ohne dass er dabei an andere Platten denkt, haha.“
Du singst diesmal vermehrt auf der Platte. Ist dies auch ein Zeichen für eure Offenheit, dass Paul und du den Leadsinger-Part abwechselnd betreiben?
„Durchaus, obwohl ich mich nach wie vor als Gitarristin bezeichne und nicht als Sängerin. Bei einigen Stücken wie ‚Modern Feeling‘ hat es mit meiner Stimme einfach gepasst, bei anderen eben nicht. Ich bewundere wirklich alle Leute, die Gitarre spielen können und dabei gleichzeitig singen, ich finde es unglaublich schwer.“
Wirst du jetzt auch bei euren Konzerten vermehrt im Mittelpunkt stehen?
„Oh nein, ich werde mich weiterhinim Hintergrund aufhalten, haha. Tracy ist diejenige, die alle beobachten, wenn sie auf den Monitorboxen steht und ihre langen Haare schwingt. Es sieht wirklich cool aus.“
Dann stimmt also das Gerücht, dass du nicht gerne live spielst, weil du so schüchtern bist?
„Nein, wer sagt so etwas? Haha! Als wir mit AMEN auf Tour waren, sagte mir Scott, dass ich auf der Bühne wie ein Junge spielen würde, was ich in diesem Zusammenhang wohl ein Kompliment ist und deine Annahme widerlegt. Wenn das der Bassist von AMEN sagt, muss doch etwas dran sein, denn AMEN machen neben ihrer Musik noch Wrestling auf der Bühne und sind wirklich total krank, haha.“
Wenn du AMEN als Wrestler bezeichnest, was sind dann IKARA COLT für eine Sportart? Gemischtes Doppel?
„Nein, dass ist zu anmutig. Vielleicht vier mal 100 Meter Hürden, haha.“
Du hast eben schon eure neue Bassistin Tracy erwähnt. Warum ist euer alter Bassist Jon ausgestiegen?
„Es ist etwas zu kompliziert, um es jetzt ausführlich zu erklären. Wir haben nach der Tour in Europa noch eine recht lange Amerika-Tour gespielt und ich glaube, dass er dieses Leben nicht wirklich mochte. Im Studio an Songs zu arbeiten und als Band auf Tour zu gehen, ist etwas völlig anderes, und ich denke, dass die Belastung einer langen Tour für viele Bands der Auslöser ist, warum sie sich auflösen. Du siehst immer die gleichen Leute und kannst nicht mal eben zu deinem Freund gehen. Es war wirklich traurig, denn wir hatten nach Jons Ausstieg überlegt, ob wir zu dritt bzw. überhaupt noch weitermachen sollten. Wir mussten seine Entscheidung respektieren, aber Tracy brachte dann glücklicherweise jede Menge neue Energie und Ideen mit in die Band.“
Die Presse bezeichnet euch immer wieder gerne als Art-Band. Ich weiß, dass ihre alle die Kunsthochschule besucht habt, aber ich denke, dass das nicht alleine der Grund sein kann.
Was macht also IKARA COLT deiner Ansicht nach zu einer Art-Band?

„Wir hatten damals ein Interview für Radio 1 gegeben, die ein Special über Art-Bands machten. Letztendlich hatten wir keine Antwort, warum wir eine Art-Band sind. Vielleicht liegt es daran, dass die Leute aus solchen Bands einfach noch andere Dinge neben ihrer Musik machen. Ich bin zwar aus diesem Grund aufs College gegangen, um eine Band zu gründen, aber das ist wohl nicht bei allen so genannten Art-Bands so.“
Kannst du dir vorstellen, dass sich IKARA COLT in Zukunft zu einem Kunst-Projekt verwandelt, welches neben Musik beispielsweise auch an Büchern, Filmen oder Mode arbeitet?
„Ich weiß nicht, vielleicht. Wir sind in der Band alle an sehr unterschiedlichen Kunstformen interessiert, aber oftmals entwickelt sich aus einer Sache eine andere. Schon immer sind wir an der Gestaltung unserer Album-Cover und Videos beteiligt gewesen, aber es gibt keine konkreten Pläne, an denen wir als Band arbeiten. Wir machen wohl eher individuelle Sachen. Ich male viel und entwerfe Klamotten, Paul schreibt Filmdrehbücher, Dominic malt auch sehr viel und Tracy ist einfach nur total auf Rock‘n‘Roll aus, haha. Musik steht aber ganz klar an erster Stelle. Ich bin überglücklich, dass wir ein zweites Album rausbringen dürfen.“
Eine letzte Frage: Wird „Modern Apprentice“ genau wie „Chat And Business“ in Amerika wieder über Epitaph Records vertrieben?
„Nein, wir sind nicht mehr bei Epitaph und schauen uns gerade nach einem neuen Label für die Staaten um. Ich will nicht schlecht über das Label reden, aber wir haben nie wirklich in den Epitaph-Katalog gepasst.“