MINUS THE BEAR

Foto

Das Spiel mit den Tatzen

Auf der Autobahn Richtung Jena unterwegs, bereits an Leipzig vorbei, doch immer noch muss ich nach Süden. Irgendwie passt heute gar nichts, noch nicht einmal dieses Album verlangt meine volle Aufmerksamkeit, das gerade zum dritten Song kommt. Doch dann geschieht dieser magische Moment: Mit dem vierten Titel klebt mein Zeigefinger auf der Repeat-Taste fest. Der Beat frisst sich ins Hirn und nach dem dritten Hören denke ich schon, dass ich den Text dazu geschrieben habe. MINUS THE BEAR sind das, was mir als eine seltene Offenbarung innerhalb der Indie-Gitarren-Szene erscheint. Eine dieser Bands, die sich aus einem schier endlosen Reservoir von Kreativität bedienen kann. Was entsteht, sind Stücke, die in ihrer Art äußerst eigenständig sind, und deren Strukturen und Melodien kaum mit anderen Künstlern vergleichbar ist.

Ein knappes Jahr später emaile ich mit Bassist Cory, der seine Kollegen im Beantworten der Fragen vertritt. „Unser Gitarrist und Sänger Jake weilt gerade in Mexiko, wo er seinen Jahresurlaub verbringt und Keyboarder Matt sitzt schon wieder an den Reglern seines Studios,“ meint Cory und erklärt, dass die letzten Monate seit dem Release von „Highly Refined Pirates“ auf Suicide Squeeze/Luckyhorse Industries sehr viel Zeit der Band in Anspruch genommen hätten. Dies scheint wohl auch der Grund zu sein, warum gerade jeder ein bisschen Auszeit von der Band nimmt und sich um seine eigenen Sachen kümmert, bevor es im September wieder mit dem Touren weitergeht. Auch Cory hängt zurzeit nicht in Seattle ab, wo die Musiker normalerweise ihren Alltag verbringen. Nachdem die Band vor ca. einer Woche von einer Tour mit BRAID zurückkam, flog er Richtung Florida. Dort lässt er sich von der lieben Schwester die Butter auf das Brot schmieren und die Wunden und blauen Flecken verarzten, die man meist morgens findet, wenn die Nacht lang war und kaum in Erinnerung bleiben konnte.
Wie die Reunion-Tour von BRAID denn gelaufen sei, will ich von Cory wissen. „Super Sache, vor allem BRAID und die andere Supportband MURDER BY DEATH waren klasse Kumpels, mit denen wir uns blendend verstanden haben. So als ob wir uns schon seit Jahren gekannt hätten,“ sagt er und fügt grinsend hinzu, „Alles im allem war das zwar eine sehr verrückte und feucht-fröhliche Tour, aber auch bestimmt die für uns bisher erfolgreichsten Tage on the road.“ Dass dies so war, kann man sich gut vorstellen. BRAIDs Reunion-Tour ist nach wie vor das diesjährige Tour- bzw. Konzerthighlight für die amerikanischen Indie-Emo-Kids. Nach MINUS THE BEAR und MURDER BY DEATH sind für die zweite Hälfte MONEEN, RECOVER und LIMBECK als Support eingeplant. „Die Konzerte waren alle sehr gut besucht und boten uns eine ideale Gelegenheit, vor Personen zu spielen, die wohl noch nie von uns gehört hatten,“ fährt Cory fort, „darüber hinaus waren wir ja der Hauptsupport, und von dem erwarten die Kids immer recht viel. Anyway, ich denke, dass die meisten von ihnen unsere Stücke sehr cool fanden, denn die Reaktion war auf den 14 Konzerten immer sehr positiv.“
Aber was will man auch anderes von einer so frischen Band erwarten, deren Musiker schon seit Jahren aktiv sind, ihre Erfahrungen in den unterschiedlichsten Bands gesammelt haben und zur Zeit die mitreißendsten Stücken mit den witzigsten Titeln schreiben. Cory spielte zum Beispiel mit Schlagzeuger Erin, Jay von PRETTY GIRLS MAKE GRAVES und Steve von THESE ARMS ARE SNAKES in KILLSADIE. Gitarrist Dave, der für das verrückte und anspruchvolle Finger-Tapping zuständig ist, prügelte bei BOTCH die sechs Saiten, und Jake tat das Gleiche bei SHARKS KEEP MOVING. Auf Matt Bayls Produzentenkonto gehen neben den bisherigen MINUS THE BEAR-Aufnahmen auch Platten von ISIS, THE BLOOD BROTHERS und PRETTY GIRLS MAKE GRAVES. Wie kommt es, dass sich Personen aus solch unterschiedlichen musikalischen Zellen zusammentun und eine Band ins Leben rufen, die eine komplett neue Richtung einschlägt, frage ich Cory. „Na, die Band fing für uns alle als eine Art Hobby an. Ich meine, wir waren ja schon noch komplett in den anderen Bands und gingen mit denen auch weiterhin auf Tour. Klar wollten wir mit diesem Projekt ein bisschen von den Sachen weg, die wir mit BOTCH oder auch KILLSADIE machten, aber eine richtige Bands mit Album und Co. war nie unsere Hauptintention,“ erklärt er, „aber irgendwie hat es nach ein paar Abenden einfach ‚Klick‘ gemacht, und die Sache wurde von Mal zu Mal wichtiger und realistischer.“ Dass sich die anderen Bands dann zum Teil auflösten, war reiner Zufall, doch kam das MINUS THE BEAR wohl zu Gute. Die Jungs waren nun frei und konnten ihre ganze Zeit, Energie und Kreativität in das Seitenprojekt stecken und es zu ihrem Baby ausbauen.
Nachdem die erste EP im Eigenverlag erschienen war und für Aufsehen sorgte, wurde auch schnell ein Label für das Album „Highly Refined Pirates“ gefunden. Suicide Squeeze (MODEST MOUSE, Elliott Smith, PEDRO THE LION) übernahmen die CD und Luckyhorse Industries (MODEST MOUSE, PLAN B) pressten das Vinyl. Gerade mit diesen beiden Labels wurden starke und einflussreiche Partner für den weiteren Weg gefunden. Denn beide Labels sind sehr stark in der Indie-Math-Rock-Szene von Seattle verwurzelt, und gerade dies half der Band natürlich auch, ein neues Territorium zu erschließen. Aber auch ihre bereits bestehenden Kontakte zu Agenturen und anderen Bands ermöglichten MINUS THE BEAR in relativ kurzer Zeit, eine Vielzahl von Konzerten zu spielen und große Tourneen zu supporten. So gingen sie zum Beispiel Anfang des Jahres mit CURSIVE, ENGINE DOWN und NO KNIFE auf Tour an der Ostküste. „Diese Tour war der Hammer,“ schwärmt mein Gesprächspartner, „alle Bands waren wirklich toll, aber vor allem CURSIVE waren extrem großzügige und offenherzige Menschen. Denen gönne ich ihren momentanen Erfolg auf jeden Fall!“ Das Einzige, an das Cory im Rahmen dieser Tour nicht gerne zurückdenkt, ist die Bronchitis, die ihn für die ganze Tour lahm legte. Mit hoher Temperatur und ständiger Übelkeit spielte er die kompletten zwei Wochen, obwohl die Band mehrere Male kurz davor stand, die weiteren Termine abzusagen. „Ich hatte zwischen den einzelnen Songs krasse Hustenanfälle, so dass ich mich fast immer übergeben musste. Aber wegen so was sag ich doch kein Konzert oder gar eine Tour ab. Das haben wir bisher noch nie getan, und ich will hoffen, dass wir das auch nie tun müssen. Da muss schon was richtig Schlimmes geschehen.“
Und das sollten wir den Jungs nicht wirklich wünschen, denn was da aus dem äußersten Nordwesten der USA kommt, hört sich nach was ganz Großem an. Eine neue EP „They Make Beer Commercial With This“ wurde vor kurzem bei Arena Rock Recordings Co. veröffentlicht. Ob die Zusammenarbeit mit Suicide Squeeze, die die Band ja mehr oder weniger entdeckt und aufgebaut haben, nun gekündigt sei, will ich von Cory wissen. „Nein, so ist das definitiv nicht,“ versucht er die Situation zu erklären, „die Sache ist einfach die, dass wir als Band ein neues Label und neue Strukturen ausprobieren wollten. Arena Rock haben im Gegensatz zu Suicide Squeeze einen großen Vertrieb und viele internationale Kontakte. Hinzu kommt noch, dass wir uns mit Greg von Arena Rock super verstehen und er die EP auf jeden Fall machen wollte. Er ist ja mit seinem Label erst vor kurzem von New York City nach Portland, Oregon gezogen. So kam es dann auch, dass wir uns recht häufig über den Weg liefen und in Kontakt kamen.“ Wie es dann nach dieser EP weiter geht, will Cory jedoch noch nicht erläutern. Für Europa und die Ende September beginnende Tour haben sie sich mit Undergroove Records aus London einen europäischen Partner gesucht, der das 2003 erschienene Debüt-Album „Highly Refined Pirates“ noch einmal hier veröffentlicht und über Rough Trade in die Läden stellt.

Ralf Diemert