Nico

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Femme Fatale

Die größten Musikerlegenden entstehen meistens nach einem furiosen Abgang der betreffenden Musiker. Alles, was mit Überdosen diverser Drogen oder Drogencocktails zu tun hatte, garantierte in den 60ern und auch später größtmögliche posthume Verehrung. Musikalisch gesehen taten Hendrix, Morrisson, Joplin usw. genau das Richtige: Abtreten auf dem Höhepunkt. Denn viel zu viele Bands haben sich nach ihren kreativen Höhepunkten nicht aufgelöst, lieber über Jahre und Jahrzehnte von vergangenem Ruhm gezehrt und sich musikalisch zur Hintergrundbeschallung für Autohauseröffnungen zurückentwickelt ...

So extrem lief es bei Nico – 1938 in Köln als Christa Päffgen geboren – nicht, denn ihr Abstieg vollzog sich über viele Jahre, nachdem es eine verheißungsvollen Anfang gegeben hatte. Ihre Biographie umspannte viele Karrieren – sie war Model, Schauspielerin und natürlich Musikerin –, bis sie 1988 auf Ibiza stirbt. Viele Legenden ranken sich um ihre Person, von denen viele wahr sind, viele aber auch erfunden (mit der Wahrheit nahm sie selbst es nie sehr genau). Sie war kaum zu fassen, so zurückgezogen, stoisch und unnahbar, wie sie sich gab – der Prototyp des modernen Vamps. Sie war als Musikerin nie wirklich erfolgreich – leben konnte sie davon, aber ein Star war sie nie. Von 1966 bis 1985 nahm sie gerade mal sechs Soloalben auf, in deren Verlauf sie sich von angefolkter Popchanteuse zur Diva hinter dem Harmonium entwickelte. Ihre Drogenabhängigkeit verschlimmerte sich immer mehr, was sich gerade an den Liveaufnahmen der frühen 80er nachvollziehen lässt: Sie wirkt entrückt, noch mehr als sonst, manchmal verschreckt, und strahlt nicht mehr die kühle Eleganz aus, die sie gerade im Vergleich zu anderen Musikern ihrer Zeit so interessant gemacht hatte. Eine besondere Frau, die es vorzog, nicht auszubrennen, sondern langsam auszuglühen.

Schon der Beginn ihrer Karriere war ungewöhnlich: Sie wollte Model werden wie die Knef. Nur wie? 1953 verbrachte sie Wochen damit, vor dem Berliner KaDeWe zu flanieren, in der Erwartung, entdeckt zu werden. Und es funktionierte: Ein Agent des im Hause mit einem eigenen Laden residierenden Heinz Oestergaard – eine ganz große Nummer in der Modewelt damals – sah das große, kühle, blonde Mädchen auf der Straße und stellte es Oestergaard vor. So begann eine bemerkenswerte Karriere als Model, die nicht auf Berlin beschränkt blieb. In den folgenden Jahren reiste sie quer durch die (Mode-)Welt – Paris, Rom, Ibiza, New York – machte Aufnahmen, rauchte Hasch und bei einem Besuch in Rom 1958 lernte sie nicht nur Koks kennen, sondern auch Frederico Fellini, der ihr prompt eine Rolle in „La Dolce Vita“ gab. 1959 zieht sie nach Paris und lernt den zwanzig Jahre älteren Filmemacher Nico Papatakis kennen. Sie verliebt sich in ihn und nennt sich fortan wie er – Nico. 1961 riet ihr ein Freund dazu, Gesangs- und Schauspielunterricht zu nehmen, was sie auch tat, denn das Modeln begann sie zunehmend zu langweilen. Im August 1962 wurde ihr Sohn Christian Aaron Päffgen, genannt Ari, geboren, dessen Erzeuger Alain Delon, damals noch mit Romy Schneider liiert, bis heute die Vaterschaft abstreitet – auf einen Nachruf in der Libération nach Nicos Tod erzwang er eine Gegendarstellung, die genau dies noch einmal behauptete. Trotzdem lebte Ari viele Jahre bei seiner Großmutter und Delons Mutter Edith Boulogne, die scheinbar weniger Probleme damit hatte, die Vaterschaft ihres Sohnes anzuerkennen.

Als Model war sie inzwischen recht alt und suchte nach einer neuen Berufung, die sie schließlich in der Musik fand. Im Herbst 1964 hatte sie einige Wochen mit Bob Dylan in Paris und Griechenland verbracht, wo er für sie „I‘ll Keep It With Mine“ geschrieben hatte, das später auf ihrem ersten Album auftauchen sollte. Schon einige Zeit zuvor hatte sie Andrew Loog Oldham kennen gelernt, einen Produzenten, der sie 1965 auf seinem neuen Label Immediate herausbringen wollte. Er lehnte das Dylan-Stück ab und ließ sie eine Gordon Lightfoot-Nummer einsingen, eine nette, unauffällige, orchestrale Popnummer. Interessant macht die Single für Sammler bis heute die Tatsache, dass sowohl Nicos Kurzzeitgeliebter Brian Jones als auch Jimmy Page als Session-Musiker zu hören sind, wobei Page auch die – zugegeben ziemlich miese – B-Seite „The Last Mile“ geschrieben hat. Die Single fand allerdings kaum Beachtung und floppte.
Im folgenden Jahr dann spielte sie in dem Film „The Chelsea Girls“ von Andy Warhol mit, der sie darauf mit der in seiner Factory probenden Band THE VELVET UNDERGROUND zusammen brachte. Ein Film aus der frühen VU-Zeit zeigt die Band in einer rhythmisch dronenden Gitarrenexkursion beinahe tranceartig versinken – bis die Polizei den Strom abstellt. Nico ist dabei bestenfalls nettes Beiwerk, ihr Tambourin ist nicht zu hören – ob sie spielt oder nicht ist aber auch egal. Auf ihrer gemeinsam entstandenen Platte (die mit der Banane) darf sie drei Stücken durch ihren Gesang zusätzliche Entrücktheit und Abseitigkeit verleihen.

Doch viel mehr als alles andere will sie ein eigenes Album aufnehmen und verlässt nach nicht einmal zwei Jahren VU. Auf ihrem ebenfalls „Chelsea Girls“ benannten Debüt-Album kann sie auf verschiedenes Material zurückgreifen: Den Dylan-Song, ein paar Songs ihres jugendlichen Lovers Jackson Browne, John Cale und Lou Reed helfen auch aus und „It was a pleasure then“ ist ihr erster eigener Song, der auch sofort auffällt. Ihre tiefe, düstere, immer ein wenig abwesend scheinende Stimme kontrastiert die an sich sehr schönen Folkpopsong-Arrangements, die einen Großteil des Albums ausmachen, die zeitgemäß harmlos – oft nur eine Gitarre und ein paar Streicher – arrangiert sind. Viel natürlicher wirkt das Zusammenspiel bei ihrer Eigenkomposition „It Was A Pleasure Then“, ein rhythmisch nicht begrenzter, urtümlicher Gesang, den Lou Reed mit verschiedenen Gitarrensounds und Feedback veredelt. Die netten und leichtfüßigen Kompositionen anderer Musiker passten aber nicht zu ihr, Nico fand ihre eigene Musik, und wollte sie unter allen Umständen auch selbst spielen können. Sie war ihren Bekannten und Freunden nie offen gegenüber gewesen, die Verschlossenheit und Abwesenheit waren feste Charaktereigenschaften – Dickköpfigkeit auch. So kaufte sie sich ein Harmonium, eine durch eine Fußpumpe betriebene Orgel, die ihr größtmögliche Unabhängigkeit garantierte – von Menschen und Strom.

Bereits neun Monate später erschien ihr zweites Album „The Marble Index“, und die großen Unterschiede zum ersten Album ließen sich bereits am Cover ablesen. Es zeigte keine verträumte, blonde Schönheit mehr, sondern eine dunkelhaarige Frau, die ihren Blick starr auf den Betrachter richtet, die kontrollieren will. Nico hatte sich in der Zwischenzeit ihr Haare fransig geschnitten, und war von nun an darauf bedacht, nicht mehr schön zu sein, das war sie jetzt lang genug gewesen. Dazu die Musik: Grundlage der Stücke waren entweder Nicos Gesang samt ihrer Begleitung auf dem Harmonium oder nur ihre Stimme allein. Sie gab wenig auf gewöhnliches Songwriting, auch auf klares Rhythmusgefühl, und schien ihre innersten Melodien nach außen strömen zu lassen – ihre Songs sind feierlich, manchmal recht einfach und teilweise mit starken Kontrasten versehen. Dabei scheint sie aus deutschen Kirchenliedern und aus dem Mittelalter zu schöpfen. Um die Stimmung der Stücke herum komponierte und arrangierte John Cale angemessene Soundlandschaften – von einfacher Cellobegleitung bis zur hallenden Cembalo-Wand fand er für jedes Stück die passende Begleitung. Nicos Gesang und ihr Harmonium allein wären sicher auf Dauer etwas zu anstrengend gewesen.
Und das war auch das Rezept für die folgenden Alben: Grundgerüst war immer Nicos Gesang, um das herum sich immer eine Art passende Begleitung fand. Zunächst waren es John Cales florierende Soundideen, später dann z.B. die wavigen Klänge von THE FACTION, eine ihrer Begleitbands aus den 80ern. 1971 erscheint ihr drittes Soloalbum „Desertshore“, für viele eine ihrer besten Platten. Auf keinem anderen Album wirken die Songs so karg und reduziert – quasi die Essenz von Nico. Gerade jungfräuliche Hörer dürfte Nicos lauter Ruf am Anfang von „Janitor Of Lunacy“ – ihrer posthumen Hommage an Brian Jones – ein wenig verstören. Eine schöne Platte.

Die folgenden Jahre verbringt Nico mit dem Filmemacher Philippe Garrel, der mit ihr auch ein paar Filme dreht. Das kann allerdings nichts an der Tatsache ändern, dass Nico kaum noch finanziellen Spielraum hat. Das Geld aus ihrer Modelzeit hat sie nicht sparen können, und ihre Karriere danach warf kaum Geld ab. Zudem muss sie ihre Heroinsucht finanzieren, was sie zum Beispiel durch Griffe ins Portmonee von Freunden macht. Heroin rückt in den folgenden Jahren immer mehr in den Mittelpunkt ihres Lebens. Dabei werden Alben seltener – wenn auch nicht unbedingt schlechter – und sie geht öfters auf Tour. Das gibt direkt Geld auf die Hand, das sie in Drogen umsetzen kann. So ungefähr verlaufen die restlichen Jahre bis zu ihrem Tod.
Zwischendurch entdeckt sie noch Punk für sich – aber Punk auch sie: Siouxie Sioux und Patti Smith bekennen sich Ende der 70er als große Fans und verhelfen ihr wieder zu etwas mehr Publicity. Aber einen Absprung aus der sich langsam drehenden Drogenspirale schafft Nico trotzdem nicht – das will sie auch gar nicht. Sie akzeptiert Heroin als Lebensstil, als Bruder. Dass sie das Sorgerecht für ihren Sohn verliert, berührt sie auch nicht besonders – er hat sowieso überwiegend bei seiner Großmutter gelebt, die ihn auch adoptiert. Später kommt er mit auf Nicos Tourneen und wird dabei auch angefixt. Mutter und Sohn, beide auf H.

Ab 1981 verbringt Nico viel Zeit in Manchester. Ihr Manager, der Konzertveranstalter Alan Wise, hat die Idee, Nico mit mehreren Bands zusammen spielen zu lassen, abhängig von Tour und Abend, eine Art Sprungbrett für junge Musiker (Henry Laycock von PRIMAL SCREAM stand so neben ihr auf der Bühne). Kein wirklicher Fortschritt für Nico hinsichtlich ihrer Karriere. Doch sie bleibt dort für ein paar Jahre, lässt sich überraschenderweise doch noch auf eine Entziehungskur ein, die sie aber nicht von den Drogen wegbringen konnte. Weihnachten 1983 kam sie eine Stunde zu spät zu ihrer Einladung bei Alan Wise. Als Entschuldigung hatte sie lapidar vorzubringen, dass sie einfach keine Vene gefunden hätte.
Ein wenig ironisch ist die Art, wie sie gestorben ist. Die Drogen hatten offensichtlich schon seit langem an ihrem Körper gezehrt und auch ihre Performances hatten etwas zunehmend Geisterhaftes bekommen. Doch sie starb an einem ganz profanen Blutgerinnsel im Hirn am 18. Juli 1988.

Es gäbe noch viele Geschichten über Nico zu erzählen, sie hat noch viele Wege gekreuzt (Iggy Pop, Jim Morrison, David Bowie, uvm.), und natürlich hatte sie noch ein paar mehr Seiten, als es sich hier darstellen lässt, aber wer sich genauer informieren will, sollte die gut geschriebene Biographie von Richard Witts (Virgin Books, 1993) zur Hand nehmen, oder sich die schwer sehenswerte Dokumentation „Nico Icon“ (1995) ansehen, die gerne in den dritten Fernsehprogrammen wiederholt wird.
Die Entscheidung, ob sie eine halsstarrige Egomanin war, eine zielstrebige „moon goddess“ oder „die Garbo des Punk“ bleibt jedem selbst überlassen, und steht und fällt sicher zu einem großen Teil mit der Wertschätzung ihrer Musik. Sie war immer abseitig, folgte keinen Hörgewohnheiten anderer und nur den Melodien aus ihrem Innern. Man kann die Einflüsse ihrer Platten auf spätere Musik gut heraushören. Nico ist sicher eine derjenigen, die nicht von vielen geliebt wird, dafür von denen umso inniger. Es ist schwer möglich, nur eine oberflächliche Beziehung zu ihrer Musik zu haben.