ORAL FLIPPERS

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Sportfreunde Flipper

Gießen asozial. Da sitzen wir nun, Fred und Holger von den ORAL FLIPPERS und ich, am Tisch in einer Kneipe (im Sowieso, wo sonst) und haben nichts Besseres zu tun, als Bier zu trinken und über Punk zu diskutieren. Die ORAL FLIPPERS musizieren seit etwa neun Jahren, sind Kommilitonen der BOXHAMSTERS aus dem hessischen Gießen, musikalisch in etwa eine Mischung aus OMA HANS-Schlaupunk und „Deutschrock“ à la TOMTE und KETTCAR. Und – das hören sie sicher nicht gern – auch eine Prise SPORTFREUNDE STILLER, und neue rockigere RAZZIA mag man da auch noch erkennen. Es gab also eine Menge zu bequatschen, schließlich haben die „Sportfreunde Flippers“ gerade eine Self-Made-CD aufgenommen, und hoffen, damit nun einen entscheidenden Schritt nach vorn gemacht zu haben. Nach einem gemeinsamen Dauerlauf um den Block trafen wir im Sowieso ein, das Bier stand frisch gezapft auf dem Tisch, und wir waren bereit, gemeinsam mit voller Kraft auf die Aufnahmetaste des Diktiergeräts zu drücken.
Holger, eure neue CD heißt „Grüße aus dem Jammertal“. Was ist los, geht‘s euch etwa nicht so gut wie all den anderen?
Holger:
„Och, so schlecht geht‘s uns gar nicht. Das Lied ‚Jammertal‘ ist ja in einer Zeit entstanden, als unser erster Bassist die Band verlassen musste. Er hat einen Job in Freiburg angenommen. Dann haben wir zwei Jahre keinen Bassisten gefunden, darum auch dieses Lied. Das bezog sich einfach nur auf die damalige Situation.“
Kommen wir zur Gegenwart. Eure neue Veröffentlichung klingt nicht mehr so Studentenrock-mäßig wie zuvor. Schätzungsweise seid ihr inzwischen exmatrikuliert.
Fred:
„In der Tat, ich studiere nicht mehr, ich bin Anwalt.“
Holger: „Ich studiere auch nicht mehr, arbeite jetzt. Außerdem haben wir jetzt einen neuen Schlagzeuger, Flö, der noch ein bisschen straighter spielt als unser Ex-Drummer.“
Und der früher bei TESS WILEY trommelte ...
Fred:
„Genau. Und dann haben wir ja auch noch Marco, unseren neuen Bassisten, der uns musikalisch auch nach vorne gebracht hat. Obwohl wir mit ihm ein echtes Handicap hatten. Er wurde angefahren, humpelt noch heute und musste lange Zeit aussetzen. Zur neuen Platte ist zu sagen, dass da noch ein paar alte Stücke drauf sind. Richtig neu sind eigentlich nur ‚Herbst im Herz‘, ‚D.‘ und ‚Kein Stern‘. Die Songs sind deshalb recht unterschiedlich. Darum gibt es auch immer so kunterbunte Vergleiche, mal mit TOMTE, mal mit KETTCAR, dann mit OMA HANS, den BOXHAMSTERS oder gar mit SPORTFREUNDE STILLER. Die Jens Rachut-Bands und die Boxies sind aber auch wirklich die einzigen, die wir von den Vergleichsbands selbst heraushören. Und die anderen? Keine Ahnung, wie die darauf kommen.“
Seid ihr mit der Produktion der Platte zufrieden? Ich finde, dass sie sehr dreckig, stellenweise sogar ein wenig zu unsauber klingt ...
Holger:
„Das liegt wohl daran, dass wir so unsauber spielen, haha. Es hätte eigentlich alles noch etwas dreckiger klingen können. Aber an sich sind wir schon zufrieden, zumal wir ja meistens nur am Wochenende aufnehmen konnten, und dafür ist der Sound wirklich gut geworden. Wir mussten halt alles immer sehr schnell einspielen.“
Wie sieht es mit einem Label aus?
Holger:
„Momentan sind wir auf Café Vinyl, kein großes Label, das macht mein Schwager und unser Ex-Schlagzeuger. Wir haben auch schon ein anderes Label gesucht, aber da hat momentan irgendwie keiner Geld für uns. Da haben wir nur Absagen bekommen.“
Lass uns über eure Heimat sprechen. Gibt es hier in Giessen neben euch neue Bands, die man sich merken sollte?
Holger:
„Ja, MONO FÜR ALLE, eine ganz tolle Band. Die machen so einen NDW-Punk, ziemlich krank und genial. Und einige neue Emo-Bands gibt es auch, aber das ist nicht so ganz mein Fall. Vieles kriegen wir auch einfach gar nicht mehr mit.“
Fred: „Vieles machen heute einfach die Jüngeren, und wir sind ja mittlerweile über 30 und berufstätig, da ist man nicht mehr so viel unterwegs. Nicht mal MUFF POTTER habe ich mir gegeben, ich Idiot. Aber hier im AK 44, der Ex-Südanlage, da läuft einiges. Die machen mittlerweile sogar Hip-Hop-Acts und Kuschelpartys.“
Überall hört man, dass es im Punkrock wieder politischer zur Sache geht.
Holger:
„Also, das kann ich so nicht unterschreiben. Bei dem Deutsch-Kram würde ich fast das Gegenteil sagen, wenn man sich so Bands wie die WOHLSTANDSKINDER anhört. Aber das ist wohl kein Punk, oder doch?
Fred: „Oder hör dir KETTCAR im Vergleich zu BUT ALIVE an.“
Holger: „Obwohl es ja gerade politisch sein soll, wenn man nicht explizit politisch ist. Viele Bands sind aber einfach schon immer so gewesen, die BOXHAMSTERS zum Beispiel oder OMA HANS und DACKELBLUT. Wenn man da von Repolitisierung spricht, müsste man sich fragen, ob es jemals richtig unpolitisch war.“
In den Staaten ruckt es derzeit ordentlich. Mal ist man gegen Bush, wie die Punkvoter, dann sogar für ihn, wie das Bündnis Conservativepunk. Punk macht regelrecht Wahlkampf. Viele spaßige Melody-Kapellen äußern sich gerade sehr politisch, und auch in Deutschland wird „Anti-Bushism“ groß geschrieben.
Holger:
„Ist ja auch verständlich, die Amis haben gerade eine Menge Scheiße gebaut. Das hat die amerikanischen Bands sicher politisiert. Aber viele springen auch einfach nur auf einen fahrenden Zug auf. Mit innerer politischer Überzeugung hat das dann nix zu tun. Und auch unter Clinton hätte man ja eigentlich schon genug Gründe gehabt, sich zu politisieren. In Deutschland besitzt das Thema nicht diesen Stellenwert, denke ich, und diesen parolenhaften ‚Antiamerikanismus‘ gab es ja auch schon immer in der Deutschpunk-Szene. Früher in den 80ern war das gang und gäbe – man denke nur an ‚Yankees raus‘ von SLIME, Vielleicht versucht man, sich nun mit all dem wieder eine eigene Identität zu schaffen, da braucht man halt jemanden, auf dem man rumhacken kann.“
Auch in Deutschland gibt es ja viele Gründe, sich stärker zu politisieren ...
Holger:
„So schlecht geht es den Leuten dann wohl doch noch nicht. Und darüber zu singen, ohne dass es sich wie Reinhard Mey anhört, ist sowieso eine große Kunst. Aber bei Bands wie DACKELBLUT hört man das soziale Elend schon raus. Oder auch bei SUPERPUNK: ‚Neue Zähne für meinen Bruder und mich.‘ Da werden die sozialen Verhältnisse schon deutlich angesprochen.“
RAZZIA singen ja über den Talkshow-Wahn. Ein Phänomen, das es hierzulande auch erst seit den 90er Jahren gibt ...
Holger:
„Da haben wir uns auch schon 1996 drüber ausgelassen, über die Macht des Medialen: ‚Jede Unbedeutsamkeit ist von Bedeutung, wenn man darauf zeigt.‘ So ist es doch ...“
Vielleicht braucht man die Identifikation mit denen, die nichts Besonderes können, um der allgemein destruktiven Stimmung entgegenzuwirken. Um zu glauben, dass es jeder schaffen kann, im Zuge von Pisa-Schock und Bildungsabbau. Versucht man da die Leute abzuholen, wo sie stehen?
Fred:
„Richtig erkannt. Das glaube ich auch. Viele stehen einfach ganz unten, werden da auch bleiben, hoffen aber, mit so was nach oben zu kommen.“
Holger: „Das Problem ist nur, dass sich nun jeder wie ein Star fühlen kann, und das auch will. Ärgerlich daran ist ja, dass es wirklich funktioniert, siehe Elvers, Küblböck und diese ganze Scheiße.“
Hoffen wir doch einfach mal, dass die Welt besser wird. Wie geht‘s denn mit euch weiter?
Holger:
„Ich denke, wir könnten bald wieder eine Platte machen. Wir haben viele neue Stücke, die noch strukturierter, noch kompakter sind und noch besser zusammenpassen. Wenn wir ein Label finden würden, wäre das klasse. Und dann würden wir natürlich gerne mehr Konzerte spielen.“
Fred: „Und wir haben nicht mehr nur destruktive Texte.“
Holger: „Die destruktiven Texte, die schreibe dann wohl ich. Aber das liegt daran, dass ich meistens Texte schreibe, wenn‘s mir scheiße geht. Wenn ich gut drauf und fröhlich bin, dann geh ich lieber Bier trinken. Wenn ich gut drauf bin, bin ich nicht besonders mitteilungsbedürftig.“

Jens Thomas