TSUNAMI BOMB

Definitiv nicht der letzte Akt

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Gespräche mit einer jungen Band namens TSUNAMI BOMB über ihre Pläne und Wünsche im Jahre 2000 in Kalifornien. Eine der Antworten damals war, es soweit zu bringen, dass sie auf Tour nach Europa kommen können. Dieses Ziel haben sie letztes Jahr im Gefolge der VANDALS und ein zweites Mal mit den BOUNCING SOULS im Herbst erreicht. Im Juni sind sie dann noch einen Schritt weitergegangen und haben mit ihrer Großbritannien-Tour zum ersten Mal ein europäisches Land als Headliner bereist. Beim Auftakt in London habe ich mich mit Sängerin Agent M über das neue Album „The Definitive Act“ und andere Ereignisse rund um die Band unterhalten.

Im letzten Sommer kam es nach der Warped-Tour zu einer Veränderung in der Besetzung, die alle Fans überrascht hat. Bassist und letztes verbliebenes Gründungsmitglied von TSUNAMI BOMB, Dominic Davi, wurde aufgefordert, die Band zu verlassen. Was genau die Gründe dafür waren, ist im Unklaren geblieben, da sich auf beiden Seiten niemand konkret zu den obligatorischen „persönlichen Differenzen“ nach außen geäußert hat. Aber laut Agent M war dieser Schritt erforderlich, um die Band überhaupt am Leben zu erhalten. „Ich war unzufrieden mit der Stimmung unter uns, und war sogar kurz davor, selbst zu gehen. Das wäre das Ende von TSUNAMI BOMB gewesen, also haben wir uns darauf verständigt, die Quelle dieser Stimmung zu beseitigen, und das war nun mal Dominic. Uns war bewusst, dass das unsere Fans verstören würde, aber wir sind die Einzigen, die die Situation in der Band wirklich beurteilen konnten, und das war die einzige Lösung.“
Tatsächlich gab es innerhalb der sehr treuen und großen Fangemeinde in den USA heftige Reaktionen zum Rauswurf des alten Bassisten. Es wurden, einer Scheidung gleich, zwei Lager gebildet, entweder wollte man der Band weiterhin die Treue halten, oder nichts mehr von ihr wissen. „Es war eine harte Zeit für uns, aber die Leute müssen einsehen, dass es keine andere Möglichkeit gab. Wir sind all denen dankbar, die weiterhin zu uns stehen.“ Daher haben sie sich auch sehr über jeden einzelnen Fan gefreut, der sie bei Konzerten angesprochen hat, um ihnen zu sagen, dass er diese Entscheidung verstehen und sie auch weiterhin unterstützen würde.
Diese Unterstützung der Fangemeinde im Allgemeinen war nicht gerade klein, wenn man bedenkt, dass sich das Debüt vom Herbst 2002 zum Verkaufsschlager für Kung Fu Records erwiesen hat. So sind TSUNAMI BOMB zur erfolgreichsten aktiven Band auf dem Label der VANDALS geworden, nur die alten Platten der ATARIS gehen jährlich öfter über die Ladentheke. Eine beachtliche Leistung für eine so junge Band. Umso erstaunlicher mutet es da an, dass es seitens des Labels einige Komplikationen gab, nachdem Firmenboss Joe Escalante die Aufnahmen zum Nachfolger gehört hatte. Der ursprünglich für Juli angesetzte Veröffentlichungstermin wurde zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben, um dann ganz zu verschwinden, und wurde schließlich auf den 21. September gelegt.
Dabei fing diesmal alles so gut an. Die Aufnahmen zum neuen Album verliefen für die Band wesentlich einfacher und angenehmer als zum Vorgänger „The Ultimative Escape“. Grund dafür war in beiden Fällen der jeweilige Produzent. Vor zwei Jahren befand man sich mit Steve Kravac wochenlang in einer angespannten Atmosphäre, weil beide Seiten vollkommen unterschiedliche Ansichten hatten. Im Gegensatz dazu entwickelte sich der diesjährige Studioaufenthalt mit Mike Poorman an den Reglern fast zu einem kleinen Urlaub. „Wir haben uns in Boston ein Haus gemietet, und sind jeden Tag mit der U-Bahn ins Studio gefahren – die ganze Zeit über herrschte gute Laune. Diesmal hat niemand Songs oder Texte radikal verändert oder unsere Ideen abgelehnt. Stattdessen konnten wir das Album aufnehmen, das wir im Kopf hatten. Steve Kravacs Sound war uns stellenweise viel zu künstlich und poppig, dieses Mal wollten wir, dass das Album roher und lebendiger klingt, und nicht so gekünstelt. Mike hat uns da vollkommen unterstützt, und uns die Möglichkeit gegeben, unsere Vorstellungen zu verwirklichen. Deshalb sind wir auf das neue Album auch so stolz.“
Ein Grund für die anfängliche negative Reaktion aus dem Kung Fu-Hauptquartier könnte sein, dass „The Definitive Act“ nicht ein Neuaufguss des Vorgängers ist, den sich die Labelführung vielleicht erhofft hatte. Die Band hat sich stattdessen erfolgreich weiterentwickelt. Das neue Material klingt teilweise um einiges rockiger und kraftvoller, und dadurch, dass nicht alles bis ins kleinste Detail glattproduziert worden ist, ist da auch etwas vom Livesound eingefangen worden. Aber trotz allem sind das nach wie vor unverkennbar TSUNAMI BOMB, die hier am Werk sind. Und es scheint, dass der Grund für die Skepsis des Labels genau das ist, was den Fans am neuen Album gefällt. Im Laufe dieser Tour hat man jeden Abend zwei bis drei Songs des bald erscheinenden Albums gespielt, und das Publikum war sofort begeistert von ihnen. Beim Konzert in London konnte ich niemanden ausmachen, dem die neuen Lieder nicht zu gefallen schienen. Obwohl noch eine vergleichsweise kleinere Band, ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie groß die Anhängerschar (hauptsächlich natürlich in den USA und neuerdings in ähnlichem Maße in Großbritannien) ist, und wie viel den Fans an TSUNAMI BOMB liegt.
Agent M und ihre drei Mitstreiter verstehen sich nach wie vor als eine Tourband. Die Zeit von Dezember 2003 bis Mai 2004, in der das Album geschrieben und aufgenommen wurde, war die längste konzertfreie Phase der letzten drei Jahre. Ansonsten sind vier bis maximal sechs Wochen die größten Unterbrechungen zwischen einzelnen Tourneen gewesen. Unter diesem Gesichtspunkt versteht man z.B. auch, warum es der Band mit dem neuen Material so wichtig war, nicht wieder überproduziert zu klingen. Neben den bereits absolvierten Touren durch Kanada und Großbritannien und der großen US-Tour von Juli bis September stehen im Herbst noch Europa und im Winter wieder der heimatliche Kontinent an, sowie vielleicht ein erneuter Besuch im Land der aufgehenden Sonne und erstmals Australien. Bei der Zeit, die die Band jedes Jahr unterwegs ist, erstaunt es nicht weiter, dass die charismatische Sängerin einen Aspekt der Zeit in Boston besonders genossen hat. „Dadurch, dass wir jeden Tag mit der U-Bahn ins Studio und abends wieder heimgefahren sind, kam mir das Ganze wie der tägliche Weg zur Arbeit vor. Es war schön, mir auszumalen, ein normales Leben wie jeder andere auch zu führen. So etwas fehlt einem manchmal auf Tour.“ Aber trotz dieses Gedankens möchte keiner der vier Kalifornier etwas an den Tourgewohnheiten ändern, denn für alle sind die häufigen Konzertreisen das Wichtigste und Schönste an der Band.
Bliebe noch die Frage nach dem Titel des neuen Albums. Laut M ist damit der entscheidende Akt eines Stückes gemeint, auf den alles zusteuert und in dem alles entschieden wird. Und so ist es ja dann auch mit den Problemen innerhalb der Band und den Verzögerungen bei der Veröffentlichung gewesen, und es hat sich zum Guten für die Band entschieden, die die Hürden der letzten Wochen und Monate gemeistert hat. Das Ergebnis ist ein neues Studioalbum, das vielleicht diesen Akt abschließt, aber der Vorhang wird für TSUNAMI BOMB noch lange nicht fallen. Alle Zeichen deuten jetzt schon auf eine Fortsetzung ...