DISABILITY

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Altbayernpunker mit etwas anderem Anspruch

Es war einmal im Winter 1993, eine Punkband namens DISABILITY spielt im Jugendzentrum Burglengenfeld. Eigentlich weiß ich nur noch, dass mir der Skapunk-Partyklassiker „What should I do?“ nicht mehr aus dem Kopf ging und ich – sowohl total betrunken, als auch total bescheuert – meinen damaligen „Chauffeur“, der bereits nach all den vielen Bieren im Auto schlief, auf spiegelglatter Fahrbahn nach Hause fuhr. Nachdem ich mich mit Sänger Hias wegen ihrer ersten Single „Dirty dancing“ direkt in Verbindung gesetzt hatte, kreuzten sich immer wieder mal unsere Wege. Und egal, in welchem Rahmen ich die Band auftreten sah, der schräge Haufen aus Altötting sorgte immer für reichlich Spaß. Zwischen 1992 und 2000 veröffentlichten DISABILITY eine kleine Anzahl an EPs auf CD, Tape und Vinyl. Bereits jetzt schon Kultstatus erreicht, hat die MC „Let The Pig Out“ und ihre bislang letzte Vinylveröffentlichung „Schwamm drüber“. Über all die Jahre entwickelten DISABILITY ihren eigenen Stil – von einer „klassischen“ Schulband über Hardcore und Skapunk – , der jetzt nach vier Jahren Bühnenabstinenz zur Freude vieler alter Fans reanimiert wird: Punkrock mit deutschen Texten, mit Pauken und Trompeten, aber vor allem mit Orgel und ohne Ska. Ende November 2004 traf ich mich mit Sänger Hias und Organist Dr. Jürgen im Münchener Türkenhof zu einem spaßigen Gespräch.

Erzählt mal kurz was über die Anfänge von DISABILITY.

Hias:
„1992 war ich ein junger Mann von 16 Jahren. Die Band gab es bereits, und als der Sänger ausstieg, fragte man mich, ob ich nicht Lust hätte zu singen, was sich als praktisch erwies, da mein Bruder Bass spielte und sich der Proberaum im Elternhaus befand. Nach wie vor spiele ich aber eigentlich Schlagzeug.“

Dr. Jürgen: „Vetternwirtschaft quasi!“

Hias:
„Die musikalisch verbindenden Elemente waren MURPHY’S LAW, OPERATION IVY und MIGHTY MIGHTY BOSSTONES. Jürgen, haben wir uns da schon gekannt?“
Dr. Jürgen: „Vom Tischtennis. Du warst beim TSV Neuötting, ich beim TV Altötting. Ich war Betreuer bei einem Turnier. Dort sind mir randalierende Jugendliche an einer Tischtennisplatte aufgefallen. Da war der Hias mit dabei. Ich war ja schon bei den Herren und du noch bei den Mädchen.“

2000 war dann erst mal Schluss. An was erinnert man sich gerne oder weniger gerne zurück?

Hias:
„Die erste Single 1994 war natürlich ein Erlebnis. Aufnahme in einem richtigen Studio, Cover-Layout, das gesamte Produkt, tolle Kritiken, erste Konzerte weiter weg und ‚wichtige‘ Leute kennen lernen, das war schon spannend. Plötzlich steht was über uns im Zap. Anrufe von unbekannten Menschen, die uns buchen wollen.“
Dr. Jürgen: „Bis zur Single habe ich DISABILITY überhaupt nicht wahrgenommen. Das alte Zeug ging mir voll am Arsch vorbei. Vieles war geklaut und mit schlechten englischen Texte unterlegt. Nachdem ich aber ‚Dirty dancing‘ gehört habe, wurde ich etwas neidisch.“
Hias: „Irgendwann kam die Entscheidung, mehr in Richtung Hardcore oder Skapunk zu gehen. Letzteres überwog dann, da die Leute bei diesen Songs mehr abgingen. Das ‚Let The Pig Out‘-Demo war schon mit Trompete. Ziemlich am Schluss, und für mich der Punkt aufzuhören, war ein Konzert in Fulda. Acht Stunden Zugfahrt, die Backline im Gepäck, x-mal umsteigen und dann der Überfall der Faschoglatzen. Es nervte immer mehr, vor besoffenen Skins und Punkern zu spielen. All diese Gespräche, dieses Subkulturdingens hat mich so was von gelangweilt. Irgendwann war die Luft raus. Durch diverse familiäre Veränderungen war dann auch nicht mehr genügend Zeit vorhanden, so dass wir uns entscheiden mussten, ‚professioneller‘ zu werden oder es schleifen und dann ganz bleiben zu lassen.“
Dr. Jürgen: „Wir entschieden uns aufzuhören. Trotzdem hatten wir als Band immer eine gute Zeit zusammen. Freundschaftlich hat uns das sicher näher gebracht.“

Und mit welchen Erwartungen geht ihr jetzt an die Sache ran?

Hias:
„Altötting ist ein Wallfahrtsort und noch ein Stück weit konservativer als das restliche Bayern. Damals wollte ich eigentlich nur rauskommen, Leute kennen lernen, Musik machen, Spaß haben und was erleben – mit Anspruch! In den letzten Jahren haben uns immer wieder Leute angesprochen, ob wir nicht doch wieder spielen wollen. Mittlerweile sind wir räumlich wieder etwas näher zusammen, was 2000 auch immer mehr zum Problem wurde, um zu proben und neue Lieder zu machen.“
Dr. Jürgen: „Ich will einfach nur mit guten Freunden Musik machen und freue mich, wenn das Publikum seinen Spaß hat. Was DISABILITY vor allem ausmacht ist, dass wir auf der Bühne gute Energie ausstrahlen und das will ich einfach wieder fühlen.“

Was habt ihr denn in der Zwischenzeit so getrieben?

Hias:
„Mein Bruder hat mittlerweile Familie, geheiratet, zwei liebreizende Kinder gezeugt und ein Haus gebaut. Beni spielt noch in einer Grindcore-Band namens WATCH IT BLEED und arbeitet als Sonderschullehrer. Ich bin mit meinem Pädagogikstudium fertig. In Augsburg spielte ich in zwei Bands namens HOG RACER, Punk mit Damengesang, und 86150, das war mit Mitch zusammen, der fürs Trust das Layout macht. Viele Konzerte gab’s nicht, dafür war es sehr lässig und nett.“
Dr. Jürgen: „Ich habe Gitarre studiert, Klassikkonzerte und Klezmer-Musik gespielt, jiddische Lieder. Toni spielt Geige, Jadde Kontrabass und ich habe Gitarre gespielt und dazu gesungen. Ich bin Gitarrist, gebe Unterricht und kellnere in Salzburg.“

DISABILITY veröffentlichen jetzt erst mal eine Diskographie auf CD.

Hias:
„Lieber würden wir was Neues aufnehmen, aber zeitlich wird das schwierig. Da unsere bisher veröffentlichten Platten mehr oder weniger ausverkauft sind, haben wir uns entschlossen, alles mal auf eine CD zu packen. Wir spielen mit dem Gedanken, Songs von der ‚Dirty dancing‘-Single auf Deutsch zu vertonen und den einen oder anderen Song der Aufnahmequalität wegen nochmals einzuspielen. Bis zum Frühjahr 2005 ist dann hoffentlich alles fertig.“

Werdet ihr diese CD wieder selbst veröffentlichen?

Hias:
„Mir ist es zu blöd, Leute anzubetteln und zu diskutieren, wie was sein soll. Also werden wir das Album selbst rausbringen. Nach wie vor wäre ein Vertrieb cool, aber bisher sind wir auch nicht auf den Sachen sitzen geblieben. So bekommen die Leute wenigstens unser Zeug auf den Konzerten zu einem fairen Preis.“

Was darf man 2005 musikalisch von euch erwarten?

Hias:
„Viele Ska-Songs wird es nicht mehr geben. Mit diesem deutschen Kirmes-Ska konnte ich noch nie was anfangen. Tanzbarer Punkrock mit Orgel und deutschen Texten ohne Zwangs-Offbeat, das wird’s wohl werden. Blödelsongs werden schon noch dabei sein.“
Dr. Jürgen: „Wären da nicht seine ‚philosophischen‘ Texte ... DISABILITY war nie eine Ska-Band. Eigentlich machen wir ja Schlager! Toni bringt durch sein Gitarrengerüst viel mit ein. Und da er überhaupt keinen Bock mehr auf Ska hat, sondern mehr rocken will, wird sich das erübrigt haben.“

Wie verlief jetzt nach so langer Zeit euer erster Gig?

Dr. Jürgen:
„Das war ein Heimspiel in einem kürzlich neu eröffneten Laden, der demnächst wahrscheinlich wieder geschlossen wird. Es waren viele alte Bekannte da, auch wenn wir sehr kurzfristig zusagten.“
Hias:„DR. BISON spielten und wir wurden gefragt, ob wir nicht auch Bock hätten. In nur einer Probe haben wir sechs Songs vorbereitet. Beim Konzert haben wir neun Stücke gespielt. Und den 300 Leuten, die nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda und zum Großteil wegen uns kamen, hat es gut gefallen. Macht Mut auf mehr. Nach dem Konzert hat der Vermieter des Clubs die Schlüssel zurück verlangt ... “

Ich glaube, ihr habt auch für manche Band Impulse gesetzt, selbst Musik zu machen. Ich denke an SCRAPY oder PIPEDREAM.

Hias:
„Wir haben in Passau mit SCRAPY gespielt, da gab’s die gerade mal ein paar Tage. Vor drei Wochen sah ich dann die Band das zweite Mal und war echt begeistert: Richtig geiler Skapunk, klasse Melodien mit viel Energie und dazu noch von netten Leuten. Natürlich ehrt mich das, wenn die von uns damals begeistert waren. Aber so gut, wie SCRAPY heute sind, werden wir niemals werden.“

Mit SCRAPY ist auch eine Tour geplant …

Hias:
„... durch die ganze Nation unter dem Motto ‚Bavarians do it better!‘ in der zweiten Osterwoche. Das wird sicherlich sehr anstrengend und lustig.“

Mit wem würdet ihr denn sonst mal gerne auftreten?

Dr. Jürgen:
„DIE TOTEN HOSEN – ich will endlich wissen, ob Campino wirklich ein Arschloch ist.“
Hias: „GANG GREEN, und an erster Stelle mit MIA und WIR SIND HELDEN. Und mit SPORTFREUNDE STILLER – ach, mit denen haben wir ja schon mal gespielt, und die bessere Stimmung hatten auch wir.“

Verfolgt ihr, was sich bandtechnisch in der Gegend tut?

Dr. Jürgen:
„In Salzburg ist mir noch nichts Besonderes aufgefallen.“
Hias: „Tonis Band BELOUGA finde ich super. Die machen irgendwas zwischen IRON MAIDEN und THIN LIZZY.“

Was konnte euch denn in den letzten Jahren musikalisch begeistern?

Dr. Jürgen:
„Österreichische Liedermacher wie Ambros oder Danzer.“
Hias: „In Innsbruck haben wir mal mit Christoph und Lolo gespielt. Zwei grandiose Liedermacher und Existentialisten, die sich auf der Bühne betrinken und übers Skispringen Songs schreiben. Sonst höre ich nur ältere Musik.“

Was denkt ihr mittlerweile über das Szenebewusstsein?

Hias:
„Das mag wichtig für Jugendliche sein. Läuft das alles jedoch innerhalb eines begrenzten Horizonts ab, finde ich das nur noch erbärmlich. Was heute unter New School Hardcore oder Nu-Metal läuft ist anders geartetes Schickimicki-Militär. Wir haben uns das nie auf die Fahne geschrieben und deshalb auch nie einen offensichtlich politischen Song gemacht, da ich glaube, dass Musik auch nicht das richtige Mittel dafür ist. Will ich eine politische Aussage treffen, dann vielleicht in einer Diskussionsrunde, oder ich schreibe ein Buch und drehe einen Film. Wenn ich auf ein Konzert gehe, will ich meinen Spaß haben. Mich interessiert all der Dreck in diesem Moment nicht. Weder will ich einen Prediger vor mir haben, noch will ich predigen.“

Dennoch setze ich voraus, bei einem Punkkonzert unter den richtigen Leuten zu sein?

Hias:
„Absolut. Diese Grundvoraussetzung fehlt mir bei Emo. Denke ich an Schweinerock, denke ich an Deppentätowierungen, Eight Ball, Flammen-Shirts und Aussagen wie ‚Alle Frauen sind Schlampen‘. Wo wird da was hinterfragt? Machogehabe, Sexismus und keinerlei Anspruch. Genauso ist das mit Bands, die sich auf der Bühne ganz anders verhalten als privat. Schauspieler, da ist nichts authentisch. Und alle diese Typen sollen cool sein?!“