FLAMING STARS

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Paint it all black

Als ich Max Decharné von den FLAMING STARS vor drei Jahren erstmals fürs Ox interviewte, war die Londoner Band noch ein ziemlicher Geheimtip, kamen nur ein paar wenige Eingeweihte zu ihren seltenen Konzerten. Dass mittlerweile ein paar Leute mehr zu ihren Shows kommen, ist, so würde ich es mir wünschen, vielleicht zu einem kleinen Teil auch meiner unermüdlichen Fürsprache zu verdanken, denn ich gebe es offen zu: Bei Bands, von denen ich so überzeugt bin, lege ich einen messianischen Eifer an den Tag und versuche in meinem unmittelbaren Einflussbereich bestmögliche Überzeugungsarbeit zu leisten. Und ehrlich gesagt habe ich auch über die Jahre niemanden finden können, der die FLAMING STARS nicht ebenso begeistert für sich entdeckt hat, wie ich einst. Und ich denke, das spricht für die immer schwarz gekleideten, trinkfreudigen Herren, deren düsterer, melancholischer Garage-Rock zuletzt auf dem vorzüglichen Album „Named And Shamed” zu hören war. Dazu und zu ganz grundsätzlichen Dingen mailte ich Max, dem in Berlin wohnenden Sänger und Orgelspieler, ein paar Fragen.

Vor kurzem habe ich Mark Perry interviewt. Seiner Meinung nach sind Rock-Journalisten nur frustrierte Musiker. Nun, du bist (Rock-) Journalist und du spielst in einer Band ...


„Ja, die meisten Rock-Journalisten wünschten, sie ständen auf der Bühne und könnten Platten aufnehmen. Das ist mir aber egal, ich mache Platten, seit ich 19 bin, und seit ich 16 bin, spiele ich in Bands. Ich schreibe auch Bücher, das mache ich bereits seit fünfzehn Jahren. Deshalb bin ich auch gefragt worden, ob ich für ‚Mojo‘ schreiben wollte. Das ist cool, so habe ich die Gelegenheit, über all die großartige Musik zu schreiben, die es da draußen gibt. Ich versuche, nur über die Sachen zu schreiben, die ich mag. Platten zu verreißen, das interessiert mich nicht – dafür ist das Leben zu kurz. Mark Perry ist ein netter Kerl, und seine Band ATV waren eine großartige Live-Band, als ich sie 1977 sah. Und sein Magazin ‚Sniffin’ Glue‘ war auch verdammt gut – komplett anders als alle anderen Musikmagazine zu dieser Zeit. Er hat auch einige gute Bücher geschrieben. Er ist also auch Rock-Journalist und Musiker gleichzeitig.“

Worum ging es in deinen letzten Artikeln, wen hast du zuletzt interviewt? Schreibst du neben dem Mojo noch für andere Magazine? Und was für Bücher hast du geschrieben?

„Mojo ist das einzige Magazin, für das ich schreibe. Obwohl mich vor kurzem Tip, das Berliner Stadtmagazin, gebeten hat, ein Review für sie zu schreiben, denn sie wussten, dass ich die betreffende Band sehr mag. Mein letzter großer Artikel für Mojo war ein langes John-Peel-Interview, das sie im November als Tribut an ihn abgedruckt haben. Ich hatte mit John Anfang 2004 ein Interview für mein aktuelles Buch geführt. Es wird ‚The Kings Road‘ heißen. Darin geht es um die Geschichte dieser Straße zwischen 1955 und 1979. Also wird darin viel über Punk stehen und auch über Glam: Sowohl David Bowie als auch Marc Bolan wohnten dort. Iggy Pop und die NEW YORK DOLLS hingen dort rum, als sie in London waren. Für das Buch habe ich auch noch TV Smith und Wreckless Eric interviewt, und auch Gary Valentine von BLONDIE. Bisher habe ich fünf Bücher geschrieben: 1989 ‚Beat your relatives to a bloody pulp & other stories‘, 1991 ‚The prisoner of Brenda & other stories‘, 1997 ‚I was a teenage warehouse & other stories‘, 2000 ‚Straight from the fridge, dad – A dictionary of hipster slang‘ und 2003 ‚Hardboiled Hollywood – The origins of great crime films‘.“

Trennst du dein Leben als Musiker von dem als Autor? Gibt es Konflikte zwischen diesen beiden Rollen?

„In einer Band zu sein, das ist bei den FLAMING STARS ein kooperatives Ding zwischen uns Fünf. Schreiben, das ist nur: Ich und mein Computer, also etwas völlig anderes. Außerdem, wenn ich den ganzen Tag schreibe und dann abends aufhöre, dann ist da kein applaudierendes Publikum so wie auf der Bühne, wenn du gerade einen Song zu Ende gespielt hast. Allerdings wäre das auch wirklich mal nett ... Die zwei Beschäftigungen passen schon gut zusammen. Das Problem ist nur, genug Zeit für alles zu finden.“

Lernst du aus den Interviews, die du selbst gibst, etwas für die Interviews, die du machst?

„Nun, ich versuche, keine allzu dummen Fragen zu stellen, und es ist hilfreich, andere Fragen als jeder sonst zu stellen. Ich habe Christopher Lee interviewt, der ist 85 Jahre alt und hat tausende Interviews gegeben. Deshalb wusste ich, dass es keine gute Idee wäre, die erste Frage direkt über Dracula zu stellen, denn das würde ihn sicher zu Tode langweilen. Besser ist es, erst ein paar andere Dinge zu fragen, und später dann erst auf Dracula zu sprechen zu kommen. Das ist ungefähr so, als ob man ZZ TOP auf die Bärte anspricht – wahrscheinlich würden sie vor Langeweile einschlafen ... Mein bestes Beispiel, wie es ist, von jemandem interviewt zu werden, der überhaupt keinen Schimmer hat, das war 1991, als ich noch Drummer bei GALLON DRUNK war. Da war bei einem Gig an irgendeiner Universität in England ein Kerl von einem lokalen Studentenmagazin. Also saßen dann alle vier von der Band plus der Interviewer um einen runden Tisch. Und seine erste Frage lautete: ‚Also, GALLON DRUNK, ihr seid doch eigentlich nur so ein Hype, oder?‘ Er hatte Glück, dass er den Raum in einem Stück wieder verlassen konnte.“

Was ist das Wichtigste in deinem Leben? Musik? Wenn ja, warum? Wenn nicht Musik, was dann?

„Abgesehen von Menschen wären es Musik, Bücher, Filme – Kunst im Allgemeinen. Das ist natürlich nicht so einfach. Wenn ich Filme sage, müsste ich eigentlich auch sagen, welche Filme speziell. Denn das meiste, was die Filmstudios produzieren, interessiert mich überhaupt nicht. Das gleiche gilt für Musik, Bücher, und wenn ich’s mir recht überlege, auch für Menschen.“

Sammelst du Platten?

„Kommt drauf an, was du unter Sammeln verstehst. Ich habe viel Vinyl, ich habe viele CDs. Das ist einleuchtend, seit langer Zeit kaufe ich nun schon Platten, und ich verkaufe sie nicht, ich verliere sie nicht, ich werfe sie nicht weg. Wenn mir eine Platte 1979 gefallen hat, mag ich sie vermutlich auch heute noch, und wahrscheinlich auch noch in 20 Jahren. Wenn du unter Sammeln teure Originalpressungen verstehst, nein, das brauche ich nicht wirklich. Ich habe viele Seventies-Punk-Sachen, ich besitze immer noch all die Singles, die ich damals gekauft habe, und viele davon wären heute wohl ziemlich teuer, wenn man sie wieder beschaffen wollte. Aber ich habe sie damals gekauft, als sie gerade erschienen sind, also habe ich normalerweise auch nur 65 Pence dafür bezahlt. Das sind aber dann auch die Platten, die mir am liebsten sind, denn es gab kaum eine bessere Zeit für Singles als 1976 bis ’79. Fast jeden Tag hat John Peel damals etwas Neues gespielt, das man unbedingt haben musste.“

Du lebst in Berlin, wie kommt’s? Was magst du an der Stadt? Verstehst du, warum so viele Musiker von überall her dahin ziehen? Glaubst du, es hat etwas mit dem Bowie/Iggy-Klischee der späten 70er zu tun?

„Berlin ist eine tolle Stadt, das ist der Hauptgrund. Seit den frühen 90ern habe ich hier schon mit verschiedenen Bands gespielt, und es hat mir immer gefallen. Bevor ich hierher zog, habe ich 20 Jahre in London gelebt. London ist auch einen klasse Stadt, aber in den 20 Jahren, die ich dort lebte, ist sie einer der teuersten in der Welt geworden. Musiker brauchen Städte mit billigen Mieten, billigen Proberäumen und vielen Bars und Clubs. In London gibt es das nicht, und in Berlin gibt es mittlerweile mehr Auftrittsmöglichkeiten als in London. Allerdings wohnt der Rest meiner Band immer noch in London, also wird auch immer noch im teuren alten London geprobt. Ich bin hierhin gezogen, weil es mir hier gefällt – Punkt. Das war vor fünf Jahren, mir gefällt es hier immer noch, und ich reise viel zwischen London und Berlin hin und her. Ich glaube, viele Leute aus allen möglichen Ländern zieht die trendige Seite Berlins an, die Techno-Clubs und so was. Das interessiert mich überhaupt nicht. Genau wie in London. London ist in den 90ern so verdammt trendy geworden. Und das einzige, was ich davon bemerkt habe, waren ein paar Leute, die Berge von Koks gezogen haben, und dann zehn Pfund pro Drink in einer überteuerten Soho-Bar ausgeben. Nein, danke ...“

Deine Band trägt auf der Bühne immer schwarze Anzüge. Warum? In welcher Tradition seht ihr euch?

„Solche Klamotten trage ich aber schon seit den 80ern – das ist einfach das, was mir gefällt. Ich trage eigentlich immer die gleichen Sachen, ob auf der Bühne oder zivil. Ich weiß nicht, welche Tradition das ist. Englische Trinker in Anzügen, ich glaube, das ist eine feine alte Tradition ...“

Welche Rolle spielt Alkohol beim Musik machen – auf der Bühne, im Studio, beim Komponieren?

„Er ist immer dabei. Wir trinken im Studio, wir trinken auf der Bühne, und manchmal hilft Alkohol auch beim Songschreiben. Er erinnert uns daran, dass Musik Spaß machen soll. Musik ist kein Geschäft, Musik ist keine Buchhalterei, das ist kein Nine-to-five-Schreibtischjob. Es sollte viel mehr Spaß machen als all das, und es sollte auch lockerer sein ...“

Als wir neulich in Dortmund miteinander geredet haben, nanntest du Gene Vincent als deinen Helden.

„Gene Vincent habe ich immer sehr gemocht, genau wie Hank Williams, Tom Waits, Billie Holiday, Richard Hell ... Gene hat einige der besten Platten gemacht, die ich jemals gehört habe. Er hatte ein ziemlich kaputtes Leben, und er war auch nicht unbedingt immer ein netter Kerl, aber das spielt keine Rolle. Als er starb, war ich noch ein Kind. Seine Platten sind geblieben, und die besten sind nahezu perfekt. Genau wie das erste RAMONES-Album. Es ist mir egal, wenn andere Leute die gleiche Musik wie ich mögen. Solange ich sie mir anhören kann, ist alles in Ordnung. Ich muss sie nicht ständig im Fernsehen haben.“

Was ist das Übelste, was du jemals auf Tour erlebt hast?

„Meistens haben wir auf Tour viel Spaß. Ich glaube, das Extremste, was uns jemals passiert ist, war 1998 bei einer Show in Lund in Schweden. Toller Gig, sehr freundliche Leute. Wir haben die Show gespielt, ein paar Zugaben gegeben und dann im Club abgehangen, einige Drinks getrunken, mit den Leuten geredet, während der DJ ausgezeichnete Sixties-Garage-Sachen gespielt hat. Es wurde viel getanzt, alle waren gut drauf. Dann kommt Huck und erzählt von einem Kerl in einem sehr langen Mantel, der mit einigen Bandmitgliedern Streit anfangen will. Huck geht zu dem Kerl und sagt ihm, er solle sich verpissen, woraufhin dieser lächelt, seinen Mantel öffnet und eine riesengroße Axt zum Vorschein bringt. Wir stehen in einem großen Kreis um diesen Typen herum und fragen uns, ob er jetzt mit der Axt zuschlagen will, doch dann geht er einfach. Ihm hat wohl die Musik nicht gefallen ...“

Was passiert in der Welt der FLAMING STARS? Ist ein neues Album geplant? Oder eine Tour?

„Wir werden wohl im Mai ein paar Auftritte in England haben und vielleicht auch in Deutschland. Danach schreiben wir ein paar neue Songs, und hoffentlich können wir dann Ende des Sommers wieder ins Studio gehen.“