KETTCAR

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Demnächst in ihrem Kino

KETTCAR wollten einen kurzen, wohlklingenden Namen für eine Band mit außergewöhnlich wohlklingender, intensiver Musik. Die größten Gruppen der Rockgeschichte hatten kurze Namen. OASIS und NIRVANA waren bereits besetzt, außerdem klingen sie schlechter und seien obendrein auch bescheuerter, berichtet der Sänger und Gitarrist von KETTCAR, Marcus Wiebusch, dessen Name nach einflussreichem Schaffen in anderen Bands wie ...BUT ALIVE und RANTANPLAN inzwischen zu den wahren Größen der (deutschsprachigen) Rockmusikgeschichte gezählt werden darf. Inzwischen sind oben genannte Bands zu 75 Prozent Geschichte, und das neue Baby namens KETTCAR ist schon einige Jahre alt. Mit dieser Gruppe gelang es Wiebusch, das gemeinsam mit Thees Uhlmann gegründete Label Grand Hotel van Cleef zu einer prosperierenden Firma aufzubauen und am Markt zu etablieren. Jetzt rollt das zweite Album dieser überraschend erfolgreichen Popmusikband auf eine sehnsüchtig wartende Fanschar zu. „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ erzählt viele Geschichten aus dem Alltag und dem Leben, so wie sie jeder zu kennen scheint. Sie aber so einzigartig zu formulieren und herzgewinnend darzubieten, scheint ein Privileg der Hamburger zu bleiben. Ich ließ mir von Marcus das Erfolgsgeheimnis von KETTCAR verraten und mich bezüglich Labelarbeit, Hardcore-Fans und Liebesfilme auf den letzten Stand der Dinge bringen.

Was unterscheidet die neuen Aufnahmen von KETTCARs Debüt „Du und wieviel von deinen Freunden“?


„Musikalisch gibt es nicht viele Änderungen. Wir haben auf der ersten Platte einen bestimmten Sound gehabt, den haben wir beibehalten. Produktionstechnisch ist einiges verfeinert worden, mit Streichern und Kinderchören. Textlich hat sich einiges getan: Auf dem Debüt war ein nach innen gerichteter, befindlichkeitsfixierter Blick vorherrschend, der das eigene Seelenheil thematisierte. Das Album hatte viele autobiographische Züge. Die Zeiten sind vorbei. Ich muss jetzt nicht mehr über die Scheiße in mir berichten. Zehn von elf Texten auf der neuen Platte habe ich geschrieben. Dabei habe ich, wie von einem Plateau aus, verschiedene Textmöglichkeiten durchgespielt. Ich habe mit ‚Deiche‘ einen sehr politischen Song geschrieben. ‚48 Stunden‘, ein typischer KETTCAR-Song, steht neben einem Quatsch-Song wie ‚Stockhausen, Bill Gates und ich‘. Dadurch, dass ich verschiedene Textmöglichkeiten ausprobiere, ist das Album sicherlich sehr heterogen, aber nicht weniger spannend. KETTCAR sind nicht auf ein Statement zu reduzieren.“

Verspürst du das Bedürfnis, es mit KETTCAR noch einmal lauter werden zu lassen?

„Ganz im Gegenteil. Privat höre ich nur noch Singer/Songwriter-Sachen. Kein Punkrock mehr. Nicht mal mehr Rock. Im Bandkontext lieben wir es dagegen schon, es live auch mal krachen zu lassen. Als ich mit ...BUT ALIVE aufgehört habe, habe ich mich sehr bewusst auf zu neuen musikalischen Ufern gemacht, was ich mit der Trennung der Band auch dokumentieren wollte. Hätte ich weiterhin Ecken und Kanten in der Musik gewollt, hätte ich mit ...BUT ALIVE weiter gemacht. Ich hatte bereits beim vierten ...BUT ALIVE-Album gespürt, dass ich eigentlich Popsongs schreiben will. Ich liebe Drei-Minuten-Popsongs, und diese Popsongs schreibe ich jetzt mit KETTCAR.“

Wie verhält es sich mit der Gewichtung von Texten und Musik? Was ist wichtiger?

„Wir versuchen natürlich, ein Fünfzig-Fünfzig-Verhältnis anzustreben. Aber in letzter Konsequenz muss sich die Musik dem Text unterordnen. Ich habe mir selbst die Latte für Texte sehr hoch gelegt. Ein Song wie ‚Balkon gegenüber‘ vom ersten Album ist ein schönes Beispiel: Der Song bricht nach zwei Minuten ab, weil die Geschichte erzählt ist. Musikalisch hätte man den Song noch weiterführen können, aber der Text ist zu Ende, also ist es das Lied auch. Die Musik unterstützt den Text natürlich sehr, und wir reißen uns den Arsch auf, um ein Gleichgewicht herzustellen, aber ehrlich gesagt liegt das Hauptaugenmerk auf den Texten.“

Wie haben die kürzlich absolvierten KETTCAR-Unplugged-Konzerte mit Erik Langer und dir funktioniert?

„Spitzenmäßig. Das Konzert in Wien war für mich persönlich eines der besten Konzerte, die ich in meinem ganzen Leben gegeben habe. Ich habe je ein paar hundert Konzerte mit ...BUT ALIVE und RANTANPLAN und über zweihundert Auftritte mit KETTCAR gespielt, und ich musste erst mit einer Akustikgitarre nach Wien kommen, um das zu erleben! Eine ganz tolle Atmosphäre. Die Konzerte waren eingebettet in ein Gesamtkonzept, anschließend haben Reimer und Simon aufgelegt. Das geschah im Rahmen von ‚Club van Cleef‘, einer Indierock-Veranstaltung, die wir einmal im Monat in Hamburg machen.“

Bist du privat ein glücklicher Mensch? Deine Texte ließen diesbezüglich ja auch andere Schlüsse zu.

„Ich bin in den letzten Jahren etwas glücklicher geworden. Ich bin wesentlich ausgeglichener, als zuvor. Ich bin Vater eines gesunden Jungen geworden und mit der Mutter des Kindes seit mehr als drei Jahren sehr glücklich zusammen. Momentan scheint mir die Sonne aus dem Arsch. Ich habe eine geile Firma und eine gute Band. Die neue Platte spiegelt das auch wider: Es sind positivere Tendenzen drauf. Mit ‚Nacht‘ ist sogar ein Liebeslied drauf.“

Apropos Firma: Wie läuft euer Label Grand Hotel van Cleef?

„Die Firma steht auf gesunden Beinen. Es ist aber auch wahnsinnig viel Arbeit und zeitweise ein ziemlicher Spagat, gerade auch für Künstler, die wir unter Vertrag nehmen und aufbauen wollen. Denen wollen wir eine Plattform bieten, wo sie machen können, was sie wollen, und nicht – wie bei anderen Labels – das ausführen müssen, was ihnen vorgeschrieben wird. Das ist manchmal schon sehr aufreibend, weil ich ja auch als Künstler gerne mal zur Ruhe kommen möchte. Gerade ist es eine wahnsinnig anstrengende Tour, obwohl wir nur fünf Tage unterwegs sind. Wir kommen Samstag Nacht nach Hause und ich muss am Montag um acht schon wieder auf der Arbeit sein, obwohl ich ziemlich fertig bin. KETTCAR und das Label nehmen mich zu gleichen Teilen in Anspruch, aber das Anstrengende daran ist, dass es immer ist. Es gibt einfach keine künstlerischen Ruhepausen mehr. Die Arbeit im Label ist sehr energetisch, man muss viel organisieren und im Kopf haben, aber ich möchte mich nicht beklagen. Ich habe es so gewollt und es ist die richtige Entscheidung gewesen. Das ziehen wir jetzt auch durch.“

Wir erklärst du dir den Erfolg von Grand Hotel in der kurzen Zeit von zweieinhalb Jahren?

„Ich glaube, das Geheimnis von KETTCARs Erfolg liegt darin, dass wir Texte machen, die in dieser Form sonst keiner macht. Mit Grand Hotel hatten wir zwei wegweisende Platten: Die erste KETTCAR und die letzte von TOMTE. Ausgehend von diesen Platten haben wir es geschafft, Leute davon zu überzeugen, dass Musik auch anders produziert werden kann als über die großen Majorlabel, und trotzdem erfolgreich sein kann. Die Leute finden es gut, dass es immer noch funktioniert, Independent-Musik erfolgreich zu machen. Independent heißt für uns nicht, dass wir uns selbst ausbeuten, wenig Platten verkaufen und nebenbei auch noch einen Job und noch eine Plattenfirma haben. Independent heißt für uns, das Oligopol der fünf großen Plattenfirmen, die fünfundneunzig Prozent aller Platten verkaufen, aufzubrechen und den Anteil von bisher fünf Prozent verkauften Independent-Platten zu erhöhen.“

Demnächst kommt ein Film mit dem Titel „Keine Lieder über Liebe“ in die Kinos. Bei diesem Film arbeiteten Grand Hotel und KETTCAR mit. Worum geht es?

„Der Film vom jungen Regisseur und Grimme-Preisträger Lars Kraume handelt von einer Band namens HANSEN BAND, die auf Tour ist. Der Sänger der Band heißt Markus Hansen, gespielt von Jürgen Vogel. Er wird begleitet von seinem Bruder, einem Dokumentarfilmer, gespielt von Florian Lukas. Wir sollten die Musik für die Band schreiben und auch die Begleitband sein: Thees Uhlmann und Max Schröder von TOMTE, Felix Gebhardt und ich. Wir haben zehn Songs geschrieben und mit denen ist die Band auf Tour gegangen. Herausgekommen sind über zweihundert Stunden Filmmaterial, das dann als eine Halbdokumentation auf 90 Minuten runtergeprügelt worden ist. Ein sehr spannender, einzigartiger Musikfilm. Andererseits ist der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Brüdern auch zermürbend, es gibt keine Dialoge, wie man sie aus Filmen kennt. Die Leute improvisieren komplett. Da wird dann auch mal 20 Sekunden nichts gesagt. Dadurch wirkt es sehr authentisch, denn es gibt kein Drehbuch, nur emotionale Schlüsselszenen. Der Film ist anstrengend zu gucken, es ist kein Mainstream-Film. Die Kritiken überschlagen sich im Moment. Es ist wohl der beste Musikfilm, der je in Deutschland gedreht wurde. Wir sind froh, dass wir das gemacht haben.“

Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

„Lars Kraume hatte die Idee für den Film und Jürgen Vogel ist über Universal an uns herangetreten. Lars wusste, dass Jürgen Vogel keine Songs schreiben kann und deswegen Hilfe von einer Plattenfirma bekommen müsste. Universal haben dann verschiedene eigene Bands vorgeschlagen, aber die waren nichts für Jürgen. Dann wurden ihnen KETTCAR und TOMTE nahe gelegt. Die brüchige Hauptfigur des Markus Hansen passt sehr gut zu der ersten KETTCAR-Platte. Ich habe mich mit Jürgen hingesetzt und sehr viel darüber gesprochen, wie man da Texte machen kann. Das fand ich sehr spannend, einmal aus einer fiktiven Figur heraus Texte zu schreiben. Universal sind dann, aus mir unbekannten Gründen, abgesprungen. Ich glaube, das bereuen sie noch heute. Da haben wir von Grand Hotel gesagt: ‚Wir können das machen‘.“

Wird es mehr Live-Auftritte der HANSEN BAND geben?

„Der Film lief auf der Berlinale, wird jetzt einen Verleih finden und kommt dann in die Kinos. Wir haben uns mit Grand Hotel die Rechte am Soundtrack, der im September erscheinen wird, gesichert. Zum Release wird es noch ein paar Promotion-Auftritte in kleinem Rahmen geben. Eine kurze Tour, nichts Großes.“

Wie bewertest du die Tatsachen, dass auf jedem KETTCAR-Konzert ein Großteil der Fans fast jeden Songs mitsingen und -klatschen kann? Dass sie sich in großen, von Fans administrierten Internetforen über jede einzelne Zeile eurer Songs austauschen, und KETTCAR im Gästebuch eurer Homepage vergöttern?

„Das ist sehr ambivalent. Die Ambivalenz entsteht dadurch, dass das Mitklatschen und -singen ein wahnsinniger Rockstandard ist. Auf der anderen Seite lässt es sich nicht leugnen, dass es eine unfassbare Bestätigung ist. Ich mache Musik ja nicht im luftleeren Raum. Zu ...BUT ALIVE-Zeiten, mit ihren viel politischeren Texten, hat es mich viel härter getroffen, wenn da Leute erst ‚Für uns nicht‘ mitgesungen haben und anschließend bei McDonalds essen gegangen sind. Die Songs geben den Leuten anscheinend irgendwas. Die Einträge im Internet lese ich nicht mehr. Das macht mich kirre. Ich will da nicht zuviel an mich rankommen lassen. Ich mag es nicht, für das, was ich tue, kritisiert zu werden. Ich will aber auch nicht vergöttert werden. Diese Ambivalenz lässt sich für mich nicht lösen, ich werde mich nie nur darüber freuen, aber ich kann es auch nicht nur verdammen.“