KEVIN K

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New York, New York ...

Sollte man ein Best Of-Album zum Anlass eines Kevin K-Features nehmen? Vielleicht. Doch die Geschichte um Gitarrist, Sänger und Songwriter Kevin Kalicki ist vielschichtiger – und untrennbar mit seinem vor acht Jahren gestorbenen Bruders Alan verbunden. Bis dahin agierten Alan (Rocky Starr) & Kevin (Kevin Rat) stets als Team. Und alles begann im Nordosten der Vereinigten Staaten. Bufallo/NY, Mitte, Ende der 60er Jahre. Die K Brothers lauschen Jimi Hendrix, Alice Cooper, den ROLLING STONES, den BEATLES. Doch richtig gepackt werden sie von Bands wie MC5, NEW YORK DOLLS, DEAD BOYS, SEX PISTOLS, RAMONES und greifen zu den Instrumenten. Angespornt von Johnny Thunders übernimmt Alan K die Gitarre und Kevin K das Schlagzeug in der ersten gemeinsamen Band. Schon mit dem zweiten Projekt, AUNT HELEN (Richtung NY DOLLS), ernten sie erste musikalische Lorbeeren und wurden noch in den 70ern eine der einflussreichsten Trash-Rockbands Bufallos. Von ’78 bis’95 und über die Stationen THE TOYS (später NEW TOYS), LONE COWBOYS, ROAD VULTURES bleiben die Brüder zusammen. 1982 siedelt man nach NYC über, um sich in dem neuen Umfeld zu messen. Bis dahin teilten sie sich die Bühne bereits mit den RAMONES, BABYS, ROMANTICS, SQUEEZE, DEAD BOYS, TOURISTS (später EURYTHMICS – wenn das nichts ist). Im Big Apple gelandet, gehören die flüchtigen Bühnenbekanntschaften Johnny Thunders, Jerry Nolan, Stiv Bators, Dee Dee Ramone schnell zu den engsten Freunden. Aus der ersten Zeit im Moloch New York hat Kevin auch einige Storys auf Lager.

„Ich arbeitete in der Zeit in einem Plattenladen am St. Marks Place. Regelmäßig tauchte Michael Monroe auf, brachte ein paar Promo-Scheiben vorbei, sackte 50 Dollar ein und setzte die Kohle sofort in Drogen um. Johnny Thunders kam mal vorbei und wollte mir für zehn Dollar ein Video andrehen, angeblich ein Live-Auftritt der NEW YORK DOLLS, aber ohne Cover! Ich konnte es nicht fassen. Zwei Tage zuvor hat er noch vor 500 Kids gespielt.“

1995 verlässt Alan New York. Kevin macht aus den Resten der u. a. erfolgreich im Vorprogramm von Cheetah Chrome und Sylvain Sylvain tourenden ROAD VULTURES die KEVIN K BAND. Alan kuriert in Florida seine Sucht, um wieder clean Musik machen zu können. Im November 1996 kehrt er nach NYC zurück zu. Er mietet sich in einem Hotel ein, verbringt den Tag im Tompkins Square Park, wo er die letzten Jahre einen Großteil seiner Songs geschrieben hat, und beobachtet die Menschen. Wieder im Hotel schläft er ein und wacht nicht wieder auf. Völlig clean, scheinen seine Leber und sein durch Depressionen angegriffener Allgemeinzustand – viele seiner Freunde waren bereits gestorben – Auslöser seines Todes gewesen zu sein.

„In seinem Sinne haben wir die Asche auf die Gräber von Johnny und Jerry gestreut, einen Teil in den Tompkins Square Park und etwas in die Appartements von Iggy und Dee Dee. So wird er immer mit seinen Freunden verbunden bleiben“.


Doch zurück zu Kevin. Der ist nun gezwungen, ohne seinen Bruder weiter zu machen und startet aus den Resten der ROAD VULTURES das erste Line-up der KEVIN K BAND. Über die Jahre gehörten Ricky Rat und Toni Romeo von den TRASH BRATS, Patrick Fitzgerald und Mark Rubenstein von SOUR JAZZ, Andy Hill und Chris Lakriz von den HOLLYWOOD TEASZE und ein weiteres Dutzend Musiker für Plattenaufnahmen und Touren zur Band. Seit nunmehr drei Jahren arbeitet Kevin mit einer französischen Backing-Band, hat mit ihnen drei Alben veröffentlicht, ist durch Frankreich, Spanien, Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechien und Polen getourt und hat während der Herbsttour noch zwei Studioalben und eine Liveplatte eingespielt. Inzwischen hat sich der Name Kevin K zu einem echten Markenzeichen in Sachen Spätsiebziger-NYC-Punkrock gemausert. Und nach acht Jahren, einem Dutzend Longplayer, Touren in den Staaten, Asien und, wie eben erwähnt, auch Europa war es endlich an der Zeit, das Beste vom Besten zusammen zu tragen und mit „New York, New York ...“ ein Best-of-Album der Sonderklasse zu veröffentlichen.
Und da steht er nun. Schmale Silhouette, schlechte Tattoos von Kopf bis Zeh, wache Augen, eine Gitarre. Ein Mensch, dem ich bei unserem ersten Treffen Frau und Kinder, Wohnung und Plattensammlung ohne große Worte überlassen hätte. Sympathisch, zurückhaltend – ein stiller Rockstar ohne Allüren tritt mir mit einer grundehrlichen Dankbarkeit gegenüber, der heute mit seiner Musik und nicht mit irgendeinem beschissenen Job und tausenden kleinen Kompromissen zu überleben versucht. Doch das ist ein andere Geschichte und Grundlage eines intensiveren Gesprächs mit Kevin.

In nahezu jedem Review deiner Platten findet sich der Hinweis auf deine Heimat New York City. Welchen Einfluss hat diese Stadt auf deinen Sound?


„Na ja, all meine Bekannten und Lieblingsmusiker kommen aus NYC. Ich sauge das Leben dieser Stadt in mich auf, verfolge in den Straßen die Gespräche der Menschen. City Music sag ich dazu.“

Deine Musik ist purer Rock’n’Roll. Viele nennen es NYC-Punkrock. Deine Texte sind die eines zornigen Mannes, doch immer auch mit einem positiven Signal. In deinen Worten: Welche Gefühle willst du mit deinen Texten und deiner Musik transportieren?

„Alles, was ich nicht bin, ist zornig und verärgert. Ich verarbeite Dinge, die jedem in seinem Leben passiert sind, und versuche das so einfach und rein wie möglich zu halten. Genau das war so großartig an den RAMONES: einfach, schnell, witzig, traurig und vor allem melodisch, der Schlüssel zu allem!“

Weit mehr als dein halbes Leben hast du mit deinem Bruder Alan Musik gemacht. Welche Erinnerungen verbindest du mit ihm?

„Viele, sehr viele. Eine Sache, die ich mich ständig frage, ist: Was würde Alan an dieser Stelle des Songs machen? Er war ein fantastischer Melodienschreiber. Er hatte ein Händchen für harmonische Gesänge. Auch seine Gitarrensoli waren verdammt kompliziert. Er war sehr geschickt, kleine Tamburin- oder Mundharmonika-Parts einzufügen. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte hören, was Alan in meine Songs einarbeiten würde.“

Seinen eigenen Weg zu gehen, ist sicher nicht einfach. Dafür Verständnis bei seiner Familie zu finden, noch viel schwerer. In aller Regel möchte man aber verstanden werden. Möchtest du mir bzw. kannst du mir überhaupt sagen, was eure Eltern über deinen und Alans Way Of Life dachten?

„Oh natürlich. Ich denke nicht, dass ich ohne deren Hilfe heute unterwegs wäre. Sie wissen alles über Alans Drogenprobleme. Sie wissen, wie hart das Musikbusiness ist. Drogen, Alkohol, crazy Girls, kein Geld ... In der Tat, als Alan starb, sagten sie mir, ich solle nicht aufhören, solle weiter spielen und Musiker bleiben. Meine Eltern haben Iggy Pop gesehen, als er in Florida spielte. Mein Vater traf Iggy nach dem Konzert und sprach mit ihm 20 Minuten. Bei meiner Mutter laufen permanent die akustischen Sachen von Johnny Thunders und Paul Westerberg. Und Iggy wohnt inzwischen auch in Florida. Er sagte mir, es war Zeit aus New York zu verschwinden. So fühle ich mich auch ...“

Was ist 13th Street und in welcher Form bist du da involviert?

„Ich hab den Namen eingebracht. 13th Street Entertainment gehört Ted Sterns, meinem Mitbewohner und gutem Freund. Er veröffentlichte 1997 ‚Party Down‘ und hilft mir mit den Shows in New York. Im Moment habe ich aber mehr Erfolg in Europa. So habe ich zuletzt weniger Zeit in New York verbracht. Letzten Dezember habe ich ein Konzert im Continental für CJ Ramone eröffnet und nur 25 Leute kamen. Das hat böse Erinnerungen hinterlassen. NYC ist nicht mehr die gleiche Stadt. Immer noch groß und lustig, aber anders. Ich fühle, dass alle Träume in NY gelebt sind, und zumindest das macht mich glücklich.“

Du hast mal einige Songs für eine All-Girl-Band namens SUGARSTIXX geschrieben. Machst du noch immer Songs für andere?

„Das war richtig cool für mich. Doch diese dummen Anwälte und Musikmanager mussten den ganzen Deal ruinieren und es wurde niemals etwas veröffentlicht. Aber ich lernte eine Menge übers Singen und Schreiben härterer Texte – eine neue Methode des Songwritings. Ich würde in Zukunft wirklich gern mit anderen Bands auf dieser Basis zusammen arbeiten wollen.“

Deine Musiker kommen aus der ganzen Welt. Du warst in Japan, Europa, natürlich auch Nordamerika unterwegs. Wo denkst du, ist der beste Platz für deinen Rock’n’Roll Way Of Life?

„Also in den 80ern waren Amerika und im besonderen New York großartig! Aber momentan ist Europa das Beste für mich. Deutschland war immer eine coole Sache.“

Was denkst du über Drogen? Du hast mit dem Rauchen aufgehört, hast aber einige wirklich gute Freunde wegen Drogen verloren.

„Ich hatte mit Drogen immer Spaß. Und Drogen haben meinen Bruder und Freunde gekillt. Aber jeder muss selbst entscheiden, sie zu nehmen oder eben nicht. Du kannst niemanden von Drogen abbringen. Aber ich rauche nicht mehr! Du weißt, nicht jeder Junkie ist ein Loser. Ich kenne Leute von der Wall Street, die haben, sagen wir mal so, Drogenerfahrung, machen ihren Job aber gut. Für mich war mit dem Rauchen aufzuhören das Härteste, was ich je in meinem Leben getan habe. 15 Jahre rauchen, zuletzt fünf Zigarren am Tag, und dann hab ich einfach aufgehört. Ich dachte, ich drehe durch. Ich konnte nicht schlafen, denken, reden, fünf Monate. Doch es ist besser für meine Stimme, klar! Vielleicht fange ich aber irgendwann wieder an zu rauchen. Ich plane nichts.“

Momentan spielst du erfolgreich mit einer französischen Backing Band, den REAL KOOL KATS. Wieso, weshalb, warum ...?

„Ganz einfach. Sie arbeiten für einen Hungerlohn und glauben alles, was ich ihnen erzähle! Okay, nicht wirklich ... Wir haben alle einen ganz ähnlichen musikalischen Background, die gleichen Einflüsse prägten uns. Thunders, RAMONES, STONES, Blues, Sixties ... Und das ist wichtig. Und die Konzerte laufen besser und besser, so sehe ich eine gute Zukunft für uns. Ich hoffe es zumindest.“

Der Drummer ist so was wie eine Legende in Frankreich. Erzähl uns was von Vincent Prince III, der ja von ’61 bis ’68 bei den JERKS spielte, und später auch bei den KIDNAPPERS.

„Yeah, der französische Charlie Watts. Ich schaue ihn auf der Bühne nur an und er weiß, was zu tun ist, wie der Song enden soll, den Song verlängern oder verkürzen. Ein echter Profi. Wie Vincent und ich spielen, dafür brauchst du wohl 25 Jahre Erfahrung. Da gibt es keinen Kurs in der Musikschule.“

Was hast du mit den REAL KOOL KATS neben den Konzerten während deiner letzten Tour gemacht? Ich hörte was von neuen Songs ...

„Genau, wir haben zwei Platten eingespielt. Zum einen ‚Perfect Sin‘ mit 13 Songs und zum zweiten elf Songs für ‚Man Bat‘. Zudem haben wir im Subsonic/Montpellier eine Live-CD aufgenommen, die sich fantastisch anhört. Es waren also zwei wirklich arbeitsintensive Monate für uns.“

Wie sehen deine Pläne aus? Du warst nicht mehr so regelmäßig in den Staaten unterwegs?

„Ich will nicht länger als ein halbes Jahr vorausplanen. Ich ziehe jede Tour so durch, als ob sie meine letzte wäre. Viele meiner Freunde sind keine 50 geworden. Manchmal denke ich, ich könnte der Nächste sein. Das ist kein gutes Gefühl, doch es ist die Realität.“