HIRETSUKAN

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Wer zum Teufel sind ...

Warum nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden und im New York-Urlaub ein Interview machen, zumal der Gitarrist der Band uns freundlicherweise auch noch eine Woche bei sich in Brooklyn hat unterkommen lassen. Außerdem hat die Band HIRETSUKAN, die hierzulande trotz bekanntem Label (G7) und sehr bekanntem „Produzenten“ (Don Fury) unberechtigterweise recht unbekannt sind, etwas Interesse verdient. Das könnte eigentlich auch anders sein, denn abgesehen von sympathischen Leuten verbirgt sich hinter HIRETSUKAN unglaublich energetischer Hardcorepunk und durchaus intelligente Texte. Wir haben uns mal mit Gitarrist Dave und Sängerin Michelle zusammengesetzt und dabei einige sehr aufschlussreiche Antworten bekommen ...

Vielleicht könnt ihr uns zu Beginn etwas über eure Bandgeschichte erzählen.

Dave:
„Wir haben uns 1998 in Maryland zusammengetan und der Übergang von der Vorgängerband MALACHAI zu HIRETSUKAN war quasi fließend, wir hatten noch einen anderen Drummer und ich habe gesungen. Langsam aber sicher sind alle von Washington D.C. und Maryland nach New York gezogen. Das war ungefähr vor fünf Jahren und von da an waren wir auch HIRETSUKAN.“

Was bedeutet eigentlich HIRETSUKAN?

Dave:
„HIRETSUKAN ist ein japanisches Wort, das mit ‚Arschloch‘ oder ‚Bastard‘ übersetzt werden kann.“

Ihr seid auf dem recht bekannten Label G7 Welcoming Committee Records. Trotzdem seid ihr eher unbekannt in Europa, woran liegt das?

Dave:
„Na ja, wir waren bisher nie in Europa auf Tour und wir haben dort auch keine so gute Promotion. Wir haben mal zehn oder zwölf CDs an jemanden aus Deutschland verkauft, also werden uns wenigstens zehn oder zwölf Leute in Deutschland kennen, haha.“
Michelle: „Gewissermaßen kann man sagen, dass wir, was europäische Promotion angeht, vom Label nicht so gut unterstützt werden, aber auf der anderen Seite ist es ein kanadisches Label und wir sind die erste amerikanische Band auf diesem Label.“

Die „Invasive/Exotic“-CD wurde von Don Fury produziert. Wie war die Arbeit mit ihm?

Dave:
„Die Arbeit mit ihm war super. Es war das erste Mal, dass wir im Studio mit jemandem gearbeitet haben, der wirklich verstanden hat, woher wir kommen und wie wir besser spielen können. Er ist eine der wenigen Personen, die wir sehr respektieren, so dass wir auch auf seine Vorschläge eingegangen sind.“

Wie kam der Kontakt zustande?

Dave:
„Die Wurzeln dieser Band liegen nicht im New York Hardcore, für den er so bekannt ist. Wir mögen einiges davon, aber nicht alles. Für mich war es sehr wichtig, dass er die frühen BORN AGAINST aufgenommen hat. Als wir das Demo aufnehmen wollten, haben wir ihn einfach kontaktiert und er war sehr cool, nett und auch nicht teuer. Wir werden auch unsere nächste Platte mit ihm aufnehmen.“

Ihr fühlt euch zwar nicht mit dem New Yorker Hardcore verbunden, aber betrachtet ihr HIRETSUKAN als eine Hardcore-Band?

Michelle:
„Manchmal werden wir mit Hardcore-Bands verglichen, aber wir benennen unsere Musik eigentlich gar nicht. Es ist einfach eine Mischung aus all der Musik, mit der wir aufgewachsen sind.“

Wie steht ihr denn zu den typischen Hardcore-Themen, z. B. Vegetarismus/Veganismus, D.I.Y. oder Straight Edge?

Michelle:
„Da stehen wir hundertprozentig zu, außer zu Straight Edge, denn wir sind alle nicht Straight Edge.“
Dave: „Ich denke, in Geist, Einstellung und Überzeugung sind wir eine hundertprozentige Hardcore/Punk-Band. Aber musikalisch gesehen soll der Hörer darüber entscheiden. Auch bezüglich der Frage, ob wir uns als ‚Punks‘ verstehen, kann ich nur sagen, dass keiner in der Band Zeit damit verbringt, über so was nachzudenken. Natürlich vertreten wir unsere Einstellungen, und die vertreten wir sehr direkt. Deshalb sollten wir auch danach beurteilt werden, und nicht aufgrund irgendeines T-Shirts, das wir anhaben.“

Was mögt ihr nicht an Hardcore?

Dave:
„Ich hasse die Gruppenmentalität. Scheinbar sind Leute im Jahr 2005 wirklich zu ängstlich, sie selbst zu sein. Ich denke, dass das vor zehn Jahren wirklich wichtiger war. Scheinbar musst du so und so aussehen, dies und jenes sagen, die und die Band hören – und ich habe absolut kein Interesse daran.“
Michelle: „Ich mag außerdem nicht, dass viele Leute Dinge einfach sagen, sie aber nicht fühlen und vor allem nicht so handeln. Als Frau fällt für mich auch Sexismus darunter. Alle sagen, Frauen sind
gleichberechtigt im Hardcore, aber das ist tatsächlich absolut falsch. Das ist wahrscheinlich das größte Problem, was ich mit Hardcore habe.“

Worüber schreibt ihr denn in euren Songs?

Michelle:
„Dave hat alle alten Songtexte geschrieben. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um mich damit anzufreunden, Texte zu schreiben. Das war ein längerer Prozess für mich. Jetzt, wo Dave und ich zusammen die Texte schreiben, geht es oft um Übergriffe gegen Frauen, darum sich selbst Wissen anzueignen, aus der Geschichte zu lernen. Die Texte sind auf der einen Seite also politisch, aber auf der anderen Seite sind es Gedanken, die mir sehr nah sind, und das macht sie wiederum persönlich. Es geht uns nicht darum, eine bestimmte Message rüberzubringen. Wir hoffen aber, dass die Texte zum Nachdenken anregen. Uns ist es auch nicht wichtig, ob Leute zustimmen oder nicht. Wichtig ist nur, dass Menschen ihre eigene Ansicht haben und über gewisse Dinge nachdenken.“
Dave: „Genau. Wir haben zwar Themen, die uns wichtig sind und die wir in der Musik verarbeiten, aber wir möchten nicht ‚predigen‘. Unsere Texte sind nicht besonders offensichtlich, so dass man sich sowieso erst wirklich damit beschäftigen muss. Ich persönlich reagiere auch nicht gut auf Bands, die versuchen, mir zu sagen, was oder wie ich denken soll. Ich mag Bands, die Fragen stellen und nicht solche, die sie beantworten.“

Erzählt doch mal etwas über das Touren. Was waren so die besten Shows für euch?

Michelle:
„Die beste Show für mich war im ‚Food Not Bombs‘-Haus in Baltimore, Maryland. Es war in einem Keller und es war keine Straight-Edge-Show, alle waren super besoffen. Justin, unser Drummer, hat ein Problem, manchmal muss er sich übergeben, während er spielt. Ich denke, das ist so eine Art unkontrollierbare Sache. Na ja, auf jeden Fall war es unser vorletzter Song und der hat einen Breakpoint, und Justin musste an dieser Stelle innehalten. Und plötzlich, während er innehält, kotzt er zur Seite. Das war vollkommen ‚in time‘ mit dem, was er spielte. Das war absolut super, ich drehe mich um und denke nur ‚Fuck, yeah, that’s awesome!‘, und alle machen normal weiter. Ansonsten ist unser Lieblingsvenue in Brooklyn Jane Doe Books, das ist ein D.I.Y.-Buchladen. Es ist ein toller Ort, um Bücher zu bekommen oder auszuleihen.“
Dave: „Eine der ersten HIRETSUKAN-Shows war auf unserer ersten Tour im Little House in Mississippi in einem Wohnwagen. Früher hat diese Shows ein Junge gemacht, der mittlerweile aufs College geht. Deswegen haben seine Eltern es übernommen, so dass neben ihnen auch deren kleinere Kinder mit dabei waren. Das Tolle war, dass wir an den Wänden lasen, dass viele Bands, die wir mögen, dort auch schon gespielt haben, z. B. ECONOCHRIST, JAWBREAKER oder INQUISITION. Und es waren ungefähr fünf Kids in MARILYN MANSON-T-Shirts da, das war seltsam.“

Was macht ihr eigentlich neben der Musik?

Dave:
„Ich habe vier Jahre lang bei einer Gewerkschaft namens ‚Unite‘ gearbeitet. Seitdem ich Unite verlasse habe, bin ich freischaffender Fotograf für Zeitungen und Zeitschriften.“
Michelle: „Ich war auf der Uni, arbeitslos, habe in einer Bäckerei gearbeitet und bin Lehrerin. Momentan entdecke ich die Fotografie für mich.“
Dave: „Justin, unser Drummer, ist Kellner in einem Restaurant und Derek, unser Bassist, arbeitet als Produktionsassistent bei einer Filmproduktionsfirma.“

Was kommt als nächstes neben der neuen Platte?

Dave:
„Erst werden wir aufnehmen und dann machen wir eine fünfwöchige US-Tour. Sonst haben wir noch keine Pläne. Obwohl, doch ja, wir kommen nach Deutschland und wohnen bei euch, haha.“