CHILDREN OF FALL

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Kinder der Revolution

Nichts ist schneller als ein Gerücht. Die Schweden von der politischen Hardcore-Band CHILDREN OF FALL können jedenfalls ein Lied davon singen, wenn auch im übertragenen Sinne. Erst kürzlich erschien ihr neues Album „Bonjour Tristesse“ und pünktlich zur Veröffentlichung kochte die Gerüchteküche über. Die Anschuldigungen waren facettenreich bis unsinnig, aber dank Internet weit verbreitet. Kontroversen Diskussionsstoff gab es also reichlich und nebenbei gefielen mir der aktuelle Longplayer und die Tatsache, dass die Jungs Stellung beziehen, so gut, dass ich mich mit ihnen kurz schloss.

CHILDREN OF FALL – hat der Name eine politische Konnotation?

Anders:
„Olle und ich waren, als wir angefangen haben, nur der Meinung, dass der Name gut zur Grundstimmung unserer ersten Lieder passte. Es gibt aber schon eine genau lokalisierbare Inspirationsquelle für den Bandnamen, die soll aber geheim bleiben.“

Wie geht der Staat Schweden denn mit anarchistischen Parteien um?

Emil: „Für mich ist der Ansatz, eine anarchistische Partei zu gründen, schon völlig widersprüchlich, da ich mich als Anarchist eigentlich nicht mit dem parlamentarischen System identifizieren kann. Da sehe ich keinen Raum für eine Partei. Viel lieber würde ich es sehen, wenn die Anarchisten aufgeschlossener wären und sich in Gewerkschaften oder anderen Gruppen organisieren würden. In Schweden besitzen wir mit der Syndicalistic Union eine recht gute Alternative. Ich arbeite auch noch bei Anarchist Black Cross mit, einer Organisation, die für die Rechte politischer Gefangener kämpft. Es ist aber inzwischen in den USA und Spanien auch schon soweit, dass ABC-Verbünde illegal sind.“
Anders: „Der Begriff ‚Anarchismus‘ gibt aber auch wieder viel Spielraum, er kann verschienen Menschen Verschiedenes bedeuten. Für mich ist Anarchismus mehr eine Kritik am System, als ein Teil der politischen Theorie. Ich verbiete keinem die theoretische Auseinandersetzung mit der Politik, aber es gibt auch Dinge, die erkennt man intuitiv als sinnvoll, da muss man nicht endlos debattieren. Besonders die radikale Linke zerredet viel, statt etwas zu tun. Vielleicht trainieren sie ja auch für später, wenn sie erwachsen sind, dann treten sie bestimmt auch in eine Partei ein.“

Ihr habt viel über den israelisch-palästinensischen Konflikt geschrieben. Welche Meinung vertretet ihr dabei?

Olle:
„Das Grundproblem, das sich aus dem Thema ergab, war zunächst, dass man uns des Antisemitismus’ beschuldigte. Auf unserem letzten Album gab es den Song ‚Keeping It Real 2‘, der sich mit dem amerikanischen Kulturimperialismus innerhalb der Hardcore-Punkszene, den wir eben wahrnahmen, auseinander setzte. Daraus entwickelten sich einige weit verbreitete Gerüchte, die Bezug zum erwähnten Konflikt hatten, von dem in diesem Lied aber nicht die Rede war. Wie diese Beziehung hergestellt wurde oder worauf sie basiert, ist mir bis heute ein Rätsel. Der Titel hatte jedenfalls nichts damit zu tun, dort ging es lediglich um Tendenzen, die sich in der westlichen Welt abzeichnen. Allerdings ist ja wohl bekannt, dass die Menschen, die ihr Leben den Messageboards gewidmet haben, solche Gerüchte unheimlich interessant finden. So hat sich die Kontroverse richtig gut verbreitet und wir mussten diesen Zustand genötigter Weise immer wieder kommentieren. Nach all diesen Anschuldigungen hat sich jemand aus der Band ein Shirt gekauft, dessen Aufschrift den israelischen Staat kritisierte. Der Text gab genügend Raum zur Fehlinterpretation und war auch reichlich offensiv, also wurde damit eigentlich nur das Feuer geschürt. Diese Tatsache tut uns allerdings Leid.“

Wieso hieltet ihr es generell für nötig, euch zu dem Problem zu äußern?

Emil:
„Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, aber man kann sagen, dass uns die stringente Aufteilung des politischen Diskurses in Falsch und Richtig sehr unsinnig erscheint. Dieses Denken in Schwarz und Weiß, das sämtliche Grauzonen außer Acht lässt, genügt bei einer derartigen Problematik nicht. Wenn mich Leute dann direkt ansprechen und mich fragen, ob ich pro Palästina bin, antworte ich meistens mit Ja, was allerdings nicht heißt, dass es nicht Dinge gibt, die ich auf Seiten der Palästinenser inakzeptabel finde. Ich würde auch niemals behaupten, die palästinensische Regierung sei unterstützenswert, und von Selbstmordattentätern halte ich auch nichts, von der Hamas ebenso wenig. Jedoch muss ich sagen, dass ich das palästinensische Volk in seinem Freiheitskampf unterstütze und dafür eintrete, dass die Menschen ohne Ausgangssperren, Grenzkontrollen und die Mauer leben können. Selbst nachdem ich einige Monate in Israel, Palästina und Ägypten verbracht habe und den Konflikt begutachten konnte, maße ich mir nicht an, genügend Informationen zu haben, um mir eine klare Meinung über den Streit bilden zu können, die nicht von Widersprüchlichen gezeichnet wäre. Was mir allerdings positiv auffiel, ist die Tatsache, dass sich auf beiden Seiten eine enorme Friedensbewegung formiert hat. Streng genommen sind alle Menschen Opfer der Situation und versuchen nun gemeinsam, ihre Lage zum Guten zu wenden. Man muss natürlich auch bedenken, dass wir aus Schweden kommen und generell scheint Europa einen relativ palästinafreundlichen Standpunkt zu vertreten. In der deutschen Linken ist die Meinung dazu aber polarisiert und wir hatten sehr interessante Diskussionen. Ich persönlich habe neue Aspekte kennen gelernt und konnte meinen Horizont erweitern. Wenn uns jemand dann als Antizionisten bezeichnet, dann müsste man zuerst die Definition dessen klären. Und dieses Unterfangen allein würde den Rahmen sprengen, und eigentlich muss immer Raum für eine Diskussion sein und ich möchte mich auch nicht als alleiniger Interpret aufspielen. Wenn man mich direkt fragt, würde ich mich nicht als Antizionisten bezeichnen.“

Der Name eures neuen Albums, „Bonjour Tristesse“, taucht auch als Titel und Thema bei der Schriftstellerin Françoise Sagan auf. Habt ihr ihn dort geborgt?

Anders:
„Das ist richtig, der Name kommt ursprünglich von ihr, allerdings sah ich zunächst nur den Titel als ein Graffiti und habe das Buch erst wesentlich später gelesen. Man kann aber schon behaupten, dass der Titel geliehen ist. Was die Thematik betrifft, verhält es sich etwas anders. Das Buch handelt ja von einer gelangweilten Teenagerin, und bei unserem Titelsong gehen wir ein Stück weiter, da wir die Langeweile als ein zunehmendes Problem der westlichen Welt betrachten. Wir sprechen über die Versuche der Menschen, sie zu bekämpfen, anstatt Ursachenforschung zu betreiben, was deutlich sinnvoller wäre. Dieser Umgang hat meines Erachtens nach, vor allem in unserer Generation, zu einer Hoffnungslosigkeit geführt, die wiederum die Wurzel anderer Probleme unserer Gesellschaft ist.“

Die Autorin starb letztes Jahr. Wolltet ihr damit ihre Arbeiten würdigen oder fasziniert euch das Skandalöse an ihr, denn sie wurde auch schon wegen Kokainbesitzes verurteilt?

Anders:
„Das Titelstück wurde bereits vor ihrem Tod geschrieben, also hat es weniger etwas mit Gedenken zu tun. Das war schlichtweg Zufall. Auch ansonsten fällt die Schnittmenge gering aus, da vier von fünf Musikern bei uns Straight Edge und auch nicht auf Abgründe fixiert sind. Zwar wurden einzelne Mitglieder schon mal verhaftet, aber meist wegen Bagatellvergehen, wir sind nun wirklich keine Kriminellen.“

Wieso habt ihr damals Scene Police verlassen und wie seid ihr bei Day After gelandet?

Olle:
„Das verhält sich ähnlich wie die Israel-Sache. Einige Menschen hinter dem Label haben sich wohl ein falsches Bild von uns gemacht und beschuldigten uns, alles Mögliche zu tun oder zu denken, folglich entstand eine miese Stimmung und wir trennten uns in gegenseitigem Einvernehmen.“
Emil: „ Mit Mira von Day After stehen wir schon lange in Kontakt, wir haben uns auch schon übers Touren getroffen und miteinander gearbeitet. Des Weiteren kenne ich einige schwedische Bands, deren Alben er veröffentlicht hat. Da hört man nur Gutes über ihn, und dass er tolle Arbeit leistet und ein grundehrlicher Typ ist, und so hatte ich dann auch mächtig Respekt. Schon vor zwei Jahren, auf dem Fluff-Fest, haben wir uns mit ihm darüber unterhalten, ob wir die nächste Platte nicht bei ihm veröffentlichen sollen. Es hat aber zwei Jahre gedauert, bis wir die Songs liefern konnten, aber er wartete geduldig und forderte auch keine Demos. Ohne Forderungen und Fragen hielt er sich an seine vertraglichen Pflichten, hat uns vertraut und mochte, was wir geschrieben haben. Klar gab es auch andere Angebote, aber Day After war definitiv die richtige Entscheidung.“