LOU BARLOW

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I was a teenage dinosaur

Jajaja, das letzte Interview mit Lou Barlow in diesem Heft ist noch nicht wirklich lange her, aber da Misantroph J Mascis das Maul ja nicht aufbekommt (bei einem Interviewversuch war außer „Hm“ und „Nyeah“ nichts aus ihm herauszubekommen), schmiss ich mich eben einmal mehr an den unglaublich netten, offenen und freundlichen Lou ran, als der ein paar Wochen vor den ersten Deutschland-Shows von DINOSAUR JR auf Solo-Tour war, um sein vorzügliches neues Album „Emoh“ vorzustellen. Er bescherte uns im Anschluss an dieses Gespräch ein wunderbares, wenn auch nur mäßig besuchtes Konzert im Kölner Gebäude 9 und hatte eine Menge zu sagen. Lou Barlow, soviel an Geschichtsunterricht für die Spätgeborenen, war einst bei der Bostoner Hardcore-Combo DEEP WOUND, dann bei DINOSAUR JR und feierte in den Neunzigern Erfolge mit SEBADOH und THE FOLK IMPLOSION.

Erste Frage: Was bedeutet das Wort „niemals“ aus dem Mund eines Musikers, speziell in der Situation, wenn es um die Frage nach einer möglichen Reunion seiner einst sehr bekannten Band geht ...?

„Hm, du willst wissen, was ‚never‘ bedeutet ...?“

Ja, „never“ wie in „There will never be a reunion“, was du im letzten Ox-Interview sagtest.

„Oh, hahahaha, habe ich das gesagt? Na ja, wahrscheinlich habe ich das gesagt, hahaha. ‚never‘ ist ein ziemlich blödes Wort, es wird oft aus emotionalen Gründen verwendet und ist meist nicht so gemeint. Wenn man sagt, man werde etwas niemals tun, dann ist das eine so sichere Aussage wie etwa im Satz ‚Ich werde mich niemals wieder betrinken‘, wenn man am nächsten Morgen gerade gekotzt hat. Von daher: ‚never‘ heißt gar nichts.“

Also unterscheiden sich Musiker in der Hinsicht nicht von Politikern, die ja auch gerne behaupten, sie hätten niemals etwas gesagt oder würden niemals die Steuern erhöhen.

„Ach, ich bin mir sicher, dass ich diesen Satz mit ‚There will never be a reunion‘ gesagt habe, aber ich habe mich seitdem ein paar Mal mit J unterhalten, es war irgendwie ganz okay, wir kamen ganz gut klar. Und irgendwie verstand er sich auch mit meiner Mutter ganz gut. Wir hatten eine Benefiz-Show zusammen gespielt, und dazu hatte ihn meine Mutter kontaktet, und die beiden verstanden sich ganz gut. Und dann hat J noch diese wirkliche großartige deutsche Ehefrau, mit der ich mich gut verstehe und mit der ich viele Details der Zusammenarbeit besprochen habe. Und ich glaube, dadurch hatte ich dann wieder etwas mehr Sympathie für ihn als vorher. J war einfach damals ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben, aus verschiedenen Gründen. Er zeigte mir, was ich eigentlich vom Leben erwarte, auch wenn das, hahaha, so ziemlich genau das Gegenteil meiner späteren Erfahrungen mit ihm war. Aber die ursprüngliche Erfahrung bedeutet mir viel, und dass wir uns dann wieder getroffen haben und jetzt wieder okay klarkommen. Und natürlich ist bei dieser Reunion auch der finanzielle Aspekt nicht zu verleugnen, denn ja, ich brauche Geld, auch wenn ich wohl auch ohne diesen Aspekt mitgemacht hätte. Mir macht es einfach Spaß, Dinge zu tun, von denen ich mal gesagt habe, ich würde sie niemals tun. Speziell dann, wenn es etwas damit zu tun hat, Brücken wieder aufzubauen, die man einst hinter sich abgebrannt hatte. So was sind immer wichtige Punkte im Leben. Die Reunion hat also einen Hintergrund aus sehr persönlichen und auch ganz praktischen Gründen.“

Wie waren die bisherigen Konzerte von DINOSAUR JR in Originalbesetzung?

„Großartig, es war eine sehr schöne Erfahrung. J, Murph und ich, das originale Line-Up, waren und sind sehr kraftvoll, und erst als wir zusammen spielten, wurde mir das wieder so richtig klar. Ich war wirklich erstaunt. Doch das ist cool, denn wir sind sehr kraftvoll, aber nicht in der Weise, wie man das sonst mit den Begriffen ‚forceful‘ und ‚heavy‘ verbindet. Es ist intensiv, folkig und schön, die Songs sind großartig. Und was die Leute geboten bekommen, ist dieser ‚wall of sound‘, sie werden mich auf der Bühne sehen, wie ich wie ein Irrer auf meinen Bass einschlage und daran viel Spaß habe. Denn was auch war, ich hatte immer viel Spaß an den Songs, sie reflektierten schon immer auch die Schwierigkeiten, die wir innerhalb der Band hatten. Und sie zu spielen, das hatte immer schon etwas von einer Katharsis für mich. Dass das jetzt noch mal in dieser Kombination möglich ist, macht mich sehr glücklich.“

Hm irgendwie unpassend, dass zu dieser Aussage von dir jetzt über die Hallen-P.A. gerade Morricones Titelthema zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ läuft ...

„Oh mein Gott ...“

Bei DINOSAUR JR hast du ja eine ganz andere Rolle als bei dem, was musikalisch darauf folgte: Da warst du der Boss.

„Na ja, ich habe versucht, genau das nicht zu sein, sondern wollte immer, dass die Bands demokratisch funktionieren. Und nur widerwillig habe ich manchmal, wenn es nötig war, die Kontrolle übernommen. Ich führe nicht gerne an, und deshalb macht es mit DINOSAUR JR auch wieder Spaß. Die Menschen sind schwach, und die meisten von uns mögen es, wenn ihnen jemand sagt, was zu tun ist. Gleichzeitig aber verspürt man dabei so eine gewisse passive Aggressivität, gerade bei Musikern habe ich das oft erlebt, speziell dann, wenn die keine große Disziplin besitzen und kein richtiges Verständnis dafür, was Arbeit mit einer Band bedeutet. Und es hat auch was damit zu tun, Verantwortung zu übernehmen, was gerade Musikern oft schwer fällt, die ja Menschen sind, die im ‚normalen‘ Leben sowieso nur so eben bestehen können. Ja, wir Musiker sind schon bemitleidenswerte, armselige Kreaturen, und keine guten Arbeiter.“

Im Gegensatz zu den DINOSAUR JR-Shows wird es heute Abend mal wieder nicht so besonders voll. Wie gehst du damit um?

„Ach, das macht mir keine Sorgen, denn die bisherigen Shows in Europa waren echt gut besucht. Außerdem war und ist Köln eine Hipster-Stadt, und ich erwarte nicht, dass Hipster zu meinen Konzerten kommen. Die haben anderes zu tun, als ein Konzert mit Lou Barlow zu besuchen, die hören lieber die neue ARCADE FIRE-Platte. Ich erwarte auch gar nicht, dass solche Menschen auf mich aufmerksam werden, ganz besonders nicht in Köln, die sind zu hip für mich. In einer Hipster-Stadt ist es eben wichtig, immer genau zu wissen, was neu und angesagt ist, um sich darüber dann definieren zu können. So richtig interessiert mich das aber auch nicht, so lange ich mein kleines, feines Publikum habe. Was nun DINOSAUR JR anbelangt, so macht mich an der Reunion besonders glücklich, dass ich der Grund dafür bin. J hat den Namen ja nach meinen Abgang noch eine ganze Weile am Leben gehalten, aber dass die Reunion jetzt überhaupt jemand interessiert, ist der Tatsache geschuldet, dass ich und Murph wieder dabei sind. Das ist ein gutes Gefühl! Und angesichts der großen Konzerte und riesigen Festivals, die wir spielen, ist es schön, da auch das Kontrastprogramm meiner eigenen kleinen Konzerte zu haben.“

Auf deiner wunderschönen neuen Platte hast du den netten Song „The ballad of daykitty“. Was hat es denn damit auf sich?

„Da geht es um eine Katze, die wir adoptiert haben, und dabei besaßen wir da schon drei andere. Also mussten wir uns nach einer Weile wieder von ihm trennen, denn wir hatten einfach nicht genug Zeit für ihn, und wie du weißt, brauchen Katzen viel Aufmerksamkeit und Zuneigung.“

Auf deiner Website findet sich eine ganze Galerie von Fotos deiner Katzen und solche deiner Fans.

„Ich liebe Katzen. Katzen sind großartige Freunde des Menschen, und wir haben ein ganz besonderes Verhältnis zu ihnen. Meine Frau und ich verstehen uns sehr gut mit unseren Katzen, die sagen uns ganz genau, was sie brauchen und wollen. Wenn du dir dagegen einen Hund zulegst, kannst du dir auch gleich ein Kind zulegen, und, haha, das haben wir dann auch gemacht. Hunde sind sowohl verlässlich wie auch sehr abhängig von dir, du bist deren Rudelführer, die tun, was du ihnen sagst, die freuen sich, wenn du ihnen eine Kette um den Hals legst, um mit ihnen spazieren zu gehen. Also mir ist das suspekt. Bei Katzen gefällt mir, dass sie nur machen, was sie wollen, dass sie sogar über dem Gesetz stehen. Für Hunde gibt es jede Menge Vorschriften, doch keine für Katzen.“

Ich frage mich ja immer, was Katzen gemacht haben, bevor es den Menschen gab. Wer hat sie gestreichelt, wer hat ihnen ein Kissen zum Schlafen auf einen Stuhl gelegt? Und überhaupt, wo haben die geschlafen, wenn es keine weiche, warme Ecke irgendwo gab?

„Also meine Katzen schlafen im Garten auf dem Baum. Ehrlich! Unsere Katzen sind Straßenkatzen aus Los Angeles, und wo wir wohnen, lebten bis vor kurzem noch Kojoten. Also sind sie besonders wachsam und vorsichtig – und auch sehr groß. Und solange wir in ihrer Nähe sind, ist für sie alles okay. Ich mag Katzen einfach, es sind wundervolle Tiere, mit denen man ein sehr symbiotisches Verhältnis haben kann.“

Was hat es mit diesem Albumtitel auf sich? „Emoh“ fasse ich einerseits als Anspielung auf „Emo“ auf, andererseits ist es „Home“ rückwärts geschrieben.

„Ja, es gibt da schon einen Bezug auf das Genre. Ich finde den Titel einfach lustig. Was mein Verständnis anbelangt, geht das Genre auf das Jahr 1986 zurück, als sich MINOR THREAT aufgelöst hatten und Bands wie EMBRACE, RITES OF SPRING und die Vorläufer von FUGAZI entstanden. FUGAZI ist für mich die erste Band, auf die damals dieser Begriff angewendet wurde. Und das war auch genau die Zeit, als ich mich vom Hardcore verabschiedete und mit anderer Musik zu beschäftigen begann. Ich denke, auch ich schuf damals sehr emotionale Musik, das war also auch ‚emo‘, und jetzt beanspruche ich diesen Begriff einfach wieder für meine Musik. Ich mache emotionale Musik, sie ist sehr persönlich, ich brülle nicht und singe meine unbeholfenen Texte. Tja, und da fand ich es eben spaßig, ‚Emoh‘ als Titel für die Platte zu nehmen. Ein Insider-Witz, wie so viele, und er ist noch nicht mal von mir, sondern von meinem Freund Adam. Ich spielte ihm die Platte vor und er meinte, ich solle sie ‚Emoh‘ nennen, eben mit H hinten – eine brillante Idee!“

Du bist diesmal allein auf Tour, ohne Band, nur ein Mann und seine Gitarre.

„Ganz einfach: Ich kann mir es nicht leisten, mit Band zu touren. Klar, die Tour läuft so weit ganz gut, aber nicht so gut, dass ich eine Band bezahlen könnte. Bei der letzten Tour habe ich einfach draufgezahlt. Abgesehen davon habe ich zur Zeit auch keine Band, ich bin ganz allein.“

Oooohh ...

„Nein, so schlimm ist das ja nicht, es hat sich halt so ergeben. Ich arbeite am liebsten mit Freunden, ich kaufe mir nicht Musiker für eine Tourband. Ich bin jetzt mit einem guten Freund unterwegs, der sich um den Sound kümmert, und das ist ganz angenehm. Aber auch die Touren mit FOLK IMPLOSION und THE NEW FOLK IMPLOSION machten Spaß, nur war es finanziell nicht möglich, diese Bands am Leben zu erhalten. Die Leute müssen halt auch von was leben.“

Das ist eine Frage des Alters einer Band, denke ich. Wenn US-Bands von Anfang 20 monatelang durch Europa touren, geht das ja nur, wenn sie ihr Leben in den USA quasi aufgeben, keine Verpflichtungen haben. Wenn jemand mal Ende 20, Anfang 30 ist, sieht das schon ganz anders aus.

„Exakt! Junge Bands haben einfach einen großen Vorteil: Sie sind neu, interessant, und deshalb kommen Leute zu ihren Konzerten. Und ich kenne das Gefühl sehr gut, wenn man das erste Mal in Europa ist, es okay läuft, dann glaubst, das werde und könne ewig so weitergehen. Doch dann verändern sich die Dinge allmählich, deine neue Band ist irgendwann nicht mehr so neu und du musst eine realistische Sicht auf die Dinge gewinnen. So ist das mit mir: Ich sehe die Dinge ganz realistisch und habe trotzdem meinen Spaß. Und ja, ich hätte noch mehr Spaß, wenn ich mit einer Band vor mehr Leuten spielen könnte und auch richtig viele Platten verkaufen würde. Aber das ist nicht wirklich realistisch, und ich bin auch nicht der Erste, der erkennen muss, dass er wirklich kämpfen muss, um mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Gibt es für dich denn so was wie ein Ausstiegsszenario?

„Nein, überhaupt nicht, und das ist ganz schön beängstigend, vor allem weil ich seit kurzem Vater bin. Auf der anderen Seite ist es ermutigend, dass ich diese neue Platte gemacht habe, mit der ich wirklich zufrieden bin und die auch vielen anderen Leuten zu gefallen scheint. Das hat scheinbar was damit zu tun, wie sehr ich die Dinge selbst in die Hand nehme. Je mehr Kontrolle ich selbst habe, desto besser läuft es. Ich stecke all meine Energie in meine Musik, und mit etwas Glück schaffe ich es, zu überleben.“

Und da ist ja noch DINOSAUR JR.

„Ja, zum Glück. Das war perfektes Timing, das könnte nicht besser laufen. Murph und ich haben da so richtig Lust drauf, we were starving to do it. Aber was J anbelangt, so hat er, glaube ich, noch nie in seinem Leben auf etwas gehungert. Er wusste schon immer, wie er sicherstellt, dass er hat, was er braucht. Gut für ihn, aber ich habe Entscheidungen schon immer mehr aus dem Bauch heraus getroffen.“

Haben DINOSAUR JR über die anstehenden Konzerte hinaus eine Zukunft?

„Ich kann mir das nicht vorstellen. Und wenn ich mir das vorstelle, weiß ich nicht so recht, wie viel Spaß das noch machen würde, denn wenn es ans Plattenmachen geht, wird es erst schwierig. J ist eben ein sehr kritischer Typ, und ich brauche viel Liebe und Unterstützung – J ist aber für beides nicht gerade die richtige Person. Und Murph geht es da genau wie mir.“

Ihr seid zwei Katzen, die ihre Streicheleinheiten brauchen.

„Absolut.“

Lou, vielen Dank für das Interview.