WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY

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Setting things on fire

Es wurde auch allmählich Zeit: Seit Jahren verfolge ich begeistert die Releases der aus Brooklyn stammenden THE WORLD INFERNO/FRIENDSHIP SOCIETY (fortan TWIFS abgekürzt), einer bis zu neun Köpfe starken, aus dem Punkrock-Umfeld stammenden Band, die sich einem mitreißenden Gute-Laune-Sound zwischen POGUES und der verschärften Balkan-Folklore eines Goran Bregovic verschrieben hat. Ihre Platten erscheinen vorzugsweise auf dem New Yorker Ausnahmelabel Gern Blandsten, und auf europäischen Bühnen sind sie regelmäßige Besucher – allein, ich hatte es bislang nie geschafft, ein Konzert zu besuchen, geschweige denn endlich mal ein Interview zu machen. Im Frühjahr klappte es endlich, und noch vor dem Konzert in Dortmund saß man im schummrigen Backstage-Wohnzimmer zusammen, die Band bereits unter dem Einfluss diverser Mittelchen, wie mir gesteckt wurde. Und wie es immer so ist, wenn man mit vielen Leuten ein Interview macht: Es ist im Nachhinein so gut wie unmöglich, aus dem Stimmengewirr einzelne Personen herauszuhören. Deshalb habe ich mir erlaubt, die Antworten zusammenzufassen.

Die ist es so in Brooklyn, eurer Heimat? Das muss ja ein unglaublich hipper Stadtteil sein, wenn man der wie immer gut informierten Musikpresse glaubt ...

„In den letzten Jahren sind die ganzen Clubs aus Manhatten weggegangen und haben sich in Brooklyn angesiedelt, und die kreativen Leute wohnen alle mehr oder weniger in der gleichen Gegend dort. Die eine Szene gibt es nicht, es sind viel mehr viele kleine Szenen mit entsprechend vielen Band, die nicht viel miteinander reden.“

Und welcher Szene fühlt ihr zugehörig?“

„Der World Inferno-Scene. Wirklich, wir stehen da ziemlich alleine da. Ich meine, wir sind mit vielen Bands befreundet, aber wir spielen deshalb nicht gleich zusammen Konzerte. Wir machen unser eigenes Ding, und über eine lange Zeit waren wir die beliebteste Band in New York ohne Plattendeal. Wir laden gerne befreundetet Band ein, mit uns zu spielen, die laden uns ein, und so gewinnt jeder. Und das hat auch nichts mit der Szene zu tun, in der alle enge schwarze Hosen tragen und auch nur mit Leuten zu tun haben, die genauso rumlaufen.“

Wenn ihr in Deutschland spielt, finden eure Konzerte in der Regel in Läden statt, die eine gewisse Verbindung zur Gegenkultur haben, und nicht in reinen Kommerzclubs. Wie ist das in den USA?

„Also das entspricht auf jeden Fall unserer Einstellung, wobei man aber einschränken muss, dass in den USA eine Szene in dieser Größe nicht existiert. Wir haben nicht diese Gegenkultur-Szene wie wir sie aus Italien, Deutschland, Dänemark und anderen europäischen Ländern kennen. Die Leute hier nehmen dieses Thema viel ernster als die in den USA, sind politischer und engagierter. Das hat vielleicht auch etwas mit der geographischen Nähe in Europa zu tun, die Leute sind vernetzter, tauschen sich mehr aus. Dazu kommt, dass es in den USA keine besetzten Häuser gibt, ja Hausbesetzungen generell unmöglich sind, die Polizei setzt dich sofort wieder vor die Tür. Du kannst dich den unglaublich hohen Mieten dort nicht verweigern, du bist ständig damit beschäftigt, das Geld dafür zusammenzukratzen, und das macht das Festhalten an Idealen nicht gerade einfacher. Du musst das Spiel mitmachen, hast keine Wahl.“

So funktioniert Unterdrückung: Die Leute mit subtilen Methoden klein halten.

„Ja, und deshalb sind die politisch aktiven Leute in den USA auch eher im Süden und Mittleren Westen zu finden, und da in kleineren Städten. Die Mieten, die Lebenshaltungskosten dort sind geringer, man muss nicht zwei Jobs haben, um über die Runden zu kommen, sondern hat noch genug Zeit für andere Aktivitäten. So kommt es auch, dass New York als größte Stadt des Landes im Verhältnis zur Einwohnerzahl am wenigsten politische Aktivisten und die kleinste Punkszene hat. Die Leute sind so mit ihrem Leben beschäftigt, dass sie keine Zeit für was anderes haben. Mir fallen spontan jedenfalls nicht mal fünf coole Punkbands aus NYC ein.“

Und wie kommt ihr damit klar, wie kommt ihr über die Runden?

„Wir kämpfen, haben neben der Band noch Jobs. Du musst eben Kompromisse eingehen, wenn du in New York City leben willst. Jeder hat seine Gründe, weshalb er da leben will, etwa weil die Stadt doch eine riesige Palette an Möglichkeiten bietet. So etwa die vielen verschiedenen Musikszenen. Die meisten anderen Städte sind auf eine Art von Musik spezialisiert, Chicago etwa auf arty Indie-Rock, Boston ist gut in ... gar nichts, hahaha, nein, die machen coolen Hardcore über Hockey, aber nur in NYC hast du diese Bandbreite, wo du Punk, seltsame Weltmusik und Klassik verbinden kannst, auf hohem Niveau. Nur muss man dafür eben auch Opfer bringen, nämlich die immens hohen Lebenshaltungskosten.“

War das schon immer so?

„Nein, wir sind ja alle schon etwas älter, und als wir nach New York zogen, war es noch nicht so teuer – und die Punkszene dort war auch viel besser. Über die Jahre sind eben viele Leute von dort weggezogen, viele Clubs wurden geschlossen.“

Wie überlebt man als Band unter solch feindlichen Bedingungen?

„Nur schwer, denn es ist teuer auf Tour zu gehen, wenn du zu Hause Miete bezahlen musst und es dir auch nicht leisten kannst, deinen Job aufzugeben. Ein Proberaum ist teuer, ein Bandbus kaum zu unterhalten, weil die Versicherung so teuer ist und Parkplätze kaum zu bezahlen. Und die Reinigungskosten sind auch nicht zu unterschätzen.“

Bitte ...?

„Na, wir tragen doch Anzüge auf der Bühne, die man ja auch mal reinigen lassen muss. Und das kostet! Jedenfalls muss einem in New York City seine Band schon etwas wert sein, und man muss hart an sich und für die Band arbeiten.“

Seht ihr euch als Repräsentanten eurer Heimatstadt?

„Auf jeden Fall! Die Band ist wie New York City selbst: Neun Leute verschiedenster Herkunft und mit unterschiedlichsten Einflüssen machen zusammen Musik, kommen miteinander klar, haben etwas gemeinsam, das Sinn macht und funktioniert. Genau wie New York City!“

Der Melting Pot-Mythos lebt also.

„Ja, man könnte das schon sagen. Und die Band lebt durch diese Vielfalt, das hält sie am Laufen.“

Eben wurde die Zahl 9 erwähnt: Geht ihr immer zu neunt auf Tour oder variiert das?

„Meistens sind wir wirklich zu neunt, nur manchmal fehlen ein oder zwei Leute, wie bei einem Teil dieser Tour.“

Das macht das Touren nicht gerade einfacher, da braucht man ja schon zwei Autos.

„Ja, wir sind mit zwei Tourvans unterwegs, das macht die Sache nicht billiger. Bei uns ist eben alles etwas größer, aber das gehört einfach dazu. Dafür hast du auch einen größeren Sound, und wer uns erstmals begegnet, ist auch immer beeindruckt, einfach weil wir so viele sind. Wenn du da zu zehnt in einem Club einläufst, hinterlässt das schon Eindruck – und manche Leute sind auch eingeschüchtert. Es ist aber auch schwer, immer alle zusammenzuhalten – nur wenn es ums Essen geht, sind alle sofort da. Wenn dagegen etwas schief geht oder fehlt, sind plötzlich alle weg, hahaha.“

Wie kommt man menschlich klar? Manche Bands sind ja schon als Trio überfordert vom Touralltag.

„Das ist wie ein großes Familientreffen. Klar gibt es da auch gewisse Animositäten, aber jeder versucht sich zu benehmen und dann klappt das. Außerdem ist es schwerer, sich memmenhaft zu beklagen, wenn man so ein großes Publikum hat, haha. Und falls man sich mal über jemand aufregt, kann man dem leicht aus dem Weg gehen, setzt sich im Bus neben jemand anderes. So gesehen ist es sogar einfacher, in einer so großen Band untereinander klarzukommen, es ist mehr Platz für Persönlichkeiten. Bei einem Trio ist nur Platz für eine Diva, bei uns dagegen für drei bis fünf. Und mit dem Equipment ist es auch einfacher: Wenn sich Sänger, Drummer und Keyboarder mal wieder so abgeschossen haben, dass sie sich nicht bewegen können, sind immer noch genug Leute zum Einladen da, hahaha.“

Ich stelle es mir schwierig vor, morgens alle Leute aus dem Bett zu bekommen, wenn man früh los muss.

„Ach, da haben wir jemand, der den Job übernimmt: er hat 16-Loch-Doc Martens mit Stahlkappen ... Außerdem bist du gearscht, wenn du bei so vielen Leuten als letzter zum Frühstück kommst. Die Hyäne, die als letztes an der Leiche auftaucht, bleibt eben hungrig, hahaha. Wer zuletzt aufsteht, muss kalt duschen. Und wer abends nicht schnell genug ist, bekommt keine Matratze mehr ab. Du siehst, es gibt reichlich Gründe, in dieser Band motiviert zu sein.“

Wie teilt ihr euch das Songwriting auf?

„Jeder von uns trägt seinen Teil bei, Jeff schreibt die Texte. Es passiert eigentlich nie, dass einer einen ganzen Song beisteuert, sondern mal einen Vers, einen Refrain, hier ein Teil, da ein Teil. Alle in der Band sind starke Persönlichkeiten, jeder hat eine Meinung, und wenn man mal die aus neun Personen bestehende ‚This sucks‘-Barriere überwunden hat, bleibt ein wirklich tighter Song übrig. Wir sind jedenfalls sehr gut im kreativen Streiten.“

Gibt es so was wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner?

„Wir können uns alle auf THE CLASH, THE POGUES und Neil Diamond einigen, wenn deine Frage auf Musik bezogen ist. Ansonsten lieben wir es Dinge anzuzünden und ihnen beim Brennen zuzuschauen, und uns zu besaufen.“

Feuer, Zerstörung, das sind auch Themen, die immer wieder in den Ansagen eures Sängers auftauchen.

„Uns fasziniert Zerstörung ganz allgemein, und das ist ja auch ein politischer Akt. Smashing the state, one little bit at a time.“

Um noch mal auf die musikalischen Einflüsse zu sprechen zu kommen: Mich erinnert euer Sound ja auch immer wieder an Goran Bregovic, der unter anderem für den Film „Underground“ den Soundtrack gemacht hat.

„Gut beobachtet! Bregovic und seine Band NO SMOKING ORCHESTRA gehören auf jeden Fall zu unseren Favoriten. Wir hatten zu Beginn die Idee, mit dieser Band so was wie Zirkusmusik zu machen. Diese wiederum ist eng verbunden mit dem, was mal als ‚Fahrendes Volk‘ und ‚Zigeuner‘ bezeichnet, der osteuropäischen Klezmer-Musik. Unser Bassist, der sich stark ins Songwriting einbringt, kommt aus der Türkei, und so kommt das alles in unserem Sound zum Ausdruck. Von da kann man den Bogen zur Folk-Musik der POGUES schlagen, und letztlich ist das alles Musik, die es schon hunderte Jahre gibt, die schon immer bestens geeignet war zum Trinken, Tanzen und Feiern. Irische Musik, Zigeunermusik und Punkrock sind einfach eine unschlagbare Kombination.“

Lasst mich zum Schluss noch den Frage-Klassiker anbringen: Was hat es mit eurem Namen auf sich?

„Er hat was mit den ‚Freundschaftsclubs‘ zu tun, die zu Zeiten des Kalten Krieges existierten, um den Austausch zwischen Ost und West zu fördern. Das waren so was wie Brieffreundschaften des Kalten Krieges, die natürlich politisch instrumentalisiert wurden. Lächelnde Kommunisten und lächelnde Kapitalisten schüttelten sich die Hände.“
Joachim Hiller
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