AGAINST ME!

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Anger management in fourteen songs

Gainesville im Bundesstaat Florida hat, angeschoben durch HOT WATER MUSIC und ortsansässige Labels wie No Idea, Fueled By Ramen oder Sabot Productions, eine Vielzahl einzigartiger Punkacts hervorgebracht. An deren Spitze steht eine Band, die mittlerweile Zweidrittel des Jahres gar nicht mehr vor Ort ist, da sie sich seit Jahren konstant auf Tour befindet: AGAINST ME!. Deren Mitglieder Tom, Andrew, James und Warren sind seit jeher politisch engagiert und scheuen sich nicht, Konzerte für eine gute Sache und gegen die jetzige US-Regierung zu spielen. Kurz vor Erscheinen ihres dritten Albums und einer sich anschließenden Tournee durch alle (!) fünfzig US-Staaten, machten AGAINST ME! im Juli einen kurzen Abstecher nach Europa. Auf dem Fredericia-Hardcore-Festival hundert Kilometer nördlich von Flensburg traf ich mit Sänger und Gitarrist Tom Gabel, Drummer Warren Oakes und Bassist Andrew Seward fast gleich die ganze Band zum Gespräch.

Die Show heute in Dänemark ist die letzte eures Europabesuchs. Wie war die Tour, und warum habt ihr nur drei Shows in Deutschland gespielt?

Tom: „Die Idee dieses Besuchs war, Städte zu bereisen, in denen wir vorher noch nicht gespielt hatten. Dazu gehörten vornehmlich Städte in Osteuropa und Skandinavien, die wir die letzten Wochen alle abgeklappert haben. Was soll ich sagen, die Shows waren allesamt klasse. Aber die Distanz zwischen Ländern wie Deutschland, Slowenien und Norwegen ist dann doch etwas groß, so dass wir ziemlich viel unterwegs waren.“
Andrew: „Zum Glück ist dieses Jahr nicht wieder unser Bus, ein alter Fiat, kaputt gegangen wie letztes Jahr in Hamburg. Die Erinnerungen an den fensterlosen Transporter, mit dem wir dann zum Flughafen nach Frankfurt fahren mussten, sind nicht die besten. In Deutschland haben wir zum dritten Mal in München gespielt, was klasse war, da man alte Gesichter wiedersehen kann. Dazu noch Regensburg und, na ja, dann eben noch dieses Punk-Festival, wo wir irgendwie nicht so reingepasst haben.“

Merkt ihr als nordamerikanische Band einen Unterschied, wo man in Europa auftritt, oder sind die Kids alle gleich?

Tom: „Die Leute sind definitiv verschieden, obwohl die Distanz zwischen den einzelnen Staaten nicht so groß ist.“
Warren: „Aber es ist schon komisch festzustellen, dass auch in der so genannten Independent-Szene vieles gleich ist, ganz egal aus welchem Land jemand kommt. Wir haben alle dieselben Poster an der Wand, tragen die gleichen Klamotten und meinen trotzdem, irgendwie unabhängig zu sein.“

Ich das nicht auch ganz schön beängstigend, dass auf einem Festival wie diesem ganze Heerscharen dasselbe Band-T-Shirt tragen und man buchstäblich ahnen kann, wie viele Stunden sie zum Stylen vorm Spiegel verbracht haben müssen?

Tom: „Absolut, ja. Mit Hilfe des Merchandise kann man sehen, welche Band in einer Region im Moment angesagt zu sein scheint. Das fiel vor allem in Skandinavien auf. Egal, wo wir spielten, es gab immer Kids mit diesen TRAGEDY-Shirts.“
Warren: „Unter anthropologischen Gesichtspunkten ist das aber wiederum normal. Selbst subversive Gruppierungen haben eben ihre Dresscodes und Rituale. Punks bilden da keine Ausnahme.“

Leider habe ich noch keinen einzigen Song des neuen Albums hören können. Sagt doch mal selber was dazu und zu der Zeit im Studio.

Tom: „Wir haben zum ersten Mal mit J Robbins, früher Mitglied bei JAWBOX, gearbeitet. Er hat ein nagelneues Studio in Baltimore, Magpie Cage genannt, eingerichtet. Wir durften es quasi einweihen. Das Ganze hat ungefähr einen Monat von Mitte April bis Mitte Mai gedauert. Mit J zu arbeiten, war die richtige Entscheidung, er hat tolle Arbeit geleistet und half bei einigen Songs sogar selber mit Gesang und Tamburin aus. Auf dem Album befinden sich insgesamt vierzehn Songs bei einer Spielzeit von mehr als 45 Minuten.“

Auf dem letzten Album waren für – viele überraschend – auch Klavierläufe zu hören. Womit ist neben dem Tamburin von Jay denn noch zu rechnen?

Andrew: „Das mit dem Klavier auf der letzten Platte hat sich damals im Studio so ergeben und war eigentlich nicht geplant. Auch auf ‚Searching For A Former Clarity‘ haben wir uns von der Zeit im Studio inspirieren lassen, mehr möchte ich aber nicht verraten. Hör dir die Songs an und lass uns dann noch mal drüber reden.“

Eure Musik wird von den meisten Musikkritikern als Mischung aus Folk und Punk beschrieben. Der Vergleich mit Billy Bragg wird da meiner Meinung nach aber komplett überstrapaziert.

Tom: „Die meisten Vergleiche mit Bands oder Musikern halte ich persönlich für völlig aus der Luft gegriffen. Aber da ich Teil von AGAINST ME! bin, sehe ich das wahrscheinlich auch anders als ein Außenstehender. Der Ursprung dieses Billy Bragg-Vergleiches ist, dass wir von Beginn an schwer einzuordnen waren. Jemand fing dann mal damit an und alle anderen übernahmen es einfach.“

Die erste Band, die mir spontan einfiel, als ich euch zum ersten Mal hörte, war VIOLENT FEMMES.

Tom : „Das habe ich bisher noch nie gehört, kann mich aber ohne Probleme damit anfreunden! Billy Bragg-Elemente suche ich bis heute jedoch vergeblich.“

Tom, du hast AGAINST ME! Ende der 90er als Soloprojekt mit deiner Akustikgitarre ins Leben gerufen und schreibst bis heute alle Texte. In einem Artikel wirst du wohl deswegen auch als „Bob Dylan des Punkrock“ bezeichnet. Hast du jemals wieder daran gedacht, alleine etwas auf die Beine zu stellen?

Tom: „Nicht wirklich. Wir konzentrieren uns alle auf die Band. Zu etwas anderem fehlen im Moment einfach die Zeit und Energie. Manche Journalisten meinen es wirklich zu gut mit mir. Ich sehe mich jedenfalls nicht als unfreiwilliges Sprachrohr einer ganzen Generation. Das ist lächerlich.“

Muss Punk zwangsläufig eine Bedrohung darstellen?

Tom: „Absolut nicht. Ich persönlich bin zwar gerade aus dem Gefühl der Wut und Entfremdung gegenüber der Gesellschaft zum Punkrock gekommen, aber das als einzigen Grund für den künstlerischen Ansporn zu sehen, kann ich nicht behaupten. Wir sind alle ein wenig älter geworden. Sich den ganzen Tag über alles und jeden aufzuregen, ist auf Dauer einfach zu anstrengend. Diese Welt bietet mehr als nur eine Lösung, daher muss Kunst auch niemals etwas. Ich habe mit der Zeit die unterschiedlichsten Arten kennen gelernt, wie ich meine Energie sinnvoll nutzen kann.“

Haben Musik oder Kunst eurer Meinung nach die Kraft, das politische Bewusstsein ihres Publikums zu beeinflussen?

Tom: „Musik ist auf jeden Fall ein Instrument, um politische Meinungen zu verbreiten. Darüber hinaus gibt sie mir persönlich im besten Falle die Möglichkeit mit Leuten, die dieselben Vorstellungen wie ich verfolgen, in Kontakt zu treten und ihnen das Gefühl zu vermitteln, nicht allein zu sein mit sich und ihren Ideen. Das Leben ist zu kompliziert, um allein damit fertig zu werden.“

Viele Amerikaner pochen auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit. Sobald Wahlen anstehen, geht aber keiner hin. Woran liegt das?

Andrew : „Diese geringe Wahlbeteiligung in den USA ist schon komisch. Obwohl die mehr als dreißig Prozent bei dieser Wahl schon über dem Durchschnitt lagen. Die meisten sind vielleicht einfach zu faul. Für uns und all unsere Freunde war es selbstverständlich, zu wählen.“
Warren: „Politik und Wahlen sind abstrakt und liegen weit außerhalb des privaten Lebensbereiches. Es betrifft die Menschen nicht unmittelbar, oder vielmehr meinen das viele. Mittelpunkt des Interesses ist und bleibt der Arbeitsplatz. Denn auch nach der Wahl ist dein Chef immer noch derselbe, egal wen du gewählt hast.“
Tom: „Dazu kommt noch das amerikanische Zweiparteiensystem, das über die Jahre die Menschen völlig abgestumpft hat und das Gefühl verstärkt, mit seiner Stimme nichts ändern zu können.“

Nachdem 2003 bekannt wurde, dass ihr das Label wechselt und von No Idea zu Fat Wreck Chords geht, gab es einigen Aufruhr in der amerikanischen Szene. Ist das heute noch ein Thema?

Tom: „Ja, definitiv. Im Vergleich zu anderen Themen ist das auch heute noch im Gespräch. Mir ist das mittlerweile relativ egal, weil es uns gut geht.“
Andrew: „Die Leute, denen unsere Entscheidung damals missfiel, haben bis heute kein zählbares Argument vorgebracht, das hätte dagegen sprechen können. Es ging ihnen stets immer nur um das Prinzip, einen neuen Feind zu finden.“
Tom: „Solange man Musik macht, die man selber liebt, sind jegliche Sellout-Vorwürfe sowieso hinfällig. Du bist nur das, an was du wirklich glaubst. Ich will in einer Band sein, ich will Musiker sein, ich will auf Tour sein und ich will Shows spielen. Jeden Tag. Sobald du darüber nachdenkst und Zweifel an dem hast, was du tust, und es trotzdem tust, dann bist du in meinen Augen ein Sellout-Act.“

Wie viele Majorlabels haben nach dem Erscheinen eurer DVD „We’re Never Going Home“, auf der ihr ein Majorlabel nach dem anderen abblitzen lasst und ausnehmt, noch ernsthaftes Interesse an AGAINST ME! gezeigt?

Tom: „Ich habe nach dem Erscheinen der DVD mit einigen Labelscouts gesprochen und komischerweise fanden sie unsere Aktionen alle ziemlich witzig. Trotz unser Streiche bekommen wir auch jetzt noch ernst gemeinte Angebote. Entweder haben sie das Ganze nicht verstanden oder sie finden uns eben einfach gut.“

Ich danke euch für das Gespräch.