DISCO DRIVE

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Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Manchen Ländern traut man irgendwie nicht zu, dass sie brauchbare Bands beherbergen. Schweden, England und die USA beherrschen die Indie-Szenerie, bei Italien hingegen denkt man zuallererst an Eros Ramazotti oder Gianna Nannini. Dabei entgehen einem dann allerdings tolle Entdeckungen, wie eben DISCO DRIVE aus Turin, namentlich Alessio Natalizia (Gitarre, Gesang), Andrea Pomini (Bass, Gesang) und Jacopo Borazzo (Schlagzeug, Gesang), mit dem ich auch dieses Interview geführt habe.

Gegründet bereits 2002, kam der Dreier nach einem Haufen von Singles erst in diesem Jahr mit seinem Debüt „What’s Wrong With You, People?“ auf Nois-o-lution raus und stieß mit seinem Album in einen Disco-Punk-Markt, in dem Bands wie RADIO 4 oder Q AND NOT U bereits für klare Verhältnisse gesorgt hatten. Das schürte die Befürchtung, DISCO DRIVE seien vielleicht etwas spät dran. „Die Songs, die es auf das Album geschafft haben, waren bereits 2003 fertig geschrieben“, erzählt Jacopo, der umständliche Aufnahmeprozess mit Produzenten- und Lokalitätenwechseln und ähnlichen Hindernissen allerdings führte zur vergleichsweise späten Veröffentlichung.

„Als wir mit den Aufnahmen beschäftigt waren, wurden Bands wie FRANZ FERDINAND oder THE RAPTURE gerade ganz groß, wir hatten deshalb das Gefühl, dass sich die Dinge in der Zukunft für uns gut entwickeln würden“, meint Jacopo, „als es dann aber über ein Jahr dauerte, bis das Album das Tageslicht erblickte, hatten wir Sorge, dass wir schon zu spät kommen, was aber eigentlich gar nicht der Fall ist.“
Dennoch führten die Verzögerungen dazu, dass sich die Band als später Dazugestoßene nun ständig mit lästigen Vergleichen herumschlagen muss. „Ich denke, wir und diese Bands teilen alle denselben Hintergrund, nämlich vor allem GANG OF FOUR, direkt von ihnen beeinflusst sind wir allerdings nicht“, so die Einschätzung des Betroffenen.

Überhaupt sollten die ständigen Vergleiche eher nerven, wenn man bedenkt, dass DISCO DRIVE, die ihren Namen übrigens einem Song von LES SAVY FAV entliehen, seit ihrer Gründung unermüdlich durch Europas Clubs touren, meist in äußerst prominenter Gesellschaft, also selbst schon so etwas wie alte Hasen im Geschäft sind. Italiens miserabler Ruf als Rock-Nation allerdings führt vermutlich dazu, dass sich Menschen von außerhalb lieber den etablierten Rock-Mächten zuwenden. Andererseits ist unter Landsleuten der Zusammenhalt besonders groß, so kam zu Konzerten im Ausland immer eine bemerkenswerte Zahl ausgewanderter Italiener. Unter den übrigen Zuschauern meinte Jacopo eine besondere Neugier einer italienischen Band gegenüber auszumachen. Eine faszinierende Beobachtung, wie er zugibt. „Wir sind glücklicherweise nie wegen unserer Herkunft diskriminiert oder angefeindet worden. Wir sehen jedenfalls nicht besonders italienisch aus und klingen auch nicht so, ich denke, das hilft schon, Vorurteile zu vermeiden.“

Im Herbst ist die Band wieder auf Europatour, wobei sie natürlich auch in Deutschland Station macht. Wem der Sound des Albums zu höflich und zu sauber ist, der kann sich live auf Schmutz und Straße gefasst machen, schließlich sind Platte und Konzert zwei völlig verschiedene Möglichkeiten, sich auszudrücken, wie Jacopo betont: „Wir mögen es lieber, eine Platte zu hören und dann live etwas völlig anderes geboten zu bekommen, als wenn die Band wie auf dem Album klingt. Oder langsamer, oder langweiliger.“ Das klingt nach einer Menge Spaß, finde ich. Es ist also endlich an der Zeit, dem vermeintlichen Rock-Entwicklungsland Italien eine faire Chance zu geben.