THROW RAG

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Rock’n’Roll Sinners

Als ich THROW RAG das erste Mal traf, traute ich mich fast nicht an den Merchandise-Stand, den ein – vorher auf der Bühne psychotisch auf einem Waschbrett spielender und nun mit Terroristen-Sonder-Einsatzkommando gleichendem Blick – starrendes Mitglied der THROW RAG-Artillerie wie einen Hochsicherheitstrakt der NASA bewachte. Da Frau sich aber ihrer Gene nicht erwehren kann, wenn das Shoppingcenter in Form eines Standes zum Greifen nah liegt, wurde der Kaufangriff gestartet, und der erste Eindruck sofort eines besseren belehrt ... THROW RAG sind kauzig-verrückt-freundliche, mit ordentlich Speedo-Underwear und goldenem Pulver für die Tour bestückte Wüstenbarden, die zu Hause in der kalifornischen Wüste in Salton Sea schon lange ihre – wegen Nacktheit auf der Bühne – erspielten Auftrittsverbote durch Bekanntheitsstatus und legendäre Konzerte aufgehoben haben. Seit nun mehr als zehn Jahren sind Capt. Sean Doe (Gesang), Jacko The Cobra (Waschbrett), Dino (Gitarre), Franco Fontana (Bass) und Chango Von Streicher (Schlagzeug) als THROW RAG – laut Info – die Personifizierung des Rock’n’Roll.

Trotz des typischen THROW RAG-Sounds, den man eigentlich schwer einzuordnen vermag, aufgrund zu vieler Einflüsse und einer gelungenen Mixtur aus Punk-Rock’n’Roll, Rockabilly, Country und Blues, haben es THROW RAG geschafft, jedes ihrer bisher erschienen Alben mit neuem Sound zu übertreffen. „Ich habe schon viele lustige Vergleiche gehört, wonach wir klingen sollen, so sind wir oft als ‚Pirate Rock‘ beschrieben worden. Wir klingen nach zu vielem, als dass man das so einfach umschreiben könnte.“

War das erste Album „Tea Tot“ noch eher ein Sammlerstück für Rockabillys and Cowpunk-Fans, konnte „Desert Shores“ mit gehissten Segeln gen Rock’n’Roll beim heiß geliebten Punk- und Skateboardpublikum vor Anker gehen. Allerdings konnte keines der bisher erschienen Alben dem vorgreifen, was THROW RAG eigentlich ausmacht: eine unglaubliche Live-Präsenz. Elegant in Kapitäns Ausgehuniform legen die Jungs von der ersten Sekunde eine energiegeladene Punkrockshow an den Abend. Gentlemanlike, wie man sich gestandene Seefahrer an der Westcoast so vorstellt, verlieren die Jungs sich nicht nur in einer Ekstase gleichenden, verrückten, powervollen Live-Show, sondern teilweise auch ihre Klamotten. Nun ja, meiner Meinung nach nicht unbedingt visueller Höhepunkt meines Lebens – oder was sich Frauenherzchen unter einem schönen, durchtrainierten, nackten Körper auf der Bühne so vorstellt.

Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen: Jacko, ein gebürtiger Engländer, der den Waschbrettbauch gegen ein richtiges Waschbrett eingetauscht hat und eben dieses in einem Kreuzfeuer von Wahnsinn gekonnt bespielt. „Jacko verließ England, um sich in der Welt als Tätowierer herumzuschlagen, und ist schließlich in Kalifornien gelandet. Ich mochte ihn sofort und überredete ihn, in die Band einzusteigen. Allerdings kam er am ersten Tag mit einem Akkordeon ins Studio, aber spielte es nicht wirklich gut. Also fragte ich ihn, ob er noch etwas anders spielen könne, und das war das Waschbrett.“

Rock’n’Roll-Chaos pur, und auf ihrem neuen Album „13Ft And Rising“ haben sie es nun geschafft – mit Hilfe von Cameron Webb, der unter anderem mit Social Distortion oder Motörhead gearbeitet hat –, ihren Live-Eindruck auch auf CD zu übertragen. Nach fast ununterbrochener Tour und vielen neuen Einflüssen, ist ihr neues Album viel rauher, viel straighter, viel lauter und lebendiger, und – trotz gescheitertem ThrowRagJugendFanclub-Versuch – von vorne bis hinten mit einem Rock’n’Roll-Ohrwurm nach dem anderen gespickt. „Wir hatten mit Cameron schon vor einigen Jahren zusammengearbeitet und mögen den fetten Sound. Wir sind absolut zufrieden mit dem, was Cameron gemacht hat!“

Und nicht nur Cameron Webb, sondern auch Jello Biafra, Lemmy und Keith Morris von den Circle Jerks dürfen sich auf der Namedropping-Liste zum Album dazuzählen. „Wir spielten in einem Club in der Nähe von Jello Biafras Haus, der auch zur Show kam, und spielten diesen neuen Song. Der Song hat einen ziemlich langen instrumentalen Part und ich hatte mir schon vorgestellt, dass Jello perfekt dafür wäre.“ Offensichtlich ohne langes Zögern muss die Band wohl auch den Dead Kennedys-Mastermind gefragt haben, der zusammen mit Keith einen Spoken Word-Auftritt über die „Children Of The Secret State“ zum besten gibt. „Es war, würde ich mal sagen, ziemlich gutes Timing, dass die Jungs alle auf dem Album dabei waren. Der Rockgott hat uns von oben angelächelt! Was ich herausgefunden habe, ist, dass du, je hartnäckiger du nachfragst, die Leute dann auch Ja oder Nein sagen.“

Offensichtlich hartnäckig genug, ob aber die – wie von Capt. Sean Doe behauptet – beidseitige Vorliebe für weiße Cowboystiefel dazu beigetragen hat, Lemmy zu überzeugen, an dem neuen Album mitzuwirken, kann hier wohl nicht eindeutig geklärt werden. Dass bei den Aufnahmen hier aber nur eine Flasche Whiskey pro Nacht gekillt worden sein soll, vermag man bei „Tonight the bottle let me down“ kaum zu glauben – einem Song, bei dem man sich beim hören unweigerlich an den Stammtisch einer verrauchten Kneipe, stehend oder eher vornüber gebeugt halbseitig auf dem Barhocker hängend, versetzt sieht. Das kann der Kapitän gerne als kleine Anekdote in das Handbuch zum Überleben in der Wüste mit aufnehmen. Alle Bands aufzuzählen, mit denen Throw Rag schon auf Tour waren, würde wohl den Platz dieser Seite sprengen. Schließlich sind die Jungs seit drei Jahren fast ununterbrochen auf Tour. Von den BYO-Labelmates The Briefs, über Motörhead, Rocket From The Crypt, The Damned, Riverboat Gamblers bis zu den Queens Of The Stone Age im Frühjahr diesen Jahres können sich Throw Rag wohl über schlechte oder unangebrachte Begleitung nicht beklagen. Dennoch fühlt sich die Band in kleinen Clubs immer noch wohler als auf den großen Bühnen dieser Welt. „In kleinen Clubs fühlst du viel mehr Energie. Queens Of The Stone Age sind großartige Leute, allerdings wussten die Fans nicht so richtig, was sie von uns halten sollen. Dafür spielten wir in wirklich schönen Läden. Wir hatten ohne Ende Soda Pop und Deli Food. Da gab es definitiv keinen Mangel am Tourbudget. Irgendwann haben wir uns dabei erwischt, an dem Deli-Essen rumzumäkeln, du kannst dir also vorstellen, was das für eine Tour war. Auf der Warped Tour trifft und verpasst man so viele Bands, aber das Essen war klasse, das war ein Plus.“

Ob das Essen auch auf ihrer derzeitigen Tour mit ihren Kumpels von Gogol Bordello gut ist, wird man im November diesen Jahres selber erfragen können, denn dann kommen Throw Rag endlich wieder nach Europa, und – sofern Gogol Bordello nicht das Büfett ohne die Genießer von Throw Rag leer räumen – dieselbigen werden sie hier begleiten. Im Februar ist dann ein weiteres Entern Europas mit den Briefs geplant, um dann im Sommer alleine durch die Clubs zu segeln. In diesem Sinne, Throw Rag ahoi!

Marita