Sascha Müller

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Don’t skate on my ramp

Skatepunk: Ich höre Punk und fahre Skateboard. Und wenn ich kein Skateboard fahren kann, dann ziehe ich mich zumindest so an, als könnte ich es. Je kleiner der Pimpf, desto größer das LAGWAGON-Shirt, desto länger die Kette am Portemonnaie, das das Taschengeld bis zum nächsten Titus-Einkauf verwahrt. In der einen Arschtasche der dicken Baggys ist locker ein Deck unterzubringen, während in der anderen der iPod MILLENCOLIN und US BOMBS abspielt. Und nachher zocken wir noch eine Runde Tony Hawk auf der Playsi, okay? Ganze Konzerne begründen ihre Erfolgsgeschichte auf dieser Lebenseinstellung. Ich habe jemanden nach seiner Geschichte gefragt, der sich wirklich damit auskennt: Sascha Müller aus Münster ist Profi im Halfpipe-Skaten und macht beides: Punkrock und Rollen.

Was bedeutet dir Skateboardfahren?

Freiheit. Denn während ich skate, ist mein Kopf ganz woanders. Ich bin total losgelöst von allen Dingen, die mich sonst beschäftigen. Es hat aber ein bisschen von dem verloren, warum ich es mal gemacht habe. Als kleiner Punk habe ich mein Skateboard bekommen, hatte ein Bullenschweine-Shirt an und bin einfach gefahren. Damals waren wir Rebellen. Heute ist es mein Job. Du hast Pflichten, es gibt es Dinge, die du machen musst: Du musst Fotos machen, du musst Repräsentieren in der Öffentlichkeit. Das kann manchmal auch unangenehm sein.

Wie bist du zum Skateboarden gekommen?
Durch meinen Onkel. Von ihm habe ich 1986 mein erstes Skateboard bekommen. Dann hat es aber ewig gedauert, bis ich angefangen habe, richtig Skateboard zu fahren. Zuerst war es nur ein Fortbewegungsmittel: Mit dem Knie drauf und schieben.

Skizziere mal deinen Werdegang zum Profi.
Ich bin einfach die ganze Zeit gefahren und habe nicht im Kopf gehabt, damit Geld zu verdienen. Ganz am Anfang war dieser Traum natürlich da. Kleinkinderträume. Dann hatte ich einen ersten Materialsponsor. Ich hatte das Glück, am richtigen Ort die richtigen Leute kennen zu lernen. Natürlich habe ich ein bisschen Talent mitgebracht. Playstation war mein erster richtiger Sponsor, der monatlich Geld gezahlt hat. Kurz darauf habe ich ein Maschinenbaustudium angefangen. Mitten in der Klausurenphase habe ich ein Angebot bekommen, in Dubai drei Wochen Shows zu fahren. Diese Anfrage war für mich eine Richtungsentscheidung, ob ich mich jetzt in mein Studium reinhänge oder ob ich skaten will. Ich hatte ja immer davon geträumt, mit etwas Geld zu verdienen, was ich wirklich gern mache. Ich habe mich relativ blauäugig dafür entschieden, jetzt erstmal Skateboard zu fahren.

Wieso blauäugig?
Wenn du vor der Entscheidung stehst: Kümmerst du dich jetzt um eine richtige Ausbildung oder fährst du Skateboard, wo du überhaupt nichts in der Hand hast, wenn du dich verletzt und nie wieder Sport machen kannst. Das ist eine schwere Entscheidung, und ich habe gesagt: „Scheiß aufs Studium, ich skate.“ Es hat sich für mich in die richtige Richtung entwickelt.

Wie wichtig ist dir das Image der Sponsoren, wenn du ein Angebot bekommst, oder zählt nur die Kohle?
Da bin ich schon sehr idealistisch. Ich bin mit jedem einzelnen meiner Sponsoren sehr zufrieden und stehe hinter den Leuten in diesen Firmen. Außerdem sind sie alle schon lange dabei. Mein erster Kohle-Deal war der Vertrag mit Playstation. Das war natürlich nur wegen der Kohle und imagemäßig eine totale Nullnummer. Mit dem knallblauen Playstation-Helm war ich der Clown, aber es war fette Kohle jeden Monat.

Was verdient ein durchschnittlicher Profi?
Keine Ahnung. In Deutschland sind es sowieso nur fünf bis zehn Fahrer, die davon leben können. Ich weiß nicht einmal genau, wie viel ich verdiene, denn ich bekomme einerseits Festgehälter, andererseits ist es aber eine Saisonarbeit. Im Sommer ist jedes Wochenende ein Contest oder eine Show, da kommt wöchentlich Geld rein, von dem du dann im Winter leben kannst.

Ab wie viel Jahren ist man zu alt zum Skaten in deiner Liga?
Das kann man so nicht sagen. Beim Streetfahren ist das was anderes, da musst du dich irgendwelche Treppengeländer runterstürzen, hektische Bewegungen machen. Das geht viel mehr auf die Knochen. Halfpipe fahren ist harmonischer von den Bewegungsabläufen. Da gibt es Leute, die fahren mit Mitte dreißig immer noch Contests auf Worldcup-Niveau und machen eine Top-Ten-Platzierung. Für mich möchte ich es gar nicht wissen, wie lange ich das machen kann.

Was machst du danach?
Das ist ja genau die Frage, warum ich es gar nicht wissen will, wie lange ich noch fahre. Ich würde bestimmt Torschlusspanik bekommen: „Scheiße, nur noch ein Jahr, was mache ich dann?“ Ich weiß nicht, was ich danach machen werde. Darüber könnte ich mir jetzt jeden Tag Gedanken machen, aber dann könnte ich die Zeit, die ich jetzt habe, gewiss nicht so genießen. Ich hatte die letzten drei Jahre das Gefühl, es könnte nicht besser laufen, mein Können und Erfolg steigen noch an.

Wie erkennst du den Punkt, an dem du aufhören möchtest?
Sobald ich merke, dass ich mich nicht mehr weiterentwickeln kann. Das ist der Punkt.

Auch, wenn du noch konstant auf Spitzenniveau fährst?
Ja. Ich habe den Ehrgeiz, das, was ich kann, immer zu übertreffen und meinen inneren Schweinehund bei gewissen Tricks, die ich lerne, zu überwinden. Und wenn ich das nicht mehr kann, dann kommt der Angst-Faktor hinzu, der mit zunehmendem Alter sowieso stärker wird. Der Körper wird empfindlicher. Dann dauert es nicht mehr sechs Wochen bis man einen Bänderriss kuriert hat, sondern zwei Monate. An dem Punkt würde ich es nicht mehr mit Druck und Sponsoren hinter mir machen, sondern nur noch mit Spaß.

Was waren deine bisher größten Erfolge?
Mein größter Erfolg war der letzte Contest, den ich gefahren bin. Das war der Freestyle Contest in Zürich, bei dem ich Dritter wurde. Außerdem war ich Deutscher Meister 2002 und 2003. Bei der Europameisterschaft war ich 2004 und 2005 Sechster, wobei anzumerken ist, dass ich dort nächstes Jahr noch mehr möchte.

Willst du Europameister werden?
Nein, Europameister nicht. Wenn wirklich alle Europäer da sind, die gut fahren und da mitreden können, dann habe ich keine Chance. Für mich wäre es aber realistisch, in die Top Fünf zu fahren. Da will ich rein.

Was möchtest du sonst noch erreichen?
Ich möchte einfach gut fahren. Die Platzierungen sind mir meistens gar nicht so wichtig. Da erwartet man einen bestimmten Platz und bekommt am Ende den dritten statt den zweiten Platz. Dann bist du total sauer und hast einen Abtörn auf die Judges, die Punktrichter. Ich versuche nicht dran zu denken, auf welchem Platz ich gerne landen würde. Ich will für mich selber zufrieden sein und das Beste gegeben haben.

Fühlen sich die Skater häufig von den Judges ungerecht behandelt?
Ja sicher. Es gibt auf Worldcup-Ebene oft Entscheidungen, wo die Top-5-Fahrer nicht zufrieden sind mit ihren Platzierungen. Aber Skateboardfahren ist eine Sportart ohne Regelwerk. Stell dir vor, es gibt zwei Fahrer: Der eine macht einen Trick, der perfekt ist und gut aussieht. Der andere Fahrer macht den gleichen Trick, nur doppelt so hoch. Das sieht total krass aus, ist aber der gleiche Trick. Einigen Leuten gefällt der Trick in der ersten Variante besser, andere bevorzugen die hohe Ausführung. Welcher ist nun höher zu bewerten? Im Prinzip müssten beide Fahrer die gleiche Punktzahl bekommen, aber kein Judge der Welt würde sie gleich bewerten.

Was hat Skaten mit Musik zu tun?
Es gehört zusammen. Zu einer guten Skateboardsession gehört für mich auf jeden Fall Gitarrenmusik. Es gibt natürlich auch die andere Fraktion, die ihre Boombox mit haben und den ganzen Tag Hip-Hop hören. Musik und Skaten lassen sich gut vereinbaren. Meine Punkrockband PORNBEAT, in der ich Gitarre spiele, ist ein weiterer Beleg dafür.

Wie wichtig ist dir dein Ansehen in der Szene und bei den Fans?
Eigentlich ist es nicht so wichtig, aber man hat natürlich eine Vorbildfunktion. Kleine Kinder, die einen Contest besuchen, sehen, wie du drauf bist. Du bist für sie der große, coole Typ mit dem Skateboard. Vielleicht finden sie ein Vorbild in dir. Da ist es natürlich cool, wenn du nicht jemand bist, der rumhängt und kifft oder säuft oder irgendwas kaputt kloppt, wenn er sich aufregt. Besser bist du jemand, der was Gutes rüberbringt.