MONOCHROME

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So schön kann lauter Indiegitarrenrockhardcorepop sein

Die erste bewusstseinsverändernde Begegnung mit dem, was heute MONOCHROME ist, fand im Jahre 1994 in einem inzwischen längst geschlossenen Laden an einer viel befahrenen Stuttgarter Hauptstraße statt. Die Band hieß da noch DAWNBREED und spielte im Rahmen eines Antifa-Abends ein furioses Set, das den amerikanischen Hauptact jenseits von alt aussehen ließ. Eine Band mit fünf Jungs aus Sindelfingen, von der ich vorher nicht einen Ton gehört hatte, spielte mit einem wilden Set die Band an die Wand, die Tausende von Kilometern zurückgelegt hatte, um in Europa zu touren, Wahnsinn! Wie wir wissen, wurden DAWNBREED irgendwann in einem Akt der Metamorphose zu MONOCHROME, und von den fünf Jungs, die an diesem Abend bei allen Anwesenden einen tiefen Eindruck hinterlassen haben, gehören heute immer noch drei zu MONOCHROME.

ls reine Hardcore-Band gegründet, mischten DAWNBREED lupenreinem Hardcore schon sehr früh andere Elemente unter, verbanden, was irgendwie zusammenpasste, und brachten von 1994 bis ins Jahr 2000 sechs Singles, zwei LPs und ein paar Samplertracks heraus, wobei das 2000er-Release ein „posthumes“ war. Bereits mit der zweiten Single hatte die Band die Richtung eingeschlagen, die sie nun über zwölf lange Jahre konsequent weiterverfolgt. Zu den furiosen Achterbahnfahrten der frühen DAWNBREED-Platten mischten sich innerhalb von nur drei Jahren immer mehr Pop- und Indie-Einflüsse, Noise-Elemente, ein weiblicher Gegenpart kam dazu und aus einer Band wurden zwei, das DAWNBREED/MONOCHROME-COLLECTIVE. Nach zwei weiteren Jahren ging die Dämmerung zu Ende und es gab nur noch MONOCHROME (und Licht). Neben ihrer außergewöhnlichen Platten waren schon DAWNBREED immer ein einzigartiges Live-Erlebnis. Besonders haften geblieben ist bei mir dabei das zweite Konzert, das in einem Pferdestall auf der Jugendfarm „Sindolino“ stattfand (Marc und Helm leisteten dort ihren Zivildienst). Ein wilder Gig inmitten von Strohballen für Freunde, Bekannte und einige geladene Gäste. Dann waren da noch das bis dahin größte Hardcore-Konzert ohne eine einzige US-Band in der Stuttgarter Röhre 1995 (zusammen mit den sich gerade auflösenden ABC DIABOLO, AMBUSH und MINE) vor völlig ausverkauftem Haus, das in die Hardcore-Geschichtsbücher als „Jeffrey-Dahmer-Night“ einging, und zu guter Letzt ein furioser Gig in einem weiteren Stuttgarter Club, der heute ebenfalls Geschichte ist, für den ich die Geburtstagsfeier meiner damaligen Freundin geschwänzt habe.
In diesem Jahr (1997) mutierte die Band erstmals mit der Hinzunahme eines Saxophonisten zum erwähnten DAWNBREED/MONOCHROME-COLLECTIVE, das musikalisch weitere Türen öffnete, ohne dabei an der Intensität ihrer Live-Auftritte zu verlieren. Meinen persönlichen Live-Einstand als MONOCHROME feierte die Band im Böblinger Vortrieb, nun erstmals mit einer Sängerin als Gegenpart und hinterließ dabei verzückte Gesichter, denn hier hatte sich für viele der Anwesenden eine völlig neue Tür geöffnet, die mit keinem Riegel dieser Welt wieder zu schließen gewesen wäre: Pop! Brachialer Gitarren-Pop, der mit solch einer Wucht vorgetragen wurde, mit soviel Lärm, Intensität und allem Weiteren, was einem die Punk- und Hardcore-Schule mit auf den Weg geben konnte, dass es keine Möglichkeit gab, sich dem zu entziehen.
Soweit zur Geschichte, die wir hier an der Stelle etwas abkürzen können. Wir überspringen sieben Jahre, die verschlissenen Schlagzeuger, Zwischenlösungen, ein neues Label, inzwischen zwei Sängerinnen und umbesetzungsbedingte Zwangspausen, die sich auch am verminderten Tonträgeroutput der Band ermessen lassen, denn die Zeiträume zwischen zwei Tonträgern sind sichtlich größer geworden.
Wir sind im Hier und Jetzt. Eine neue Platte steht an, eine Tour kommt, Grund genug, sich mit Sänger Marc zu treffen, ihm den familieneigenen Apfelsaft weg zu trinken und ihn zu löchern. Da ich nicht wüsste, wie sich ein Interview mit einer Band, die man seit zwölf Jahren kennt, die man verfolgt und von der man (ich gebe es zu) „Fan“ ist, gestalten sollte, ohne dass man sich komplett dumm stellt, ist alles irgendwie ein wenig anders geworden. Die Zitate stammen sämtlich von Marc, die Fragen dazu darfst du dir selber ausdenken.

Für MONOCHROME hat sich endlich eine Besetzung gefestigt, allerdings verteilt sich die Band mittlerweile auf eine Strecke von knapp tausend Längenkilometern, nämlich zwischen Berlin und Basel, mit Stuttgart als „Zentrum“ in der Mitte. Proben, neue Songs, Konzerte sind aufgrund der räumlichen Gegebenheiten keine Selbstverständlichkeit. „Der Aufwand, um Konzerte zu spielen, zu proben oder aufzunehmen ist völlig identisch.“ Während andere Bands sich angesichts solchen Aufwands auflösen oder sich die Mitglieder neuen Hobbys zuwenden, planen MONOCHROME einfach weit voraus. Der Kalender ist ein wesentliches Hilfsmittel und die „Planung gemeinsamer Freizeit“ bekommt eine völlig neue Bedeutung. „Fixtermine sind dabei extrem wichtig, wie ein Tour oder eine Platte, um etwa ein halbes Jahr im Voraus zu planen.“ Durch die Wohnsituation gibt es vielleicht „ein- bis zweimal im Monat eine gemeinsame Probe, manchmal auch nur alle zwei Monate ... abwechselnd in Basel und in Stuttgart“.
Während einige Bands Übungsräume suchen, haben MONOCHROME gleich zwei, einen in Basel (wo Gitarrist Helm und Schlagzeuger Specki leben und arbeiten) und einen in Stuttgart. Mit dem Ziel einer Tour oder einer neuen Platte vor Augen lässt sich rückwärts rechnen, wann was stattzufinden hat, so dass trotz der großen Entfernungen am Ende alles zusammenpasst. Den „Luxus“, sich mal kurz eben im Proberaum ein paar Nächte in Folge um die Ohren zu schlagen, um so zu neuen Songs zu kommen, gibt es nicht. Alle Mitglieder der Band haben entweder feste Jobs oder sie studieren, wie Liza in Berlin und Marten in Stuttgart, oder sie setzen, wie Marc in Stuttgart, dem Studium noch eins obendrauf. Neue Stücke entstehen entweder durch gemeinsame Proben von Gitarre und Schlagzeug im benachbarten Ausland, werden als mp3 über die Grenze geschmuggelt, weiterverarbeitet, wieder über das Netz geschickt und bekommen bei den gemeinsamen Proben dann den Feinschliff. Oder „Marten brütet zuhause mit Gitarre und Rechner etwas aus“, verschickt das Ganze oder Fragmente wiederum als mp3 an den Rest und dann wird gepuzzelt. Neue Songs entstehen so sukzessive, Stück für Stück.
Angesichts dieser Arbeitsweise ist es erstaunlich, wie kompakt die Songs auf der neuen Platte am Ende klingen, wobei der musikalische Output sicherlich höher wäre, wenn MONOCHROME den gängigen Entstehungsprozess beschreiten würden, den 99% aller anderen Bands gehen. Damit spontane Ideen nicht verloren gehen, „wird im Proberaum immer aufgenommen“, was trotz der vergleichbar wenigen Proben einerseits für Kontinuität sorgt, andererseits die Möglichkeit schafft, am Wohnort weiter an den Songs zu feilen. Die Umbesetzungen der letzten Jahre waren dabei eine „Ursache für die vielen Kurzformate“, weil es galt, die neuen Bandmitglieder bei den Proben „einzulernen, statt neue Songs zu schreiben“. Trotz oder gerade deswegen sind diese Kurzformate „in sich abgeschlossene Werke“, die den jeweiligen Stand der Band voll und ganz repräsentierten. Der zweite Grund für Kurzwerke wie „Ferro“ oder „Tréma“ war auch, dass eine Tour auch immer nur mit neuem Material im Gepäck stattfinden sollte, ein Vorsatz, den man sich bei anderen durchaus wünscht.
Die Affinität zu Tonträgertiteln mit fünf Buchstaben besteht übrigens seit den DAWNBREED-Tagen, ebenso der Hang zu exzessivem Artwork. Form und Inhalt nehmen offensichtlich einen hohen Stellenwert ein, was jeder fühlen und riechen kann, wenn er sich einen Tonträger der Band (egal in welchem Format) zur Hand nimmt. Das ungeschriebene „Band-CI“ (beginnend mit den Plattentiteln) ist so wichtig, dass man die vom Label nicht bewilligten Anforderungen zur Not auch aus der eigenen Tasche finanziert hat, wie 180g-Vinyl, Coverprägedruck oder Mattlackierung. „Das macht MONOCHROME als Band für ein Label auch nicht gerade einfach, was das Aushandeln von Artwork angeht“, unter anderem, weil die Anforderungen auch den maximalen Verkaufspreis mit einbeziehen, der nicht überschritten werden sollte, egal wie teuer die Platte in der Herstellung ist. Da das Artwork bei fast allen Besprechungen auch immer Teil des Reviews war, haben sich die Bemühungen bisher auch gelohnt.
Was die Szenezuordnung von Monochrome angeht, lässt sich die Band rein musikalisch in keine vorformatierte Schublade stecken. Die Band funktioniert (wohl auch wegen der nie in Frage gestellten und gelebten Wurzeln) komplett „innerhalb der D.I.Y.-Strukturen“, die es hauptsächlich im Punk und Hardcore gibt. Sie funktioniert an vielen unterschiedlichen Orten, was „spannender als eine eingleisige Szene“ ist und vor unterschiedlichstem Publikum, ohne eine klare Klientel zu bedienen. Die Attitüde macht den Unterschied, mit der auch andere Postpunk- und die wenigen echten Indie-Bands funktionieren, zwischen denen sich MONOCHROME irgendwo im unbestellten trendfreien Land angesiedelt haben. Poppig, aber für reinen Pop zu laut, mit zu vielen Gitarren, Wechselgesang von einer Frau und einem Typ, der auf der Bühne keine fünf Sekunden ruhig stehen kann, zu wenig Krach mit zuviel Musik dazwischen und live aber dann doch wieder viel zu krass ... wo kommen wir denn dahin?!
Trotz aller Vorurteile und selbst auferlegter fester Regeln mancher Leute gibt es in der genannten Szene immer offene Ohren und empfängliche Menschen für neue Dinge. Was letztendlich auch die musikalischen Neuerungen zeigen, die in den letzten Jahren aus genau dieser Szene hervorgingen, in der sich MONOCHROME pudelwohl fühlen, auch weil sie etwas von dem zurückgeben können und wollen, was sie selber vor Jahren von dort mit auf den Weg bekommen haben. „Wir sind aufgewachsen mit RORSCHACH, BORN AGAINST, FUGAZI“, da relativieren sich einige Unklarheiten schon von ganz alleine, der Rest bleibt einfach so stehen, wie er ist. Die Frage, „was wäre wenn ...“ die neue Platte „Éclat“ ein unerwarteter Erfolg werden und sich trotz Rezession wie flüssig Brot verkaufen würde, und wie sich das auf eine Band auswirken könnte, die innerhalb eines Jahres nur einen begrenzten Zeitraum physisch existieren kann, wird kurz und knapp beantwortet: „Das kann nicht passieren!“.
Eine gute Antwort, die angesichts des Potenzials von „Éclat“ aber nicht ganz zufrieden stellend ist. „Es wird nie so sein, dass wir vier Monate auf Tour gehen“, allerdings sind alle bereit, ihre kompletten Urlaube zu opfern (30 Tage Urlaub, plus rein rechnerisch 52 Wochenenden ... nicht drüber nachdenken!). Aber es wird wohl nicht passieren, denn „Videos finden nicht statt“, ebenso wenig der übrige „Mist, der passieren müsste, dass so etwas passiert“. In der Tat, die Anzahl an Interviews und Medienpräsenz beschränkt sich auf ein Minimum, die letzten Tonträger waren aufgrund ihrer Zwischenformate kein geeignetes Transportmittel, um in den Schlaftablettenfachzeitschriften aufzufallen. Nach eigener Selbsteinschätzung ist die Musik für eine breite Masse einerseits „nicht prollig“, andererseits „nicht tanzbar genug“, was wohl all die aufatmen lässt, die seit Jahren um die musikalischen und Live-Qualitäten der Band wissen. Nein, ihr müsst nicht teilen, MONOCHROME wird wohl auch mit dieser Platte ein Geheimtipp für all jene bleiben, die gute Musik zu schätzen wissen, welche irgendwo zwischen dem abgerissenen Schulhaus des lauten Indierocks und dem Hardcore-Internat liegt.
Allerdings sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass „Éclat“, das zweite volle Album nach „Laser“, wohl das Zeug hätte, um von verflucht vielen Leuten gehört zu werden. Aufgenommen mit gleich drei verschiedenen Sängerinnen, läuft die Vorabversion bereits seit zwei Wochen ununterbrochen bei mir, ohne jegliche Abnutzungs- oder Ermüdungserscheinungen. MONOCHROME müssen nicht ... sie können und sie machen ihre Musik, weil sie es verdammt noch mal wollen. Und genau das macht den Unterschied bei jedem einzelnen Ton aus. Was kommt, was ist, was wird vielleicht? Ende Januar wurde „Éclat“ auf Stickman veröffentlicht, der Masterplan sieht eine Tour durch ein Viertel von Europa (Frankreich, Spanien, Belgien, Deutschland) im Februar/März vor, ein paar Festivals im Sommer, eine Herbsttour und dazwischen neue Stücke, vielleicht auch die Überarbeitung des einen oder anderen älteren Songs oder etwas völlig anderes. Wir werden sehen ...