MY HERO DIED TODAY

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Reprise

Ende der 90er waren MY HERO DIED TODAY die wohl einflussreichste deutsche Hardcoreband. Dann kam der große Bruch, und plötzlich waren sie Geschichte. Nie wurde richtig gesagt was damals passiert ist, denn trotz gebuchter US-Tour mit BOYSETSFIRE spielten MHDT einfach eine Abschiedsshow und verschwanden von der Bildfläche. Jetzt, fast sechs Jahre später konnte ein kleines Regensburger Indie-Label namens Dancing In The Dark Records MHDT mit der Veröffentlichung von „From Our Cold Dead Hands“ zu einer kompletten Diskografie überreden, und im Zuge dessen spielten die Fünf auch zwei allerletzte Live-Shows. Zeit für einen Rückblick von Seiten der einzelnen Mitglieder der Band. Beantwortet wurden die Fragen von den ehemaligen Bandmitgliedern Marco Walzel (Gesang), Joi Schreiber (Schlagzeug), Florian Gudzent (Gitarre) und Robert Ehrenbrandt (Gitarre).

Was hast du damals bei MHDT gemacht?


Marco: Ich war der Sänger.
Joi: Bei MDHT habe ich geschlagzeugt, diverses Riffing entwickelt und so vielen Leuten wie möglich meinen blanken Arsch gezeigt.
Florian: Man nennt mich auch Gudz und ich spielte Gitarre bei MHDT.
Robert: Ich habe damals eine schwarze Gibson Les Paul durch die besetzen-Haus-Keller-Auftritts-Örtlichkeiten geschwungen und bin im besten Fall mit Flos Gitarre kollidiert.

Was hast du seitdem gemacht?

Marco: Avocado Booking. Join The Team Player Records. PAINT THE TOWN RED.
Joi: Hauptsächlich die Band JETTISON – leider auch frisch aufgelöst. nebenbei meinen Abschluss, Zivi, arbeiten ... Was man halt so macht. inzwischen spiele ich bei FLYSWATTER und bin selbständiger Graphiker.
Robert: Ich bin einer jungen Dame nach Berlin gefolgt, habe dort drei Jahre gelebt und bei einer Plattenfirma gearbeitet, dann habe ich angefangen, für BOYSETSFIRE als Roadie die Welt zu bereisen und bin der Band Mitte 2003 beigetreten, diesmal am Bass. In der Zwischenzeit habe ich in Delaware und New Jersey gelebt.

Was machst du heute?

Joi: Erstmal räume ich meine Wohnung auf, später werde ich auf der Polizeiwache Haar meinen Führerschein abgeben.
Florian: Seitdem spiele ich bei FLYSWATTER, und wir sind nach einem erfolgreichen Jahr voller Konzerte dabei, uns im Übungsraum zu verstecken, um die nächste Platte auszunehmen.

Warum habt ihr euch damals aufgelöst?

Marco: Manchen Jungs ist der „Erfolg“ zu Kopf gestiegen, und dachten damals, sie hätten Besseres verdient.
Joi: Hm, das hab ich mich damals auch gefragt. Details erfahrt ihr sicher von Walzel oder Gudz, archivieren könnte man das Thema jedenfalls unter „P“ wie „persönliche Differenzen“ oder unter „Z“ wie „zu viele unausgesprochene Kleinigkeiten, die in einem Streit eskalierten“.
Florian: Wir haben wahrscheinlich einfach zu viele Konzerte in zu kurzer Zeit gespielt, sind zu schnell groß geworden, waren zu gut befreundet und haben das alles irgendwie nicht verkraftet. Dann kam ein Knall und die schnelle Entscheidung, die Band aufzulösen, mitten während einer Tour kurz vor der US-Tour. Bescheuert, aber so lebt man halt.
Robert: Hm, da gab es verschiedene Gründe und der letzte Tropfen war dann ein Streit von Marco und Flo, aber in Wirklichkeit waren wir alle daran schuld und zu sehr mit unseren wirren Egos beschäftigt. Irgendwie hat die Band uns zu echten Musikern gemacht und dann haben wir angefangen, das zu sehr zu genießen ...

Bereust du, dass ihr euch aufgelöst habt

Marco: Ich bereue es nicht. Das musst du als Teil des Ganzen sehen, und jeder hat dadurch was fürs Leben gelernt. Eine Band ist eine soziale Bindung mit anderen Menschen, die Verantwortung und Vertrauen braucht. Als Ganzes hat das der Band gefehlt – wir sind deshalb auf die Schnauze gefallen.
Joi: Na klar hab ich es bereut, vor allem da es nicht mal meine Entscheidung war, mir wurde diese nur von Robert mitgeteilt. Einerseits war die Entscheidung an sich natürlich totaler Schwachsinn, da wir gerade mal ein Drittel der Steilkurve erreicht hatten, auf der wir damals waren, und noch viel mehr hätten erreichen können. Andererseits möchte ich nicht wissen, wie es geendet wäre, wenn sich noch mehr Zwistigkeiten aufgestaut hätten.
Florian: Damals fand ich es richtig, heute bereue ich es, ja. War eine ganz besondere Zeit und war für uns alle extrem wichtig. Das Gute daran ist, dass wir nun wieder losgehen können und zusammen Spaß haben werden. Wir sind alle wieder gute Freunde und arbeiten ja zum Teil auch noch immer miteinander.
Robert: Ich persönlich glaube fest daran, dass Dinge aus gutem Grund passieren, auch wenn wir sie uns manchmal anders gewünscht hätten, aber ich denke, es ist passiert, als es passieren musste. Eine gute Entscheidung ist aber definitiv was anderes. Wir haben nämlich zu der Zeit grade erst angefangen, kreativ befriedigende Resultate in den Proberaum zu schmeißen, da wäre noch Einiges gegangen.

Was ist damals schief gelaufen?

Joi: Abgesehen von meinen Eskapaden habe ich mich meist recht korrekt verhalten, glaub ich ... Na ja, jedenfalls würde ich mich mehr mit meinem Instrument auseinandersetzen und die Tourneen weniger als Mallorca-Pauschaltrip betrachten.
Robert: Ich würde persönlich versuchen, unsere Verschiedenheiten mehr zu genießen und einfach etwas mehr Selbstdisziplin und Demut walten zu lassen, und wie wir alle wissen – da kannst du jeden Mönch fragen – ist der erste Schritt dazu, sich nicht jeden Tag zu betrinken. Nüchterne Momente hatte ich zu der Zeit nicht gerade en masse.

Was würdest du heute anders machen?

Florian: Ich würde mir mehr Zeit nehmen und die Lieder reifen lassen, wenn ich mir das heute anhöre, würde ich gern ein paar Sachen anders machen. Mehr mit den anderen reden und zuhören. Ich würde weniger trinken, oder zumindest erst später am Tag anfangen. Versuchen, härter an uns zu arbeiten.

Hätte es damals eine Möglichkeit gegeben, die Band zu retten?

Marco: Nein.
Joi: Ich hab’s versucht, aber bei den Sturköpfen hatte ich keine Chance!

Wieso jetzt die Diskografie?

Marco: Weil Oise doof genug war, sein Geld in das Projekt zu stecken und weil es an der Zeit ist, MHDT noch mal hochleben zu lassen. Wir haben an einem Punkt aufgehört, an dem es gerade erst losgegangen wäre.
Florian: Es gab noch ein unveröffentlichtes Lied, das wir alle veröffentlicht haben wollten. Wir haben das schon mal vor drei Jahren geplant, dann aber irgendwie den Faden verloren. Joi war zu der Zeit auch noch immer so sauer auf uns alle – er war nicht im Raum, als sich die anderen entschlossen die Band aufzulösen –, dass er unter keinen Umständen wieder mit uns auf eine Bühne gehen wollte. Oise hat mitbekommen, dass wir uns darüber immer noch Gedanken machen und irgendwo kam die Idee wieder auf und alle inklusive Joi waren begeistert.

Wieso macht ihr die Reunion-Shows?

Florian: Ich mache das, da ich immer wahnsinnig viel Spaß mit den Jungs hatte, wir immer noch befreundet sind und ein paar der Jungs hier vom Gefühl her auch meine Brüder sein könnten. Ich finde die Idee mit der Diskografie super, und die Idee, dafür dann noch zwei Konzerte zu spielen, reizt mich noch mehr.

Was erwartest du von den Shows?

Joi: Dass Gudz und Robert oben ohne die Bühne kaputt wischen. Wäre auch schön, wenn einer bluten würde, aber da kann ich mich sicher auf den Gudz verlassen. Ich hoffe auch, dass so viele Kids von damals wie möglich am Start sind! Back in the days, hell yeah!
Was wird nach den Shows aus der Band?
Marco: Das werden wir nach den beiden Shows sehen. Sofern die anderen es konditionell durch das Set schaffen, bin ich für weitere Schandtaten offen. Eine lahme Band, die ihre Eier verloren hat, darf dagegen heimgehen.

Inwiefern hat MHDT dein Leben beeinflusst?

Joi: Insofern, dass ich damals Blut geleckt habe. Sei es Touren, Studio, Songs schreiben ... Ohne geht’s inzwischen einfach nicht mehr.
Florian: MHDT war die erste Band, mit der wir viel aufgetreten sind und weit rumgekommen sind. Ich habe vieles gelernt und vieles hat mein Leben dabei verändert. Ich sehe vieles immer noch wie damals, meine Weltanschauungen machen es den anderen Jungs in FLYSWATTER oft schwer, mit mir auf ein Level zu kommen, da sie aus einer ganz anderen Ecke kommen und sich oft nicht um politische Aspekte in der Musik kümmern.
Robert: Ich denke, das habe ich versucht, in den Linernotes für die Platte rauszustellen. Ich verdanke der Band, ihrem Umfeld und der Musik wahnsinnig viel. Als tourender Musiker, als Mensch, als Sturkopf ... Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr diese Band der Grundstein für meinen weiteren Weg war. Man könnte auch sagen, ich wurde durch MHDT ruiniert. Charakterlich und spirituell.

Wirst du heute noch manchmal auf deine Zeit in der Band damals
angesprochen und erkennen dich Leute von damals manchmal?


Joi: Manche Leute kennen die Band, wenn ich davon erzähle. Mich selber? Nee, no one knows the drummer.
Florian: Das passiert komischerweise öfters. Im Juni waren wir zum Beispiel mit BSF auf Tour und haben in Holland gespielt. Kurz nach unserem Auftritt klopft mir ein Belgier, den ich noch von früher her kannte auf die Schulter – er war damals auf unserer letzten Show im Kafe Kult und hat bei uns übernachtet – und erzählt mir, dass er kurz nach dieser Show im Jahre 2000 aufgehört hat, auf HC-Shows zu gehen. Er geht jedes Jahr noch auf ein, zwei Konzerte. BSF spielen in der Stadt, er entscheidet sich hinzugehen, weil das eine der letzten Bands ist, die er noch hört und trifft mich in einer Band, die er nicht kennt. Super!
Robert: Ich bin ja derjenige von uns, der am meisten auf Tour ist, und da passiert das immer wieder mal, was mich sehr wundert. Wo waren all diese Leute, als wir in ihren Städten gespielt haben, haha. In Manchester allein haben mich mehr Leute auf uns angesprochen als damals auf der Show waren – ganze sechs zahlende Gäste. Es ist schön, dass Musik jenseits von Marketing-Plänen und Markt-Strategien einfach einen Weg in das Herz einer Szene finden darf und ebendiese sogar mitzugestalten hilft. Das bedeutet mir viel. Außerdem entschuldige ich mich sofort für eventuelle Ausfälligkeiten von damals, wenn ich jemanden aus dieser Zeit treffe. Vor allem, wenn Joi im Raum war, haha.

Wie habt ihr euch damals selber gesehen, und wie haben euch die
Leute gesehen?


Florian: Uns hat es Spaß gemacht, in dieser Band zu spielen und ich glaube, das haben wir auch nach außen gezeigt. Jeder sollte wissen, dass wir eine großartige Band sind. Wir sind losgezogen, um die Musikwelt zu revolutionieren. Ob die anderen das auch so gesehen haben, weiß ich nicht. Allerdings gab es ja Leute, die die Platten und Shorts gekauft haben. Und dann gibt es da halt noch Oise, haha.

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Joi: Auf einer Bühne.
Robert: Letzte Woche hätte ich dir noch gesagt, mit Kindern, zwei Hunden, einer Webdesign-Firma, die Webseiten für vegane Restaurants und Ashrams in den USA baut. Aber heute bin ich mir gerade nicht so sicher, wie sich alles entwickeln wird. Wo ich mir sicher bin, ist, dass ich auch in zehn Jahren noch auf Flos Fußboden sitzen und stundenlang über Ryan Adams reden und OASIS hören kann. Familie ist der wichtigste Teil in meinem Leben und MHDT sind ein Teil meiner Familie. Wo ich persönlich sein werde, weiß nur Gott.