URBAN REJECTS

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Justice from the gutter, justice from the streets

Vor einiger Zeit war ich quasi für alle Rezensionen zum Thema Oi!-Musik zuständig. Irgendwann wurde mir allerdings vieles zu stumpf und richtig langweilig, und die Bands wurden für ihre Unkreativität immer öfter mit Verrissen gestraft. Innerlich habe ich mir gedacht, dass ich wohl nie wieder ein Interview mit einer Streetpunk- oder Oi!-Band machen werde. Doch dann kam aus Aachen frischer Wind ... in Form von den URBAN REJECTS. Alle Mitglieder sind schon seit langer Zeit Musiker der verschiedensten Genres und machen nun ihrer Wut auf die englische Art Luft. Dass die Band aber in kein stereotypisches Glatzenklischee passt, macht das Ganze für mich so sympathisch und vor allem viel glaubhafter.

Ihr habt ja vorher alle auch in verschiedenen Hardcore-Bands gespielt, euch aber inzwischen von der „Hardcore-Szene“ losgesagt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?


Karsten: Von Entscheidung kann keine Rede sein. Es ist ja nicht so, als hätte irgendjemand in unserer Band sich gesagt: „Ach, dieses Jahr mach ich mal einen auf Skinhead!“ Also zum einen hat Stephan nie in einer Hardcore-Band gespielt. Die BOVVER BOYS haben schon immer denselben „Working Class Punkrock“ gespielt, wie sie es auch heute tun. Abgesehen davon, dass sie mit jedem Mal, wo ich sie sehe, noch besser werden. Mockis andere Band, DOWN THE DRAIN, haben sich schon immer zwischen Oi! und Hardcore bewegt. Während man sie bis dato gut und gerne als die deutschen BLOOD FOR BLOOD bezeichnen konnte, haut das Album, das fantastischerweise jetzt im Frühjahr erscheinen wird, doch deutlich mehr in die Oi!-Kerbe. FOR THE DAY, wo ich halt auch spiele, wird man ja nun musikalisch nicht als Hardcore bezeichnen wollen. Und mein Ausstieg bei CLEANSWEEP, der einzigen Hardcore-Band im engeren Sinne, in der ich je gespielt habe, hatte damals vor vier Jahren schon viel mit der Entwicklung zu tun, die mich extrem von dem abstößt, was „Hardcore“ heute ist. „Denk ich an Hardcore in der Nacht, bin ich um den Punk gebracht“, wie Kollege Knuppertz so schön formuliert hat. Ich hatte keine Lust mehr, meine Freizeit mit humorlosen Pseudo-Gangstern zu verbringen, die auf Shows mehr mit „representing“ als mit Spaß beschäftigt sind und die für mehr Geld Klamotten am Leib tragen, als ich im Monat zum Leben habe. Hardcore stellt sich mir heute als eine große, hohle Pose dar, die sich selbst die Luft zum Atmen nimmt. Ich erkenne nichts mehr von dem, was mich da mal an echter Energie und Lebenswut begeistert hat - und auch immer noch begeistert, wenn ich zum Beispiel die JUDGE-LP rauskrame. Grundsätzlich hat diese Entwicklung meinerseits nichts mit den URBAN REJECTS zu tun. Meine Liebe zu den alten Oi!-Klassikern besteht, seit ich mich 1989 dem Punkrock zu verschrieben habe. Ich bin vor Jahren schon angesprochen worden, um in einer Oi!-Band zu trommeln, was damals aber aus Zeitgründen nicht ging.
Andreas: Ich habe vorher in mehreren HC-Bands gesungen und bin inzwischen einfach enttäuscht von der Entwicklung im HC. Ich habe mit Punkrock angefangen und habe dann den Hardcore für mich entdeckt. Meine ersten Platten waren EXPLOITED, DEAD KENNEDYS und die 4 SKINS. Mir fehlt in der heutigen HC-Szene das Aggressive, die Auflehnung. Die Wut erlebt man nur noch beim Violent Dancing, bei dem sich Eckensteher beweisen müssen, die auf der Straße weglaufen. Aber es gibt natürlich auch dort Menschen, die ich extrem respektiere für das, was sie tun, allerdings fühle ich mich da grad nicht so zu Hause. aber wer weiß ...

Eure Texte handeln ja, wie bei vielen Oi!-Bands, von der Straße und auch dem Ärger, den man dort haben kann. Inwiefern würdet ihr sagen, trifft das denn bei euch zu, oder sind das Klischees, die man einfach nicht auslassen darf?

Karsten: Also es ist ja nicht so, als würden wir in unseren Texten die Obdachlosen mimen, die wir zweifelsohne nicht sind. Ich nehme an, du spielst insbesondere auf „Take ’em to the streets“ an. Im Text geht es aber eigentlich im Wesentlichen um den krassen Mangel an Realitätsbezug, den unsere Politiker immer wieder unter Beweis stellen. Die Welt, in der die sich bewegen, hat einfach keine Berührungspunkte zu der Welt, in der unsereins bestehen muss. Wenn die Politiker mal in der Frittenbude an der Ecke den Leuten zuhören würden, bekämen sie wesentlich mehr über die Nöte in diesem Land mit, als durch ihre Arbeitsberichte von irgendwelchen Ausschüssen. Das mag einem als triviale Feststellung erscheinen und die angehenden Politologen unter den Ox-Lesern können da auch gerne den Kopf drüber schütteln, aber das ändert nichts an unserer Wut über diesen Zustand. Und damit kommen wir auf die Frage nach den Klischees zurück: Ich würde das positiv gewendet als Traditionsbewusstsein verstehen. Oi!-Musik wurde aus Frustration und Wut heraus geboren und genau in dieser Linie sehen wir uns. Vom Ficken und Saufen können andere singen, das ist nicht unsere Abteilung – zumindest was die Texte angeht, haha! Ich glaube außerdem, solche Fun-Texte würden viel eher dem heutigen Klischee entsprechen, vor allem in Hinblick auf die große Mehrheit der deutschsprachigen Bands.
Andreas: Grundsätzlich ist kein Text, den ich schreibe, Klischee, da ich mich nicht von irgendwelchen Bands beeinflussen lasse. Allerdings reizt mich an der Oi!-Musik der sozialpolitische Aspekt. Die Aggression dieser Musik kam niemals aus der Musik selbst, die oft ja eher melodisch ist, sondern aus der Frustration. lies dir mal die Texte von COCK SPARRER durch. Zuckersüße Songs und böse Lyrics. Außerdem erlebe ich jeden Tag bei der Arbeit normale Menschen und ihre Probleme, da fällt einem so manches ein ...

Ist euch bewusst, dass ihr mit „Summer of hate“ die inoffizielle Hooliganhymne zur Weltmeisterschaft geschrieben habt?

Karsten: Na ja, auf eine offizielle werden wir wohl lange warten müssen, haha! Die meisten Fußballfans sind nicht gerade glücklich darüber, wie sie von der ganzen WM ausgegrenzt werden. Man denke nur an die Vergabeverfahren für die Tickets! Fußball, der Sport des Volkes und der Massen, wird mehr und mehr zu einem Society-Event. Da fehlt nur noch der rote Teppich vorm Stadion, wo dann hinterher in der Bunten steht: „Und hier sehen Sie Jenny Elvers in einem todschicken Deutschland-Schal von Versace!“. Eine Menge Leute haben eine Menge Wut und ich für meinen Teil kann es gut verstehen. Und vor dem Hintergrund, dass darüber nachgedacht wird, die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei heranzuziehen, hört doch langsam alles auf. Spätestens wenn ich die Armee gegen das eigene Volk richten will, sollte ich mir ernsthaft überlegen, ob da nicht was verkehrt gelaufen ist. Wir wollen mit dem Lied nichts heraufbeschwören, aber deshalb muss man sich ja nicht scheuen, die Sache beim Namen zu nennen.

In eurem Publikum vermischen sich ja Punks und Skinheads. Glaubt ihr denn auch an „Unity“?


Karsten: Grundsätzlich ist auf unseren Konzerten jeder willkommen, der das seinerseits genauso sieht. Sollte man das dann gleich Unity nennen? Wenn das heißen soll, dass ich automatisch mit jedem Gehirnamputierten bester Freund sein soll, dann fick Unity! Aber wenn es darum geht, dass man gewisse Gemeinsamkeiten in der Musik und den Ideen dahinter anerkennt und man dann auch gerne zusammen feiern kann, dann sag ich ja zu Unity. Doch „daran glauben“ ist wieder was anderes. Ich glaube daran, dass man die Unterschiedlichkeit der Menschen mehr willkommen heißen sollte, als sie zu bekämpfen. Letzten Endes könnten die URBAN REJECTS als Band gar nicht existieren, wenn wir einen völlig elitären und engstirnigen Skinhead-Begriff als Maßstab anlegen würden, dazu sind wir vier alle selbst zu unterschiedlich. Wahrscheinlich spielt das Alter da auch eine Rolle. Ich bin mit 29 der Jüngste und Stephan ist mit seinen 38 unser Senior. Da bringen wir natürlich jeder für sich eine ganz eigene Vorgeschichte mit in die Band.