LARD

Braucht es eine neue Tonkonserve, um mal wieder mit Jello Biafra zu plaudern? Nicht wirklich. Trotzdem: LARD, das Studioprojekt des Berufspunkers und Möchtegern-Poltikers Biafra mit den beiden MINISTRY-Leuten hat mal wieder was von sich hören lassen, diesmal in Form einer 3-Song-CD mit dem schönen Titel "70´s Rock Must Die", und ich nahm das zum Anlass, den Alternative Tentacles-Boss zu befragen.

Wie verträgt sich der Titel der neuen LARD-Platte mit deiner Wertschätzung von TURBONEGRO und der HELLACOPTERS?


"Ich würde weder die eine noch die andere als 70´s-Retro-Band bezeichnen. Meiner Meinung nach haben die auf Punk aufgebaut und dem neue Elemente und neue Energie hinzugefügt - im Falle von TURBONEGRO auch eine sehr interessante Persönlichkeit. Die HELLACOPTERS klingen auf dem neuen Album zwar etwas mehr siebzigermässig, aber letztendlich stehen sie eher in der Tradition von UNION CARBIDE PRODUCTIONS und der SONICS RENDEZVOUS BAND."

Mit Man´s Ruin hast du ein Label, das musikalisch zu einem grossen Teil auf Seventies-Retro-Rock ausgerichtet ist, direkt vor der Haustür - und den Begriff "Stoner Rock" wollte ich jetzt gar nicht ins Spiel bringen...


"Mein Verhältnis zu Stoner Rock ist eher seltsam, denn ich bin alt genug, um mich an die Zeit zu erinnern, als dieser Sound neu war. Ich weiss, das es ein paar gute Bands wie die STOOGES, BLACK SABBATH und die PINK FAIRIES gab, und dass der grosse Rest sich nach kurzer Zeit in der Sonderangebots-Wühlkiste im 2nd Hand-Plattenladen wiederfand, weil es ein stereotyper, klischeehafter Hardrock war. Leider gab es damals nichts anderes, also sammelte sich bei mir ein grosser Stapel solcher Platten an - sogar obskure deutsche Platten. Viele von den heutigen Stoner-Bands klingen eher nach dieser 50¢-Wühlkiste als nach den guten Vertretern des Genres, andere aber sind wirklich gut, weil sie dem altbekannten Sound neue Elemente anfügen, Bands wie die HEADS, ALABAMA THUNDERPUSSY - die mag ich, weil ihre Produktion einfach passt - und diese englische Band, auf die Man´s Ruin bislang noch nicht aufmerksam geworden ist: die ALCHEMYSTS. Die haben demnächst ein neues Album auf Woronzow Records, diesem BEVIS FROND-Label. Ich habe die auf dem Terrastock-Festival gesehen."

Es gibt ja diesen bekannten Satz, der da sinngemäss lautet: Wenn man nicht aus der Vergangenheit lernt, ist man gezwungen, sie nochmal zu erleben.

"Das war von Sartre. Und dieser Satz, der im Englischen lautet "Those who do not remember the past are condemned to repeat it", stand auf einem Schild hinter dem toten Jim Jones nach dem Massenselbstmord in Jonestown. Aber der Satz ist in seiner Bedeutung gerade heute für die Amerikaner wichtiger denn je - in einer Zeit, da die dem Grosskapital gehörende Presse beschlossen hat, George Bush jr. zu unserem neuen König zu krönen."

Apropos: du hast dich als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen.

"Nein, ich wurde ohne mein Wissen aufgestellt. Irgendwer hat beim Parteitag der Grünen im Staat New York meinen Namen auf den Wahlzettel geschrieben. Ich hörte davon und habe nach etwas Überlegen zugestimmt, dass mein Name da bleiben kann, auch wenn es darum geht, den Spitzenkandidat dieser Partei zu wählen. Es geht also um diese Parteiwahlen, bei denen derzeit die Schlacht tobt zwischen König Georg II. und einem verrückten rechten Ex-Militär namens John McCain bei den Republikanern, sowie zwischen Al Gore und Bill Bradley bei den Demokraten - zwei genauso konservativen Politikern, die auch absolut Pro-WTO sind. Nach dem amerikanischen Wahlgesetz bekommt eine Partei, die mehr als 5% der Stimmen gewinnt, zwar keine Parlamentssitze, aber zumindest Wahlkampfgelder bei der nächsten Wahl, und das Ziel der Grünen hier ist es also, zumindest 5% der Stimmen zu gewinnen. Der Kandidat der Grünen werde wohl nicht ich sein, sondern der Verbraucheranwalt Ralph Nader, doch wenn meine Kandidatur dazu beitragen kann, die 5%-Hürde zu schaffen, habe ich kein Problem damit, dass mein Name verwendet wird."

Wie sieht denn dein Tipp für die Präsidentschaftswahl aus?

"Klar ist nur eines: wer immer gewinnt, das Volk verliert in jedem Fall."

Sollte Al Gore der nächste Präsident der USA werden, wäre deine alte Freundin Tipper Gore, die dich seinerzeit wegen des Frankenchrist"-Albums vor Gericht brachte, die neue First Lady.

"Ja, und das wäre die denkbar schlechteste Nachricht für Musik und Kultur in diesem Land. Das bedeutet, dass du entweder Rupert Murdoch und Bertelsmann nach dem Mund redest oder gar nichts mehr zu sagen hast. Sie zensieren Songtexte über Gewalt und Sex, weil sie nicht wollen, dass die wirklichen Gründe für die Gewalt in dieser Gesellschaft diskutiert werden - oder gar vom Mainstream abweichende Meinungen."

Heute stehen nicht mehr die DEAD KENNEDYS im Kreuzfeuer konservativer Kritik und Zensurversuche, sondern MARYLIN MANSON.

"Ja, aber das ist auch erst die neueste Entwicklung. Eine Weile lang hatten sie sich auf schwarze Künstler eingeschossen, in der gleichen Weise, wie in den Fünfzigern mit rassistischen Slogans von wegen "Negermusik" gegen den Rock´n´Roll agitiert wurde. Tipper und ihre Freunde versuchten das Gleiche mit NWA, ICE T, PUBLIC ENEMY und 2LIFE CREW. Die neueste Mode ist es, MARYLIN MANSON anzugreifen, und dabei finde ich persönlich MARILYN MANSON wundervoll. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand die religiöse Rechte so in Aufregung versetzt. Mal ehrlich: Keine Punkrockband der Welt hat es jemals geschafft, diese Leute so zu ärgern wie MARILYN MANSON - ausser seinerzeit BODY COUNT mit "Cop killer"."

Du kommst selbst aus Colorado, und in Littleton, Colorado, einem Vorort von Denver, ereignete sich auch dieses Massaker in der Highschool. In der deutschen Presse war in diesem Zusammenhang von dieser mysteriösen "Trenchcoat Mafia" die Rede, und auch davon, dass diese Typen Goth Metal und solche Musik gehört haben, was natürlich dazu führte, dass dieses Genre pauschal diskreditiert wurde.

"Da war auch mal wieder Tipper Gore bei der Arbeit - mit der schlauen Denkweise, erst alle anderen für so ein Ereignis verantwortlich zu machen, aber bloss niemals die Eltern, die ihren Kindern erlauben, Waffen zu besitzen. Oder zu untersuchen, wie schlimm diese Schule war. Ich ging in dieser Gegend vor gar nicht so langer Zeit zur Schule, und in meiner Schule hätte es der Rektor niemals erlaubt, dass schwächere Schüler von den starken Football-Typen regelmässig verprügelt oder in der Dusche angepisst werden. Columbine High, bei der es sich übrigens um eine Highschool für reiche Kinder handelt, hatte nicht lange vor dem Massaker eine Umfrage unter den Schülern durchgeführt, bei der sich herausstellte, dass 60% sich als fundamentalistische Protestanten bekannten. Mann, ich bin froh, dass ich nicht auf diese Schule gehen musste."

Lass uns nochmal über LARD sprechen. Besteht die Chance, dass LARD eines Tages mehr als ein Studioprojekt sein wird?

"Ich denke nicht. Al und Paul arbeiten vor allem für MINISTRY und ausserdem wird es wohl auch ein neues REVOLTING COCKS-Album geben. Seltsamerweise haben Warner übrigens MINISTRY rausgeschmissen, nicht aber die REVOLTING COCKS, was Al und Paul auch nicht verstehen."

Du warst während der Jahresversammlung der WTO, der World Trade Organisation, in Seattle, als es dort massive Demonstrationen gegen die WTO und ihre Beschlüsse gab.

"Ich war auf den Demonstrationen, unterhielt mich mit vielen Leuten, versuchte, möglichst vielen zu erklären, was die WTO überhaupt ist, und was sie macht, und war wohl sowas wie ein "Cheerleader". Es lief dort ganz gut, ja, aber ich kann mich nicht den Leuten anschliessen, die Seattle euphorisch verliessen und verkündeten, man hätte dort wirklich einen Sieg errungen. Nein, es ist uns nur gelungen, eine Konferenz zu sabotieren und die WTO als das darzustellen, was sie wirklich ist, sowie ihre Verträge der verschlafenen amerikanischen Öffentlichkeit zu erklären. Ermutigend war auch, dass in Seattle so unterschiedliche Gruppen wie fanatische Umweltschützer und konservative Gewerkschaftler gemeinsam demonstrierten, Gruppen also, die sich sonst gegenseitig bekriegen. Die Leute scheinen endlich aufzuwachen und zu merken, wer sie wirklich verarscht, und es hat sich auch gezeigt, dass an den Universitäten das politische Bewusstsein wächst, selbst wenn es sich um eine scheinbare Kleinigkeit handelt: ich meine die Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen in den "Sweatshops", in den asiatischen Textilfabriken, wo die Unis ihr ganzes Merchandise herstellen lassen, also T-Shirts, Kapuzenpullis, Mützen und so weiter. Das ist ein ganz konkretes, wenig abstraktes Thema, das man den Leuten vermitteln kann und wo es recht einfach ist, wirklich einen Sieg zu erringen. Dabei ist klar, dass ein Sieg gegen die WTO, deren Politik nicht nur von Clinton, sondern auch von Gerhard Schröder bereitwillig umgesetzt wird, keine kurzfristige Sache ist, sondern dass der Kampf Jahre dauern wird, gerade auch, weil die Leute so apathisch sind und nach zehn Sekunden schon wieder zum nächsten Programm zappen. Ich denke, man kann das mit der Lonely Voices-Kampagne der frühen Sechziger gegen den Krieg in Vietnam vergleichen. Es hat lange gedauert, aber letztendlich wurde diese Schlacht gewonnen."

Als ich im Alternative Tentacles-Büro war, wurden mir sehr interessant klingende Liveaufnahmen aus Seattle vorgespielt - und du hast gesungen. Was hat´s damit auf sich?


"Das sind Aufnahmen, die voraussichtlich im Mai auf Platte erscheinen werden. Es handelt sich um Liveaufnahmen der THE NO WTO COMBO, und es handelte sich um eine wohl einmalige Angelegenheit anlässlich der Anti-WTO-Proteste. Ich habe gesungen, Krist Novoselic, der früher bei NIRVANA war, spielte Bass, Kim Thayil, ex-SOUNDGARDEN, war an der Gitarre und eine Frau namens Gina spielte Schlagzeug. Die drei anderen machen wohl schon seit einer Weile zusammen Musik, aber sie haben keine richtige Band, wobei Gina schon lange mit Krist zusammen spielte. Da die drei in Seattle leben und ich in San Francisco, wird es aber wohl eine einmalige Angelegenheit bleiben. Das Konzert selbst, von dem die Aufnahmen stammen, war übrigens eine vollkommen illegale Angelegenheit, da die Polizei eine Ausgangssperre verhängt und die ganze Stadt abgesperrt hatte, aber trotzdem schafften es 400 Leute, sich zum Veranstaltungsort durchzuschlagen."

Themenwechsel: Wie steht´s in der Auseinandersetzung zwischen dir und den drei anderen einstigen DEAD KENNEDYS-Mitgliedern? Ihr streitet euch seit einer ganzen Weile schon vor Gericht wegen angeblich falscher Lizenzzahlungen von Alternative Tentacles an D.H. Peligro, Klaus Flouride und East Bay Ray.


"Nun, die drei haben nach dem Ende der DEAD KENNEDYS nicht viel aus ihrem Leben gemacht. Da war teilweise Drogenmissbrauch im Spiel, und letztendlich sind alle drei habgierig geworden. Jetzt verklagen sie mich und wollen Alternative Tentacles zerstören, mir die DEAD KENNEDYS-Alben wegnehmen und diese dann an den Meistbietenden verkaufen. Die denken, sie kriegen dafür einen ganzen Batzen Geld, sobald sie mich als störenden Faktor ausgeschaltet haben. Die gehen sogar so weit zu behaupten, sie hätten meine Songs geschrieben, wobei die ganze Sache auf ihrer Behauptung basiert, ich hätte ihnen nicht den korrekten Anteil an den Gewinnen aus dem Verkauf der alten DEAD KENNEDYS-Platten ausgezahlt. Die ganze Sache ist an dem Punkt eskaliert, als ich mich weigerte, der Verwendung von "Holidays in Cambodia" für einen Levi´s Dockers-TV-Spot zuzustimmen, der übrigens auch in Deutschland gezeigt worden wäre. Dabei wäre das wohl das Schlimmste gewesen, was ich den DEAD KENNEDYS-Fans und allen Leuten, die jemals meine Ideale geteilt haben, hätte antun können. Von daher wäre es trotz des Geldes, das dafür an uns geflossen wäre, nicht besonders schlau gewesen, dem zuzustimmen, denn der Imageschäden wäre wohl so gross gewesen, dass danach keiner mehr DEAD KENNEDYS-Platten gekauft hätte. Wenn die BUZZCOCKS oder die RAMONES als Hintergrund für einen TV-Spot für ein neues Auto herhalten müssen, ist das eine Sache, aber die DEAD KENNEDYS? Das Schlimmste an dieser ganzen Sache ist, dass ich feststellen musste, dass Leute, die ich bislang für Freunde gehalten habe, hinter meinem Rücken agieren und mich hintergehen. Neben zwei verschwendeten Jahren meines Lebens sind die zerstörten Freundschaften das, was mich am meisten betroffen macht."

Was macht das Label, was wird dieses Jahr an neuen Releases bringen?

"Es war in letzter Zeit manchmal ganz schön hart, aber dieser Tage sind neue Platten von BUZZKILL, PACHINKO, CAUSEY WAY - ein Ableger von MAN OR ASTRO-MAN? - und BLACK KALI MA erschienen. Ausserdem wird es ein Album von LOS INFERNOS geben, eine SNFU-EP, eventuell ein neues Album von RATOS DE PORAO, Neues von JAD FAIR, vielleicht sind die BELLRAYS bald auf AT."

Letzte Frage: Was hat es mit diesem Ford Pinto auf sich, der im Februar via eBay im Internet versteigert wurde und der im "LARD-Stil" dekoriert wurde?

"Das war eine Idee meiner Leute im AT-Büro, und als ich mitbekam, was sie vorhatten, war das alles schon eingefädelt. Die Sache ist die: ich bin in den Siebzigern zum Punkrock gekommen, weil die Siebziger so grausig waren. "Saturday Night Fever", 50´s-Retro-Scheisse wie "Happy Days" - der Grund, weshalb ich Siebziger-Retro-Punk nicht mag, ist, dass der mich an "Happy Days" erinnert -, all das war so grauenhaft, dass ich in den Punkrock flüchtete und mir schwor, schlauer zu sein und niemals in Erinnerungsseligkeit zu flüchten. Nun, das war wohl eine Fehleinschätzung, aber der Ford Pinto ist eben ein Symbol der Seventies. Damals kamen die US-Autofirmen auf den Trichter, dass die Europäer und Japaner einfach bessere, sparsamere Autos bauen. Also gab´s diesen Schnellschuss der US-Firmen, kleinere Autos zu bauen, die so ähnlich aussehen wie Importautos, und einer der schlimmsten Auswüchse war der Ford Pinto, neben dem Chevrolet Chevette. Ich habe nur einmal ´nen Pinto gefahren, und das war in der Fahrschule. Die zweitürigen Pintos hatten zudem die fatale Eigenschaft, dass sie, wegen eines hinter der Hinterachse eingebauten Tanks, bei einem Heckaufprall dazu neigten, zu explodieren."

Jello, ich danke dir für das Interview.

"Moment, ich will noch was von dir: die letzte Ox-Compilation, die ich besitze, ist die von #24. Irgendwer im Büro klaut sich das Heft und nimmt mir damit eine der wenigen Möglichkeiten, was von den Entwicklungen der Szene in Europa mitzubekommen. Würde mich freuen, wenn du mir die noch schicken könntest."

Na klar doch.