LARRY AND THE LEFTHANDED

Die Altstadt von Düsseldorf, einst von den TOTEN HOSEN als die längste Theke der Welt besungen, ist anno ´98 realistisch gesehen immer noch nicht mehr als eine Art prototypischer Ballermann 6, nur grösser. Neben unzähligen Kneipen und Bars, in denen eine Flüssigkeit ausgeschenkt wird, die die Düsseldorfer für Bier halten, die aber in Wirklichkeite keines ist und so schmeckt, wie sie heisst, nämlich "Alt", gibt es da auch das eine oder andere Etablissement, in dem Schnauzbart und Schlagertechno nicht zur Grundausstattung gehören, zum Beispiel den Unique Club, einen plüschig-verranzten Schuppen für Asoziale, Arbeitslose, Studenten und anderes Gesindel, das vor 12 Uhr mittags nicht aus den Federn muss.

Eben dort traten im Frühsommer Finland´s Finest LARRY AND THE LEFTHANDED auf, vor wenig mehr als zwei Dutzend Gästen und zu einer Zeit, da man unter der Woche doch lieber schon das Ohr an der Matratze hat. Die aus Helsinki stammenden finnischen Meister des coolen Easy Listening-Surf-Drum´n´Wasweissich-Crossovers lieferten jedenfalls ein ganz schönes Konzert ab, der Sound war beschissen, ich müde - und froh, bereits vor der Show im siffigen Hausflur ein Interview geführt zu haben. Mein Gesprächspartner: Vilunki 3000, der Mann an den Tasteninstrumenten, der sich aber auch mal den Bass umhängt.

Wer sich nicht erst seit gestern für gediegenen Sixties/Garage-Punk interessiert, dürfte bereits seit einer ganzen Weile mit LARRY AND THE LEFTHANDED vertraut sein, gehören die vier Finnen doch zu jener Sorte Bands, die reichlich releasefreudig ist. So erschienen seit dem Debüt-Album "Diabolika" von vor zwei Jahren eine gute Handvoll weiterer Platten, darunter Singles auf Demolition Derby, Trash Can und Bad Afro, sowie zwei CD-EPs auf dem finnischen Stammlabel Texicalli Records - und jetzt schliesslich "Quantum rider" auf Strange Ways aus Hamburg.

Stilistisch stellt das neue Album auf sehr positive Weise einen deutlichen Bruch mit der bisherigen musikalischen Grundlinie dar. Zwar hört man die Wurzeln der Band noch deutlich heraus, aber es ist die Elektronik, es sind die Tasteninstrumente, die den Sound prägen. "Als wir anfingen", erzählt Vilunki, "hatten wir eigentlich überhaupt keinen Plan, was für Musik wir überhaupt machen wollen - klar, irgendwie Surf, Garage, Punk, aber mehr auch nicht. Doch da war diese Orgel, die wir billig auf einem Flohmarkt gekauft hatten, und so stritten wir uns erstmal darum, wer die nun spielen sollte. Letztendlich fiel die Wahl auf mich, obwohl ich bisher nur Gitarre gespielt hatte, und wir fingen an, diese Mischung aus Surf, Garage und Punk zu spielen. Das ist jetzt beinahe fünf Jahre her."

Auch wenn es heute nicht mehr so klingt - LARRY & THE LEFTHANDED haben ihre Wurzeln tatsächlich im klassischen Punk und Hardcore: Schlagzeuger H. Anttilainen spielte früher Hardcore, auch Sänger T.A. Kaukolampi war seinerzeit der Schreihals in einer Band namens DANDELEON (?), die grindige 30 Sekunden-Kracher runterholzte, und Gitarrist Larry war schon seit den Achtzigern in verschiedenen Speed- und Trash-Metal-Bands. Vilunki: "Letztendlich machen wir alle schon beinahe 15 Jahre Musik - na gut, bei mir sind es nur zehn Jahre, ich bin ja erst 25."

"Nach all diesen nicht besonders aufregenden Bands hatten wir alle Lust, etwas neues auszuprobieren", fährt Vilunki fort, "denn als wir loslegten, gab es in Finnland gar keine Surf/Garage-Instrumental-Bands von jungen Leuten, höchstens ein paar alte Männer, die diesen Sound seit Ewigkeiten spielten. Für uns war dieser Sound also neu, ein paar Leute fanden Gefallen daran, und so ging es immer weiter."

Musikalische Vorbilder? "Die MUMMIES waren ein sehr guter Grund, LARRY AND THE LEFTHANDED zu gründen", erinnert sich Vilunki. Deren Einfluss reichte allerdings nur für die ersten zwei, drei Jahre der Band, wie man am neuen Album deutlich hört. "Unser Debüt ,Diabolika' war eine völlig schizophrene, paranoide Platte, die unter dem Einfluss von viel zu viel Alkohol entstand. ,Quantum rider' sowie die beiden vorhergehenden CD-Singles dagegen entstanden zwar ebenfalls unter massivem Alkoholeinfluss, aber in der Zwischenzeit hatten wir KRAFTWERK entdeckt - SUICIDE nicht zu vergessen -, und das war der Wendepunkt."

Eine milde Umschreibung für die Vielschichtigkeit des Albums, denn wo HipHop- und Technobeats auf Easy Listening, Surf-Instrumentals und Pop-Songs stossen, hat die Normalität keine Chance mehr. Vilunki lacht: "Wenn du denkst, die Platte sei ein wirrer Mischmasch, dann kannst du das nur sagen, weil du all die Songs nicht gehört hast, die wir letztendlich weggelassen haben - DIE hättest du mal hören müssen, die waren teilweise superlang und total psychedelisch."

Eine konkrete Beeinflussung durch HipHop und diverse Techno-Spielarten will Vilunki nur begrenzt zugeben: "So richtig ,beeinflusst' sind wir davon nicht, aber diese Rhythmen sind heute allgegenwärtig, da schnappst du einfach mal so einen Breakbeat auf und baust ihn ein. Ausserdem vertreten wir die seltsame Meinung, dass erstmal jede Musik gute Musik ist - es kommt drauf an, was man daraus macht."

Kann eine so skurrile Band wie LARRY AND THE LEFTHANDED nur aus Finnland kommen? Schliesslich ist es erstaunlich, wie viele völlig eigenständige Formationen das - von der Einwohnerzahl her - kleine Land im Norden so hervorbringt. "Man hat uns sowas schon öfters gesagt", meint dazu der bebrillte Tastenmann. "Aber ich weiss nicht, ob da was dran ist. Es ist aber schon so, dass es in Finnland relativ wenig Leute gibt, die in Bands spielen. Also kennt fast jeder jeden in der Szene, und wenn jemand eine neue Band macht, kennst du sofort auch den Hintergrund dieser Person. Und deshalb entwickelst du zwangsläufig einen gewissen Ehrgeiz, dich von allen anderen abzugrenzen" - und das hat dann wohl zur Folge, dass es relativ viele finnische Bands gibt, die nicht in gängige musikalische Raster passen.

Seltsam: obwohl die meisten der Songs auf "Quantum ride" keine Instrumentals sind, wirkt die Musik von LARRY AND THE LEFTHANDED insgesamt doch sehr instrumental, steht der sparsame Gesang nur selten im Vordergrund. "Wir halten die Texte so simpel wie möglich", meint Vilunki dazu. "So kann sie jeder zumindest von den Worten her verstehen - vom Inhalt her ist das wieder eine ganz andere Sache... Meistens spielt sich das auf der Basis ,I love you and you left me' ab. Und schau dir doch alleine mal die Titel der Songs auf ,Quantum rider' an: zu solchen Songs kannst du keine vernünftigen Texte machen: they are too big to put them into words. Das sind eben die Gefühle dieser fiktiven Person, des Quantum Riders. Diese ganze Story ist zu gross, um sie in Worte zu fassen."

Der Quantum Rider? Eine Geschichte? Das will ich nun doch genauer wissen - für mich klingt das nach SciFi, nach Spacetrash à la MAN OR ASTRO-MAN? und SERVOTRON. "Das ist eine ziemlich seltsame Geschichte", versucht sich Vilunki an einer Erklärung. "Ich hatte einfach die Idee zu diesem Song ,Quantum rider', das heisst, zuerst war der Name da, aus heiterem Himmel. Und dann haben wir uns dazu eine Geschichte ausgedacht, die einne realen Hintergrund hat. Wir waren letztes Jahr nämlich in Moskau, haben dort gespielt, und dort fiel uns auf, dass man in den U-Bahnstationen gar keine schlafenden Obdachlosen, keine Penner, sah. Warum? Wir hatten keine Ahnung. Also fragten wir jemanden, und der hat uns dann erklärt, dass es eine U-Bahnlinie gibt, die 24 Stunden am Tag immer im Kreis fährt, um die ganze Stadt herum. Und so schlafen die Penner in dieser U-Bahn, aus der man sie nicht rauswerfen kann, solange sie ein Ticket haben. Und diese Penner sind total harte Gestalten, die sehen gar nicht mehr aus wie Menschen, sondern haben die Gestalt, die Form, die Farbe von grau-braunen Taschen angenommen. Und diese Leute, das sind die Quantum Rider, weil sie sich aus dem normalen Raum-Zeit-Kontinuum ausgeklinkt haben, für die ist jede Sekunde genau gleich wie die davor, die existieren nicht mehr wirklich. Später hat mir dann jemand erklärt, was es mit der Quantentheorie, du weisst schon, das, womit sich Albert Einstein und Stephen Hawking beschäftigt haben, auf sich hat. Nämlich dass der Weltraum nicht unendlich ist, sondern so eine Art Ring. Und deshalb kann man - der Quantentheorie zufolge - in der Zeit reisen, da Zeit und Raum sich nicht trennen lassen. Und ein Zeitreisender ist demzufolge ein Quantum Rider. Diese Theorie hat mich damals tagelang nicht mehr losgelassen."

Alkohol - Vilunki erwähnte bereits diesen kreativen Einfluss auf die Musik von LARRY AND THE LEFTHANDED, schränkt auf konkrete Nachfrage allerdings ein, dass ein Vollrausch weit weniger Auswirkung auf den kreativen Prozess habe als vielmehr der Kater danach: "Ich bin produktiver, wenn ich einen richtig üblen Hangover habe. Da bist du viel empfindlicher, nimmst deine Umwelt viel genauer wahr. Deshalb auch der Titel ,Diabolika' des ersten Albums: Diabolika ist die Königin des Rausches, die uns damals mehrere Wochen lang unter ihre Fittiche genommen hat: ,Ich erinnere mich noch, wie ich an diesem Freitagabend in diese Bar gegangen bin, doch dann wachst du auf und fragst dich, welchen Monat wir eigentlich haben'."

Apropos Monat: Nicht nur einen Monat, ein ganzes Jahr nahm die Produktion von "Quantum rider" in Anspruch, bei der die Band von Janne Haavisto, dem Drummer von LAIKA & THE COSMONAUTS unterstützt wurde. "Wir sind in gewisser Weise Perfektionisten - und ausserdem sehr langsam", lacht Vilunki 3000. Immerhin - der Aufwand hat sich gelohnt, und womöglich schaffen es die vier Finnen mit dem neuen Album sogar, zumindest für die USA auf Alternative Tentacles zu landen. Jello Biafra verfolgt die Geschicke der LARRIES jedenfalls seit längerem, steht mit ihnen in Kontakt - und musste sich angesichts des neuen Albums warnen lassen "Beware! We have sold our souls to synthesizers!".

Die allerdings sind für die Band reine Werkzeuge, mit denen sie kaum etwas verbindet. Die Hälfte des Equipments wurde so vor der Tour ausrangiert, da schrottreif, und durch neue, kaum weniger schrottige ersetzt. Und an weiterem Ersatz mangelt es nicht: Vilunki erzählt, er habe noch drei weitere Orgeln als Ersatz zuhause stehen. Zuhause, da sind die vier übrigens ganz normale Menschen: Gitarrist und Schlagzeuger arbeiten als Postbeamte, während Vilunki (der übrigens auch in einem Elektronik-Duo namens OPEL BASTARDS tätig ist) und der Basser sich als Grafiker verdingen und, wie es Vilunki ausdrückt, ein eher bohêmehaftes Leben führen.