LIVING END

Es kommt ja nur noch recht selten vor, dass mich ein neues Punk-Album von vorne bis hinten komplett begeistert. Doch zum Glück gibt es diese Platten immer mal wieder. So verhielt es sich auch mit "Roll On", dem aktuellen Werk des australischen Trios THE LIVING END. Die Band veröffentlichte bereits vor Jahren ihr Debüt und immer wieder einige Singles. Daneben waren sie permanent auf Tournee, in Deutschland zum Beispiel mit den TOTEN HOSEN und im Rahmen der "Vans Warped Tour", wo ich auch das erste Mal auf sie aufmerksam wurde. Inzwischen können sie als Headliner durch die Lande zu ziehen und auch so die Clubs zum Bersten bringen. Vor ihrem diesjährigen Konzert im Hamburger "Schlachthof" setzte ich mich mit dem Drummer Travis zusammen und plauderte ein wenig über gute Musik und schlechte Manieren.

Ihr vermengt in eurer Musik zahlreiche verschiedene Musikstile. Denkst du, es ist einfach, so seinen eigenen Stil zu finden?


Ich hoffe doch. Eigentlich denke ich schon, dass wir ein Original sind. Es ist schwer zu sagen, da wir nur mit Punkbands zusammen spielen. Und ich meine, dass viele Punkbands sehr eindimensional sind, was auch gut so ist. Doch der Punk, der uns beeinflußt hat, ist der, der sich ständig weiterentwickelte. Diese Bands hatten immer einen hohen Wiedererkennungswert, doch es gab auch Momente, wo man sich wunderte, dass sollen THE CLASH sein? Es war ein unglaublich poppiger Song, und dennoch wusste man, das sind THE CLASH. Du musst wissen, wir bewundern Bands wie RANCID, GREEN DAY oder SICK OF IT ALL. Wir sind mit ihnen befreundet, werden aber kaum davon beeinflusst. Das sind alles Bands, die sich auf jedem Album ähneln. Die Bands, die uns aber hauptsächlich beeinflussen, so wie THE WHO, THE JAM oder THE CLASH, klangen von Platte zu Platte unterschiedlich. Vergleiche nur einmal "London Calling" mit "The Clash", dann weiß du, was ich meine. 1978, als "Give ´em enough rope" erschien, hörte man die Punks alle schimpfen, THE CLASH hätten sich ausverkauft und würden keinen Punkrock mehr spielen. Aber genau das machte THE CLASH zur größten Punkrock-Band. Wir brauchen keine Iros und Tausende Tätowierungen, um gegen das System zu sein. Wir sind keine sogenannte Politband, haben dennoch was zu sagen. Das machte Punk schon immer aus.

Euer Gitarrist hat in Australien die Auszeichnung zum besten Gitarrenspieler des Landes erhalten. Woran mag es liegen, dass es heutzutage möglich ist, dass ein Punkrock-Gitarrist solch einen Preis gewinnt?

Weil wir eine großartige Band sind. Chris ist außerdem einfach ein verdammt guter Gitarrist. Ich mag Bands, die gute Breaks und ein ausgefeiltes Gitarrenspiel haben. Stevie Ray Vaughn zum Beispiel ist so unglaublich cool, genauso wie Jimi Hendrix und Keith Richards. Aber auch im Punkrock gab es immer gute Gitarristen. Nimm doch nur Johnny Thunders und die NEW YORK DOLLS. Ich denke, Punk war schon mehr als eine künstlerische Bewegung oder nur ein Musikstil. Die Leute steckten sich Sicherheitsnadeln an und trommelten drauf los, egal ob gut oder schlecht. Das war cool. Doch heute, wenn man uns im Vergleich mit Bands wie den BACKSTREET BOYS oder BLINK 182 sieht, wollen wir gut sein. Unsere Songs laufen daher auch im Radio und auf MTV. Das wollen wir auch. Wir glauben, man kann dem System am besten schaden, wenn sich in das System begibt, sozusagen von Innen heraus. Daher können wir nach Deutschland kommen und Interviews geben. Manche sind gut, manche schlecht. Aber so läuft es. Gestern wurden wir von MTV Europe interviewt. Die Perle kam an, "Oh eine Punk-Band", und wollte mit uns über Punk reden. Dabei hatte sie überhaupt keine Ahnung von australischer Musik, LIVING END und Punkrock generell. Stattdessen hampelte sie die ganze Zeit albern vor der Kamera rum. Wir ließen sie aber ziemlich schnell dumm aussehen und stellten klar, dass Punk alles andere als tot ist und empfahlen zahlreiche befreundete Bands.

Eure Musik ist eigentlich klassischer Rock´n´Roll, in modernem Punkrock-Stil gespielt. Aus welchen Zeiten der Punk-Geschichte zieht ihr eure Inspirationen?

Wenn ich in eine Zeitreise vornehmen könnte, würde ich zurück ins Jahr 1976 gehen. Ich liebe nun einmal Bands wie THE CLASH, THE JAM und THE WHO. Die Bands heutzutage sind nicht minder gut, aber es ist einfach eine andere Zeit. Hauptsächlich liegt es einfach daran, dass Punk heute nicht mehr gefährlich ist. Du kannst heute mit Iro, Nieten und Tattoos durch die Straßen gehen, und nichts passiert. Keiner, der dir dafür ein paar auf die Fresse gibt. Im Gegenteil, es ist ja geradezu schick, bunte Haare und Piercings zu tragen. Aber obwohl es nicht mehr gefährlich ist, Punk zu sein, haben wir unglaubliche Bands. Wir sind froh, daran teilhaben zu können. Hör die mal das letzte Album von REFUSED an, es ist so verdammt großartig. Sie sind eine von den Bands, die ihre eigene Seele haben. Sie sind sehr stylish, sowohl was Cover-Artwork, Bandfotos und nicht zuletzt die Musik anbelangt. Oder nimm INTERNATIONAL NOISE CONSPIRACY oder die HIVES, das sind phantastische aktuelle Bands.

Ich habe einem Freund, der THE LIVING END noch nicht kennt, erzählt, ihr würdet eine Mischung aus GREEN DAY und den STRAY CATS spielen. Liege ich damit richtig?

Nein. Damit würdest du es dir zu einfach machen. Ich würde einfach sagen, wir sind eine gute Band. Dein Vergleich stimmt insofern nicht ganz, als dass wir schon wesentlich politischer ausgerichtet sind, als die beiden von dir genannten Bands. Außerdem haben wir ein ausgefeilteres Gitarrenspiel. Wenn du schon einen Vergleich brauchst, dann sind wir eher wie THE JAM treffen auf AC/DC.

Bevor ihr jetzt nach Europa gekommen seit, wart ihr in den Staaten auf Tournee...

Wir sind seit vier Jahren auf Tournee. Die einzige Pause in den vier Jahren, war die Zeit, in der wir "Roll On" aufgenommen haben. Wir touren ständig in Australien, Europa und den USA.

Und davon seid ihr noch nicht müde?

Oh doch, das kannst du mir glauben.

Dann legt doch mal eine Pause ein, fliegt nach Hause und entspannt in Melbourne am Strand.

Fuck off the beach! Dort würde ich eh nur wieder in Bars rumhängen und mir irgendwelche Bands anschauen. Dann spiele ich doch lieber auch selber gleich mit meiner Band. Guck mal, wir waren sechs mal in Amerika, vier mal alleine in Deutschland, zwei mal in Japan und Neuseeland. So kommt man wenigstens viel herum.

Siehst du denn Unterschiede für euch als Band zwischen Australien, Europa und den USA?

Ja schon, Amerika ist scheiße. Wenn wir von Australien nach Europa kommen, gibt es da kaum Unterschiede. Die Leute hier und ihr Szenen sind oftmals mehr kunstbeeinflusst. Gestern bei unserem Konzert in Berlin standen vor der Bühne eine Menge hübscher Mädchen, die kreischten "Oooohhhhh, LIVING END!". Doch dahinter standen eben so viele Punkrocker älteren Jahrgangs, die unseren Gitarristen beobachteten. Auf jeden Fall war dort ein bunt gemischtes Publikum, ähnlich wie bei unseren Shows in Australien. Dort kommen zu einem SICK OF IT ALL-Konzert sowohl Hardcore-Punks wie auch Rockabillys und Hardrocker. Die Leute unterteilen eher nach guter und schlechter Musik und nicht wie in den USA danach, ob Punk der gute Stil ist oder Ska oder Hardcore. In Amerika fragt man dich, welchen Punkstil du bevorzugst. Wenn du dann RANCID sagst, musst du auch einen Iro und Nieten tragen und auf keinen Fall einen anderen Stil hören. Außerdem gefällt mir diese amerikanische Attitüde nicht, dieses "Hey, gimme five". Warum sagen die Leute nicht wie in Australien und Europa "Hallo"? Das ist alles wesentlich oberflächlicher dort. Da kommt es nur darauf an, wie du dich kleidest. Es würde dich keiner nach politischen Themen oder deinem Herkunftsland fragen. Statt dessen wäre das erste, was sie wissen wollen, warum du eine andere Frisur trägst. Da wundern sich die Leute eher darüber, dass man ein RANCID-T-Shirt trägt und nicht die passende RANCID-Frisur dazu. Das ist echt verrückt.

Wo wir jetzt schon von kontinentalen Unterschieden sprechen, würde ich gerne wissen, in welchem Land eure familiären Wurzeln liegen? Ich meine, bevor eure Vorfahren nach Australien kamen.

Meine Familie stammt ursprünglich aus Irland. Die unseres Sängers Chris kommt aus Holland und die von unserem Drummer Scott aus Wales. Die meisten Australier haben schon britische Wurzeln, da Australien ja nun mal ursprünglich die Gefangeneninsel der Engländer war. Die Jungs von AC/DC haben zum Beispiel alle schottisches Blut.

Habt ihr schon einmal mit AC/DC zusammen gespielt?

Ja, erst letzten Monat. Und wenn wir am Ende unserer Europa-Tour wieder in die Staaten fliegen, spielen wir dort auch noch mit ihnen.

Wie reagiert denn das AC/DC-Publikum auf eure Musik?

Bei den ersten drei, vier Songs sehr verhalten. Das liegt aber vor allem daran, dass viele der AC/DC-Fans heutzutage gar keine neuen Bands mehr hören. Sie gehören einer Generation an, wo man sich zwar noch ab und an die Bands von früher anhört, darüber hinaus aber nichts mehr. Doch nach einigen Liedern denken auch die, dass wir auf der Bühne zwar in ihren Augen Jungspunde sind, aber auch den Rock´n´Roll haben. Ab dann läuft es immer gut. Da ist genauso, wie bei unseren Konzerten in Deutschland vor den TOTEN HOSEN. Da haben wir auch nicht groß geredet, sind einfach auf die Bühne und los. Das hat das Publikum schnell kapiert und der Funke sprang über. Man darf als Vorband aber auch nicht zu viel erwarten. Schließlich kommen die Leute und zahlen Eintritt, um AC/DC oder die HOSEN zu sehen. Man darf sich dann auch nicht zu sehr zu Herzen nehmen, wenn schon mal ein Bierbecher fliegt oder jemand dich ausbuht.

Jetzt aber mal weg vom Touren und Konzerte spielen. Kommen wir mal auf eure Platten zu sprechen. Wo liegen deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen "Roll On" und eurem Debüt?

Bei "Roll On" steht der Rock´n´Roll definitiv mehr im Vordergrund. Das erste Album wurde vor Jahren geschrieben. Wir sind also nur ins Studio und habe es aufgenommen. Da dachten die Leute dann, hör mal, die klingen wie GREEN DAY. Und das eigentlich nur, weil wir auch ein Trio sind, und unser Sänger eine ähnliche Stimme hat. Bei "Roll On" kannte man uns bereits und wir konnten unseren eigenen Sound weiterführen. Außerdem haben wir sehr lange an diesem Album gearbeitet.

Was wird die Zukunft bringen?

Wir werden noch ein wenig weiter touren und die Welt bereisen. Dann wird es hoffentlich bald eine Split-Single von uns mit ROSE TATTOO geben. Und irgendwann werden wir sicher mal ein neues Album in Angriff nehmen. Spätestens dann sehen wir uns auch hier in Deutschland wieder. Ich freue mich schon drauf.

Ich auch. Danke für das Gespräch.