JEAN ROLLIN

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Vampire sex & grotesque gore - Surrealism Rollin-style

Innerhalb des europäischen Genrekinos der 60er und 70er nimmt der Franzose Jean Rollin eine deutliche Ausnahmestellung ein. Zwar wird er gerne als "Horrorfilmer" kategorisiert, dabei übersieht man aber, dass seine Filme trotz ihrer starken Fixierung auf Motive des Vampirfilms, versehen mit einem Hang zu expliziteren Erotizismen und später auch handfestem Splatter, vor allem durch ihre verträumte Poesie und surreale Bildsprache ihren besonderen Reiz entwickelten. Aufgrund dieser hoffnungslos unkommerziellen Attitüde blieb Rollin deshalb auch lange ein reines Underground-Thema, auch wenn er immer wieder in Fanzines und Büchern über den Horrorfilm Erwähnung fand. Dabei erntete er nur zu oft Unverständnis mit seiner sehr persönlich gefärbten Verarbeitung der Klischees des Horrorgenres.


Das erste Mal bekam ich einige Filme Rollins durch die Videoveröffentlichungen des englischen Redemption-Labels Mitte der 90er zu Gesicht, wobei allerdings leider drei Filme die damals noch wesentlich strengere englische Zensur nicht ungeschoren passiert hatten. Darunter auch "La Morte Vivante" von 1982, der in Deutschland zur Zeit des Videobooms Mitte der 80er noch schwer die Staatsanwälte beschäftigt hatte (ebenso wie übrigens "Les Raisins De La Mort" von 1977, wohl eher aufgrund blödsinniger deutscher Titel wie "Foltermühle der gefangenen Frauen" beziehungsweise "Zombis geschändete Frauen" (sic!) als durch seinen tatsächlichen Inhalt). Seitdem sind die meisten Filme Rollins, sieht man mal von seinen Arbeiten im Pornobereich ab, in diversen Ländern auf Video und DVD erschienen, allerdings muss man nach wie vor ein Auge darauf haben, um was für Fassungen es sich handelt.

Vor kurzem wurden "Lèvres De Sang" ("Lips Of Blood"), "La Morte Vivante" ("The Living Dead Girl"), "Les Démoniaques" ("The Demoniacs") und "Requiem Pour Un Vampire" ("Requiem For A Vampire") erneut von der holländischen Firma Encore veröffentlicht, in edlen 3-Disc-Digipak-Editionen mit reichhaltig bebilderten Booklets, in neuen 16:9-Abtastungen, mit diversen Untertiteloptionen, darunter auch deutsche, und Bergen von Zusatzmaterial in Form von Interviews und Audiokommentaren zu jedem Film, allerdings auch zu einem stolzen Preis, der diese Fassungen wohl ganz klar zu einem Fall für wahre Rollin-Fans macht. Auf jeden Fall sind diese Boxen ein Anlass für eine erneute Auseinandersetzung mit diesem ungewöhnlichen Regisseur, dessen Schaffen vom üblichen Dilemma des Independent-Kinos beherrscht wurde: Dem ewigen Konflikt zwischen ernsthaften künstlerischen Ambitionen und Kompromissen bezüglich der kommerziellen Verwertbarkeit des Mediums Film. Wer also ist Jean Rollin eigentlich?

Spricht man ihn auf die immer wiederkehrenden Themen und Obsessionen innerhalb seiner Filme an, verweist er meistens darauf, dass ein Psychologe wahrscheinlich besser darauf antworten könnte. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass die wiederkehrenden Bilder von Schlössern und Stränden Teil seiner persönlichen Mythologie sind, Kindheitserinnerungen an Urlaube am Meer, die verwirrten Empfindungen eines Heranwachsenden, die Rollin wie ein Schriftsteller arrangiert, Teile seines eigenen Universums, die eigentlich gar nichts Besonderes symbolisieren sollen, zumindest was ihre Bedeutung für den Zuschauer betrifft.

Geboren wurde Jean Rollin am 3. November 1938 im mittelständisch geprägten Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Die Familie war schon damals künstlerisch ausgerichtet, denn der Vater war Schauspieler und Zirkusdirektor und Rollins Bruder Olivier wurde später Schauspieler und Maler. Der Autor George Bataille war ein enger Freund der Mutter und erzählte dem kleinen Jean häufiger mal eine Gute-Nacht-Geschichte. Rollins Interesse fürs Kino, vor allem für das fantastische, ebenso wie für die Malerei und Literatur, entwickelte sich allerdings nicht anders als bei anderen späteren Regisseuren.

"Als ich meinen ersten Film gesehen hatte, war ich so fasziniert von der Magie des Kinos, dass ich sagte, das will ich auch machen. Denn als kleiner Junge war ich ein großer Fan von Comics und Filmen, genauso wie meine Freunde. Damals gab es kein Fernsehen, also gingen wir so oft wie möglich ins Kino. Ich erinnere mich noch an diese ganz kleinen Kinos, die es in den Bahnhöfen gab - die wurden Cineac genannt. Die Zuschauer überbrückten dort nur die Wartezeit. Das Ganze war so irreal, andauernd kamen Leute rein, andere gingen wieder raus. Dazu kam noch, dass wir beim Zuschauen die Ansagen hören konnten: ?Der Zug aus Lyon fährt ein auf Gleis ...'. Und da die Leute nie lang blieben, zeigte man Kurzfilme, halt Serien wie zum Beispiel ?Zorro', ?Tarzan', ?The Shadow', oder ?The Mysterious Dr. Satan', das war eine Welt für sich. Und in den Comics fand man dieselben Helden. Und somit wuchs ich, genauso wie die anderen Kinder, in einer Welt der Serienhelden auf. Mein erster Horrorfilm war dann Universals ?Draculas Haus' von Erle C. Kenton. Ich hatte danach für Monate Albträume, weil ich mich dabei so gefürchtet hatte. Und später habe ich mit meinen Filmen versucht, dieses Gefühl des Horrors wieder zu beleben ... Aber man weiß ja, wie das ist, wenn Kinder solche Berufswünsche haben, niemand glaubt ernsthaft, dass es sich um mehr als eine flüchtige Spinnerei handelt. Meine Eltern lebten zu dieser Zeit getrennt, aber ich besuchte meinen Vater oft in dem Theater, wo er arbeitete und sah zu, wie er auf der Bühne klassische Stücke spielte. Insofern erschien es ihm wohl nicht als Fluch, dass ich auch diese Richtung einschlagen wollte. Als ich 15 war, schenkte mir meine Mutter eine Schreibmaschine. Das war ein wichtiger Moment für mich, da es eine Möglichkeit war, meine Ideen besser auszudrücken. Ich schrieb kleine Drehbücher und Geschichten, beeinflusst von den Filmen und Serien, die ich gesehen hatte. Der Geist, die Struktur und die Inhalte dieser Serien waren der Schlüssel für meine späteren Filme ... Es ist schon komisch, viele Leute, die in diesem Genre arbeiten, sei es als Schriftsteller oder Regisseur, beziehen sich zwar auch auf ihre Kindheit, können darüber aber wenig Positives sagen. Sie scheinen als Kind schlimme Sachen erlebt zu haben, weshalb sie sich auch dieses Genre ausgesucht haben. Aber meine Kindheit war eigentlich wundervoll und ich habe sehr schöne Erinnerungen daran, so als ob man sich 20 Jahre später an seine erste große Liebe erinnert."

Nach Ableistung seines Militärdienstes, einer Reihe von experimentellen Kurzfilmen und seiner Beteiligung an dem Comic "The Saga Of Xam" - in dieser Zeit begegnete er auch dem Zeichner Philippe Druillet, der für drei seiner Filme die Plakate gestaltete - entstand 1968 Rollins erster Film "Le Viol Du Vampire", was übersetzt "Die Vergewaltigung des Vampirs" heißt und den man als eine Art Trailer für sein späteres Werk ansehen kann. Wenig Spuren hatte hingegen bei ihm die zu dieser Zeit in Frankreich populäre Nouvelle Vague hinterlassen, auch wenn er deren Vertretern in Henri Langlois' Cinématèque Française häufiger begegnet war und ihre Filme kannte, sich aber eher zum traditionellen französischen Kino hingezogen fühlte, sieht man mal von den vergleichbaren ökonomischen Beschränkungen dieser Bewegung ab.

Ende Mai 1968 war "Le Viol Du Vampire" einer von nur zwei Filmen, die in Paris starteten, denn die Stadt sah sich der heftigsten Protestwelle durch Studenten und Arbeiter gegenüber, die Europa in den letzten 120 Jahren erschüttert hatte. Die Plakate priesen den Film derweil als "ersten französischen Vampirfilm" an und in Erwartung von etwas Neuem und Aufregendem standen die Leute an der Kinokasse Schlange, allerdings gefiel den wenigsten, was sie da auf der Leinwand sahen, und auch die Kritiker hassten den Film. Rollin war für lange Zeit als Horrorregisseur abgestempelt, was er eigentlich gar nicht sein wollte. Sein mit kleinem Budget gedrehter, surrealer "Skandalfilm", ein fast gänzlich improvisiertes Unterfangen, überforderte die Sehgewohnheiten der Franzosen schlichtweg, was sicherlich auch mit dessen skurriler Entstehungsgeschichte zu tun hat.

"Mein erster Film, der eigentlich als Kurzfilm gedacht war, wurde ermöglicht, da man ihn zusammen mit einem amerikanischen Vampirfilm zeigen wollte. Ein Freund von mir, der Filmverleiher Jean Lavie, hatte zusammen mit ein paar anderen Leuten den amerikanischen Horrorfilm ?Dead Men Walk' von Sam Newfield gekauft. Erst als sie den Film in den Händen hielten, bemerkten sie, dass er nur 65 Minuten lang war. In Amerika gab es das häufig, da man dort oft Double-Features zeigte, also zwei Filme hintereinander. Aber für Frankreich war er zu kurz. Also kam mein Freund zu mir und sagte: ?Dreh mir einen halbstündigen Vampirfilm, den ich zusammen mit meinem amerikanischen Film zeigen kann, und du hast einen Verleiher.' Also versuchte ich, Geld aufzutreiben und Partner zu finden. Es war eben mein absolut erster Film, ich hatte vorher nichts gedreht. Ich traf einen Amerikaner in Paris, Sam Selsky, der für die UNESCO arbeitete, das Kino liebte und ein kleines Theater gekauft hatte. Er glaubte an mich und sagte mir, er wolle versuchen, das Geld aufzutreiben. Also ging er los und fragte Leute aus der amerikanischen Community, ob sie nicht Geld investieren wollten. Im Gegenzug könnten sie auch eine Rolle spielen. So kam es, dass in ?Le Viol De Vampire' drei oder vier Amerikaner mitspielen. Wir schafften es, ungefähr 20 Millionen Alte Franc zu beschaffen. Wir fingen an zu drehen, fügten das Material zusammen und heraus kam ein Kurzfilm von 30 Minuten Länge. Dann sagte Selsky zu mir: ?Hör mal, wir haben mit 20 Millionen Alten Franc einen 30-minütigen Film produziert. Wenn ich noch mal 20 Millionen auftreibe, werden wir es doch schaffen, auf 90 Minuten zu kommen. Vergiss also die Sache mit dem Double-Feature, wir machen einen richtigen Spielfilm.' Zwei Monate später begannen wir mit den Dreharbeiten zu der zweiten Hälfte des nunmehr 90-minütigen Projektes. Das Problem war nur, dass wir am Schluss des ersten Teils alle Charaktere umgebracht hatten, schließlich sollte der Film ja nur 30 Minuten dauern. Wir mussten also die ganzen Leute wieder auferstehen lassen. Wir kamen auf die Idee, dass eine Vampirkönigin alle Personen ins Leben zurückruft. Der zweite Teil wurde fertig gestellt und wir hatten unseren 90-Minuten-Film. Ein ziemlich komisches und bizarres Werk ... ?Le Viol De Vampire' verursachte einen fürchterlichen Skandal in Paris. Die Leute waren wirklich wütend und warfen mit Sachen auf die Leinwand. Ein Grund war, dass niemand die Geschichte verstand. Denn man erwartete eine Vampirgeschichte, aber die Leute kannten zu dieser Zeit nur die Vampirfilme von Hammer, und mein Film zerstörte die üblichen Vorstellungen, die man davon hatte. Der Film war überall in Frankreich ein Skandal, was mich wirklich überraschte, ich hatte nicht geahnt, dass ich so einen bizarren Film gedreht hatte. Wenn ich mir den Film jetzt anschaue, verstehe ich, wie verrückt es doch eigentlich war, etwas in dieser Art zu dieser Zeit zu drehen, mit den ganzen Studentenunruhen in Paris. Aber er war auf seine Art dennoch ein Produkt dieser Zeit, auch wenn das von mir nicht geplant war. Die Zeitung Le Figaro schrieb damals: ?Dieser Film muss offensichtlich von ein paar Betrunkenen gemacht worden sein, wahrscheinlich Medizinstudenten. Es ist nicht mehr als ein schlechter Scherz ...'. Ich dachte, dass es mit meiner Karriere vorbei sei, aber dennoch wollten viele Leute diesen Skandalfilm sehen und die Produzenten fragten mich, ob ich einen weiteren Film drehen wollte. Das war ?La Vampire Nue', der nicht so verrückt war. Ein Element von ?Le Viol De Vampire' behielt ich aber bei, das Rätselhafte, wie in diesen alten Serien ..."

Ab 1969 entstand dann besagter "La Vampire Nue", hierzulande mit dem selten blöden Titel "Das Lustschloss der grausamen Frauen" gesegnet, diesmal aber in Farbe gedreht, im damals auch für kleinere Produktionen erschwinglichen Eastmancolor-Verfahren von Kodak und mit professionellen Darstellern besetzt. Auch wenn der Film mit seinem bizarren Selbstmordkult und Vampiren aus einem Paralleluniversum nicht weniger verwirrend und Geheimnis umwittert war als "Le Viol De Vampire", gelang Rollin hier dank bemerkenswerter Kostüme und Kulissen eine beeindruckende Umsetzung der Trivialmythen von Comics und Pulpliteratur dieser Zeit, inklusive fetischistischer Phantasien, was manchmal so wirkte, als ob ein Gemälde von Max Ernst zum Leben erwacht sei. Außerdem war es Rollins erste Zusammenarbeit mit den Zwillingsschwestern Catherine und Marie-Pierre Castel, die immer wieder in seinen Filmen auftauchten. Aber auch hier war Rollin wenig Glück beschieden: Er überzog das Budget, die Publikumreaktionen waren kaum besser als bei "Le Viol De Vampire", und im Ausland wurde "La Vampire Nue" erst 1973 veröffentlicht.

"Nach ?Le Viol De Vampire' wollte ich einen traditionelleren Film drehen. Anstatt dieser ganzen verrückten Bilder sollte bei ?La Vampire Nue' ein Geheimnis im Mittelpunkt stehen, verknüpft mit bestimmten Schauplätzen in Paris, mit seltsamen Charakteren, darunter ein Mädchen, das eigentlich gar kein Vampir ist. Ich habe eigentlich auch keine genaue Definition für die Vampire in meinen Filmen. Ich sehe den Vampir als eine poetische Persönlichkeit. Und nicht wie etwas Fürchterliches oder Schreckliches. Eher ein Sinnbild für etwas sehr Bizarres und doch auch sehr Poetisches ... Die Schauplätze waren bei ?La Vampire Nue' sehr wichtig, zum Beispiel zu Beginn, als mein Bruder Olivier bei schummriger Beleuchtung auf dieses Mädchen trifft, da gibt es eigentlich nichts Außergewöhnliches, eine ganz alltägliche Kulisse, bis auf das Mädchen mit ihrem seltsamen Kostüm, was eine geheimnisvolle Atmosphäre erzeugte. Und warum dann diese zwei Mädchen im Film? Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht kann das ein Psychiater besser beantworten. Selbst in meinen Büchern tauchen sie auf. Aber ich muss gestehen, dass ich in den Sexszenen lieber zwei nackte Mädchen habe, als einen Mann und eine Frau. Für mich ist das interessanter, für die Sinnlichkeit und die Poesie, wenn ich sie wie in ?Le Frisson Des Vampires' in eine Standuhr oder einen Kamin stecke, nur nicht in ein Bett. Diese ungewohnten Orte sind die Basis aller surrealistischen Bilder, man muss sich nur Max Ernst oder Marcel Duchamp anschauen. Als Duchamp ?Akt, eine Treppe herabsteigend' malte, handelte es sich dabei nicht mehr um eine normale Treppe, es war eine Treppe mit einem Akt darauf. Und meine Standuhr war auch keine normale Standuhr mehr, sondern eine mit einem Vampirmädchen darin ... Jedenfalls waren die Castel-Schwestern wohl die einzigen Zwillinge, die man im französischen Kino finden kann. Sie drehten Vampirfilme zusammen und auch Pornos, aber eigentlich waren sie Friseusen. Einer meine Assistenten machte mich auf sie aufmerksam und ich traf mich dann mit ihnen. Sie wollten Schauspielerinnen werden, das war schon länger ihr Traum. Sie hatten eine bestimmte unschuldige Qualität, die perfekt für meine Filme war. Aber es war schwierig, sie beide zusammen für einen Film zu bekommen. In ?Le Frisson Des Vampires' sollten sie auch beide dabei sein, aber Marie-Pierre wurde schwanger und nach ?Requiem Pour Un Vampire' war dann die andere schwanger, und wieder hatte ich ein Problem ..."

1970 drehte Rollin mit dem schon angesprochenen "Le Frisson Des Vampires" einen weiteren Vampirfilm, einer seiner kommerziellsten Filme - wenn man das überhaupt so nennen kann -, auf jeden Fall aber einer seiner unterhaltsamsten, da er bei seiner Manipulation der klassischen Elemente des Genres wie Jungfrauen, alte Schlösser, Friedhöfe und natürlich Vampire bisweilen die Grenze zur Parodie überschreitet, vor allem in Bezug auf gewisse Anspielungen in Richtung Hippie-Bewegung, ohne dabei seine erotische visuelle Handschrift zu verwässern. Dazu kam der ungewöhnliche, improvisierte Psychedelic Rock-Score einer Schülerband namens ACANTHUS, die sich allerdings kurz nach Beendigung des Films schon wieder auflöste. Der Film war dann fast schon ein Exportschlager und kam auch in Frankreich deutlich besser an. Jedenfalls gut genug, um Rollin 1971 seinen nächsten Film zu ermöglichen, "Requiem Pour Un Vampire", in dem zwei Mädchen im Clownskostüm nach einer bizarren Autoverfolgungsjagd in einem Schloss in die Fänge eines Vampirkults geraten. Quasi eine Variation von "Le Frisson Des Vampires" - generell neigte Rollin zu einer gewissen Selbstreferenzialität -, die aber auf dessen erzählerische Finessen verzichtete und stattdessen vor allem eine Abfolge halluzinativer Begegnungen war. Ein wieder deutlich experimentelleres Werk, das in den ersten 40 Minuten völlig ohne Dialog auskommt und in den unterschiedlichsten Fassungen und unter verschiedensten Titeln kursierte, etwa in den USA als "Caged Virgins" vom berüchtigten Harry Novak veröffentlicht wurde, einem Veteranen des Exploitation-Bereichs. Für den Verkauf von "Le Frisson ..." und "Requiem ..." war der Amerikaner Lionel Wallmann verantwortlich, den Rollin während der Dreharbeiten zu "Le Frisson ..." kennen gelernt hatte, der sich dann auch um die Finanzierung von "Requiem ..." kümmerte und Rollin dazu drängte, in erotischer Hinsicht dabei so weit zu gehen, wie es in Frankreich zu dieser Zeit erlaubt war, um das spätere Einfügen von Hardcore-Szenen zu ermöglichen. Denn der Anfang der 70er durch "Deep Throat" in Amerika ausgelöste Porno-Boom hatte auch Frankreich erreicht und versprach hohe Gewinne bei minimalen Investitionen.

Das führte 1973 zu einem Sexfilm mit Horror-Elementen namens "Tout Le Monde Il En A Deux", gedreht unter Pseudonym Michel Gentil (Rollins kompletter Name war Jean Michel Rollin Le Gentil) und besetzt mit den Castel-Schwestern, der später dann als "Bacchanales Sexuelles" mit zusätzlichen Hardcore-Szenen erneut veröffentlicht wurde. Es sollte nicht sein einziger Berührungspunkt mit diesem Bereich bleiben, denn von 1973 bis 1978 drehte er zwölf Pornos, wie so viele Regisseure im Low-Budget-Sektor, allerdings nur einen als Jean Rollin, "Phantasmes" von 1975, wo er ebenfalls versuchte, Horror und Sex zu kombinieren.

"Lionel verpflichtete mich dazu, einige Sexszenen für ?Requiem ...' zu drehen, für die Szene im Burgverlies. Ich sagte ihm danach, dass ich nicht besonders stolz darauf sei, und er meinte, dass ich meine Sache aber sehr gut gemacht hätte. Und er würde wetten, wenn wir einen kompletten Film in dieser Art machen würden, wäre er bestimmt erfolgreich. Es würde mir vielleicht nicht gefallen, aber ich wüsste, was zu tun wäre. Er trieb dann das Geld dafür auf, wir drehten den Film und er behielt Recht, ?Tout Le Monde Il En A Deux' wurde ein Erfolg. Wir drehten zwei Versionen, bei der einen schnitt ich diverse Szenen wieder heraus, die mir zu lang und zu explizit erschienen. Ich habe aber nie die andere Version gesehen, insofern weiß ich nicht, welche Szenen ergänzt wurden. Ich selbst habe keine Hardcore-Szenen dafür gedreht, aber wir gingen im Softsex-Bereich so weit wie möglich, da Lionel etwas wirklich Spektakuläres haben wollte, aber Pornografie zu dieser Zeit nicht legal war ... Aber es wurde für mich generell immer schwieriger, Filme wie bisher zu machen. Pornografie wurde in Frankreich immer populärer, und die kleinen Kinos, die bis dahin meine Filme gezeigt hatten, wurden zu Pornokinos. Und irgendwie musste ich Geld verdienen. Also versuchte ich, mit ?Phantasmes' einen Porno mit richtiger Handlung zu drehen, doch es war ein völliger Fehlschlag ... Ich dachte zu dieser Zeit, ich könnte mit dieser Art Film etwas Neues und Interessantes schaffen. Aber so etwas interessierte das Publikum überhaupt nicht und war zum Scheitern verurteilt, denn man wollte einfach nur sehen, wie Leute auf der Leinwand Sex hatten, mehr nicht. Deshalb waren meine Pornos nach ?Phantasmes' auch ziemlich einfallslos, da mich der Misserfolg des Films sehr enttäuscht hatte. Ich habe wirklich versucht, mehr daraus zu machen, Pornografie mit einer richtigen Geschichte, einem richtigen Regisseur und richtigen Darstellern. Aber basierend auf meiner heutigen Erfahrung muss ich sagen, dass es unmöglich ist, wirklich interessante Pornos zu drehen, es existiert kein Markt dafür ... Insofern haben mir all diese Filme nicht besonders gut gefallen, aber sie zu drehen, war eine durchaus angenehme Erfahrung. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu den Leuten, mit denen ich arbeitete, der Dreh dauerte höchstens ein oder zwei Tage, es war sehr lustig und es herrschte eine freundliche Atmosphäre. Die Filme interessierten mich dabei weniger ... Heutzutage tun Darsteller so was nur des Geldes wegen, aber damals war es etwas anderes. Einige wollten dabei ihre persönlichen Begierden und Obsessionen erforschen, andere sahen es als möglichen Einstieg ins Filmgeschäft, aber eine Sache hatten sie alle gemeinsam: Sie waren stolz darauf, was sie taten, sie waren eine kleine Gruppe von Außenseitern, die etwas taten, was sich andere nicht trauten zu tun. Es war eine Art Rebellion, ein Statement, und es war wirklich ehrlich gemeint."

In dieser Zeit drehte Rollin aber nicht ausschließlich Pornos, sondern auch "normale" Filme: 1973 "Les Démoniaques" und "La Rose De Fer", 1975 dann "Lèvres De Sang". "Les Démoniaques" war Rollins erster ernsthafter Versuch, außerhalb der gewohnten Einflüsse seiner erotischen Vampirfilme mit einer schärfer umrissenen Geschichte und Charakteren zu arbeiten, quasi ein klassischer Abenteuerfilm. Sein sicher ambitioniertester, aber auch anstrengendster Film, in dem ein paar Strandpiraten von den Geistern zweier Mädchen verfolgt werden, die sie vergewaltigt und umgebracht hatten. Obwohl für Rollin ein ungewohntes Terrain, zumal der Film auch manchmal an die Ästhetik expressionistischer Stummfilme erinnerte, gab es auch hier immer noch genügend Gewalt, Nacktheit und bizarre Bilder. Aber auch dieser Film wurde von Problemen überschattet, denn die an der Produktion beteiligte belgische Firma verlangte, dass fünfzig Prozent des Films in Belgien gedreht werden mussten und eine der Hauptdarstellerinnen eine Belgierin sein sollte, weshalb Rollin einige Änderungen am Drehbuch vornehmen musste, und später dann noch mehr, weil bestimmte Locations in Belgien nicht verfügbar waren. Die beiden französischen Hauptdarstellerinnen sprangen kurzfristig ab, als seltsame Gerüchte die Runde machten, Rollin würde seine jungen Darstellerinnen auf den Strich schicken, um seine Filme zu finanzieren.

"Wir mussten wegen der belgischen Co-Produzenten alles ändern, mussten belgische Darsteller und Techniker einsetzen. Es war meine erste Co-Produktion und mein größtes Budget bis dahin. Aber auch mit dem Geld der Belgier standen wir vor der letzten Drehwoche vor dem Aus, weil das Budget komplett verbraucht war und wir absolut nicht weiterwussten. Also gingen wir in eine kleine Bar, wo sie auch Lotterielose verkauften, um uns zu betrinken, und nur noch ein Los war übrig. Lionel kaufte es, nur so zum Spaß, und wir gewannen 100.000 Francs - das war unsere Rettung! Gedreht wurde der Film auf einer kleinen Insel und zu den Springtiden der Tagundnachtgleiche einmal im Jahr konnte dort eine Woche lang kein Boot die Insel verlassen oder erreichen. Genau zu dieser Zeit waren wir dort und waren plötzlich Gefangene auf dieser Insel. Es gab kein Hotel oder Restaurant, nichts! Wir mussten selbst kochen und das einzige, was wir hatten, waren Krebse. Wir hatten Dutzende gekauft, weil wir sie für den Film brauchten. Also aßen wir eine Woche lang nur Krebse. Man kann sich denken, dass danach jeder von uns lange Zeit keine Krebse mehr sehen konnte. Insofern eine andere für meinen Ruf sehr hilfreiche Geschichte: Rollin, der einzige Regisseur, der seine Darsteller während des Drehs essen musste, haha."

Als "Les Démoniaques" 1974 in den französischen Kinos startete, wurde auch das Verbot der Pornografie aufgehoben und der Film Teil der Kontroversen bezüglich dieser "Welle von Schmutz". Rollins Karriere war zu dieser Zeit endgültig in eine Sackgasse geraten, er war ausschließlich bekannt als Regisseur billig gemachter, erotischer Horrorfilme voller Klischees. Der Tiefpunkt war dann mit "La Rose De Fer" erreicht, in dem es weder richtigen Horror, Vampire noch Sex gab und der seine letzten finanziellen Reserven aufbrauchte, was ihn in den nächsten Jahren dazu zwang, Pornos zu drehen. 1975 entstand dann noch "Lèvres De Sang", sein insgesamt persönlichster Film, versehen mit starker tiefenpsychologischer Note. Darin regen sich bei einem jungen Mann namens Frederic bei der Vorstellung eines neuen Parfums durch das Motiv eines Schlosses auf einem Foto Erinnerungen an seine Kindheit und eine seltsame junge Frau, die ihm dort begegnet war. Erinnerungen, die, wie er schnell feststellt, von seiner Umwelt gezielt unter den Teppich gekehrt wurden, um ihn vor irgendetwas zu schützen. Wovor, das erfährt er im weiteren Verlauf des Films. Weil einer der Produzenten am ersten Drehtag ausstieg, verlor Rollin eine ganze Woche Drehzeit, weshalb er vor der Alternative stand, das Projekt entweder komplett zu canceln oder den Film in nur drei Wochen zu drehen, wozu er erst mal jede Menge Szenen rausschmeißen und durch andere ersetzen musste, was der Struktur der Geschichte deutlich schadete. 1976 kam "Lèvres De Sang" in die Kinos, zu einer Zeit, als der Porno-Boom seine Hochzeit erreicht hatte, und floppte völlig. Die Ironie dabei war, dass Rollin aus Geldmangel Outtakes und alternative Szenen von "Lèvres De Sang" an die Produzenten eines Films namens "Suce-moi, Vampire" ("Suck Me, Vampire") verkaufte, der dann in den Sexkinos von Paris ein Hit wurde.

Ende der 70er hatte dann die Begeisterung für Splatter-Filme, vor allem durch die Welle von Zombie-Filmen, auch Frankreich erreicht, weshalb Rollin und der Produzent Claude Guedj die Idee hatten, populäre Zombie- und Katastrophenfilm-Motive miteinander zu verbinden. Das Ergebnis war 1978 "Les Raisins De La Mort", der erste französische Gore-Film, in dem durch Chemikalien verseuchter Wein die Bewohner eines Dörfchens zu Zombies mutieren lässt. Eine simple, formelhafte Geschichte mit von einer italienischen Firma hergestellten Spezialeffekten, die man bisher nur aus amerikanischen Filmen kannte.

"Der Produzent bedrängte mich, diese Szenen zu drehen. Jedoch setzte ich sie auf meine Art um. Für mich sind diese Gore-Szenen nur akzeptabel, wenn sie eine Bedeutung besitzen. Zum Beispiel die Szene mit dem abgeschlagenen Kopf. Wir veränderten die Szene so, dass daraus quasi eine Liebesszene wird. Der Kerl mit der Axt wird langsam verrückt. Er kann nichts mehr anderes tun, als den Kopf seiner Freundin abzuschlagen. Gleichzeitig ruft er aber immer wieder: ?Ich liebe dich, ich liebe dich'. Das Ganze ist so in zweierlei Hinsicht fürchterlich. Einmal natürlich visuell, zum anderen, weil er merkt, dass er etwas Schreckliches tut ... Die eigentliche Idee für den Film stammte von Jean-Marc Ghanassia, einem jungen Produzenten, der auch an ?Lèvres De Sang' beteiligt war. Er hatte dabei sein ganzes Geld verloren und wollte etwas drehen, was Profit versprach. Es war die Zeit der Katastrophenfilme und er wollte etwas Ähnliches machen, mit etwas, das Teil unseres täglichen Lebens ist und plötzlich gefährlich und tödlich wird ... Es war auch der erste normale Film, den ich mit Brigitte Lahaie drehte, vorher hatte sie nur in Pornos mitgespielt, wie in meinem Film ?Vibrations Sensuelles'. Ich fand, dass sie eine starke Persönlichkeit besaß und es interessant wäre, sie außerhalb der engen Grenzen eines Pornos in einem Rollin-Film agieren zu sehen. Sie war irgendwie anders und hatte viel Charisma. Ich hielt sie für sehr talentiert, außerdem ist sie eine sehr nette Person. Man könnte vielleicht denken, es wäre schwierig, mit einer Pornodarstellerin zu arbeiten, aber sie war sehr diszipliniert und professionell, es war sehr angenehm mit ihr. Sie war auch sehr daran interessiert, im normalen Filmbereich Karriere zu machen, was ihr auch gelang, und sie ist inzwischen sehr populär in Frankreich."

Auf jeden Fall spielte "Les Raisins de la Mort" genug Geld ein, um Rollin sein nächstes Projekt zu ermöglichen, "Fascination" von 1979, womöglich sogar sein bester Film - ein Vampirfilm, der eigentlich keiner ist, wieder mit Brigitte Lahaie. Darin sieht man zu Beginn ein paar Damen der Oberschicht, die sich in einem Schlachthaus ihrer Leidenschaft hingeben, dem Trinken von Blut. Im weiteren Verlauf gerät dann ein Kleinkrimineller in einem Schloss in die Fänge eines aristokratischen Blutkults, quasi Rollins Version der Geschichte der Gräfin Elizabeth Bathory, aufgepeppt mit Gore und Sex und einem mitreißenden, tragischen Ende, plus dem schönen Score von Philippe D'Aram. Was Rollins größter künstlerischer Triumph hätte werden können, endete im fast schon gewohnten Fiasko. Denn der Film war von einem der größten französischen Verleiher, UGC, gekauft worden und sollte mit zwölf Kopien gleichzeitig starten. Doch acht Tage vor der Premiere wurde alles von einem der UGC-Leiter wieder gecancelt, der gegen Rollins Produzenten einen persönlichen Groll hegte. Über Nacht verschwand der Film in der Versenkung, einer seiner wenigen Filme, der in der Presse tatsächlich mal positiv besprochen wurde. Rollin war wieder gezwungen, Pornos zu drehen, da er erneut sein ganzes Geld verloren hatte.

"Der Titel und der Stil von ?Fascination' ist eine Hommage an ein gleichnamiges französisches Magazin, das sich Erotik aller Art verschrieben hatte. Es wurde von meinem Freund Jean-Pierre Bouyxou herausgebracht, der auch an ?Les Raisins de la Mort' und ?La Morte Vivante' mitgearbeitet hatte. Wir drehten den Film in einem alten, sehr eleganten und luxuriösen Schloss, mit einem diskreten Hintereingang durch den Wald, das bekannt war als Zufluchtsort für Reiche, die mit ihren Ehepartnern oder Liebhabern ungestört ein Schäferstündchen verbringen wollten. Mein Co-Produzent wollte, dass ich einen expliziten Sexfilm drehe, der die fantastischen Elemente nicht besonders stark betont. Also stritten wir uns während des Drehs andauernd, wobei ich meistens als Sieger daraus hervorging, haha. Die Idee zum Films stammt von Jean Lorrains Kurzgeschichte ?Un Verre De Sang', wo ich das erste Mal etwas über Reiche las, die um die Jahrhundertwende Stierblut zur Heilung von Anämie tranken ... Mir gefällt ?Fascination' wirklich sehr gut. Er entspricht sehr genau meinen Vorstellungen, er ist romantisch und grausam zugleich. Er besitzt eine rätselhafte, wilde Atmosphäre und beeindruckende Bilder wie die Eröffnungsszene im Schlachthaus oder wenn Brigitte Lahaie die Sense schwingt. Er ist ziemlich künstlerisch, und auch wenn er ein Vampirfilm ist, verzichtet er auf die Schundroman-Einflüsse, die ich sonst in meinen Drehbüchern verwende."

Ein Jahr später, 1980, kam ein Produzent auf Rollin zu, der bereits mit ihm gearbeitet hatte und wusste, dass er schnell und billig einen Film drehen konnte. In zwei Wochen drehte Rollin mit einem minimalen Budget "La Nuit Des Traqués", bei dem er alle Freiheiten besaß, solange er ein paar Sexszenen in den Film einbaute. Aufgrund seines billigen Looks und der überwiegend hölzern agierenden Darsteller aus dem Porno-Bereich, mit Ausnahme einer überzeugenden Brigitte Lahaie als tragische Heldin, ist "La Nuit Des Traqués" einer der am wenigsten geschätzten Filme Rollins, der zum größten Teil nach Feierabend in einem leerstehenden Pariser Bürogebäude gedreht wurde. Eine Art vage futuristische Version der Orpheus-Geschichte, die trotz der beschränkten Produktionsbedingungen eine erstaunliche Atmosphäre besitzt, nicht weit von den Frühwerken David Cronenbergs entfernt. Und einige Leute sahen darin sogar eine gewisse politische Message, was Rollin eigentlich nie besonders offenkundig forciert hatte, auch wenn er sich in den 60ern in einem linken Spektrum bewegt und in Spanien eine Doku über Franco gedreht hatte.

"Das fantastische Kino ist eigentlich immer ein gutes Vehikel, um bestimmte politische Ideen in Form von Symbolen und Metaphern zu transportieren. Es gilt als subversiv und ist gleichzeitig populär, das macht es gefährlich. Ich habe Filme mit Sex und Gewalt gemacht, als die Zensur noch ziemlich streng war, was man als unbewusstes politisches Statement verstehen könnte. Ich besitze einfach eine Vorstellungskraft, die nicht der bestimmter konservativer Menschen entspricht, haha. Aber es stimmt, ich habe eigentlich nie wirklich politische Themen verarbeitet. Aber als ?La Nuit Des Traqués' in Paris startete, kamen viele Leute zu mir und meinten, ich hätte einen Film über die RAF und Stammheim in Deutschland gemacht. Rückblickend könnte da sogar was dran sein, aber ich habe das nie bewusst getan, auch wenn es zeitlich nicht weit auseinander lag. Diese Geschichten über Einzelhaft, kein Licht, Redeverbot, alles sehr kühl und steril gehalten, genau das sahen die Leute in meinem Film. Vielleicht hatte das tatsächlich Einfluss auf mich."

Bevor Rollin dann 1982 mit "La Morte Vivante" seinen letzten wirklich wichtigen Film drehte, entstand 1981 noch "Les Échapées". Kein Horrorfilm, sondern ein wenig aufregender Thriller, basierend auf zwei unterschiedlichen Drehbüchern, was zu einem leicht schizophrenen Endergebnis führte und für Rollin zu der Einsicht, sich besser wieder auf gewohntes Terrain zu beschränken. Außerdem hatte er noch die zweifelhafte Ehre, 1980 für Jess Franco bei "Le Lac Des Morts Vivants" ("Zombie Lake") als Regisseur einzuspringen, eine dieser glorreichen Produktionen von Eurociné, die zu dieser Zeit Europa mit sleazigen Billigfilmchen versorgten. Außerdem drehte er noch ein paar Zombie-Szenen für Eurociné, die dann in Francos Film "Virgin Among The Living Dead" eingefügt wurden.

"Es war der letzte Tag vor Drehbeginn und Jess Franco war einfach nicht aufgetaucht, keiner wusste, wo er steckte. Keine Spur von ihm weit und breit. Ich war gerade auf dem Weg in den Urlaub, als das Telefon klingelte. Es war jemand von Eurociné, der mich fragte, ob ich einen Film für sie machen wolle. Ich sagte: ?Warum nicht? Wann soll's losgehen?' Die Antwort war: ?Morgen'. Ich hatte das Drehbuch nicht gelesen, ich wusste nur, dass es irgendwas mit Zombies war. Und der Produzent erklärte mir jeden Morgen, was ich drehen sollte. Ich habe das Ganze nie ernst genommen. Howard Vernon spielte da mit und ich wusste, in welcher Art Film er normalerweise auftauchte. Ich wusste also, was ich tun musste und wir hatten viel Spaß dabei. Eurociné ist eine seltsame Firma. Ich befürchte, sie glauben wirklich an das, was sie da tun, sie glauben, dass ?Zombie Lake' ein wirklich guter Horrorfilm sei. Sie scheinen auf einem anderen Planeten zu leben."

Bei "La Morte Vivante" half Rollin erneut Lionel Wallmann, der einen italienischen Co-Produzenten aufgetrieben hatte, und ihm einen für Rollin-Verhältnisse luxuriösen Sechs-Wochen-Dreh verschaffte, was sogar richtige Proben mit den Schauspielern ermöglichte und den Film auch zu seinem erfolgreichsten machte, kommerziell wie persönlich. Der Film ist ebenso verträumt poetisch wie blutig und grausam, in der Tradition von Filmen wie Harry Kümels "Daughters Of Darkness" oder Georges Franjus "Les Yeux Sans Visage". Zu Beginn gibt es einen kleinen, wenig überzeugenden Touch Öko-Horror wie bei "Les Raisins De La Mort", als Chemieabfälle eine Verstorbene wiederauferstehen lassen. Ein Zombie mit vagen Erinnerungen an seine vorherige Existenz, der Fleisch und Blut zum Überleben benötigt, was durch die Hilfe einer Jugendfreundin bewerkstelligt wird. Eine extreme Form von Freundschaft, die Rollin mit ungewohnter emotionaler Wucht und inhaltlicher Tiefe auf die Leinwand bringt.

"Der Dreh war ziemlich strapaziös für Françoise Blanchard. Während der Schlussszene kollabierte sie, als sie ihre Freundin töten muss und überall mit Blut beschmiert ist. Der Geruch des Kunstbluts war schrecklich, sie war erschöpft und die Szene war recht kompliziert. Wir riefen dann einen Arzt ... Da lag sie also, nackt und blutüberströmt, und der Arzt, ein naiver Typ vom Land, war kurz davor, die Polizei zu rufen, weil er uns für ein paar Verrückte hielt, die in dem Schloss perverse Orgien abhielten. Wir sagten ihm, dass das Blut gar nicht echt sei, aber er glaubte uns erst, als Françoise ihm versicherte, dass sie kein Menschenopfer sei, haha ... Wie auch ?Les Raisins De La Mort' entstand dieser Film zu einer Zeit, als Zombie-Filme sehr erfolgreich waren, vor allem die aus Italien. Und der Produzent wollte, dass ich einen weiteren Zombie-Film mache. Aber ich wollte etwas Experimentelleres machen. Ich denke, er hat mehr mit meinen Vampirfilmen zu tun. Natürlich mussten wir dabei einige Kompromisse eingehen. Die ganze Idee mit den Chemieabfällen war nicht besonders gut. In kommerzieller Hinsicht war es aber der erfolgreichste Film meiner Karriere."

Letztendlich hatte "La Morte vivante" aber mit gewohnten Problemen zu kämpfen, was den Verleih und die generelle Verbreitung betraf. Danach drehte Rollin zwar weiterhin Filme, aber Ende der 80er begann er, nach unbefriedigenden Versuchen fürs Fernsehen zu arbeiten, verstärkt seine Ideen in Romanen unterzubringen, darunter 1993 "Les Deux Orphelines Vampires", der in England bei Redemption auch in englischer Sprache erschien und 1997 dann von Rollin verfilmt wurde, allerdings recht uninspiriert.

"Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr deprimiert und frustriert. Ich wollte das Filmemachen an den Nagel hängen. Es war nahezu unmöglich, Geld zu beschaffen, niemand interessierte sich für mich, und beim Fernsehen schien ich auf einer Schwarzen Liste zu stehen, denn ich konnte bei keinem Sender Arbeit bekommen. Da entschied ich mich, mich mehr aufs Schreiben zu konzentrieren und machte aus vielen meiner Drehbücher, die ich nicht umsetzen konnte, Romane. Das half mir enorm, denn ich konnte dabei tun, was ich wollte, ohne finanzielle Beschränkungen. Ich bin viel freier dabei, ich brauche nur einen Stift oder eine Schreibmaschine. Bei einem Film hat man Schauspieler, die andere Vorstellungen als man selbst haben. Techniker, Produzenten, Geldprobleme, man muss sich mit all diesen Sachen auseinandersetzen. Bei einem Buch kämpfe ich nur mit meiner Vorstellungskraft. Wichtig war für mich, dass ich dabei auch an meinem Konzept der Improvisation festhielt. Ich kann plötzlich zehn oder zwanzig Seiten mit Sachen füllen, die mir durch Kopf gehen. Ich denke, dass ein Regisseur, der auch Autor ist, mehr auf bestimmte Details achtet. Es ist wahr, dass solche Regisseure viel persönlichere Filme machen, da man im Kino normalerweise immer auf eine Dimension verzichten muss. In einem Buch kann man den Leser ansprechen und bestimmte Gedanken auf Papier bringen. Ein Film ist dagegen sehr vage, da man zwar weiß, wie sich die Figuren fühlen sollen, aber man diese Emotionen sichtbar machen muss. Im Kino muss man sich für eine Sache entscheiden und alle anderen Möglichkeiten ausschalten. Ich schreibe jetzt auch Romane wegen meiner Krankheit, die mich zwingt an drei Tagen pro Woche für jeweils vier Stunden ins Krankenhaus zu gehen. Also schreibe ich - was könnte ich sonst tun?"

2002 entstand dann mit "La Fiancée de Dracula" tatsächlich doch noch ein neuer Film von Rollin, ein wenig dialoglastig vielleicht, natürlich auch mit Mimimal-Budget gedreht, aber insgesamt eine in sich geschlossene Wiederbelebung der persönlichen Mythologie seines bisherigen Werkes in Form eines Gothic-Erotik-Kunstfilms, inklusive eines Kurzauftritts von Brigitte Lahaie. Es ist eine Kulmination bekannter Rollin-Motive mit atmosphärischen Locations und dem bekannten Sinn für Romantik und Mysterien, ein Film, der aber auch nichts daran änderte, dass Rollin innerhalb der heutigen Filmindustrie wie ein einsamer Überlebender aus einer anderen Zeit wirkt, ein ewiger Außenseiter.

"Mir war immer klar, dass ich in meiner Parallelwelt bleiben musste, alles andere hätte zu einem Debakel geführt, denn meine Filme lassen sich nicht mit einer normalen Produktion bewerkstelligen. Sie müssen Randerscheinungen bleiben. Sicher war die Versuchung groß, einen großen Film mit richtigen Stars zu drehen, aber ich bin mir unsicher, ob dabei ein guter Film herausgekommen wäre. Bei jemand wie Buñuel war es ähnlich: Wenn er einen kleinen, billigen Film mit Amateurdarstellern irgendwo in der Wüste drehen konnte, gelang ihm ein Meisterwerk wie ?Nazarín'. Mit einem großen Budget sah das Ergebnis anders aus. Vielleicht besitzen wir dieselbe Form von Vorstellungskraft. Meine ist zu stark, um einfach alles aufzugeben, was mir wichtig ist. Ich könnte zum Beispiel keine richtige Komödie drehen, ich kann mir selbst nicht entkommen. Es muss ein ständiger Kampf sein, zum Beispiel mit dem Budget, das ist besser für mich, mit dieser Art Filmemachen bin ich aufgewachsen. Durch diese Schwierigkeiten kann ich erst wirklich kreativ werden. In diesen Momenten wird mein filmisches Universum Wirklichkeit, alles andere wäre unehrlich und eine Verschwendung von Zeit und Energie."