AGAINST ME!

Foto

Amerikaner auf Abwegen

Und sie haben es doch getan! Trotz aller Abneigung gegen die um die Bands buhlenden Majors wechselte das immer populärer werdende Punk-Quartett aus Gainsville, Florida Anfang des Jahres zu Sire, einem Subunternehmen des Warner Music-Konzerns. Gerade die Hardliner, und das sind in Bezug auf AGAINST ME! nicht gerade wenige, wie ein kurzer Blick auf das bandeigene Sire-Messageboard zeigt, sahen in dieser Entscheidung die endgültige Bestätigung eines bereits lange bevorstehenden Verrats der Bandideale. Doch hat man als Fan das Recht, "seiner" Band den Wechsel zu einem anderen Label vorzuwerfen? Und was ändert sich eigentlich für eine Band, die bei einem "multinationalen Monster" anheuert? Fragen, die es zu beantworten galt. Ein blendend aufgelegter Tom Gabel, Sänger, Songwriter und Gitarrist von AGAINST ME!, beantwortete diese und natürlich auch andere Fragen vor dem ausverkauften Konzert im Hamburger Hafenklang gewohnt offen und ehrlich.


Ihr seid letztes Jahr drei Monate am Stück durch alle 50 US-Bundesstaaten getourt. Wie steht man das durch?


Das war echt brutal! Wir waren insgesamt mit vier Bands unterwegs. THE EPOXIES und THE SOVIETTES haben am Ende schlapp gemacht, nur wir und SMOKE OR FIRE kamen noch am Ziel an. Irgendwann hatten wir den Punkt erreicht, wo es nicht mehr nur um die Shows ging. Wir wollten das Ganze nur noch durchziehen, mussten es einfach schaffen.

Wie lässt sich das Touren mit dem Privatleben vereinbaren?

Andrew, unser Bassist, hat gerade geheiratet und auch Adam, der zweite Gitarrist neben mir, ist in festen Händen. Ich habe sehr früh geheiratet, mit 20 Jahren, und bin seit dem letztem Jahr geschieden. Das hat grundsätzlich nichts zu bedeuten. Ich denke, wenn vorher schon etwas da war, dann ist alles möglich. Jetzt eine feste Beziehung zu beginnen, ist dagegen schier unmöglich. Wer kann schon akzeptieren, dass man mal eben drei Monate auf Tour geht und sich danach irgendwann wieder sieht?

Inwiefern unterscheiden sich Shows in Nebraska, dem "middle of nowhere", von Shows in Städten wie New York?

Auf dieser Tour war einfach alles dabei. In Wyoming spielten wir in einem Jugendzentrum vor knapp sechzig Leuten. Ein Tag später waren wir Vorband von GREEN DAY und spielten in einem riesigen Stadion vor sage und schreibe dreißigtausend Menschen, die natürlich alle nur GREEN DAY sehen sollten, aber egal. Tags darauf in Denver waren es dann sechshundert.

In New York habt ihr eine Benefizshow im CBGB's gespielt. Ein Traum, der in Erfüllung ging?

Das ist schon ein historischer Laden und wir als Band waren alle froh, dort mal gespielt zu haben. Im Nachhinein sehe ich diese ganze Geschichte um das CBGB's aber als riesige Farce. Wie viele andere Bands wollten auch wir den Club mit unserem Auftritt unterstützen. Aber glaubst du, Hilly Kristal, der Typ, dem der Laden gehört, begrüßt uns oder bedankt sich dafür? Gar nichts, kein Wort. Stattdessen heuert er irgendwelche fiesen Rausschmeißer an, die die Kids während der Show absichtlich schlecht behandeln. Nach der Show unterhielten wir uns mit einigen der Gäste. Dabei kam raus, dass der Besitzer mit seinem Merchandise mittlerweile Millionen verdient, aber nicht einsieht, einen müden Penny in seinen Club zu investieren. Tut mir Leid, damit kann ich nichts anfangen. Vielleicht muss eben alles mal zu Ende gehen.

Als wir uns letztes Jahr trafen, war euer Album "Searching For A Former Clarity" noch nicht erschienen. Damals hast du angedeutet, dass es einige Überraschungen beinhalten würde, die sich meiner Meinung nach aber in Grenzen halten. Ein offensichtlicher Unterschied zu den vorherigen zwei Alben ist die Spielzeit von knapp fünfzig Minuten.

Nach "Reinventing Axl Rose" und "Eternal Cowboy" sprachen alle von uns als die Band mit den eingängigen Melodien, zu denen man automatisch zum Takt klatschen muss. Das sollte auf "Searching ..." anders werden. Wir nahmen uns vorher und während der Aufnahmen ganz bewusst mehr Zeit für die Songs, die dann teilweise etwas länger ausgefallen sind.

Würdest du "Searching ..." als Konzeptalbum bezeichnen?

Alles, was mit dieser Platte zu tun hat, ist absichtlich so. Es ist keine bloße Aneinanderreihung verschiedener Songs. Artwork und Vinyl sind bewusst schlicht schwarz/schweiß gestaltet. Es geht also in diese Richtung, ja. Ob die Mehrheit der Leute das versteht, wage ich aber zu bezweifeln.

Neben politischen Aspekten sind Entfremdung und persönliche Beziehungen jeglicher Art die drei großen Themen der Platte. Inwieweit stellt sie einen Prozess der Vergangenheitsbewältigung dar?

Es ist genau das, darauf soll ja schon der Titel des Albums anspielen. In der Retrospektive scheint früher vieles einfacher gewesen zu sein als heute und da wollten wir einfach wieder hin. Nur wie? Je älter man wird, desto komplizierter erscheint einem alles. Es ist zwar nicht so, dass ich nach diesem Album wieder alles klar strukturiert sehe, aber einiges sehen wir mittlerweile definitiv klarer.

In dem Song "Loosing touch" sprichst du den Hörer direkt an, indem du ihm sagst, dass er vieles einfach falsch versteht. Was genau ist dein Vorwurf?

Was ich damit meine, ist, dass die Probleme, die es im Musikbereich gibt, nicht nur durch die Musiker oder Bands selbst, sondern eben auch durch die Rezipienten, die Fans, entstehen. Ich denke da an ein verstärkt konsumorientiertes Verhalten. Musik wird vielerorts nur noch als reines Produkt, als Ware angesehen. Bands, die eben noch groß waren, sind im nächsten Augenblick wieder out of vogue, da man schon wieder ein ganz neues großes Ding erwartet.

"Justin" erzählt die Geschichte eines amerikanischen Soldaten, der im Irak-Krieg gefallen ist. Basiert der Song auf einer wahren Geschichte?

Ich war über Weihnachten bei meiner Mutter und im Fernsehen lief ein Bericht über die Familie des getöteten Soldaten, die sich im Rechtsstreit mit Yahoo! befanden. Den Eltern wurde das Recht auf Zugriff zu dem eMail-Account ihres Sohnes abgesprochen, da es sich um eine Verletzung der Privatsphäre handele, was natürlich lächerlich ist, da die Eltern einfach nur die letzten Worte und Gedanken ihres toten Sohnes lesen wollten. Der Vater war am Boden zerstört. Ich schrieb daraufhin den Song "Justin". Kurz nachdem das Album erschienen war, bekamen wir eine eMail der betroffenen Familie, die dann einen Tag später komplett zu unserer Show nach Detroit kam. Ich war supernervös, da ich nicht wusste, wie sie auf den Song reagieren würden. Es wurde schnell klar, dass sie einfach nur dankbar für meine Worte waren. Während der Show sind sie dann komplett abgegangen und haben richtig gefeiert. Wir schreiben uns immer noch gelegentlich. Eine verrückte Geschichte ...

Neben der Platte gibt es mittlerweile auch Remixversionen von zwei Songs. Wie kam der Kontakt mit den Berlinern MOUSE ON MARS und Ad Rock von den BEASTIE BOYS zustande?

Warren, unser Drummer, ist ein großer MOUSE ON MARS-Fan und brachte sie ins Spiel, als wir überlegten, Remixe einiger Songs zu veröffentlichen. Wir riefen sie an, sie sagten spontan zu und schickten uns die Mastertapes zu. Der Kontakt zu Ad Rock kam über unseren Manager zustande. Er kümmert sich auch um die amerikanische Elektropunk-Band LE TIGRE und deren Sängerin, Kathleen Hanna, ist mit Ad-Rock verheiratet. Der suchte gerade Bands, deren Songs er remixen könnte, und so bekam er unser Tape. Für uns war das etwas ganz Neues. Vorgaben gab es keine. Ich habe auch immer noch Schwierigkeiten, meine Stimme zu den darunter gemischten Elektro-Beats zu hören und erwarte auch nicht wirklich, dass Leute zu den Songs abgehen. Obwohl die Vorstellung, dass Techno-Kids zu politisch kritischen Texten abtanzen, schon amüsant ist.

Zu dem Song "From her lips to god's ears" habt ihr ein Video gedreht. Worum geht es dabei und wie steht ihr zum Thema Videos?

Den Clip hat eine kleine spanische Filmgruppe gemacht, die sich AAB nennt. Wie bei den Remixen gab es auch hier keine Direktiven unsererseits, wie das Video auszusehen hat. Herausgekommen ist eine Art Animationsvideo, das grob an den Film "Wizzard Of Oz" angelehnt ist und natürlich US-Außenministerin Condoleezza Rice als mächtigsten Mensch der Welt entlarven soll. Videos als solche halte ich grundsätzlich für ein weiteres Medium des künstlerischen Ausdrucks, obwohl die Musik natürlich immer Vordergrund bleiben sollte. Für uns ebenfalls ein völlig neues Terrain. Ich fühle mich immer noch blöd bei Drehterminen vor der Kamera, aber wir lernen eben noch dazu.

Im August erscheint via Fat Wreck das Livealbum "Americans Abroad". Warum habt ihr euch London als Location ausgesucht?

Wir wollten eigentlich in Dublin aufnehmen, was aber soundtechnisch nicht hingehauen hätte. J. Robbins hat das Album wie auch schon den Vorgänger abgemischt. Überraschungen gibt es auf dem Album eigentlich keine, außer vielleicht, dass ein neuer Song, eben "Americans abroad", darauf zu finden sein wird.

Das Album ist euer Abschied vom Indie-Krösus Fat Wreck. Welche Forderungen habt ihr gestellt, bevor ihr den Vertrag mit dem neuen Label Sire unterzeichnet habt?

Zunächst wollten wir natürlich alle einen Privatjet haben ... Nein, uns war der Aspekt der kreativen Freiheit natürlich am wichtigsten. Wir brauchen niemanden, der uns sagt, wie und wonach wir uns anhören sollen, das schaffen wir schon selber. So viel ändert sich insgesamt auch gar nicht, außer dass unsere Platten jetzt großräumiger vertrieben werden und dagegen ist ja nichts einzuwenden. Über wie viele Jahre beziehungsweise Alben der Vertrag geht, verrate ich dir aber nicht. Warten wir ab, ob sie nach dem einen überhaupt noch ein weiteres Album mit uns machen wollen, hehe!

Die Nachricht des Labelwechsels erschien auf der bandeigenen Homepage unter dem Motto "submitted for your message board disapproval". Glaubst du, dass viele Fans euch wegen der Entscheidung den Rücken kehren werden?

Das ist leider anzunehmen, ja. Es zeigt, dass die Kids uns, unsere Musik und das, wofür wir stehen, sehr ernst nehmen. Dafür bin ich zunächst einmal sehr dankbar. Ich sehe aber einfach nicht, in welchem Punkt wir uns widersprechen. Wir geben keines unserer Ideale auf und wollen einfach nur unser Ding durchziehen. Ich finde es okay, wenn Leute eMails schicken und nach Gründen fragen, auch das zeigt ihr Interesse und wir können gerne darüber sprechen. Manche schreiben jedoch einfach nur "I hope you die!" und auf dieser Basis ist eben kein ernsthafter Austausch möglich. Nur weil wir in einer Band spielen, die jemand gut findet und mit der sich jemand identifizieren kann, gibt ihm das noch lange nicht das Recht, uns wegen unserer Entscheidungen zu beschimpfen, oder?

Das sehe ich genauso, Tom. Vielen Dank für das Gespräch!