CHARLES DE GOAL

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Das Comeback des Präsidenten

Viel zu oft geht man in Sachen Musikgeschmack von sich selber aus, hält das Wissen um die eine oder andere Band für selbstverständlich, um dann feststellen zu müssen, dass kaum jemand außer einem selbst mit den persönlichen Helden vertraut ist. So ein Fall sind auch CHARLES DE GOAL, deren Album "Algorhythmes" von 1980 ich zwar erst vier, fünf Jahre nach Erscheinen kennenlernte (und in echt erst seit ein paar Jahren besitze, als ich es durch Zufall auf einem Flohmarkt fand), das mit "Exposition" und "Modem" zwei essentielle Wave-Punk-Hits enthält und sich auf der Grenze zwischen Trash-Elektronik und Punk bewegt, seinen besonderen Reiz durch die französischen Texte gewinnt. Anders als METAL URBAIN blieben CHARLES DE GOAL, das einstige Ein-Mann-Projekt eines Herrn mit eben diesem Künstlernamen, bis dato ein Geheimtip, und doch war das AZ Aachen im Mai ruckzuck ausverkauft, als für dort der erste CDG-Auftritt auf deutschem Boden angekündigt wurde. Logisch, dass ich anwesend war, und natürlich interviewte ich den sehr freundlichen, erstaunlich gut Englisch sprechenden Mastermind - übrigens ein Interview-Debüt, denn erstaunlicherweise handelt es sich hierbei um das erste überhaupt, das CHARLES DE GOAL jemals einem ein deutschen Musikmagazin gegeben hat.


Bonsoir, würdest du dich bitte mal vorstellen?


Gerne: Ich bin Charles de Goal. Ich komme aus Paris, und ich habe mich schon von klein auf für Musik interessiert, habe als Teenager die späten Sixties mitbekommen, und Rock'n'Roll war von da an mein Leben, und da war es ein logischer Schritt, auch selbst Musik zu machen. Ich habe in verschiedenen Bands gespielt, die erste orientierte sich stark an den ROLLING STONES. Und dann kam Punk ... 1975/76 war das, aber auch davor hörte ich schon STOOGES, FLAMIN' GROOVIES oder britischen Pubrock. Und dann kamen Bands wie TELEVISION und DEVO, und das hat mich wirklich weggeblasen, das brachte mich darauf, endlich meine eigene Musik zu machen und nicht nur die Lieder anderer zu kopieren. Dabei ging es dann aber auch gleich um die Frage, wie ich das, was mir im Kopf herumging, musikalisch umsetzen kann, denn ich bin kein guter Musiker, kein wirklicher Gitarrist. Ich habe ein ganz gutes Rhythmusgefühl, aber Noten sind nicht meine Welt. Na ja, und mit DEVO, GANG OF FOUR, WIRE - mein Haupteinfluss - im Hinterkopf gründete ich dann eine Band mit noch zwei Leuten, die hieß COMA. Wir klangen ziemlich nach DEVO, wir machten eine Platte, wurden etwas kommerzieller, aber das haute nicht so recht hin und wir lösten uns auf. Und so saß ich dann wieder zu Hause herum mit meinen Ideen. Ich fing dann an, im Alleingang Sachen aufzunehmen, und das war die Geburt von CHARLES DE GOAL. Das war 1979, und 1980 kam dann die erste Platte, "Algorythmes".

Diese Platte ist für mich wirklich herausragend, denn obwohl man die Einflüsse vor allem britischer Bands erkennen kann, hat sie durch die französischen Texte einen ganz eigenen Charme.

Ich denke, das liegt wirklich an den Texten. Mein Ziel war nicht, eine speziell französische Platte zu machen, und dass die Texte auf Französisch sind, liegt eigentlich nur daran, dass mein Englisch damals - anders als heute - nicht besonders gut war. Aber wer weiß, vielleicht ist da ja auch ein spezielles französisches Element in meiner Musik. Ich weiß nur, dass der Sound ein sehr billiger war, ich hatte nur eine ganz einfache Ausrüstung, nicht viel Geld.

Gab es damals so was wie eine "French New Wave", analog zur "Neuen Deutschen Welle" oder der englischen New Wave?

Nein, auch wenn es eine französische Musikszene gab. Die war aber eher klassischer Punkrock mit einem recht hohen Modefaktor, mit Bands wie STINKY TOYS. Die waren eher arty und von der ersten Welle britischer Bands beeinflusst. Leute, die meinen Geschmack teilten, also WIRE mochten, gab es dagegen kaum. New Wave in Frankreich kam dann erst später, so 1982/83, und es gab dann auch eine ganze Reihe von Bands, die eher düstere Musik spielten. Tja, vielleicht war ich meiner Zeit damals also etwas voraus, wer weiß.

Na ja, mehr als INDOCHINE und LES RITA MITSOUKO hat man in Deutschland damals nicht mitbekommen an französischen Bands ...

... und die waren nicht gerade sehr undergroundig, haha. Die waren sehr erfolgreich in Frankreich, und deshalb haben sie es wohl auch über die Grenze geschafft. Aber andersherum war es ja auch nicht anders, es gab kaum eine deutsche Band, die es damals nach Frankreich geschafft hat. Wir kannten DAF, etwas ABWÄRTS, X-MAL DEUTSCHLAND, und das war es dann schon. Ich denke, es hat etwas mit der Sprachbarriere zu tun, obwohl ich persönlich die deutsche Sprache und deutschsprachige Bands mag. Und natürlich war es auch damals schon sehr schwierig, überhaupt irgendwo deutsche Platten im Laden zu finden. Was Französisch anbelangt, so klingt das für deutsche Ohren aber wohl ähnlich fremd wie die harte deutsche Sprache für die Franzosen. Und ich finde auch selbst, dass Französisch für Rockmusik keine besonders gut geeignete Sprache ist.

Da war die Verbindung nach England schon enger, denn sehr viele britische Bands traten damals in Paris auf.

Ja, es gab einfach eine starke Nachfrage nach dieser Musik in Frankreich, und die Bands hatten auch starken Zulauf, Bands wie BAUHAUS und so weiter.

Wie erfolgreich waren CHARLES DE GOAL damals denn eigentlich?

Nicht wirklich groß, aber es war schon okay. Von "Algorythmes" verkauften wir rund 10.000 Platten, von der zweiten, dritten und vierten waren es dann jeweils rund 5.000. Besonders die erste Platte verkaufte sich auch außerhalb Frankreichs sehr gut, gerade in Deutschland, und auch in den USA verkauften sich ein paar.

Ich stieß erst Mitte der Achtziger auf "Algorythmes", aber da war auch noch "Exposition" ein echter Clubhit, den man oft zu hören bekam. Interessant fand ich den thematischen roten Faden, der sich durch die Platte zieht, nämlich Computertechnik, etwa mit einem Song wie "Modem". Das war ungewöhnlich, denn damals wusste wohl kaum jemand, was ein Modem überhaupt ist. Wie kam das?

Ganz einfach: Ich arbeite in der Branche, und deshalb das Artwork, deshalb ein Song wie "Modem". Heute bekomme ich immer wieder zu hören, dass ich der Zeit weit voraus gewesen sei, doch für mich war das einfach nur Alltag, denn ich hatte damals in meinem Job ständig Probleme mit Modems. Ich arbeitete als Programmierer. Die Plattencover übrigens hat ein Freund von mir gemacht, der Maler ist und mittlerweile in den USA auch recht bekannt ist. Sein Name ist Philippe Huart.

Du hast deine Platten über New Rose veröffentlicht, das damals ja das wichtigste französische Label war. Kannst du etwas dazu erzählen?

Zu Beginn war New Rose ein Plattenladen, eigentlich DER Plattenladen in Paris, wenn du dich für Rockmusik interessiert hast. Da hast du alles gefunden, was neu und interessant war, all die neuen Sachen aus England. Irgendwann entschlossen sie sich dann, auch als Label tätig zu werden, nur so zum Spaß, denn sie waren echte Fans. Ihre ersten beiden Releases waren von THE SAINTS, die "Paralytic Tonight, Dublin Tomorrow"-12" und die LP "The Monkey Puzzle", und mehrere hundert weitere folgten. Es wurde von zwei Leuten geführt, Patrick Mathé und Louis Thevenon. Der erstere stand sehr auf klassischen amerikanischen Rock, der andere eher auf düstere Bands, und das hatte auch zur Folge, dass es stilistisch immer diese beiden Richtungen gab auf dem Label. Nach vielen Jahren ging New Rose dann leider bankrott, und Patrick Mathé, der eher auf US-Rock stand, gründete mit Last Call ein neues Label ...

... von dem eine Menge Releases an Munster Records lizenziert wurden.

Ja, Mathé bringt auch hier und da noch eine neue Platte raus, aber vor allem beschäftigt er sich mit alten Sachen. Was aus Thevenon wurde? Keine Ahnung.

Die erste und die letzte CHARLES DE GOAL-Platte sind jüngst zusammen auf einer CD namens "Revolution" neu aufgelegt worden, wer steckt dahinter?

Das Label heißt Garage, das sind ein paar Freunde von mir, die ein Studio haben, und die haben jetzt die Platten von ein paar französischen Bands aus den Achtzigern, die bei ihnen aufgenommen haben, neu aufgelegt. Die haben mich gefragt, und da ich noch eine Platte hatte, die ich bei ihnen aufgenommen, aber nie veröffentlicht hatte, stimmte ich zu.

Würdest du sagen, dass es derzeit ein neu erwachtes Interesse an französischen Bands aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern gibt? Zum einen haben die legendären METAL URBAIN ja ein neues Album eingespielt, das demnächst auf Alternative Tentacles erscheinen soll, zum anderen gibt es mit VOLT, OPERATION S oder den heute Abend als Vorband spielenden FRUSTRATION ja auch eine Reihe neuer Bands, die diesen Sound aufgreift.

Na ja, ich sehe da eher zaghafte Anfänge, aber wer weiß, was daraus noch wird. Für eine junge Band ist es ja schon ganz gut, wenn sie tausend oder zweitausend Platten verkauft. Was die Szene an sich anbelangt, so habe ich keine Ahnung, denn das ist ja gerade erst der Beginn meines Comebacks. Im März spielte ich in Paris das erste Konzert seit langer Zeit, und da kamen 700 Leute. Das war schön, aber wenn ich morgen noch mal da spiele, kann es trotzdem sein, dass überhaupt niemand kommt.

Wann waren CHARLES DE GOAL davor zuletzt aktiv?

Das war zur Zeit der Aufnahme des unveröffentlichten Albums, über das wir eben sprachen, das war also 1991. Danach ging es dann abwärts, haha, und deshalb bin ich auch sehr glücklich, heute Abend hier in Aachen spielen zu können, einfach nur zum Spaß, mit Geld hat das nichts zu tun. Man hat mich gefragt, und hier bin ich.

Du hast eine richtige Band dabei.

Ja, ich habe heute eine richtig gute Band, und mein Gefühl sagt mir, dass CHARLES DE GOAL live erstmals so klingen, wie ich mir das immer vorgestellt habe. Mitte der Achtziger war ich nie wirklich zufrieden mit der Band.

Was hast du in den letzten 15 Jahren musikalisch gemacht?

Ach, ich spielte mit Freunden so zum Spaß herum, aber da wurde nie was Ernsthaftes daraus. Ich hatte aber nie aufgehört, Musik zu machen, obwohl ich ja auch schon recht alt bin, haha.

Wie alt bist du denn?

51. Tja, die Rache der alten Männer, hahaha.

Steckt eigentlich eine besondere Bedeutung hinter dem Namen CHARLES DE GOAL?

Ach, gar keine, er klang einfach gut. Und ich war auf der Suche nach einem Namen, den man sich leicht merken kann, der in Erinnerung bleibt und der auch international funktioniert. Was klingt da besser als CHARLES DE GOAL? Einfach ein paar Buchstaben verändern und schon hatten wir etwas Eingängiges. Es war zuerst auch nur ein Scherz, und ich hatte deshalb auch nie Probleme, ich bin kein Fan von Charles de Gaulle. Ich bin dann doch eher links eingestellt, hahaha.

Gibt es Pläne für CHARLES DE GOAL?

Ja, Ende des Jahres werden wir ein neues Album aufnehmen, und das wird stilistisch eher in Richtung von "Algorythmes" gehen: less pop, more punk!

Haben CHARLES DE GOAL seinerzeit eigentlich mal in Deutschland gespielt?

Nein, nie, das heute ist das erste Mal. Keine Ahnung, warum das bislang nie geklappt hat, umso mehr freue ich mich über das Konzert heute und dass wir im September in Münster auf dem "Undercover of Darkness"-Festival spielen werden. Und eventuell gibt es im Oktober auch eine Tour in Deutschland.

Was für Leute kamen zum Konzert in Paris?

Sowohl Punks wie Goth-Fans, beim Konzert waren schon viele lange schwarze Mäntel zu sehen, hahaha.

Und wie war das zu Anfangszeiten?

Da gab es keine Konzerte! Vor 1985 spielte ich nicht live. Ich hatte ja immer alles alleine gemacht und konnte mir nicht vorstellen, mit meinem Synthesizer allein auf der Bühne zu stehen. Deshalb wartete ich bis zu einer poporientierteren Phase der Band, um dann mit anderen Musikern auch mal live zu spielen. Ich war dann richtig überrascht, als ich mit dieser aktuellen Besetzung erstmals geprobt habe und feststellen musste, dass auch die alten Lieder live sehr gut funktionieren.

Was hast du denn damals für Equipment benutzt?

Ach, ganz alten Kram: Eine Rhythm-Box, einen Roland, und eine Bass-Drum. Dazu eine Gitarre und einen kleinen grünen Verstärker, und einen Synthesizer, das war alles. "Algorythmes" wurde weitgehend auf einem simplen Vier-Spur-Gerät aufgenommen.

Das ist auch ein harter Kontrast auf dieser "Algorythmes - Révolution"-CD, erst das erste und dann das letzte Album zu hören.

Es war mir wichtig, den Unterschied zwischen den Alben so darzustellen. Mit dem zweiten Album war ich nie so richtig zufrieden, es war mir immer zu hardrockig.

Was hörst du heutzutage so für Musik?

In ein paar Minuten hoffentlich FRUSTRATION, denn die fangen gleich an. Ansonsten mag ich eine ganze Menge dieser "The New Wave of the New Wave"-Bands. Die HIVES gefallen mir gut, und auch die RAKES. Na ja, und als altem GANG OF FOUR-Fan gefallen mir eben auch viele der neuen Bands, die sich an denen orientieren.

Vielen Dank für das Interview.