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Von Perfektionismus getrieben

Eine Band, deren Name klingt, als gehöre er einer obskuren Finanzgesellschaft aus der Karibik, und die sich trotz Labelkollegenstatus zu FRANZ FERDINAND hierzulande mit sträflicher Missachtung seitens des Publikums abfinden muss - noch ... "Amber", ihr drittes Album, erschien Anfang des Jahres, überraschte durch stilistische Vielfalt und eine Ausgefeiltheit, die vermuten lässt, dass man es hier mit Perfektionisten zu tun hat: Mal wird der EDITORS-Fan bedient, dann der BLACK REBEL MOTORCYCLE CLUB-Verehrer, Post-Wave kontrastiert mit bluesig-erdigem Rock, ganz leise und richtig laute Töne sind kein Widerspruch, und es ärgerte mich schon, dass sich zu dem Konzert im Anschluss an das Interview gerade mal 20 Leute im Kölner Blue Shell eingefunden hatten. Die Band hatte zu dem Zeitpunkt schon gut einen im Tee, gab alles und begeisterte musikalisch wie durch ihre Entertainerfähigkeiten. Und ja, ich glaube immer noch, dass ihnen eine große Zukunft bevorsteht. Ich sprach mit David "Woody" Woodward, Bass, Jason Pegg, Gitarre und Gesang, und Drummer Toby May.


Euer Album ist eine höchst interessante Stilmixtur, und speziell die bluesigen Parts haben mich überrascht. Wie haben die ihren Weg in eure Musik gefunden?

Jason: Also ich selbst spiele in Brighton in einer kleinen Delta-Blues-Band. Mag sein, dass das seine Spuren hinterlässt ...

Toby: Wir experimentieren beim Songwriting einfach gerne, und ich finde, es hat keinen besonderen Reiz, immer wieder die gleichen Songs zu machen. Jason war schon immer ein "Bluesboy", und das hört man halt. Wir hatten uns auch eben noch über die aktuelle Musiklandschaft unterhalten, auch über die EDITORS, und es enttäuscht mich etwas, dass Bands damit Erfolg haben, dass sie stilistisch völlig eingleisig fahren. Die EDITORS haben eben ihren Sound, es ist ein guter Sound, sie sind brillant, aber letztlich klingen eben alle Songs irgendwie gleich. Und wir sind eben schnell gelangweilt von Wiederholungen, wir stellen uns gerne neuen Herausforderungen und mögen es, wenn ein Album abwechslungsreich ist.

Gleichzeitig kann das aber auch dazu führen - und das muss ich bei aller Begeisterung für "Amber" sagen -, dass irgendwie auch der rote Faden fehlt.

Jason: Mag sein, dass es klanglich nicht besonders schlüssig wirkt. Das ist es aber auf jeden Fall textlich. Und ich denke, es braucht einfach etwas Zeit, bis die Platte sich erschließt. Die Verbindungslinie zwischen den Songs ist vorhanden, aber man muss sie finden. Aber was ist dein Lieblingslied auf der Platte?

Ganz klar "No kind of life". Das ist ein sofort funktionierender Hit, der eigentlich überall im Radio laufen müsste, genau wie "Good clean fun". Aber was sind eure Favoriten?

Jim: Mein Favorit ist "It's getting light outside". Ich war beim Album ja noch nicht dabei, aber das ist ein absolut erstaunlicher Song mit einem richtig guten Text.

Toby: Wir haben das Glück, auf einem Label zu sein, das uns wirklich sehr stark unterstützt - nicht unbedingt finanziell, sondern einfach "spirituell". Sie ermöglichten es uns, bei zwei Liedern mit einem Streichquartett zu arbeiten, und das war eine wirklich schöne Sache.

Nachdem eure Platte so abwechslungsreich ist, interessieren mich die Hintergründe. Sind also eure Einflüsse so vielfältig?

Jason: Jeder von uns hört ganz unterschiedliche Musik, und wenn wir dann einen Song spielen, wissen wir einfach, was für Zutaten es braucht, damit der Song gelingt. Aber es gibt schon ein paar Bands, auf die wir uns einigen können, die wir alle viel hören, und die wir sicher nicht kopieren, aber uns schon irgendwie beeinflussen. QUEENS OF THE STONE AGE sind eine dieser Bands, dann ist Neil Young ein großer Einfluss, und ich könnte jetzt noch zig andere Bands nennen ...

... unter denen zum Beispiel auch SPACEMEN 3 wären? Ich finde ja, bei euch hört man schon auch so eine noisig-psychedelische Komponente heraus.

Toby: Mag sein, wir haben eben eine sehr breite Palette an Einflüssen. Jason schreibt die meisten unserer Stücke, aber damit sind wir absolut einverstanden, denn es macht einfach Spaß, sie zu spielen. Und in der letzten Zeit haben wir entdeckt, wie viel Spaß es auch machen kann, bei der Probe einfach ganz frei zu experimentieren. Ich denke, ein paar der Songs des nächsten Albums werden auf diese Weise entstehen. Und das Wichtigste ist: Wir genießen es einfach, zusammen in dieser Band zu spielen.

Ihr lasst euch ja eher länger Zeit zwischen den Alben ...

Toby: Na ja, shit happens. Außerdem: Ich bin nicht schuld.

Jason: Jajaja, es liegt an mir, an meinen Texten. Ich nehme das sehr ernst, es ist mir sehr wichtig, dass sie exakt zur Musik passen. Nehmen wir mal an, wir haben ganz klassisch Vers, Chorus und die Middle Eight oder Bridge. Der Chorus gibt dem Song die Struktur, doch für den Vers musst du jedes Wort genau passend zur Musik finden, und das ist schwierig, das dauert manchmal seine Zeit. Die Musik ist bei uns das Einfachste, die ergibt sich im Zusammenspiel zwischen uns vieren. Doch die Texte, das ist für mich dann harte Arbeit, da müssen die Worte, ihr Rhythmus, Stimmhöhe, Klangfarbe und Geschwindigkeit zusammenpassen. Und dann müssen die Texte ja auch noch gut sein, und dann stellst du fest, dass ein Wort vom Sinn her zwar perfekt passt, aber eine Silbe zu viel hat, und musst du solange herumprobieren, bis das passt. Ganz abgesehen davon, dass Vers und Refrain ja auch in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen ... Ach, es ist einfach wirklich sehr schwierig für mich.

Das ist ja interessant. Andere Sänger scheinen es da einfacher zu haben: Die bekommen großes Lob für ihre Texte, gestehen insgeheim aber ein, dass sie die erst kurz vor dem Aufnehmen im Studio runtergeschrieben haben.

Jason: Wenn jemand das kann, dann beneide ich ihn zutiefst. Na ja, mein Problem ist eben auch, dass wir musikalisch sehr unterschiedliche Songs haben und ich zudem einen Hang zu handwerklich perfekten Kompositionen habe. Damit ich ein Lied richtig gut singen kann, muss ich mir hundertprozentig sicher sein, was ich da tue, ansonsten bin ich zu sehr mit Nachdenken beschäftigt. So sehr ich THE FALL auch schätze und weiß, was für ein produktiver Songwriter Mark E Smith ist, so erkenne ich doch, dass seine Melodien eher simpel sind. Für ihn funktioniert das, doch ich selbst könnte so was nicht schreiben. Irgendwas hält mich davon ab, ich kann nicht aus Bausteinen simple Texte zusammensetzen. Manchmal stehe ich mir damit selbst im Weg, ich weiß, und ich versuche das auch zu ändern, aber andererseits mag ich auch einfach meine Songs, die sind nach monatelanger Arbeit richtig massiv. Und ich mag mathematische Genauigkeit, ich kann mein Hirn nicht davon abhalten, immer wieder zu analysieren, und ich denke auch nach Jahren noch über meine Stücke nach, darüber, was ich da gemacht habe und warum. Ich könnte nie ein Lied innerhalb eines Tages schreiben, so was dauert immer Wochen und Monate, bis das exakt passt und mich zufrieden stellt.

Würdest du dich als Perfektionisten bezeichnen?

Jason: Hm, ich weiß nicht ...

Toby: Natürlich bist du einer!

Jason: Nein, ich würde mich nicht als solcher bezeichnen, ehrlich. Ich weiß aber, wann ich mit etwas zufrieden bin, das ist der Punkt. Manchmal tut man etwas und es passt sofort, ist perfekt, und ein andermal versuchst du endlos, etwas passend zu machen, aber es klappt nicht, und darüber könnte ich manchmal verzweifeln.

David: Ich denke, es ist essentiell für die Band, dass Toby als Songwriter so ein Perfektionist ist.

Jason: Ich gebe ja zu, dass manche Leute, die mich kennen, manchmal der Meinung sind, ich würde mich mit manchen Dingen etwas zu sehr beschäftigen ... Aber wie gesagt, ich will ja immer nur, dass alles richtig gemacht wird. Denn wenn die ganze Welt da draußen unsere Lieder hören soll, müssen sie doch richtig gut sein, abgesehen davon, dass wir sie ja noch lange Zeit live spielen müssen und dann möglichst viel Spaß daran haben sollten, was einfacher ist, wenn wir mit ihnen zufrieden sind. Wenn wir auf die Bühne treten, sollte jeder Song, den wir spielen, eine perfekt strukturierte Einheit sein, die dem Publikum maximalen Spaß bereitet. Außerdem finde ich es wichtig, als Band einzigartig zu sein. Nehmen wir als Beispiel mal Neil Young: Dessen Gitarrenspiel ist unverkennbar, warum sollte ich mich da mit einer Kopie abgeben? Wenn ich selbst auf ein Konzert gehe, im Publikum stehe, dann will ich da was zu sehen und zu hören bekommen, was nur die Leute leisten können, die da auf der Bühne stehen, verstehst du? Ich will keinen Tom Waits-Imitator hören, ich will Tom Waits! Oder Bob Dylan: Der ist verrückt, aber auch unglaublich phantastisch.

Toby: BLINK 182 ist für mich so ein typischer Fall, beziehungsweise all die Bands, die so klingen wie sie. Wer braucht das? All diese sehr amerikanisch produzierten Platten mit weinerlichem Gesang, SG-Gitarren und dem immer gleichen Drum-Sound ... Aber das Publikum solcher Bands scheint genau das zu schätzen.

Wie sehr wird diese eure Einstellung denn geschätzt, will heißen, wie groß oder klein seid ihr in England?

Toby: Immer noch sehr klein. Es kommt immer darauf an, wo wir spielen, aber außer in London ziehen wir nicht wirklich viele Leute. In London spielen wir vor 300, 400 Leuten, wir reden also noch nicht von Stadionkonzerten, hahaha.

Jason: Magst du Filme? Ich vergleiche uns immer gerne mit einem guten, anspruchsvollen Film, etwa von David Lynch, den Cohen-Brüdern oder Woody Allen. Solche Filme genieße ich, was nicht heißt, dass ich nicht auch mal Spaß an einem stumpfen Actionfilm habe. Und mit Fastfood ist es das gleiche: Nichts gegen Fastfood von Zeit zu Zeit, aber man sollte auch ein richtig gutes Restaurant zu schätzen wissen. Beides hat Platz in der Welt, das eine ist nicht besser als das andere, aber um das meiste von seinem Leben zu haben, sollte man immer mehrere Seiten einer Sache kennen.

Aber ist es nicht auch manchmal frustrierend, wenn man weiß, dass man in einer richtig guten Band spielt, die Massen aber irgendwelchen belanglosen Bands hinterher rennen?

Jason: Absolut, das ist sehr frustrierend, und man muss sich dann an Kleinigkeiten aufrichten: Hey, wir sind heute Abend in Köln, hatten gerade ein gutes Abendessen, gleich spielen wir ein schönes Konzert und können uns auch noch richtig schön besaufen - uns geht es gut! Andere Leute sitzen stattdessen zu Hause vor der Glotze, und da bin ich doch viel besser dran, oder? Und: es wird ja ständig besser, mit jeder Platte, mit jeder Tour. Außerdem können wir ja sowieso nichts ändern, wir können nur unser Bestes geben und hoffen, dass es weitergeht. Und es ist schön, dass du uns dabei hilfst.