SLEATER-KINNEY

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Mastering the perfect

Herbst 2005. Endlich ein neues SLEATER-KINNEY-Album, "The Woods", das mittlerweile siebte, außerdem Deutschland-Tourdaten, unter anderem in Köln. Die Freude war groß und wuchs um ein Vielfaches, als Pläne gemacht wurden für ein Interview mit Corin Tucker, Carrie Brownstein, beide Sängerin und Gitarristin, und Janet Weiss, Trommlerin mit Leidenschaft. Dann die Enttäuschung: Die Tour wurde wegen gesundheitlicher Probleme der Allergikerin Carrie abgesagt. Daraufhin entschloss ich mich wohl oder übel zu einem eMail-Interview, was anscheinend weniger gut aufgenommen wurde, denn ich bekam keine Antwort. Doch schon kurze Zeit später wurden neue Tourdaten angekündigt und so kam ich dann doch noch zu meinem heiß ersehnten Face-To-Face-Interview im Kölner Gebäude 9.


998 erschien ein Buch, das noch heute jedem Mädchen - und Jungen - ans Herz zu legen ist, sofern sie oder er das Gefühl haben, dass im Musikgeschäft irgendetwas nicht ganz richtig läuft. "Lips, Tits, Hits, Power?" von Anette Baldauf und Katharina Weingartner - im Buchhandel mittlerweile leider vergriffen - nimmt die Frauen in der Männerdomäne Musikbusiness ins Visier. Die Jeanne d'Arcs des Rock, Pop und Hip-Hop kommen zu Wort, nicht nur aus den USA, sondern auch aus Neuseeland, Australien und Japan. Und auf Seite 79 findet sich der Text zu dem Song "Dig me out" von SLEATER-KINNEY, als Auftakt eines Kapitels über Entmystifizierung und Veröffentlichung. "Dig me out" ist einer der allgemein anerkannten "Hits" von SLEATER-KINNEY und Titeltrack ihres dritten, von der Presse gefeierten Albums aus dem Jahre 1997.

"Das Buch kenne ich nicht, was ja aber auch nicht verwunderlich ist, da es ein deutsches ist. Aber es scheint gut zu sein, sehr interessant. Weshalb die Autorinnen aber gerade den Text von ?Dig Me Out' ausgewählt haben, kann ich dir auch nicht sagen. Vielleicht weil er mit am wütendsten ist. Ich war sehr wütend, als ich ihn schrieb", erzählt mir Corin.

Corin Tucker ist im Gespräch überraschend offen und interessiert, obwohl sie zwei Stunden vorher noch wenig begeistert schaute, als ich ihr eröffnete, dass ich gerne ein Interview machen würde. Nach über zehn Jahren als Band können die immer gleichen oder zumindest ähnlichen Fragen wohl tatsächlich langweilig werden, verübeln lässt sich die begrenzte Begeisterung wirklich nicht. Aber das Ganze ist ja bekanntlich ein Geben und Nehmen und so warte ich, eher schlechtgelaunt, auf das um zwei Stunden verschobene Interview und stelle Spekulationen darüber an, welche der drei Damen von SLEATER-KINNEY mich aus den insgesamt drei anwesenden InterviewerInnen wohl zum Gespräch auswählt. Während meine beiden KollegInnen eine bestimmte Vorliebe für eine der potenziellen Gesprächspartnerinen zu haben scheinen, ist es mir egal. Ich warte ab, bis die anderen zueinander gefunden haben, und so bleibt Corin für mich "übrig". Und das, wo gerade sie vorher wenig begeistert von einem Interview war ...

Nun hat mich Corin aber direkt zu Beginn mit ihrer aufgeweckten und durchaus sympathischen Art überrascht, und als ihr das eingangs erwähnte Buch über Popkultur und Feminismus auch noch gefällt, kann ich mir die obligatorische Frage nach ihrer Meinung zur Riot Grrrl-Bewegung nicht verkneifen. Ich möchte schon das Risiko hervorheben, das darin liegt, eine solche Frage zu stellen. Denn mit ein wenig Recherche lässt sich herausfinden, dass Corin, Janet und Carrie sich schon Anno 1999 weder fragen lassen mochten, wie es so ist, in einer Mädchenband zu sein, noch mochten sie über Riot Grrrl reden. Damals teilte der Manager dies den jeweiligen neugierigen Fragestellern mit, aber ich bin darauf gefasst, dass Corin in diesem Falle auch kein Problem damit hätte, eine solche Frage einfach zu verweigern und unbeantwortet zu lassen.

Das Gegenteil tritt ein: "Meine damalige Band HEAVENS TO BETSY und das ganze Umfeld, in dem ich mich damals befand, haben mich zu der Person gemacht, die ich bin. Riot Grrrl als Bewegung existiert für mich nicht mehr, aber sie war wichtig für mich persönlich. Auch wir als Band SLEATER-KINNEY haben uns damit verbunden gefühlt, wir waren ja alle mittendrin. Mittlerweile passt ein solches Etikett aber nicht mehr zu SLEATER-KINNEY und es gefällt mir nicht, wenn sich einige Menschen so darauf versteifen. Dennoch: ich bin Feministin und werde es immer sein."

Die Feministin Corin und auch SLEATER-KINNEY als Band waren immer sehr aktiv, wenn es um das Vorantreiben feministischer Anliegen ging, so unterstützen sie zum Beispiel das "Rock'n'Roll Girls Camp" in den USA, ein Camp für junge Mädchen, die Musik machen wollen. Ihr öffentlicher Einsatz für Projekte, die Mädchen fördern, macht zum einen auf den immer noch erhöhten Bedarf an Mädchenförderung in vielen Bereichen aufmerksam, zum anderen mögen manche der Band auch gerade diesen speziellen Einsatz verübeln. Schließlich sind SLEATER-KINNEY es auch leid, permanent auf ihr Geschlecht angesprochen zu werden und es betont zu sehen, was ein weiteres Mal den gesellschaftlichen Fokus auf Geschlechterkategorien sichtbar macht. "Es ist einfach total zum Kotzen, permanent darauf angesprochen zu werden, dass man ja in einer Mädchenband - und mit Verlaub, aus den Mädchenschuhen sind wir schon länger herausgewachsen - spielt. Was soll ich sagen, ich bin es einfach leid. Tja, wie es wohl so ist, in einer Jungensband zu spielen, ich weiß es nicht. Vielleicht fragt mal jemand bei THE STROKES nach, das wäre schön."

Auch wenn SLEATER-KINNEY immer noch eine aktive Band sind, hat sich der Fokus ein wenig verschoben. Carrie und Janet haben noch andere Bandprojekte. Carrie, die vor SLEATER-KINNEY bei EXCUSE 17 gespielt hat, einer weiteren historischen Band aus dem Riot Grrrl-Umfeld, ist nebenher bei THE SPELLS aktiv und Janet, die schon für Elliot Smith, Sarah Dougher oder THE GO-BETWEENS die Drumsticks in der Hand hielt, spielt nebenher bei QUASI. Corin hingegen hat ihre Arbeit für die Band CADALLACA erstmal auf Eis gelegt. Für sie hat sich seit ihrer Hochzeit mit dem Filmemacher Lance Bangs und insbesondere seit der Geburt ihres Sohnes Marshall einiges verändert. "Natürlich ist seitdem vieles für mich anders, als Frau und auch als Musikerin. Es ist vor allem und in erster Linie besonders schwer geworden, alles unter einen Hut zu bringen, meine Familie und die Band. Zu Konzerten oder dergleichen gehe ich überhaupt nicht mehr. Diesen Drang lebe ich nur noch in SLEATER-KINNEY und auf Tour aus. Auch die Möglichkeiten, lange auf Tournee zu gehen, sind nicht mehr da, ich bin nie länger als drei Wochen von meiner Familie getrennt", sagt Corin mit einem traurig anmutenden Lächeln, um dann aber direkt im Anschluss zu versichern, dass sie sich ein Leben ohne SLEATER-KINNEY absolut nicht vorstellen kann.

Da muss ich dann doch noch einmal genauer nachfragen, inwiefern das, provokant ausgedrückt, "traditionelle" Leben als Ehefrau und Mutter, die Feministin und Frontfrau von SLEATER-KINNEY verändert hat: "Ach weißt du, die Feministin Corin ist etwas weniger wütend geworden - was nicht heißt, dass nichts mehr zu tun ist. Früher habe ich mich nächtelang mit feministischer Theorie beschäftigt, heute denke ich eher praktisch. Mein Feminismus richtet sich heute viel stärker auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich gehe dieses Ziel weniger kämpferisch an und denke, das Wichtigste ist, dass die Kreativität einer Frau, Ehefrau und Mutter nicht leidet. Damit meine ich konkrete politische Projekte zur Arbeitsaufteilung und Kindererziehung, so dass Frauen dieselben Möglichkeiten offen stehen wie Männern und Vätern. Für mich persönlich ist das natürlich meine Arbeit bei SLEATER-KINNEY."

Mit dieser Diskussion ist Corin in der aktuellen deutschen Diskussion zu diesem Thema wahrscheinlich angesagter, als sie sich vorstellen kann. Und auch wenn ich ihr ohne weiteres glaube, dass das feministische Anliegen für sie persönlich ein großes ist, spüre ich, dass ihr ein anderes Thema mindestens ebenso stark, wenn nicht stärker am Herzen liegt und sie dieses in unserem Gespräch auch zum Ausdruck bringen möchte - eines, das der gesamten Band am Herzen liegt und auf das die Songs "Far away" und "Combat rock" vom 2002 erschienenen Album "One Beat" hinweisen. Beide Songs entstanden vor dem Hintergrund der terroristischen Anschläge in den USA vom 11. September 2001 und dem daraufhin begonnenen "War on Terror". "Was uns heutzutage am meisten beschäftigt, ist die aktuelle politische Lage in unserer Heimat. Da läuft so vieles schief, es ist kaum in Worte zu fassen. Und all das ist seit dem 11. September akut. Der 11. September war ein schrecklicher Anschlag, so viele unschuldige Menschen sind gestorben. Meine Gefühle diesbezüglich habe ich in dem Song ?Far away' verarbeitet. Gleichzeitig sind dann alle komplett verrückt geworden, Präsident Bushs legendärer Ausspruch, man könne nur entweder mit uns oder gegen uns zu sein, war sehr dumm. Deshalb habe ich diese andere Seite, diese unglaublich patriotische Einstellung und ?Für oder gegen uns'-Mentalität in dem Song ?Combat rock' zum Ausdruck gebracht. Diese Bush-Regierung ist ein großes Übel und muss weg, dafür geht Amerika heutzutage auf die Straße, das ist unser aktuelles Problem. Bush ist in jeder Hinsicht ein Bastard, er war ja etwa auch beim Hurrikan Katrina nicht für die Amerikaner da."

Und prompt sind wir in unserem Gespräch beim aktuellen Album angekommen. "The Woods" heißt das Ende 2005 erschienene siebte Album von SLEATER-KINNEY. Dieser Albumtitel ließ mich sofort an den Autor Henry David Thoreau denken, der mit seinem Buch "Walden" Literaturgeschichte schrieb. "Walden" und "Woods" assoziiere ich augenblicklich mit Ruhe, Abgeschiedenheit und Einsamkeit. War die Sehnsucht nach Rückzug und der Wunsch nach neuer Kreativität nach jahrelanger Bandgeschichte vielleicht der Grund für den Albumtitel? "Ja, das war ein Grund. Wir mussten neue Energie tanken und Zeit für uns und unsere Familien haben. Es war allerdings von vorneherein klar, dass wir mit SLEATER-KINNEY weitermachen. Für uns standen getrennte Wege noch nie zur Debatte, wir waren uns nur einig, dass wir experimentieren und Neues machen möchten. Insofern passt das mit dem Rückzug in die Einsamkeit der ?Wälder'. Vor allem haben wir diesen Titel aber gewählt, um indirekt auf die politische Lage in den USA aufmerksam zu machen. Es gibt das Sprichwort ?We're not yet out of the woods', es bedeutet, dass es immer noch sehr viel zu tun gibt. Und nicht erledigte Dinge gibt es aktuell sehr viele in der amerikanischen Politik."

Die politische Botschaft ist in der Tat sehr subtil, insbesondere im Gegensatz zu den beiden eindeutig politischen Songs auf "One Beat". Insgesamt überkommt mich als Hörerin von "The Woods" das Gefühl, dass der Fokus der Band auf der Musik und den Instrumenten liegt. Tatsächlich ist das neue Album experimentierfreudiger und betont Gitarrensoli, auch dort, wo man sie nicht erwartet. Der unvergleichliche Gesang von Corin und Carrie, immer noch oft in Call-and-response Form, ist geblieben und macht "The Woods" zu einem andersartigen, aber gleichwohl typischen SLEATER-KINNEY-Album.

Laut Corin ist der bekannte Indie-Produzent Dave Fridman bei der Umsetzung des Albums eine sehr große Hilfe und vor allem Inspiration gewesen: "Fridman ist Musiklehrer, er lehrt an Universitäten. Er ist Techniker, was wir gar nicht sind. Fridman war kein großer Fan von SLEATER-KINNEY, aber genau deshalb war er für uns so inspirierend. Er hat uns angespornt, mehr auszuprobieren und mehr Instrumentalarbeit zu leisten. Das war eine sehr aufregende, tolle, aber auch harte Zusammenarbeit."

Und auch auf einer anderen Ebene kam eine neue Zusammenarbeit zustande: SLEATER-KINNEY trennten sich von ihrem langjährigen Label Kill Rock Stars und wechselten zu Sub Pop. Was ist aus dem älteren Zitat der Band geworden, niemals Kill Rock Stars zu verlassen, weil sie ihre künstlerische Freiheit nie aufgeben möchten? "Ja", schmunzelt Corin, "das haben wir immer gesagt. Wir waren auch überhaupt nicht unzufrieden mit Kill Rock Stars, sie haben viel für uns getan und sind unsere Freunde. Aber wir haben gemerkt, dass ein größeres Label nicht weniger Freiheit bedeutet. Ich kann dir versichern, dass wir dieselbe Freiheit bei Sub Pop genießen, sonst hätten wir nie gewechselt. Sub Pop ist in unseren Augen auch kein Majorlabel oder dergleichen. Wichtig war uns die Infrastruktur von Sub Pop, die ein weniger besser und weiter reicht. Der Wechsel passt auch mit dem neuen Album zusammen, das ja in eine etwas andere Richtung geht."

Daraufhin konfrontiere ich Corin erstmal mit einem Zitat aus einer Musikzeitschrift, das besagt, dass die Band mit "The Woods" in die Rock-Elite aufgestiegen ist, während SLEATER-KINNEY vorher eine der besten Bands in ihrem Genre waren. Corin lacht und schüttelt den Kopf: "Mir ist die Musikpresse so was von egal. Ehrlich, ich lese sie kaum und wenn ich mal etwas über uns lese, dann lässt es mich größtenteils kalt. Denn darum geht es uns nicht. Wir möchten einfach Musik machen. Nicht mehr, nicht weniger. Und zwar für immer."

Ein schönes Schlusswort vor einem schönen Konzert von drei sympathischen jungen Frauen, denen man den Spaß auf der Bühne ansieht.

Und zu guter Letzt soll noch darauf hingewiesen sein, dass alle, die sich jemals darüber gewundert haben, dass SLEATER-KINNEY ein Interview für suicidegirls.com gegeben haben, und genau wie ich darüber etwas überrascht, wenn nicht gar empört, waren, sich beruhigt zurücklehnen können. Carrie gab dieses Interview ohne so richtig zu wissen, was das für eine Internetseite ist, denn Sinn und Zweck der Seite ist bei der Anfrage auch nicht näher erläutert worden. Das Interview gehört somit laut Corin zur Kategorie "Wir hätten das nicht gemacht und unterstützen diesen Internetauftritt auch nicht, aber bei den vielen Interviewanfragen haben wir einfach versäumt genauer nachzuforschen". Haarscharf gerettet, Mädels!

Nach Fertigstellung dieses Textes gaben SLEATER-KINNEY am 27.06. einen "indefinite hiatus" bekannt, mit anderen Worten, die Band setzt auf unbestimmte Zeit aus. Hört sich nicht sonderlich hoffnungsvoll an und widerspricht dem, was Corin in meinem Interview gesagt hat, aber wir hoffen mal, dass es sich tatsächlich lediglich um eine Auszeit handelt und nicht um das endgültige Aus der Band. Dann nachzulesen auf den Websites der Band oder ihres Labels.