MID YOUTH CRISIS

Seit ich vor ein paar Jahren die "Ignorant Bliss"-EP von ONE INCH PUNCH in die Finger bekommen habe, bin ich von der Band aus dem australischen Melbourne begeistert, denn wie kaum eine andere versteht sie es melodischen Hardcore mit treibendem Punkrock zu verbinden, und der rauhe, melancholische Gesang von Steve - mit dem ich auch dieses Interview führte - kann beinahe mit LEATHERFACE´ Frankie Stubbs mithalten. In meiner Begeisterung packte ich damals "Set back" auf die CD-Compilation zu Ox #24, und im Januar kamen MID YOUTH CRISIS, wie sie mittlerweile heissen, dann endlich auf Europatour.

Erklär doch zu Anfang mal, wieso ihr euren Namen von ONE INCH PUNCH zu MID YOUTH CRISIS geändert habt.

Es gibt da eine englische Band, die sich auch ONE INCH PUNCH nennt, und als dann klar war, dass Subway unser Album in Europa rausbringt, wollten wir nicht das Risiko eingehen, eventuell von der Plattenfirma verklagt zu werden - und auch verhindern, dass mit zwei gleichnamigen Bands Verwirrung gestiftet wird. Wir hatten uns bis dahin natürlich auch nicht darum gekümmert, unseren Namen in Europa schützen zu lassen.

In Australien heisst ihr weiterhin ONE INCH PUNCH?

Nein, auch da nennen wir uns jetzt MID YOUTH CRISIS, kurz MYC.

Ich habe euch letzte Woche live gesehen und fand es doch witzig, wie gross du als Sänger neben den beiden recht kleinen Gitarristen und dem nicht viel grösseren Bassisten wirkst. Wie fühlt man sich als Riese unter Zwergen?

Man gewöhnt sich dran, hehe. Aber es stimmt schon, wenn man uns das erste Mal sieht, ist das ein recht witziger Anblick.

Angeblich stehen Frauen auf kleine Männer.

Da könnte was dran sein, die anderen finden bei den Mädels immer mehr Beachtung als ich - grumpf!

Klären wir mal die Basics: Seit wann gibt´s euch, was habt ihr an Platten gemacht?

Wir spielen seit Ende ´93, und beinahe alles, was wir bislang aufgenommen haben, findet sich auf der letztes Jahr auf Subway erschienenen CD. Im Detail sind das die "Lost in what we lack"-LP, die "Ignorant bliss"-EP sowie zwei Songs von der Split-7" mit SOMMERSET aus Neuseeland.

Soundmässig brecht ihr das - gar nicht mal so üble - Klischee auf, das man irgendwie immer noch von australischen Bands hat und das von frühen AC/DC, THE SAINTS und RADIO BIRDMAN geprägt ist. Ihr dagegen orientiert euch eher an den USA und an Europa.

Das stimmt schon, in der letzten Zeit spielen weniger Bands diesen typischen, in der australischen Tradition verwurzelten Sound. In den späten Achtzigern und bis Mitte der Neunziger war dieser garagig-rock´n´rollige Stil weit verbreitet, aber diese Szene ist derzeit ziemlich am Aussterben. Stattdessen ist Pop-Punk jetzt viel populärer, du weisst schon, dieser Fat Wreck- und Epitaph-Stil, aber auch Hardcore neuerer Schule findet immer mehr Zulauf. Und dann gibt´s jede Menge ziemlich eigenständige Bands, die stilistisch zwischen allen Stühlen sitzen und von denen ihr in Europa gar nichts mitbekommt - eigentlich etwas schade.

Ja, aber wo steht ihr? Wenn man sich eure Platten mal etwas genauer anhört stellt man ja fest, dass ihr alles andere als eine belanglose Melodic-Band seid.

Naja, unser erstes Album ging schon grob in Richtung Fat Wreck/Epitaph, aber davon haben wir uns mittlerweile ziemlich entfernt. Unser erster Gitarrist, der die meisten Songs schrieb, stand auf all diese Bands, und ich machte nur die Texte dazu. Er stieg dann aus, und wir haben uns musikalisch ziemlich weiterentwickelt. Seit einiger Zeit haben wir uns von gerade auch in Australien von diesem "Melodic"-Klischee befreien können, worüber wir sehr froh sind - schon allein deshalb, weil keiner von uns Melodic-Punk hört.

Sondern?

Puh, ganz unterschiedliche Sachen: FUGAZI, SPERMBIRDS, STIFF LITTLE FINGERS - ja, das sind eigentlich meine drei Lieblingsbands. Aber ich mag auch SHOPMAKER aus Kanada, GUZZARD und ´ne Menge andere. Die anderen Band hören wieder andere Sachen, Jay, unser Drummer, steht mehr auf Grind- und Crustcore, Dave hört eher so Emo-Bands wie LIFETIME oder BY THE GRACE OF GOD.

Prägend für euren Sound ist vor allem dein Gesang, wie ich finde, der zugleich rauh, verzweifelt und melodisch kommt. Wobei ich aber sagen muss, dass er bei den alte Aufnahmen mehr im Vordergrund stand als beim neuen Album "Happiness in authority", das unlängst in Europa auf Subway veröffentlicht wurde.

Das hast du schon richtig beobachtet, früher stand der Gesang mehr im Vordergrund, doch diesmal habe ich mich bemüht, meine Stimme mehr in die Musik einzubinden. Das hatte bei den alten Sachen aber auch was mit dem Produzenten zu tun, der eben so einen Sound bevorzugte.

Mich erinnert ihr - gerade auch wegen deines Gesangs - an die göttlichen LEATHERFACE.

Danke! Klar, LEATHERFACE sind natürlich auch eine von uns hochgeschätzte Band. Normalerweise ist meine Stimme übrigens nicht so rauh und kratzig wie jetzt, aber auf Tour klingt die immer so abgefuckt - rauchen, schreien, trinken, das fordert eben Tribut. Und irgendwie haben wir es bisher immer geschafft, nach einer Tour ins Studio zu gehen. Aber ich mag das, es kommt gut, während es weniger schön ist, wenn du auf Tour irgendwann nicht mehr richtig brüllen kannst.

Beim Konzert letzte Woche gewann ich den Eindruck, dass ihr in puncto Bierkonsum dem Klischee vom ordentlich schluckenden Australier durchaus gerecht wurdet.

Haha, das ist zwar wirklich ein Klischee, aber wir trinken schon ganz gerne. Dabei bin ich gar kein gebürtiger Australier, sondern bin in Irland geboren, und mein Vater ist Schotte, aber das ändert wohl nicht viel, hehe.

Und, wie sind eure Erfahrungen mit deutschem Bier?

Nur positiv! Ich mag das Bier hier, und besonders angenehm finde ich, dass es in jedem Konzertort ein anderes Bier gibt, das ist cool! Bei uns in Australien ist die Biersituation doch erheblich schlechter. Fosters zum Beispiel, das lächerlicherweise hier in Deutschland total beworben wird, trinkt in Australien niemand freiwillig, das ist Alte-Männer-Bier. Ganz gut trinken kann man XXXX, das eher im Norden verbreitet ist, dann gibt´s V.B., das steht für Victoria Bitter und das wird vor allem im Süden getrunken, und in Melbourne gibt´s Melbourne Bitter. Importiertes Bier ist leider recht teuer, das kann man sich nicht jeden Tag leisten, das trinken deshalb eher die Yuppies. Alles in allem ist australisches Bier nicht so übel, aber das hier bei euch schmeckt mir schon besser.

Was treibt ihr eigentlich so? Könnt ihr von der Band allein leben?

Nicht so richtig, wir schlagen uns irgendwie durch. Allerdings bin ich der einzige, der einen richtigen Job hat, ich baue Bilderrahmen. Die anderen kassieren Arbeitslosenhilfe und spielen in der Band. Ehrlich gesagt kommt man in Australien trotz der recht schlechten Wirtschaftslage immer noch ganz gut über die Runden.

Was soll man unter einer "Mid Youth Crisis" verstehen?

Ha, das ist eigentlich nur der Titel eines Songs vom neuen Album. Der Text erklärt das ein bisschen, aber als wir einen neuen Namen brauchten, gefiel er uns ganz gut, also machten wir den Titel zum Bandnamen. Wir hatten da auch gerade unseren ersten Gitarristen verloren, wegen einer Drogensache, und da passte Mid Youth Crisis irgendwie.

Würdest du euch denn als politische Band bezeichnen? Ich meine, die Fotos im Booklet gehen durchaus in diese Richtung, ebenso der Albumtitel und auch ein paar der Texte.

Ich denke schon, dass wir eine politische Band sind, die absolut zu ihren linken, politischen Texten steht. Andererseits kann ich das Predigen von politischen Inhalten überhaupt nicht leiden, und so versuche ich die Texte bei aller inhaltlichen Deutlichkeit doch eher persönlich zu halten. Die Fotos, das Artwork, stehen ganz klar in Verbindung zum Titel "Happiness in authority", der sich darauf bezieht, dass man sich letztendlich bei allem Protest doch mit den Autoritäten abgefunden hat. In ein paar Texten geht es dann um das Verhalten der Polizei, ihre Gewalttätigkeit, denn da gab es in Melbourne in den letzten Jahren einige Probleme. Andere beschäftigen sich mit unterschiedlichen Vorstellungen von Freiheit.

In Australien ist eure Platte auf Life Time Records erschienen.

Das ist unser eigenes Label, und wir haben da bisher alle unsere Platten veröffentlicht, wobei der Vertrieb über Shock Records läuft. In Australien hast du da keine Wahl, es gibt nur den Riesen-Indie Shock und MDS, "Mushroom Distribution", hinter denen ein Majorlabel steckt. Shock sind alles in allem echt in Ordnung.

Wie gross seid ihr denn in Australien? Hierzulande kennt euch bislang ausser eingefleischten Australienfans kaum jemand.

Och, wir können uns nicht beklagen, wir haben im Schnitt so 300 bis 500 Zuschauer. Wenn wir auf Tour gehen, spielen wir zwei Wochen lang jeden Abend, und mit den riesigen Entfernungen ist das ganz schön anstrengend: von Melbourne nach Sydney bist du elf Stunden unterwegs, und von dort nach Brisbane ist es nochmal so weit. Und je weiter du nach Norden kommst, um so kleiner werden die Konzerte - da ist es doch viel einfacher hier in Europa zu touren.

Kommen denn in Australien andere Leute als hier?

Ja, auf jeden Fall! Unser australisches Publikum ist viel jünger als die Leute, die hier zu den Shows kommen. Dazu kommt, dass man hier problemlos All Ages-Shows spielen kann, während du in unserem Bundesstaat über 18 sein musst, um in einen Club reinzukommen, und wenn du ein Under 18-Konzert spielst, dürfen die Älteren nicht rein, das ist ziemlich bescheuert und trennt die Leute ganz krass. Das ist so ein spezielles Gesetz, das sich die konservativen Politiker im Bundesstaat Victoria ausgedacht haben, um die Jugend auf den Pfad der Tugend zu bringen.