EDWARD COLVER

Foto

Fan - Freidenker - Fotograf

Ob BLACK FLAG, CIRCLE JERKS oder BAD RELIGION, Edward Curtiss Colver hatte sie alle vor der Linse. Neben Glen E. Friedman gehört er zu den ganz großen der amerikanischen Independent-Fotografen. Es wird kaum jemanden geben, der sich für HC und Punkmusik interessiert, der nicht schon mal ein Foto der beiden gesehen hätte, bewusst oder unbewusst. Das Besondere an Colvers Bildern ist, dass sie mehr sind als nur Fotos von Bands der ersten US-Hardcore- und Punk-Generation. Sie sind ein lebendiges Zeugnis amerikanischer Jugendkultur, die von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre fernab von Marketing und Mainstream existierte und einen erheblichen Anteil am etablierten Wesen und Aussehen der heutigen Musiklandschaft hatte. Doch Colver dokumentierte nicht nur, er war als Fan und Freund der kalifornischen Bands Teil des Untergrunds. Der 1949 in Pomona, Kalifornien geborene und heute in Los Angeles lebende Colver entwickelte sich mit der Zeit zu einem gestandenen Künstler, der neben Musikfotos auch für seine Porträts und gesellschaftskritischen Installationen bekannt geworden ist. Eine grundlegende Rückschau seiner Arbeiten veröffentlichte der Künstler nun erstmals in dem bei Last Gasp erschienenen Fotoband "Blight at the end of the funnel".



Es gab vor kurzem eine Vernissage an der California State University, auf der neben einer Retrospektive deiner Werke auch Oldschool-Punkbands wie FLIPPER, D.I. oder CHANNEL 3 zu sehen waren. Wirkte das nicht etwas befremdlich für die universitären Bildungsphilister?


Die Show fand statt in einer Galerie etwas ab vom Unigelände. Dort gibt es die verschiedensten Veranstaltungen. Die Besitzer waren demnach vorgewarnt. Alle meine alten Freunde kamen und nur, um mir zu Ehren aufzutreten. Für fast alle Bands hatte ich damals Cover gestalten dürfen.



Du hast gerade ein Foto-Buch veröffentlicht.

Der Titel "Blight at the end of the funnel" bedeutet wortwörtlich so viel wie "Verschandelung am Ende des Trichters" und ist ein pessimistisches Wortspiel, das sich aus der Redewendung "Light at the end of the tunnel" ergibt. Bei der Lektüre meines Buches wirst du sehen, dass ich immer wieder mit Worten spiele und so ihren eigentlichen Sinne verändere, um neue Statements zu kreieren. Das Buch sollte eigentlich der erste Teil einer vierbändigen Übersicht meines ganzen Schaffens darstellen. Ich habe das Ganze jedoch erheblich gekürzt. Herausgekommen sind am Ende vier Kapitel, die einen Überblick über mein bisheriges Werk geben, als da sei HC/Punk, Rock'n'Roll und Stars, Street/Art-Fotos und Skulpturen. Ziel ist, in naher Zukunft den nächsten Fotoband herauszubringen. Ich habe nämlich noch so viele Fotos von unter anderem SOCIAL DISTORTION oder den DEAD KENNEDYS, die nie veröffentlicht wurden, und es wäre schade, wenn sie dem interessierten Publikum vorenthalten blieben.



Wann hast du mit dem Bildermachen angefangen und wie bist du Teil der HC/Punk-Szene geworden?

Ich fing im Jahr 1978 an, Fotos zu machen. Ich stieß eher zufällig, während einer Show, die ich besuchte, auf Hardcore und Punk. Bis dahin war New Wave das Nonplusultra gewesen. Das Konzert war so intensiv, so besonders, dass ich von da an nur noch HC- und Punk-Konzerte hörte und aktiv Teil der Szene sein wollte. New Wave gab es in meiner Welt nicht mehr.



Hast du eine professionelle künstlerische Ausbildung?

Ja, ich habe Kunst studiert. Es war damals das Einzige, was mir neben der Musik wirklich wichtig war. Ich hatte damals auch schon relativ früh das Gefühl, etwas Relevantes mit der Kamera festzuhalten. Dass es aus heutiger Sicht etwas von historischem Wert werden würde, wagte ich damals nicht zu vermuten. Alles ging ziemlich schnell. Nur drei Monate, nachdem ich überhaupt anfing, Fotos zu machen, wurde zum ersten Mal ein Foto von mir abgedruckt.



Mit welchem Material hast du gearbeitet? Wie stehst du zu digitaler Fotografie?

Die ersten Bilder machte ich mit einer Yashika 35, die mit einem 50mm-Objektiv und Blitz ausgestattet war. Zum Ende des Jahres 1979 legte ich mir dann eine Olympus 35 mit 50mm-Objektiv und einem externen Blitz zu. Auch dieses Set war absolut handelsüblich und nichts richtig Tolles! Ich hatte eben einfach kein Geld für besseres Material und war froh, wenn es für Filme, die Entwicklung der Bilder und etwas Kaffee reichte. Bis heute habe ich für meine Aufnahmen nie eine Digitalkamera benutzt. Klar hat digitales Fotografieren Vorteile, du brauchst keine Filme und Fehler kann man später spielend korrigieren. Die ganze Technik sagt mir aber bis heute nicht sonderlich zu.



Hattest du einen Künstler oder Fotografen, der dich und deine Arbeit seinerzeit beeinflusst hat?

Es gibt viele Künstler, die einflussreich auf mich, aber nicht direkt auf meine Bilder waren. Ich denke da vor allem an den US-Amerikaner Man Ray, der viel mit Salvador Dalí in Paris gearbeitet hat, oder auch an die aus New York stammende Fotografin Diane Arbus, deren Aperture-Monographie immer noch eines der meistverkauften Bücher der Fotografiegeschichte ist.



Deine Konzertfotos haben diese einzigartige Ausstrahlungskraft, die dem Betrachter genau vermittelt, wie es damals während einer Show zuging. Welche Position nahmst du normalerweise ein, wenn du Bands auf der Bühne ablichten wolltest?

Damals hatte ich die freie Auswahl. Die meisten Bandmitglieder waren Freunde von mir und ließen mich daher alles und jeden knipsen, egal wo. Ob auf der Bühne, in der ersten Reihe oder mitten im Publikum, ein Teleobjektiv brauchte ich nie. Das berühmte Bild, auf dem das Kid den Salto in die Zuschauermenge macht, was übrigens auch auf dem Cover des neuen Bildbandes zu sehen ist, habe ich von der Bühne aus geschossen. Meine Grundidee war stets, nicht einfach nur Schnappschüsse, sondern Kunst zu machen, so klein dieses Stück auch manchmal gewesen sein mag. Gekünstelter Fotojournalismus war aber nie mein Anliegen. Ich wollte die Stimmung und deren Verursacher so festhalten, wie sie sich damals selber darstellten. Verstellen sollte sich niemand.



Du hast sicher Hunderte Cover gestaltet. Das erste war für das Album "Group Sex" der CIRCLE JERKS. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Die CIRCLE JERKS spielten damals im Whiskey A-Go-Go. Ich zeigte ihnen bei dieser Gelegenheit Fotos, die ich bei einer Show von ihnen gemacht hatte. Sie waren so begeistert, dass sie mich kurzerhand fragten, ob ich nicht das Coverfoto für ihr Debütalbum schießen wollte. Das Cover der Platte, mit all den Leuten, die nach oben in die Kamera schauen - übrigens alles Musiker, Skater oder Szenekids -, war aber nicht meine Idee.



Wie viel Einfluss hattest du generell auf die Covergestaltung?

Ich hatte tatsächlich jede Menge Einfluss darauf, wie die Cover schließlich aussahen. Als Beispiel sei hier zum Beispiel das Album "Lighting" der unbekannteren Band THE EXECUTION genannt. Da habe ich von der ersten Idee bis zur tatsächlichen Druckvorlage alles selber entscheiden dürfen. Das war aber nicht immer so. Meistens hatten die Bands eine relativ konkrete Vorstellung, wie ihr Cover aussehen sollte, und schlugen mir etwas vor, was ich dann umzusetzen versuchte. Bei dem CHANNEL 3-Album "Fear Of Life", was bei Posh Boy erscheinen sollte, war das zum Beispiel so. Sie erzählten mir etwas von einer Pistole, die auf sich selber gerichtet sein sollte. Und siehe da, ich hatte ihr Foto bereits geschossen! Und zwar im Rahmen zu den Aufnahmen zu BLACK FLAGs "Damaged". Ihnen gefiel dieses Outtake und schon hatten sie ein Bild! So einfach war das aber nicht immer. Rick Agnew und KC hatten sich für die Single "Welcome To Reality" ihrer Band THE ADOLESCENTS dieses Konzept ausgedacht, was ich bis heute nicht mag: Ein Foto draußen, am hellichten Tag geknipst. Schrecklich!



Im Verlauf deiner Karriere hast du auch Künstler wie Ice Cube, Snoop Dog oder AEROSMITH fotografiert. Siehst du einen Unterschied in der Arbeit mit diesen, sagen wir mal, vergleichsweise berühmten Musikern?

HC/Punk-Bands waren in meinen Augen viel berühmter als alles, was folgen sollte!



Später kamen Porträtaufnahmen von Persönlichkeiten wie dem Psychologen und LSD-Papst Timothy Leary oder Künstlern wie Andy Warhol dazu. Hast du jemals jemanden abgelehnt?

Timothy Leary nahm ich bei ihm zu Hause auf, Andy Warhol während einer Vernissage. Beide kannten meine Arbeiten nicht, HC fand noch völlig im Untergrund statt. Abgelehnt habe ich aber nie jemanden, das konnte ich mir finanziell einfach nicht leisten. Die Punk-Attitüde habe ich aber bis heute bewahrt. Ich habe nie groß Werbung für mich gemacht. Wenn jemand etwas von mir will, und das gilt im Besonderen für kommerzielle Fotos, dann soll er sich gefälligst bei mir melden. Ich muss nicht den Arsch jeder Firma lecken!



Es gibt da dieses skurrile Foto mit Rikk Agnew, dem Gitarristen von THE ADOLESCENTS und CHRISTIAN DEATH, auf dem er ein totes Tier auf dem Arm hält. Wie kam es dazu?

Es handelt sich um eine mumifizierte Katze, die Rick in den Trümmern eines zusammengefallenen Hauses gefunden hatte und seitdem in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Er behandelte sie wie ein Haustier und sie musste damals unbedingt mit aufs Foto.



Du warst einer der letzten, die Darby Crash von THE GERMS ablichteten, bevor er an einer Überdosis Heroin verstarb.

Die Leere in Darbys Augen sagte damals bereits alles. Er scheint durch alles hindurchzuschauen und nicht mehr viel mitbekommen zu haben. Das Foto ist der Anfang vom Ende. Ich nenne es "1.000-Yard-Blick".

Auf dem Bild mit dem Titel "Nazi kid" ist ein Teenager mit Nazirunen und Hakenkreuzbinde zu sehen.
War Faschismus Anfang der 80er ein ernst zu nehmendes Problem in der L.A.-Szene?


Die Aufnahme machte ich 1983. Bis heute weiß ich nicht, wer dieser Junge ist. Damals gab es aber eigentlich so gut wie keine Faschisten in der Szene. Das Ganze sollte wohl eher für einen gewissen Schockmoment in der Gesellschaft sorgen.



Glen E. Friedman ist der andere große Fotograf der ersten Stunde. Kennt ihr euch?

Ja, er ist sogar auf einem Foto meines Buches während einer BAD BRAINS-Show zu sehen, wie er sich vergeblich müht, die Band mit der Kamera einzufangen.



Was empfindest du bei dem Gedanken, einen Teil der amerikanischen Jugendkultur festgehalten zu haben, der auch heute noch vielen völlig unbekannt ist?

Dass ich von Anfang an dabei war, macht mich unheimlich stolz. Das Ganze ist Teil der amerikanischen Musikgeschichte und meine Fotos dokumentieren dieses Kapitel. Vielleicht ändert sich der Bekanntheitsgrad dieser Phase, die ich gerne auch als musikalisches Phänomen der USA bezeichne, mit Steven Blushs Dokumentarfilm "American Hardcore", der im Grunde genommen ja eine Mainstreamproduktion für ein größeres Publikum ist. Für den Film hatten die Macher so gut wie keine Aufnahmen der damaligen Bewegung zur Verfügung. Das, was sie nach harter Recherche und Aufrufen in der Szene aber bekommen haben, halte ich für durchaus sehenswert. Der Film zeigt eindrucksvoll, was und wie HC und Punk damals war. Die Dokumentation wird nach der Kinoausstrahlung auch als DVD veröffentlicht werden, unter dem Kapitel "Specials" diskutiere ich mit Steven, mit dem die Arbeit wirklich Spaß gemacht hat, über einige Bilder, die er für den Film verwendet hat.



Warum fiel die Szene Anfang/Mitte der 80er Jahre so abrupt auseinander?

Zum einen wegen der harten Drogen, was vor allem in San Francisco zum Problem wurde. Daneben gab es ab 1984 eine neue Welle von Thrash-Bands, die aus dem Valley in die Großstädte kamen. Diese erfreuten sich wachsender Beliebtheit, jedoch nicht bei den alten Szenegängern. 1984 war auch der Zeitpunkt, an dem ich ausstieg. Meine Beziehung zu HC und Punk ist immer noch groß, da ich sehr viel Zeit und Arbeit in alles investiert habe. Ich liebe eben die Musik von den Leuten, die, wenn sie noch leben, noch immer meine Freunde sind. Ich gehe noch immer zu ihren Konzerten, lasse mittlerweile aber meine Kamera zu Hause. Als Künstler möchte ich den Leuten für die Qualität und den historischen Wert meiner Bilder in Erinnerung bleiben.



Wie wäre es mit einer Ausstellung in Europa?

Mann, klar! Ich würde liebend gerne mal was in Europa ausstellen! Leider hat es sich bisher noch nicht ergeben. Ich arbeite daran, versprochen.



Stimmt es eigentlich, dass du keinen Fernseher hast?

Ja, das ist richtig. Ich habe seit 1979 kein Fernsehen mehr gesehen und ich kann euch nur empfehlen, das ebenso zu tun: "Turn off your TV and live your life!"


Originalabzüge von Ed Colvers Fotos sind

unter www.caracolagallery.com erhältlich.