RED LORRY YELLOW LORRY

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Smalltalk about the weather

RED LORRY YELLOW LORRY aus West Yorkshire - mit dem musikalischen Nukleus Leeds, welcher neben den SISTERS OF MERCY großartige Bands wie THE SKELETAL FAMILY und SALVATION hervorbrachte - wurden im Juli 1982 von Chris Reed gegründet. Zunächst lediglich Gitarrist, übernahm er zusätzlich nach dem schnellen Ausstieg von Mark Swenny dessen Gesangspart. Die markante Stimme von Reed, dunkel und repetitiv, der kalte und kryptische Sound sowie das gesamte Erscheinungsbild der Gruppe legen sofort eine Assoziation nahe: JOY DIVISION. Wenn auch die Texte nicht den persönlichen und kathartischen Charakter wie die von Ian Curtis aufweisen, so sind sie doch von ähnlich beklemmender Natur und von der britischen Musikpresse schnell mit dem Attribut "angst-driven vision" versehen worden.
Die Texte sind meist kurz gehalten und spiegeln eher die Schattenseiten des Lebens wider: "It was a strange dream / He stood and stared / These shining faces / Those darkened eyes / And alone he ran" (aus "Strange dream", 1984).
Noch Ende 1982 unterschreibt die Band bei dem Label Red Rhino, welches schnell zum Auffangbecken für viele prägende Bands dieses Genres werden sollte (unter anderem THE SKELETAL FAMILY, ZOVIET FRANCE), nachdem Bandmanager Dave Hall ein Tape mit dem Song "Beating my head" an Labelboss Tony K - der bereits 1977 in New York einen Plattenladen eröffnete und stark durch den D.I.Y.-Gedanken geprägt war - geschickt hatte. Das Stück erschien ohne Nachbearbeitung als Debütsingle der Lorries. Reed schmettert den Chorus aus "Beating my head" direkt aus der dunklen Ecke eines fensterlosen Raumes - das Ganze mit einem markanten Halleffekt versehen. Man wünscht sich förmlich, dass Martin Hannett, unter anderem Produzent von JOY DIVISION und NEW ORDER, diesen Song überarbeitet hätte.
Nach einigen Besetzungswechseln stößt Dave "Wolfie" Wolfenden zur Band. Reed und Wolfenden prägen fortan als Songschreiberduo den Sound der Lorries. Mit ihrer dritten Single, "He's read" (1983), begann die Band - ähnlich wie die THE SISTERS OF MERCY und THE MARCH VIOLETS - auf ein unverkennbares Artwork zu setzen. Für das Cover der 1984 veröffentlichten EP "This Today", sicherlich auch eines der besten Stücke der Band, wählte die Gruppe als Motiv Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei": in jeder Hinsicht passend zum Songtext, denn ursprünglich wollte Munch sein bekanntes Werk "Verzweiflung" nennen. Es verwundert nicht, dass John Peel schnell auf die Band aufmerksam wurde. Er produzierte mit ihnen im März und November 1983 zwei Sessions, es folgten Sessions für Janice Long und Liz Kershew, welche eine Sendung bei der Lokalstation von BBC Radio 1 in Leeds hatte.
Die britische Musikpresse fand schnell Gefallen an der Band: "A rock band that have forgotten the rules. This can only be a good thing" (Melody Maker), "A less self-conscious ECHO AND THE BUNNYMEN" (Sounds) und in einem Konzertbericht vom September 1983 resümierte der New Musical Express: "RED LORRY YELLOW LORRY are pitched somewhere between the jagged, angular landscapes of early TELEVISION and the Velvets at their most brutal, brooding and mesmeric time ... like SIMON AND GARFUNKEL at the gates of heaven." Die Band selbst gab als Einflüsse KILLING JOKE und WIRE an.
Nach den ersten Konzerten in Großbritannien folgte eine Europatour durch Belgien, Frankreich und Deutschland, bevor 1984 ihr Debütalbum "Talk About The Weather" veröffentlicht wurde. Das Album wurde sofort Nummer 1 der Independent-Charts im NME. Es ist geprägt durch dunkle endzeitliche Soundlandschaften, fatalistische Texte bestimmen das Bild: "They have made a new condition / Rule your life with indecesion / Never bite the hand that feeds you / Sit and wait while he deceives you / Who gave us this today" ("This today", 1984). Reed schleudert in archaischer Weise den Chorus heraus und Wolfenden wirft stakkatohaft - fast mechanisch - die Gitarrenakkorde hinterher. Der Song "Hollow eyes" ist wohl der einzige, der - fast ein wenig im Geiste der CHAMELEONS - leichte Popreminiszenzen zulässt. Das Debüt der Lorries reiht sich nahtlos als Meilenstein seines Genres in die großartigen Debütalben von JOY DIVISION und der SISTERS OF MERCY ein.
Nachdem die Gruppe im März 1985 - während ihrer Tour an der Ostküste der USA - mit zwei ausverkauften Konzerten in dem legendären New Yorker Club Danceteria begeistern konnte und die amerikanische Musikpresse es sehr gut mit der Band meinte, gab es temporär Überlegungen, die Lorries als "the next big thing" in den Staaten aufzubauen - allerdings blieb es beim Gedanken. Die zweite Europatour war gut besucht und insbesondere die Franzosen - von jeher dem Genre "Cold Wave" zugeneigt (bis heute in Frankreich eine etablierte Rubrik im "wohlsortierten" Plattenladen) - bejubelten die Band. Nach dieser Tour verließ Drummer Mike Brown die Band, um für THE MISSION tätig zu werden - er wurde ersetzt durch Chris Oldroyd, ex-MUSIC FOR PLEASURE und ex-GIRLS AT OUR BEST.
Im Jahr 1986 erschien als zweites und letztes Album auf Red Rhino "Paint Your Wagon", später veröffentlichten die Lorries bei Situation Two - einer Tochter von Beggars Banquet - und waren dort mit FIELDS OF THE NEPHILIM in guter Gesellschaft. Wie der Titel des Albums - und auch das Cover in Gestalt eines Wagenrades einer Kutsche - nahe legen, widmet sich die Band thematisch dem amerikanischen Westen und der Kultur ihrer Ureinwohner. Auch auf diesem Album finden sich großartige Songs wie "Spinning round", das ein wenig an "Eighties" von KILLING JOKE erinnert, und "Walking on your hands". Die Gruppe promotete das Album im Rahmen einer Tour durch Deutschland und wurde dabei von der Hamburger Formation MASK FOR begleitet, die ihrerseits dem Frühwerk von KILLING JOKE sehr nahe stand.
Die nachfolgenden Alben "Nothing Wrong" (1988) - spätestens seit dieser Veröffentlichung verließ die Gruppe ihr Gespür für ein ansprechendes Coverdesign - und "Blow" (1989) hatten ihr guten Momente, waren aber nicht wirklich für haltlose Begeisterungsstürme geeignet. Auch der kommerzielle Erfolg blieb aus. Die Single "Open Up" wurde zwar zur "Single of the week" im NME, aber die Gruppe schaffte es nicht in die Verkaufscharts. Situation Two ließ die Band fallen. 1990 waren die Lorries noch einmal auf Europatour und in den USA, bevor sie sich ein Jahr später auflösten. Reed widmete sich anschließend seinem Projekt CHRIS REEDS WOOF. Auf dem Hamburger Label Strange Ways erschienen die EP "Big Sun" (1994) und die CD "Birthday Skin" (1995), doch mit dem Sound der Lorries hatte das nichts gemein. Im Jahr dann 2003 gab es eine kleine Renaissance der Lorries, sie spielten europaweit auf diversen Festivals. Die Gruppe produzierte vier Songs, die lediglich als Download auf ihrer Website erhältlich waren. 2005 gab es immer wieder Gerüchte über die Produktion eines neuen Albums, doch es blieb beim Gerücht.

Seit 2006 ist Chris Reed nun erneut aktiv. Unter dem Projektnamen CHRIS REED UNIT veröffentlichte er das Album "Minimal Animal". Zehn neue Songs, die er selbst wie folgt umschreibt: "This stripped-down sound is raw and minimal. It's different, but if you like RED LORRY YELLOW LORRY, you should love this record and will hear the thread that connects it." Im Oktober war Chris Reed für einige Konzerte in Deutschland unterwegs. Im Vorfeld ergab sich die Möglichkeit für ein kurzes Gespräch.

Dein neues Album "Minimal Animal" unterscheidet sich - im positiven Sinne - von deinen alten Sachen mit RED LORRY YELLOW LORRY und wird für jene, die sich an diese Band erinnern werden, überraschend sein. Es ist mehr der Singer/Songwriter-Kultur verpflichtet. Das Album stellt deine dunkle und markante Stimme in den Vordergrund und lässt sie wie ein eigenständiges Instrument wirken. Was inspirierte dich dazu, mit einer derart reduzierten und akustisch dominierten Instrumentierung zu arbeiten? Gab es dabei bestimmte musikalische Reminiszenzen? Ich musste zunächst ein wenig an Johnny Cash und den verstorbenen Nikki Sudden denken.


Meine Empfindung bei den Songs von RED LORRY YELLOW LORRY war immer ein wenig dadurch geprägt, dass sich meine Stimme etwas unterzuordnen hatte. Beim neuen Album "Minimal Animal" wollte ich dagegen meine Stimme eindeutig in den Vordergrund stellen. Der Grundgedanke war, die Aufmerksamkeit mehr auf die Qualität der Songs und die Stimme zu konzentrieren und eine sehr intime aber gleichwohl kraftvolle Atmosphäre zu schaffen. In der gleiche Art und Weise wie klassische Komponisten an Dynamiken interessiert sind, wollte ich mit dem reduzierten Klanggebilde zeigen, wie intensiv dieser Sound sein kann und gegenwärtig meine Musik eher repräsentiert als eine laute elektrische Gitarre. Wohl auch deswegen gibt es ab und an Vergleiche mit Johnny Cash - ich vermute, weil auch meine Songs im Wesentlichen von einer dunklen und tiefen Stimme voller Leidenschaft und Intensität getragen sind.

Wie waren die Reaktionen auf dein Album?

Die waren großartig. Ich fühle mich in meiner Herangehensweise bei der Entstehung zu "Minimal Animal" bestätigt. Die Leute haben erkannt, wie kraftvoll meine Stimme und die Songs sind.

Das Album vertreibst du über deine Website. Reflektiert das auch ein wenig deine Unzufriedenheit mit Plattenlabels und dem Musikgeschäft an sich?

Ich habe den Weg des Eigenvertreibs gewählt, weil ich die letzten Jahre mit verschiedenen Plattenfirmen gearbeitet habe. Ich habe jetzt eine klare Vorstellung von dem, was ich will und in welcher Art und Weise ich damit auf die Menschen zugehe. Es war bereits sehr früh klar, dass ich diese Vorstellungen erfolgreicher und eigenständiger umzusetzen kann, wenn ich das Album auf meinem eigenen Label veröffentliche. Ich wollte so unabhängig wie nur möglich sein.

Empfindest du es als Belastung, dass die meisten dich natürlich mit RED LORRY YELLOW LORRY in Verbindung bringen, oder hilft es auch bei deinen Soloaktivitäten?

Eigentlich ist das gar nicht so entscheidend. Egal, was für Songs ich schreibe und welcher Natur die Musik ist, all das ist in Ordnung, weil es Teil meines Lebens als Musiker ist.

Man stößt bei aktuellen Bands wie beispielsweise den EDITORS, SHE WANTS REVENGE und HEAVENS bei deren Wurzeln immer wieder auf Genre prägende Gruppen der achtziger Jahre wie THE SISTERS OF MERCY, JOY DIVISION oder RED LORRY YELLOW LORRY. Wäre diese aktuelle Rückbesinnung Anlass für dich, mit den Lorrys wieder auf Tour zu gehen?

Gegenwärtig konzentriere ich mich auf meine Soloaktivitäten und eben das Projekt CHRIS REED UNIT. Allerdings habe ich auch bereits einige Songs für ein neues Album von RED LORRY YELLOW LORRY geschrieben und es gibt Pläne, in naher Zukunft wieder eine neues Album zu veröffentlichen.

Du lebst seit einiger Zeit wieder in Leeds. Die Stadt war einst eine Art Nukleus des "Gothic-Rock" mit Bands wie RLYL, THE SKELETAL FAMILY und SALVATION. Gibt es dort noch eine derartige Szene?

Heute ist Leeds wesentlich abwechslungsreicher als in den achtziger Jahren und so viele verschiedene Musikstile haben ihre Protagonisten in dieser Stadt. Leeds ist immer noch eine von Musik geprägte und erfüllte Stadt. Einige der Musiker aus vergangen Tagen sind noch aktiv, die meisten indes haben aufgegeben oder machen immer noch die gleichen Sachen, was ich ein wenig langweilig finde, weil sie sich einfach nicht weiterentwickelt haben.

Anja Huwe, die du vielleicht noch als Sängerin von X-MAL DEUTSCHLAND in Erinnerung hast, ist nun Malerin und hatte letztes Jahr eine Ausstellung mit ihren Bildern in Leeds, musikalische Ambitionen hat sie allerdings nicht mehr. Ist für dich ein Leben neben der Musik vorstellbar?

Ich kenne Anja. Wir waren damals mit X-MAL DEUTSCHLAND befreundet und in England auch gemeinsam auf Tour. Auch in der Zeit, als ich von 1991 bis 1996 in Hamburg lebte, war ich oft mit Mitgliedern von X-MAL DEUTSCHLAND zusammen. Was mich anbelangt, kann ich mir gegenwärtig ein Leben jenseits der Musik nicht vorstellen. Songs zu schreiben und auf Tour zu sein, gibt mir sehr viel. Darüber hinaus würde es mich aber reizen, Filmmusik zu komponieren.

Was hast du für die Zukunft geplant?

Ich denke Musik wird immer bestimmend für mich sein. Songs zu schreiben, um auf diese Weise Menschen zu erreichen und mit ihnen zu kommunizieren, sollte auch weiterhin meine Zukunft sein.