KURHAUS

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Ein Seelenstriptease: Weinen mit Reinhard Mey

KURHAUS haben vielleicht keine glückliche Hand mit der Namensgebung gehabt, aber wer Oberflächlichkeiten will, der sollte sich mit dem neusten Nike-Schuhdesign beschäftigen. Dieser Tage erschien ihr neues Release "A Future Pornography". Während des Gesprächs wird vor allen Dingen eines klar: es geht um Ehrlichkeit und Gefühl. Man mag es emotionalen Hardcore nennen oder einfach von Notwendigkeit sprechen. Jan (Gesang), Nico (Gitarre) und Michael (Schlagzeug) diskutierten mit mir über Hörspiele und Kuscheltiere ...

Ihr steht alle auf Kuscheltiere, ist das also so was wie Haruki Murakami, auf den ihr euch auch alle einigen könnt?

Nico: Alle? Das weiß ich gar nicht. Wir können uns auf die Kuscheltiere einigen, aber Murakami?

Jan: Keiner von uns hat was gegen Kuscheltiere. Jeder von uns hat welche. Ich glaube, wir sind unterschiedlich bekloppt, was das angeht, aber allgemein finden wir Kuscheltiere ganz gut.

Man diskutiert auch gerne szeneintern über Bollos. Ihr sprecht euch dagegen aus. Kommt dort auch der Slogan her: "More lovesongs in hardcore."

Nico:
Spielt darauf an, das ist ein großes Thema. Wir haben ab und an eingegriffen, wenn es zu Violent Dancing während unserer Konzerte kam. Dann gab es oft eine große Diskussion, ob das die Stimmung killt. Aber wir hatten immer den Standpunkt, dass das wichtig ist, dass jeder seinen Spaß haben soll und jeder gleichberechtigt ist.

Jan: Gerade von Iro-Punkern hat man dann oft gehört, dass Tanzen doch etwas sei, womit man einer Band zeigen würde, dass man sie mag. Ganz oft hatte ich hinterher das Gefühl, dass die Leute, die rumstanden, mehr auf die Musik und die Ansagen geachtet haben, als die Leute, die wild getanzt haben. Das ist dann kein Kompliment mehr.

Wenn ihr von Komplimenten redet, was würdet ihr als solches vom Publikum auffassen?

Jan:
Ein großes Kompliment war es, wenn die Leute schon viele Konzerte gesehen hatten und dann meinten, dass unseres etwas Besonderes war.

Michael: Wenn man den Leuten anmerkt, dass die voll mitgehen. Ich musste gerade daran denken, dass Janni schon mehrere Male einfach hochgehoben wurde während der Songs.

Jan: ... und hinterher war die Geldbörse noch da.

Ihr spielt mit eurem Bandnamen nicht auf das Kurhaus in Bad Homburg an?

Jan:
Nein, das in Bad Bramstedt. Wir waren fünfzehn, sechzehn und dachten, es wäre eine gute Idee, sich nach einem Bahnhof zu benennen. Es ist keine gute Idee. Wir haben mehrfach darüber nachgedacht, uns umzubenennen. Und was ich wohl auch noch sagen kann, wir sind eine der Bands, die sich in ihrer Geschichte sehr weiter entwickelt haben, denn die ersten Sachen waren so richtig scheiße.

Nico: Der Name ist auch immer unwichtiger geworden. Andere Bands haben einen Namen, der toll klingt, der aber auch nur Scheiße aussagt. Letztendlich ist es auch egal.

Jan: KURHAUS können auch definitiv nur diese fünf Personen sein. Wenn eine Person nicht mehr kann oder nicht mehr will, dann gibt es diese Band auch nicht mehr.

Eure Ansagen zwischen den Songs sind immer sehr lang und manch einer fragt sich vielleicht auch: "Meint ihr das eigentlich ernst?" Also einmal wegen "Preaching to the converted" - kommt es bei einem Konzert auch nicht nur einfach auf das Spielen an?

Jan:
Gestern haben wir in Karlsruhe gespielt. Ich hab versucht, etwas rüber zu bringen, habe aber nur Unsinn geredet. Die Ansagen, die ich mache, sollen meistens so eine Art Vorbereitung auf das sein, was gleich kommt. Zum Beispiel: Ich singe so undeutlich und kann nicht erwarten, dass die Leute, die Platten kennen, und wissen, es kommt jetzt ein Liebeslied. Im Hardcore kann der Song genau gleich klingen, aber komplett unterschiedlich gemeint sein. Zu "Preaching to the converted": Ich denke, das ist nicht so. Die meisten Sachen sind einfach nicht gegeben. Was Seb von HIGHSCORE vor Jahren als Minimalstandards angegeben hat: Staat ist nicht cool, Bullen sind nicht cool, Nazis sind nicht cool, das ist in der Hardcore-Szene nicht Standard. Oder was Homophobie angeht: Heute trägt einer von den Musikern ein FLOORPUNCH-Shirt, das ist musikalisch eine ganz nette Band, aber eigentlich geht das nicht, die haben viel zu viel Scheiße geredet, aber das ist den meisten Menschen egal.

Okay, Musik ist also was Ernstes. Ihr wollt etwas mit der Musik vermitteln.

Nico:
Ja, klar. Wir machen das nicht zum Spaß.

Ihr macht das nicht zum Spaß, also seid ihr Idealisten?

Jan:
Musik ist Kunst ist Kommunikation.

Nico: ... und wir haben einen inneren Drang, es aus uns herauszulassen.

Jan: Wenn wir spielten, weil wir wollen, dann würden wir es vielleicht gar nicht so oft machen. Sondern wir spielen, weil wir müssen. Es hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Als wir noch kleiner waren, haben wir uns alle halbe Jahre auf ein Konzert gefreut. Man steht auf der Bühne und es ist ein geiles Gefühl. Aber es ist eine surrealistische Vorstellung, dass da Leute nur wegen dir gekommen sind und teilweise die Texte kennen und dir zuhören und dich angucken, das ist ein ganz komisches Gefühl. Wir müssen das abschalten und aus uns herausgehen und die Musik aus sich herausreißen ...

Nico: Das Interessante bei mir ist, dass man sich darauf eingestellt hat, dass man ein Ventil durch die Livemusik hat. Wenn man dann selten Konzerte gespielt hat, einen inneren Druck verspürt.

Michael: Man sitzt zu Hause und fragt sich, irgendetwas fehlt doch da? Eigentlich müsste ich jetzt unterwegs sein.

Was war der Stein des Anstoßes, die Band zu gründen?

Michael:
Die Wahrheit ist, dass wir alle Bock hatten. Wir standen auf Bands und das wollten wir auch machen.

Nico: Wir hatten gerade die Instrumente gelernt und gleich experimentiert. Wie ist das, wenn man das zusammen macht?

Sehe ich das richtig, irgendjemand von euch glaubt daran, dass es noch mal zu einem Systemumsturz kommen wird?

Jan:
Ich glaube, dass keiner von uns realistisch damit rechnet, dass es innerhalb unserer normalen Lebenserwartung zu einem Systemwechsel kommen würde. Ich glaube, wenn es jetzt auch dazu kommen würde, dann wäre das, was dabei raus kommt, viel schlechter als das, wie es jetzt ist. Weil die meisten Menschen sich gerade ein System wünschen, in dem es weniger Freiheit und mehr harte Hand gibt. Das, was wir hier gerade mit unserer parlamentarischen Demokratie haben, ist sicherlich weit von dem Idealzustand entfernt. Aber ich glaube, es bedarf noch einer Menge Aufklärung, bis die Menschen dazu in der Lage wären, mit Freiheit umzugehen. Niemand stellt höhere Ansprüche an die Moral als die Anarchisten.

Nico: Politisch sozialisiert sind wir nicht alle gleich. Drei von uns denken politischer als zwei andere, wenn ich das so sagen darf. Wir haben nicht eine Meinung, wie es in Zukunft aussehen soll. Es war nicht der Grund zu sagen: Okay, wir gehen jetzt auf die Bühne und verkünden irgendetwas.

Jan: Ich stand als Sänger irgendwann vor dem Problem, dass ich Texte schreiben muss. Wir haben von Anfang an aggressive Musik gemacht und uns auch an aggressiven Stilen wie Punk, Hardcore oder Metal orientiert. Dabei muss ich über irgendetwas singen, das mich aggressiv macht, und das sind doch eher politische Themen.

Was hat es mit dem Song "On my last night in Europe" auf sich?

Jan:
Der Song ist keine Kritik an Leuten, die arbeiten. Wir leben in einem kapitalistischen System und müssen uns in einer Form ausbeuten, um zu überleben. Das Lied handelt ganz speziell von einer Person, die sich immer mit zwei Freundinnen von damals trifft, die mittlerweile deutlich bürgerlicher geworden sind. Die sagen immer wieder: "Ach in zwei Jahren bist du auch wie wir. Dann hast du auch keine Lust mehr, in dreckige Punkerschuppen zu gehen." Die Gefahr ist wohl da. Wenn du nicht aktiv dagegen angehst, so zu werden, wie die Gesamtgesellschaft ist, dann wirst du auch genau so werden. Weil es der Weg des geringsten Widerstandes ist. Ich denke, dass wir alle größere Träume haben. Ich kenne keinen, der mit sechzehn gesagt hat, ich möchte mich anpassen. Darum einfach aufpassen, dass man sich von dem, was sein muss, nicht auffressen lässt und die Träume, die man hat, nicht vergisst.

Jan, in einem Interview hast du Punk mit Dada verglichen. Kannst du das bitte noch mal erläutern?

Jan:
Ich sehe Punk und Hardcore in einem historischen Kontext, den ich mindestens zurückverfolge bis Kant. Die Aufklärung definiert Kant ja als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und ruft damit zum kritischen Denken auf: "Stell immer alles in Frage." Das ist bestimmt zu kurz gedacht, Kant hat bestimmt noch mehr gesagt. Dada hat Kunst in Frage gestellt und gefragt, was Kunst sein kann? Alles kann Kunst sein. Punk hat Musik in Frage gestellt. Was kann Musik sein? Alles kann Musik sein. Punk als Lebenseinstellung stellt nicht nur Musik, sondern alles in Frage.

Ist der Song "From Gainesville to Hamburg" eine Reminiszenz Richtung Gainesville?

Jan:
Da stecken zwei Sachen hinter. Allgemein: Fast alle Songs, bei denen ich heulen muss, kommen entweder aus Gainesville oder Hamburg. Dann waren wir einige Tage mit FIYA aus Gainsville unterwegs und ich habe auf eine Nachricht gewartet, ob der Prostatakrebs meines Vaters gut- oder bösartig ist. Ich habe mit Ryan, dem Schlagzeuger von FIYA, geredet, weil die einen Song haben, wo er seine eigenen Erfahrungen mit Hodenkrebs verarbeitet. Das hat mir so gut getan an diesem Abend, mit ihm darüber zu reden.

Jan, du bist auch ein Hörspiel-Fan. Jetzt beantwortest du mir die Frage, warum TKKG besser als die ??? sind, und keine Widerrede.

Jan:
Weil TKKG halt schön faschistisch und sexistisch angehaucht sind. Wie in der Wirklichkeit kann man bei TKKG schon an den slawischen Namen und bei denen, mit den großen Nasen, erkennen, dass sie böse sind.

Du redest auch immer so viel vom Weinen. Gab es für dich irgendwann einen Punkt, wo du gedacht hast, ich zeige meine Emotionen jetzt offener?

Jan:
Ich kann mich erinnern, dass ich mit meiner damaligen Freundin "Romeo und Julia" und "Titanic" gesehen habe und geheult habe wie ein Schlosshund.

Dir ist schon klar, dass sich jetzt manche Leute denken: "Was ist das denn für ein Weichei?"

Michael:
Ich hab das letzte Mal beim Reinhard Mey-Konzert geweint. Das war einer der schönsten Abende.

Jan: Seitdem ich mit meiner ersten Freundin zusammen war, habe ich das gelernt. Früher habe ich auch nicht geweint. Irgendwann kommen halt Songs, die mir soviel bedeuten, dass das passieren kann. Ich hab schon bei DRITTE WAHL in der Markthalle auf dem Boden gesessen und geweint. Ich weiß wirklich nicht, was daran schlimm ist.