NEW MEXICAN DISASTER SQUAD

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Wenn das Touren zur Sucht wird

Die aus Orlando, Florida stammenden NMDS sind echte Labelhopper: Die erste Platte erschien auf A-F Records, eine Split-Scheibe kam via No Idea, und für das aktuelle Album "Don't Believe" haben sie mit Jade Tree ein neues Zuhause gefunden. Dabei haben sie, rein stilistisch und natürlich was den lokalen Bezug anbelangt, perfekt auf No Idea gepasst, jenem Label, das für mich untrennbar verbunden ist mit dem Sound, den auch NMDS spielen: hochmelodiösen, aber doch rauen Hardcore/Punk, mitreißend und melancholisch zugleich, mit einem Sänger, dessen raues Organ Verzweiflung und Wut gleichermaßen zum Ausdruck bringt. Oder, um es simpler auszudrücken: Man denke sich eine Band zwischen HOT WATER MUSIC, NAKED RAYGUN und DAG NASTY, zwischen STRIKE ANYWHERE und GOOD RIDDANCE. Dazu kommen smarte, nicht parolenhafte Texte zwischen persönlichem Angepisstsein und politischer Thematik. Vor ihrer Show im Kölner Underground holte ich mir die Burschen vors Mikrofon. NMDS sind Sam Johnson (Throat, Guitar), Alex Goldfarb (Bass), Richard Minino (Drums) und Brian Etherington (Guitar) - was auch die Erstbesetzung der 1999 gegründeten Band darstellt.

Richard, ihr seid seit 1999 zusammen.


Richard: Ja, und ich bin eben der Drummer, was anderes kann ich nicht spielen, haha. Das heißt, von mir ist auch das Artwork.

Oh, echt? Das aktuelle Cover finde ich sehr gelungen.

Richard:
Danke! Ich habe da meinen Gedanken völlig freien Lauf gelassen, entsprechend wild ist es auch ausgefallen. Ich mache ja auch für andere Bands Artworks, das Cover des neuen STRIKE ANYWHERE-Albums ist auch von mir, genauso wie das des Albums davor. Und ich habe für zig andere Bands T-Shirts und so weiter entworfen. Zusammen mit der Band hilft mir das, finanziell über die Runden zu kommen. Ich habe aber nie eine professionelle Ausbildung genossen, sondern einfach von klein auf immer gerne gezeichnet. Na ja, und seit ich für STRIKE ANYWHERE was gemacht habe, ist mein Name etwas bekannter geworden und immer mehr Bands kommen auf mich zu. Mein Firmenname ist Horse Bites, falls das jemand interessiert.

Du meinst wie der D.I.-Albumtitel "Horse Bites, Dog Cries"?

Richard:
Genau, und da kommt der Name auch her. Es war eine der ersten Punkplatten, die ich hörte, weil mein damaliger Nachbar ein großer D.I.- und ADOLESCENTS-Fan war. Ich weiß bis heute nicht, was der Titel bedeuten soll, aber er klingt gut.

Hast du Casey Royer, den D.I.-Sänger, mal getroffen?

Richard:
Oh ja, das ist echt ein Verrückter. Ich habe sie zweimal live gesehen, und leider war die Show in Atlanta total furchtbar. Er war da auch das einzige Originalmitglied, und so weit ich weiß arbeitet er heute als "Pool Man", das heißt er putzt Swimmingpools.

Du hast gerade D.I. und STRIKE ANYWHERE erwähnt, und Letztere werden ja immer wieder zur Beschreibung eurer Musik herangezogen ...

Richard:
Ja, die und KID DYNAMITE. Ich denke, das hat damit was zu tun, dass wir ein paar Mal zusammen mit STRIKE ANYWHERE auf Tour waren. Andererseits werden STRIKE ANYWHERE ständig mit GOOD RIDDANCE verglichen, weil die mit denen auf Tour waren ... Na ja, so läuft's, da darf man nichts drauf geben, aber wir haben auch nichts gegen den Vergleich, denn STRIKE ANYWHERE sind gute Freunde und wir mögen ihre Musik. Ich hätte aber auch nichts dagegen, mit MINOR THREAT, DAG NASTY oder BAD BRAINS verglichen zu werden, hahaha.

Fast jede Punkband aus Florida scheint aus Gainesville zu kommen - nur ihr nicht, ihr seid aus Orlando.

Richard:
Ja, und wir sind so ziemlich die einzige von dort, die aus der Stadt auch mal rauskommt und auf Tour geht. Es ist eine echt lasche Szene dort, da geht gar nichts. Zum Glück sind es nur zwei Stunden bis Gainesville, wo es unzählige Bands gibt, wo No Idea Records sitzen, mit denen wir gut befreundet sind.

Sam: Gainesville wiederum hat das Problem, dass auch viele Bands von dort kaum mal aus der Stadt rauskommen, weil es eben eine Uni-Stadt ist, ständig neue Leute kommen und man viele Auftrittsmöglichkeiten vor Ort hat. Wir dagegen müssen raus aus Orlando.

Richard: Wir waren alle so siebzehn, achtzehn, als wir die Band gründeten, und als dann die Platte auf A-F erschienen waren, begannen wir richtig zu touren.

Apropos: Wie kamt ihr damals auf A-F, und warum jetzt der Wechsel zu Jade Tree?

Richard:
Beides kam über STRIKE ANYWHERE zustande: Die gaben damals unser Demo an den Bassisten von ANTI-FLAG weiter, und so kam eins zum anderen. Das hat uns echt sehr geholfen, aber es war dann auch wieder Zeit für einen Wechsel, denn wir hatten auf A-F nicht wirklich die musikalisch zu uns passenden Labelmates.

Sam: Wir hatten das Gefühl, dass die Kids, die auf A-F-Bands stehen, uns nicht wirklich verstehen.

Was genau haben die nicht verstanden?

Sam:
Dass wir unser eigenes Ding durchziehen und nicht unbedingt in eine bestimmte Schublade passen wollen. Wir haben eben keinen Irokesen-Haarschnitt ...

Richard: Die Fanbase von ANTI-FLAG ist sehr jung, und die wissen oft nicht mal, dass DAG NASTY und BAD BRAINS überhaupt existiert haben. Und so haben sie gewisse Schwierigkeiten, uns zu verstehen, weil wir eben auch nicht so punkig aussehen, sondern recht normal.

Ist das ein generelles Problem oder ein speziell amerikanisches?

Sam:
Das ist tendenziell überall so, aber in den USA ist es auf jeden Fall schlimmer als anderswo. Da existiert einfach extrem viel musikalischer Müll.

Richard: Ich denke, hier in Europa werfen die Leute Musik und Ideen nicht so schnell wieder weg. Die USA sind eine Wegwerfgesellschaft, auch kulturell. Du merkst das schon daran, dass, wenn du mal ein, zwei Jahre irgendwo nicht gespielt hast, da ganz andere Kids zum Konzert kommen. Die Kids wachsen oft ganz schnell wieder aus dem Punkrock und Hardcore raus, suchen sich was Neues. Egal, wir bleiben dabei, alt und abgebrannt ...

Haha, OLD MEXICAN DISASTER SQUAD also. Was hat es denn mit dem Namen auf sich?

Sam:
Als ich und Richard damals die Band gründeten, machten wir das übliche Brainstorming, und irgendwie kamen wir auf NEW MEXICAN DISASTER SQUAD und das war's dann.

Richard: Mag sein, dass der Name nicht besonders smart ist, aber er ist besser als THURSDAY FALLS ON AUGUST oder so was ...

Sam: Vor allem dachten wir nicht daran, dass wir sieben Jahre später jemandem in Deutschland den Namen würden erklären müssen. Mittlerweile mag ich den Namen aber. Und wir essen ja auch eine Menge Tacos, Squad klingt punkrockig ...

... und wenn dann vier Leute in einem Auto ihre Gase ablassen, ist das ein Desaster.

Sam:
Shit, du hast unseren Code entschlüsselt!

In Orlando ist doch auch das Kennedy Space Center. Lohnt sich da eine Besichtigung?

Alex:
Klar, das ist schon spannend, wenn da ein Space Shuttle startet. Wir haben das Glück, dass wir das vom Garten aus beobachten können.

Sam: Ich weiß noch genau, wie damals die Challenger beim Start explodierte. Ich war gerade in die Vorschule gekommen und wir spielten draußen, als es passierte.

Es gab damals eine deutsche Hardcore-Band namens CHALLENGER CREW, die allerdings nie in den USA tourte.

Sam:
Gut für sie, ich glaube nicht, dass das gut angekommen wäre, haha. An deutschen Bands kenne ich eigentlich nur die SPERMBIRDS, die sind cool. Wir wollten auch schon längst mal einen Song von denen covern, "Something to prove".

Was steht als Nächstes auf eurem Plan?

Sam:
Jede Menge Konzerte, und dann wollen wir nächsten Sommer unser neues Album in Angriff nehmen, damit es nicht wieder so lange dauert wie bis zum aktuellen.

Richard: Und zwischendurch müssen wir auch noch mal ein bisschen arbeiten gehen. Wir haben alle keine richtigen Jobs.

Sam: Ich drucke T-Shirts und mache sonst alles, was irgendwie anfällt, um bis zur nächsten Tour zu überleben. Es ist ein Teufelskreis, hahaha, aber das ist uns der Spaß wert.

Alex: Wir könnten ja auch einfach aufhören und uns normale Jobs suchen, aber das wäre doch langweilig. Wir lieben den Überlebenskampf!

Sam: Sobald wir eine Woche von einer Tour zurück sind, will ich am liebsten wieder los, es ist wie eine Sucht.

Dann bis zum nächsten Mal!