STAATSAKT

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Ein amtliches Label

Was genau ein Staatsakt ist beziehungsweise wie einer abläuft, wissen wahrscheinlich nur Bundespräsidenten, unangenehm fleißige Politikwissenschaftsstudenten oder Menschen, die schon jeden Artikel bei Wikipedia gelesen haben. Das dazugehörige Sprichwort "Da macht man doch keinen Staatsakt draus" ist als Floskel vielleicht etwas mehr verbreitet, bezeichnet es doch Angelegenheiten, die nicht so wichtig sind, dass man sie unnötig aufblasen oder wichtig machen müsste. Aber was bleibt denn dann an wichtigen Sachen, die es verdienen, daraus einen "Staatsakt" zu machen? Platten rausbringen zum Beispiel. Gute Platten vor allem. Ein Label gleichen Namens zu gründen und zu betreiben. Eines, das in Berlin seit einiger Zeit regelmäßig interessante Bands an die Öffentlichkeit schafft.





Wahrscheinlich würde ich das hier gar nicht schreiben, wenn ich nicht nach Köln gegangen wäre, um dort zu studieren. In einer der Pausen zwischen öd absurden Bibliothekswissenschaftsseminaren stand irgendwann dieser große blonde Mann neben mir. Wir unterhielten uns über die GAZA STRIPPERS und deren Vorgängerbands. Der Mann war Maurice, und klugerweise hat er schon nach einem Semester erkannt, dass fast alles besser ist, als das Bibliothekswesen zu studieren. Wir sind dann nicht ganz getrennte Wege gegangen, sondern haben in Köln mit ESEL einige sehr interessante Konzerte gegeben (welche Band kann schon von sich behaupten, mal in einem Katzenkäfig gerockt zu haben?). Noch ein bisschen später bricht Maurice seine Zelte komplett am Rhein ab und macht sich auf in die Stadt, von der gesagt wird, dass sie eine der größten Ansammlungen von kreativem Potenzial in ihren Straßen hat. Berlin.

Die musikalische Verwirklichung findet ab 2004 zusammen mit seinen alten Münsterländer Kumpels Gunne (der übrigens seinerseits mal bei NOVOTNY TV die Gitarre geschrubbt hat - und die müssten jedem Deutschpunk-Interessierten ein Begriff sein) und Ramin in Form der TÜREN, diesem bunten, hübsch absurden NDW-Indie-Elektro-Trio, statt. Jetzt geht alles recht fix: Die TÜREN mutieren zum gern gesehenen Act in kleinen, manchmal halblegalen Clubs in dieser großen Stadt, denn für eine laute, angenehm durchgeknallte Show mit tanzbarer, aber nicht ganz blöder Musik sind sie immer zu haben. Kurz drauf wird die erste TÜREN-Platte veröffentlicht. Und wo? Natürlich auf dem fast zeitgleich gegründeten eigenen Label. Staatsakt also.

Noch bei den ersten Veröffentlichungen konnte man den Eindruck bekommen, bei Staatsakt wurden fast ausschließlich Platten aus dem Netzwerk der Freunde und Bekannten rausgebracht - da Gunne neben den TÜREN bei den COCKBIRDS und Ramin bei den SAY-HIGHS mitspielt. Das stimmt mittlerweile nicht so ganz, denn die letzten Bands haben personaltechnisch nichts mit den TÜREN zu tun. Aber insgesamt scheinen hier persönliche Sympathien zwischen Band/Musik und Labelmachern wichtiger zu sein als das rein finanzielle Kalkül. Natürlich ist es für Bands besser, ihre Platten auf dem Label rauszukloppen, das sie wirklich gut faindet, und nicht bei dem, das sich den größten Gewinn erhofft. Das klingt nach guter, heiler Independentlabel-Welt und ist es auch.

Neben der ganzen Plattenrausbringerei sind die beiden Herren in zig Projekten damit beschäftigt, selber Musik zu machen. Gunne spielt bei den TÜREN und bei den COCKBIRDS, beide zusammen sind bei MERCEDES Z. Maurice springt darüber hinaus auch öfters mit THE BOY GROUP (ähnlich wie die TÜREN, nur mit mehr Disco und Elektro) sowie diversen anderen Nebenprojekten über die Bühnen, betätigt sich als Plattenaufleger und hat dann noch eine Familie, um die er sich auch mal kümmern will.

Da sitzen sie also in ihrer Bürogemeinschaft in Prenzlauer Berg und bringen fleißig Platten raus. Platten, die ... tja was eigentlich? Was ist denn der gemeinsame Nenner der Staatsakt-Releases? Die Zahl der Veröffentlichungen ist zwar noch recht überschaubar, aber zum Glück vermeiden es Maurice und Gunne, sich nur auf eine Sparte festlegen zu lassen. Staatsakt ist also kein reines Punk/Beat/Songwriter-Wasauchimmer-Label. Zum Glück, denn sonst wäre die Palette um einige gute Überraschungen ärmer. Vielleicht darf man nicht gerade auf einen Grindcore-Release hoffen, aber im Feld von Indie, Trash, Beat, NDW; Garage und natürlich Punk darf man fast auf alles gefasst sein.

Seien es die TÜREN als Hausband (deren dritte Platte gerade in der Mache ist), Berlins Kings of Unberechenbar-Punk COCKBIRDS oder die derzeit beste Frisch-und-Fruchtig-60s-Garagen-Girlband, die GOOD HEART BOUTIQUE. (Die so heiß und gut sind, dass Bela B. sie ausdrücklich zu einer der besten Vorbands seiner Solotour gekürt hat.) Oder vielleicht auch mal eine Best-Of-Compilation von MUTTER, diese Berliner Mehr-Underground-als-Maulwurf-Legende.

Und abgesehen von dem ganzen musikalischen Kram stellt man die eigenen Büroräume auch gern mal aufstrebenden Künstlern als Galerie zur Verfügung.

Die neueren Staatsakt-Zugänge machen so ein wenig den Eindruck, als wären nach all dem bunten, tanzbaren Trash der ersten Releases zur Zeit ein paar ernstere Bands am Start. GLACIER bringen auf ihrer "Sunny Place For Shady People"-CD sehr nachdenklichen, melancholischen Indiepop, der sein Biwak auf dem Eisfeld zwischen PINK FLOYD und New Wave aufgeschlagen hat, die SAY-HIGHS sitzen dagegen mit ihren Akustikgitarren in der Abschlussklasse der sanften Indie-Songwriter-Shoegazer-Schule, in der John Denver den pädagogisch wertvollen Musikunterricht ohne Zensuren leitet: Mit RAGAZZI hat man sich zu Beginn des neuen Jahres eine schnieke Britpop-Band aus Hamburg an Land gezogen.

Bei der Staatsakt-Labelparty Ende Februar konnte mit solchen Bands eigentlich auch nichts schief gehen. Das dritte Staatsaktjahr wurde begossen und dazu durften dann erst die SAY-HIGHS, dann die GOOD HEART BOUTIQUE und zuletzt noch RAGAZZI gratulieren. Alles Bands, die live überzeugen können, besonders, wenn sie in dieser Reihenfolge antreten. Von der ruhigen Aufwärmphase über lustigen Girl-Punk-Trash - inklusive schicker WIPERS-Coverversion als Zugabe - hin zu den elegant dahinswingenden kühlen Kerlen von RAGAZZI. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Abend, der wie geschaffen dafür ist, ihn in die letzten Zeilen eines Label-Porträts zu hämmern.