Give Me Friction, Baby!

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Uta Heuser über TURBONEGRO und die Turbojugend

Im April dieses Jahres erscheint mit "Give Me Friction, Baby!" ein ungewöhnliches, von Fan-Herzen kommendes Werk, das mit Leidenschaft in Hintergründe und Widersprüche eintaucht.

Über ein Jahr arbeitete Uta Heuser an dem biografischen Buch über TURBONEGRO. Dazu reiste sie mehrmals nach Norwegen und interviewte ehemalige und heutige Weggefährten der Band. Außerdem übersetzte sie ältere Interviews aus dem umfassenden TURBONEGRO-Archiv und führte Gespräche mit zahlreichen Mitgliedern der weltumspannenden Turbojugend. Zusammengehalten wird der Text durch ihre eigene Fan-Geschichte, fiktive Szenen aus dem Turbo-Universum und Abenteuer des wohl durchgeknalltesten Fanclubs, den je eine Band hatte. So entstand ein 350-seitiger lebendiger Dialog der Akteure, wie er schon aus "Please Kill Me!" und "Verschwende deine Jugend" bekannt sein dürfte. Ein besonderer Dank geht an Ox-Herausgeber Joachim Hiller, der für das Buch unter anderem bisher unveröffentlichtes Material zur Verfügung stellte. Das reich bebilderte Werk erscheint Mitte/Ende April im Verlag Andreas Reiffer (subh.de).

Nachfolgende Abschnitte wurden dem ersten Drittel des Buches entnommen und erzählen Ausschnitte aus der Band-Geschichte bis zum Erscheinen des legendären "Ass Cobra"-Albums.





Eintauchen: Herbst 2002. "Wer ist'n das?", frage ich Boris, den Sänger einer Braunschweiger Punkband, die sich gerade aufgelöst hat. Er macht heute in einer chronisch leeren Kneipe Theke und hat gerade seine mitgebrachten CDs ausgepackt. "TURBONEGRO", antwortet er. Nie gehört. Aber ich versuche, mir den Namen zu merken. Einige Wochen später laufen "Ass Cobra" und "Apocalypse Dudes" ununterbrochen auf einer Party. Eine Begegnung mit Folgen:

Zeitmaschine: Eine direkt aus Hanks magischen Augen hervorgeschossene Schallwelle erfasst mich und trägt mich davon in eine nur von gelegentlichen farbigen Blitzen erhellte Dunkelheit. Eine wabernde dunkle Flüssigkeit legt sich um meinen Körper und ich zerschmelze. Als ich wieder zu mir komme, dringt von ferne ein durchdringender anhaltender dunkler Ton an mein Ohr. Er klingt wie die Schiffssirene eines Zerstörers von intergalaktischen Ausmaßen. Ich will aufstehen, da erst bemerke ich, dass ich ein kleines Kind bin, eingehüllt in eine gallertartige Masse. Ich befühle mich und ziehe die Masse in langen klebrigen Fäden von meinem Gesicht, ich befühle meine Nase und kann endlich die Augen öffnen. Auf dem Teppich neben mir verglimmt eine Zigarette. Aber wer ist die Leiche und wie kommt sie dorthin? Ich wachse und habe es immer gewusst: Ich bin eine Zeitbombe und werde irgendwann explodieren. Mein Chef tauchte plötzlich auf und verzieht sein Gesicht zu einem Hakenkreuz. Ich möchte schreien, werde aber durch die klebrige, würgende Masse um meinen Hals daran gehindert. Draußen höre ich Stiefel, viele Stiefel im Gleichschritt. Ich bin ein Zeitbombe, kein Zweifel. Harry katapultiert sich mit einem Salto ins Publikum und Aufstandsbekämpfungspolizei marschiert durch Oslos Straßen. Dazu höre ich ein markerschütterndes Schreien: "I'm a timebomb, I'm out of control ..." - ich reibe mir die Augen. Meine Zeitmaschine hat einen echtes TURBONEGRO-Video im Programm gehabt - das Erste.

Eines Abends treffe ich sie dank meiner Zeitmaschine am Hamburger Hafenrand wieder. Im Zwielicht von stechend blauem Abendhimmel, gelblich fahlen Straßenlaternen und den Lichtern der Docks am gegenüber liegenden Ufer sitzen sie mit einer Palette Karlsquell und einigen Gemütsaufhellern.

Tom beginnt mit einem hintergründigen Lächeln auf den Lippen zu singen: "Oh so handsome, oh so strong ..." - "Tell me stories of distant shores all night long ...", ergänzt Rune und ist plötzlich aufgesprungen. Seine seit Tagen auf grabesfinster eingerasteten Gesichtszüge erhellen sich plötzlich. "Das wird ein neuer Song!" - "Genau wir werden die erste maritime Punkband - und dann werden wir sie alle ficken!"

"Yeah", sagt Tom und macht ein weiteres Karlsquell auf. Auch Hank ist jetzt aufgestanden. "Du siehst scharf aus in deiner neuen Jeans", sagt Tom und befühlt Hanks Bein. "Aber dein Gesicht sieht immer noch aus wie ein Dämon, der sich auf dem Weg zur Hölle verlaufen hat." - "Yeah", sagt Hank und überlegt dabei, ob er dem Typen vielleicht noch etwas Heroin rausleiern könnte. Aber Tom lässt nicht locker und kichert vor sich hin: "Hank ist ein Dämon ... Hank ist ein Denim Demon". Das mit dem Heroin war vielleicht doch ne Scheißidee, denkt Hank und spielt lieber weiter mit: "I got my penis steaming ...". Das ist ein Lied! Tom schreibt während der nächsten Biere ein paar Zeilen auf und schläft dann ein. Irgendwie haben sie den Weg zurück in die Bruchbude am Hafen gefunden. Kurz vor Sonnenaufgang kommt der Junkie von der Piste und weckt sie: "Ey Jungs, ich hab ein paar Gigs für euch klargemacht, gebt mir die Kohle dafür". Aber als er in die mühsam erwachenden Gesichter blickt, zieht er sich lieber zurück. "Was war eigentlich gestern los?", fragt Bingo. "Wir sind die Denim-Homos", sagt Tom. Das ist also geklärt. - Nee, denkste. In Wirklichkeit war alles ganz anders.



Fenriz: Die Musikszene in Oslo Anfang der 90er war sehr kläglich, Norwegen hatte in jeder Stilrichtung wenig anzubieten, sozusagen seit Grieg oder der ECM-Jazzbewegung. Rock und Pop waren alles Kopien, und die Musikpresse bestand aus Bob Dylan- und BEATLES-Fans. Ausnahmen waren THE ALLER VAERSTE! (Punk), Andrej Nebb's Projects und MAYHEM. In den 90ern wurde norwegischer Black Metal berühmt und bald wurde auch norwegischer House ein Thema - als Ergebnis der französischen House-Bewegung. Als der Rest der Musikszene in Norwegen sah, dass es möglich war, "es zu schaffen", explodierte Norwegen mit Musik. Bands wie TURBONEGRO existierten vor allem aus reiner Boshaftigkeit und Verachtung. Es gab echt keine Szene außerhalb der Blitz-Punk-Szene, in der Bands wie SO MUCH HATE, STENGTE DØRER, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT, SVART FRAMTID etc. waren. Und Musikjournalisten mochten immer noch nur Bob Dylan und die BEATLES. Die lebendigen Bands der 90er mussten ihre eigene Bewegung aufbauen - vorzugsweise in Verbindung mit globalen Underground-Szenen.

Harry: 1977 bis 1980 war ich Sänger von HÆRVERK. Das bedeutet "sinnlose Zerstörungswut". Wenn Fußball-Hooligans losgehen und Randale machen, Autos zerstören - das heißt auf Norwegisch "Hærverk". Wir waren eine der ersten Punkbands in Norwegen. 1981/82 begann ich mit SISTE DAGERS HELLIGE. Wir waren eine Art Crossover zwischen BIRTHDAY PARTY und den STOOGES. Wir waren schrecklich laut und schreckliche Leute. Wir hatten einen Bassisten und einen Drummer, die sich hassten, sie hauten und traten sich während der Proben. Das griff auf unsere Gigs über. Da war dieses Konzert auf einer sehr schönen Insel außerhalb von Oslo. Ich wurde unsanft geweckt und in einem Schiff zu diesem Ort gebracht und mochte es ganz und gar nicht. Deshalb beschloss ich, unser Konzert so kurz wie möglich zu machen, indem ich so viele Leute wie möglich beleidigte. Wir hatten halbwegs Erfolg, die Leute hassten uns wirklich, aber fanden es auch cool.

Happy Tom: Mein Vater war ein amerikanischer Radikaler. Er war der jüngste gewerkschaftliche Vertrauensmann in Kansas City. Dann politisierte er sich. Als ich geboren wurde, musste er einen Haufen Papiere unterschreiben: "Ich war nie Mitglied der kommunistischen Partei" und "Ich war nie bei der Abraham Lincoln Brigade im Spanischen Bürgerkrieg". Er fragte, was an der Abraham Lincoln Brigade schlimm sei, das waren doch Leute von der Demokratischen Partei, nicht wahr? Sie sagten: "Wenn Sie wollen, dass Ihr Sohn die Staatsbürgerschaft bekommt, unterschreiben Sie einfach."

Chronist: TURBONEGER gründete sich 1988 in Oslo, und bestand aus Thomas Seltzer am Bass, Vegard Heskestad, Pål Bøttger Kjærnes und Rune Grønn an den Gitarren, Pål Erik Carlin, Gesang. Anfangs saß "TK" Tor Kristien am Schlagzeug, später übernahm Carlos Carrasco. Die ersten Proben fanden im Winter 1988/89 statt. Die Band durchlief verschiedene Umbesetzungen, 1990 spielte eine Zeitlang Rolf Yngve - alias Raldo Useless - Bass, er spielte ebenfalls bei ASTROBURGER, THE LUST-O-RAMA und GLUECIFER.

Happy Tom: Ein "Turboneger" ist ein großer, gut ausgestatteter, bewaffneter schwarzer Mann, in einem schnellen Auto, aus auf Rache! Wir sind seine Propheten. Wir sind feige Säcke, deshalb buchstabieren wir den Namen TRBNGR.

Vidar: Im Frühjahr 1990 war "Turboneger" definiert als ein wilder Typ. Jemand, der wahrscheinlich, bevor er zwanzig geworden ist, bei einem Autounfall stirbt oder im Knast landet oder an einer Überdosis stirbt.

Pål Erik: Wir waren auf dem Weg zu einem Auftritt in Trondheim und alle sehr aufgeregt. Geir Nilsen vom Russian Amcar Club war unser Fahrer. Es ist eine langweilige Strecke und deshalb zwangen wir ihn, Schlangenlinien zu fahren. Als ein Königspudel vor uns auftauchte, schrieen alle "Kill, Geir, kill kill!!" Dann überquerte der Hund plötzlich die Straße und wir konnten es nicht verhindern, ihn zu überfahren. Für den Rest der Fahrt war jeder im Bus still mit einem Kloß im Hals, während Beethovens neunte Symphonie im Kassettenrecorder lief. Das ist TRBNGR in aller Kürze.

Harry: In Trondheim hatten wir ein Interview mit dem lokalen Studentenradio. Eins war klar: TURBONEGRO und Studenten sind wie Feuer und Eis. Es war ein Desaster und wir waren ziemlich geladen. Als wir die Bühne betraten, hatte unser Freund Audun schon beschlossen, dass dies sein lautestes Konzert überhaupt werden sollte. Dies in einem runden Raum mit einem großen Mischpult. Die Leute hielten sich die Ohren zu und schrieen: "Bitte, es ist viel zu laut, wir wollen euch hören!" Ich war gut drauf und sagte: "Nej, loud and proud!". Dann nahm Audun ein Lineal und schob alle Regler auf Maximum. Einige der Veranstalter versuchten, ihn davon abzuhalten, aber er schlug sie nieder. Zwei Typen haute er um. Später wurden wir zu dieser Aftershowparty eingeladen. Zwei unserer Jungs pissten in die Gänge dieses hübschen Studentenwohnheims. Unser Chauffeur war total besoffen. Eine Person, die ungenannt bleiben möchte, beschloss den Bandbus zurück zum Hotel zu fahren. Er sagte sich: Ich habe keinen Führerschein, also kann ich ihn auch nicht verlieren.

Bingo: Ich weiß nicht ganz genau, wann ich bei Turbo einstieg, weil ich mir Sachen wie Daten und Jahre nicht gut merken kann. Es war jedenfalls kurz vor der Veröffentlichung von "Vaya Con Satan". Das Poster meiner allerersten Turbo-Show war das "Vaya"-Cover. Und wir mussten eine Menge Plakate aufhängen, weil Gangs älterer christlicher Fundamentalisten sie so schnell von den Wänden rissen, wie wir sie aufhängten.

Chronist: Im Dezember 1992 starten TURBONEGER eine letztlich ruinöse Tour außerhalb Norwegens. Sie hatten etwas Geld von einem Stipendium. Sie fuhren zu einem bestätigten Gig nach Aalborg, Dänemark und dann weiter nach Hamburg, wo sie strandeten und vergeblich nach Auftrittsmöglichkeiten suchten. Sie wurden zu einem veganen Brunch in ein besetztes Haus nach Altona eingeladen, gingen aber lieber zu McDonald's.

Harry: Wir kamen da locker an, "Hallo, wir sind TURBONEGRO", sie sagten: "Ihr seht wie Zivilbullen aus!" So fing das an. Wir: "Nein nein, wir sollen hier heute auftreten, können wir hier schlafen?" - "Esst erst mit uns!" Sie tischten diesen grau-grünen Brei auf, der aussah wie frisches Hirn oder so was. Pål Pot Pamparius, der überhaupt kein vegetarisches Essen oder Gemüse mochte, sagte: "Ich kann das nicht anrühren, ich muss mich sonst übergeben." Und sie sagten: "Ihr müsst tatsächlich Zivilpolizei sein." Die kalte Schulter hatte also ein Gesicht und wir landeten schließlich in einem Hotel mit allerhand Huren, wir bezahlten das Zimmer stundenweise. Wir lebten, schliefen und tranken in einer Bar namens Gang Bang an der Reeperbahn. Wir hingen da eine ganze Woche lang herum. Wir konnten nirgendwo spielen, nirgendwo wohnen und hatten diesen Kerl, der die Plattenfirma-Sachen für uns machte. In einem norwegischen ironischen Sinn beschlossen wir, den Plattenvertrag im Hotel St. Pauli zu unterschreiben. "Hotel St. Pauli" ist ein norwegischer Witz. Es gibt einen Film von den zwei durchgeknalltesten norwegischen Filmemachern überhaupt. Ein Film über das Erwachsenwerden: Ein Junge versucht, sich selbst zu entdecken und wacht im Hotel St. Pauli auf.

Vidar: Und dieser Junge ist in Denim/Jeans gekleidet.

Harry: Es lief da also etwas. Wir zogen ins Hotel St. Pauli um. Wir unterschrieben den Vertrag am frühen Morgen. In einer Musikbox fanden wir HOT CHOCOLATE, "Gogo success", legten sie auf und einige der indonesischen Nutten tanzten dazu herum und der Typ, der wohl ihr Manager war, guckte skeptisch: "Nein, Mädels, tanzt nicht zuviel, es ist noch kein Geld in der Kasse!" Wir fühlten uns absolut verrückt, perfekt.

Christian: Einer der schrillsten Turbo-Gigs war im Januar 1993 im Blitz zusammen mit Eugene Chadbourne. Ich habe ungefähr 100 Gigs gemixt, dieser war wirklich ungewöhnlich. Sie spielten eine Coverversion von [PINK FLOYDS] "Be careful with the axe Eugene", und Eugene schwang eine große Axt über seinem Kopf und posierte auch als norwegischer Löwe wie in dem Staatswappen. Er stimmte auch bei "I walked with the zombie" mit ein, sie spielten ein Medley aus "Two-headed dog" und "I walked with a zombie" von Roky Erickson. Eugenes Instrument war dabei eine elektrisch verstärkte Harke, wahrscheinlich das lauteste, krachigste Instrument, was jemals konstruiert wurde. Ein Gerät, mit dem man normalerweise Laub einsammelt, er hatte auf den Metallzähnen zwei Kontaktmikrofone befestigt. Es ist auf "Jeg Will Bli Som Jesus" zu hören, das noisige Ding zwischen den Worten ist eine elektrische Harke.

Chronist: Infolge einer schweren Erkrankung musste Sänger Harry die Band verlassen. Am 31. März 1993 war Harrys letzter Auftritt mit TURBONEGER im Sentrum Scene in Oslo. Als neuer Sänger wurde Hans Erik Husby erwählt. Sein Spitzname war Hertis oder Hertugen, "Herzog", später wurde er als Hank Von Helvete, "Hölle", berühmt. Happy Tom beschrieb ihn als "egozentrischer Nörgler. Er passte zu uns!". Er versuchte zweimal abzuhauen, aber es wurde ihm nicht erlaubt. "Hört auf, auf mir herumzuhacken", sagte er tränenüberströmt bei wichtigen Band-Meetings - von denen es einige gab.

Die einzige Veröffentlichung aus dieser Zeit ist die "Grunge Whore"-EP auf Sympathy For The Record Industry. Der Titel ist als eine Art Abrechnung mit Kurt Cobain von NIRVANA gemeint und enthält eine gespenstisch präzise Vorhersage seines Selbstmords, der tatsächlich ein Jahr später passierte. Tatsächlich waren sie Kurt Cobain 1992 auf dem Oslo Kalvøya Festival begegnet, wo NIRVANA Headliner war. TURBONEGRO und KUNG-FU GIRLS spielten auf der Aftershowparty und es wird berichtet, dass Kurt flüchtete und sich die Ohren zuhielt, nachdem er einigen Songs gelauscht hatte. In einem Interview in einem griechischen Fanzine rieten TURBONEGER den Lesern, nicht an dem damaligen Seattle Grunge-Boom teilzunehmen: "Überlegt mal, dass von j-e-d-e-r verkauften NIRVANA- ODER ALICE IN CHAINS-Scheibe ein Golddollar an die CIA-Waffenoperationen geht!"

Christian: Hank und Harry hatten ihre eigene Radiosendung mit Musik und Kommentaren bei RadiOracle im Blitz. Hanks Sendung hieß "Nihil One Man Front", er machte sich über alles lustig, auch über Nazis. Einige Zeit später fand man seinen Namen auf einer Todesliste von Nazis. Meine Band BLACK & DECKER hatte ihren Proberaum im Keller vom Blitz. Akutt Innleggelse trat 1983 im Blitz auf. Es gab immer eine gewisse Spannung mit den Leuten dort, weil wir nicht politisch korrekt waren. Obwohl wir jahrelang unseren Proberaum dort hatten, wurde ich immer wieder gefragt, wer ich denn sei. Es gab eine Menge Paranoia vor Zivilpolizisten. Irgendwann hatten sie herausgefunden, wie man die erkennt: Sie tragen immer sauber geputzte Schuhe!

Chronist: Im Winter 1994/95 trat Turbo eine Zeitlang mit Afroperücken und schwarz geschminkten Gesichtern auf. Etwas, was als "Al Jolson-Masche" - Al Jolson ist ein Jazz-Sänger aus den 20er/30er Jahren - bezeichnet wurde. Die führte zu einigen skurrilen Situationen ...

Happy Tom: Wir waren backstage mit unseren schwarzen Gesichtern, Perücken und Hütchen und rauchten Gras mit unseren All-Time-Heroes, den BAD BRAINS, und konnten die Absurdität kaum fassen. Ich meine, diese Leute haben es nicht angesprochen, aber sie fanden das Ganze wohl etwas peinlich. Habe ich euch davon erzählt, wie wir einmal versuchten, in die "U"-Show im norwegischen Fernsehen zu kommen? Ich war mit Alex Rosén auf einer Rock Furore-Party. Plötzlich kam Erik Meyn vom "U" vorbei und sagte "Hallo" und Alex stellte uns gegenseitig vor. Ich erwähnte sofort eine ganze Liste von Sachen, die wir schon der "U"-Redaktion gegeben hatten: CDs, Tapes und so weiter - ohne jemals eine Antwort von ihnen bekommen zu haben. Ich wollte wissen, ob man jemand aus dem Blitz sein muss oder jemand mit einem Majorlabel-Vertrag, um bei ihnen im Programm gebracht zu werden. Meyn sagte einfach: "Ich glaube, ich muss jetzt gehen!" Als er sich umdrehte, klatschte ich ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und schrie durch den ganzen Raum: "Wenn TURBONEGER nicht ins ?U? kommen, werde ich dich umbringen!" Alex bemerkte dann mit sehr ruhiger Stimme: "Dies war vielleicht nicht die angemessene Art, um ins Fernsehen zu kommen, Seltzer."

Christian: Auf der "Never Is Forever"-Tour, auch "Nihil Jung Tour" genannt, las Thomas eine Biografie über Wilhelm Reich, er studierte damals ja auch Psychologie. Bengt las "Asthetics Of Rock", diesen Klassiker aus den 1970ern. Ich persönlich bin nicht so sehr mit dem Buch einverstanden, weil es sehr auf Nietzsches "Geburt der Tragödie" basiert. Er überintellektualisiert das Ganze. Die Leute von TURBONEGRO sind wirklich intellektuelle, gebildete Leute, es war damals eigentlich eine intellektuelle Band. Das war eine der Sachen, die ich an ihnen mochte.

Happy Tom: Manche Journalisten behaupten, dass wir große Strategien hätten. Ich denke, es liegt dieser Fluch über uns, dass alles was wir machen, zu einem großen Mythos wird. Es ist wie die Chaos-Theorie mit dem Schmetterling, der mit den Flügeln schlägt und einen Hurrikan auf der anderen Seite des Erdballs auslöst. Es ist wie, wenn Hank mit seinem Umhang rauscht, meinen manche Fans: "Oh yeah, wir sehen darin einen Taifun unten in Neuseeland." Sie legen etwas zuviel da hinein, aber das ist uns recht.

Fan: Ein Punkt, der in der "Ass Cobra"-Zeit gelegentlich diskutiert wurde, ist die Glaubwürdigkeit/Credibility der Band. In der Art: "Eigentlich sind das ganz normale Jungs, die sich auf der Bühne verkleiden und auf böse Jungs machen", als ob alles ein Fake wäre. Was meinst du dazu?

Bingo: Meinst du, ob wir die ganze Zeit Denim tragen? Was meinst du mit "böse Jungs"? Tom ist ein böser, böser Junge, ein intellektueller Tyrann, ein Agent Provocateur. Verrückt! Tatsächlich ist er einer der belesensten Leute, die ich kenne, nicht einfach ein normaler Typ. Pål hasst einfach Menschen. Punkt. Rune war ein Faulpelz. Ein Faulpelz mit einem College-Abschluss, aber trotzdem ein Faulpelz. Hank und ich lebten in dieser Welt aus Drogen, Kleinkriminalität und dunklen Geschäften. Turbo war immer Provokation, eine Show machen, Leute zum Reagieren bringen - wenn du das Fake nennst, von mir aus.

Chronist: Der Afro-Look-Joke wurde im Mai 1995 fallengelassen, als die Turbo-Jungs einheitlich in pralle Jeans gekleidet und mit scharfen Schnurrbärten auftraten. "Wir finden, dass Denim Leder in jeder Hinsicht übertrifft. Leder ist für leere, kleine Leute. Jeans sind für uns große Jungs! Und die Kids lieben es!", bemerkt Happy Tom zu der Überlegenheit der dunkelblauen Jeans/Denim-Kleidung.

Hank: In Indiana war der Promoter ganz begierig darauf, uns Prostituierte zu besorgen, er schwärmte von der Schönheit der lokalen Huren (in einem lustigen skandinavischem Midwestern-Klang): "Ah kin ghet ya all laid ya know: Bloonde haihr, smahll vaists, beeeg tits - and no plastic! Er meinte Silikon ... Welche Gastfreundschaft! Wir sagten: "Nein, danke." Wir sagten ihm, dass wir schwul wären.

Happy Tom: Warum dieses Jeans-Outfit? Das hat einfach noch niemand wirklich gemacht. Guck dir mal die ALLMAN BROTHERS damals an, die tragen alle Jeans. Denim ist das Leder des Arbeiters. Wir haben ein unmögliches Band-Image, einen unmöglichen Band-Namen, trotzdem haben wir überlebt. Wir hatten ein Treffen, um uns ein Image auszudenken, aber dann wurden wir alle betrunken. Als wir am nächsten Morgen aufwachten, war alles, was wir zu Papier gebracht hatten, ein Zettel auf dem stand "Denim Homo".

Hank: Du kannst nicht in einer Männergesellschaft, wie es eine Band ist, leben, ohne ein bisschen schwul zu sein.



Die Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens:

Fenriz - höllischer Rock'n'Roll-Freak (DARK THRONE) aus Oslo

Harry - zweiter Sänger der Band (bis 1993)

Happy Tom - das Gründungsmitglied steht heute am Bass

Chronist - Martin Lucassen vom TURBONEGRO-Archiv (turbo-archive.homepage.t-online.de)

Vidar - Fan der ersten Stunde

Pål Erik - war Sänger von 1988-1990

Bingo - bis zur "Ass Cobra" am Bass

Christian - früherer Soundmann und Produzent der Band

Fan - ein Fan

Hank - seit 1993 am Mikro